Dieter Wedel hat einen Film über die »Gier« gemacht. Über Finanzjongleure, die Anlegern sagenhafte Renditen versprechen. Wobei die meisten dieser Anleger den Unterschied zwischen Rendite und Gewinn noch nicht einmal so genau kennen, weshalb man die vereinfachende Formulierung »Faktor« verwendet. »Faktor 13« bedeutet, dass man das 13fache des »eingesetzten« Geldes zurückbekommen soll. Bei dieser Art Versprechen fragt offensichtlich niemand, wie dies geschehen soll. Die Antizipation des erwartenden Gewinns genügt zuerst einmal.
Kritik
Matthias Horx: Das Buch des Wandels

Das Pseudonym von Matthias Horx in »World of Warcraft« lautet Heilpriester Planetarius. Als man das ungefähr in der Mitte des Buches erfährt, ist man nicht mehr sonderlich überrascht. Hier ist jemand, der nach langer (und suggestiver) Rede mit forschem Gestus und angelsächsisch angehauchtem Optimismus seinem Leser auf die Schulter klopft und »alles Gute« wünscht. Lässt man sich auf sein »Buch des Wandels« ein, bleibt man zuverlässig von den großen Katastrophen verschont. Fast nebenbei soll sich beim Leser das wohlige Gefühl einstellen, Zigtausende Seiten Lektüre gespart zu haben. Nachfrager, Abwäger, Skeptiker, Kritiker – sie gehören allesamt der Gruppe der Alarmisten an. Das hat man endlich schwarz auf weiß. Daneben gibt es noch die mehr oder weniger gleichgültigen Stoiker und, nachdem diese Zweiklassengesellschaft wider Erwarten doch nicht ausreicht, kommen noch die Wandelhektiker à la Sloterdijk dazu, die nur mit Imperativen agieren und reglementieren können. Ein schöner Beleg dafür, dass Horx Sloterdijks Buch nicht verstanden hat. Aber wenn es nur das wäre…
Videowände und Spaghettiessen
Daniel Kehlmanns Rede bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele. Das Publikum vermag den Eklat gerade noch wegzulachen. Kehlmann spricht von seinem Vater Michael Kehlmann, einem Theaterregisseur, der sich dem in den 70er Jahren aufkommenden Trend des »Regietheaters« widersetze und sich ausdrücklich als Diener der Autoren verstand, etwas was damals als per se reaktionäres Unterfangen galt. Er ging unter in einem Klima der Repression, in der Abweichung geächtet ist.
Das Regietheater heute sei zum Privatvergnügen folgsamer Pilger degeneriert und habe sich weitgehend von Stück und Autor entfernt. Die Folge sei: Die Autoren hielten sich zurück.
Stattdessen immer das Gleiche, so Kehlmann, ausländische Freunde zitierend: Videowände und Spaghettiessen, verschmierte Schauspieler, die dauernd herumschreien. Ob dies, so süffisant eingestreut, staatlich vorgeschrieben sei, fragten die Freunde. Kehlmann diagnostiziert ein fatales Bündnis zwischen Kitsch und Avantgarde, wobei er hier leider ein bisschen ungenau wird in seiner ansonsten feinen Rede, denn Avantgarde ist das nicht mehr, sondern nur noch Simulation von dem, was diese bemitleidenswerten Pseudo-Regisseure für Avantgarde halten.
Til Schweiger: Keinohrhasen

Wie Baby Schimmerlos für Arme irrlichtert Til Schweiger als Ludo Decker (nomen est omen – auch hier) in »Keinohrhasen« durch die Celebrity-Welt. Man lacht ein bisschen über sich selbst und verwechselt das mit Selbstironie; Klitschko heißt da Klitschko, Catterfeld Catterfeld und Jürgen Vogel spielt gegen Ende Jürgen Vogel (bzw. er spielt als Jürgen Vogel den Jürgen Vogel wie er den Jürgen Vogel gespielt haben möchte). Der Minister, der seine Geliebte geschwängert hat, ist allerdings nicht Seehofer. Soviel »Reality« ist dann doch nicht.
Schweiger spielt den Klatschreporter als skrupellosen Insider (mit mafiösen Attitüden) und machohaften Frauenhelden mit seiner eigenen Philosophie des one-night-stands nebst entsprechendem Verbrauch. So verknüpft man das Nützliche mit dem Angenehmen – und gibt dem Zuschauer nebenbei das Gefühl, es immer schon gewusst zu haben. Es wird gevögelt, gestöhnt, geschrien und die Wörter »blasen«, »bumsen« und »ficken« werden in allen Konjugationen dekliniert.
Dror Zahavi / Michael Gutmann: Mein Leben (arte/ARD)
Die Frage ob bzw. wie der Film das Buch nun korrekt wiedergebe oder nicht, erweist sich meist als müßig: Zu unterschiedlich sind die Medien, zu grob die Struktur des Films, die in den meisten Fällen die feinen Untertöne des literarischen Werkes nicht im Entferntesten zu entfalten vermag. Es gibt die ein oder andere Ausnahme, die sich zwar eng am literarischen Werk hält, aber dann doch ein eigenständiges Film-Kunstwerk wird ohne die Vorlage zu denunzieren, sondern sie ergänzt, ja, klarer zu macht; leider »too few to mention« (und nicht relevant für diese Betrachtung hier).
Fast selbstverständlich musste die Verfilmung von Marcel Reich-Ranickis Buchs »Mein Leben« (es werden letztlich ausser der mehr als oberflächlich eingestreuten unmittelbaren Nachkriegszeit Reich-Ranickis als polnischer Generalkonsul nur die ersten beiden Teile des Buches bis 1944 gezeigt) hinter dem doch stark beeindruckenden Geschriebenen zurückstehen. In neunzig Minuten presst man die Geschichte von 1929 bis 1944 und hastet von Stichwort zu Stichwort. Man spürt das Bemühen, Schlüsselszenen des Buches unterzubringen (was teilweise auch geschieht), aber Reich-Ranickis anekdotisches Erzählen, was dieses Buch nicht unwesentlich charakterisiert und auf verblüffende Weise stark macht, fällt dieser Ereignis-Rallye als erstes zum Opfer.
Sönke Wortmann: Deutschland – Ein Sommermärchen (ARD)
Nein, Sönke Wortmanns »Deutschland – Ein Sommermärchen« ist kein Dokumentarfilm. Er ist ein Schlüssellochfilm, der Einblicke gibt, die sonst verborgen bleiben. Wortmann war wochenlang mit Kamera und Ton Begleiter der deutschen Fussballnationalmannschaft. Er hat alles brav gefilmt und einen Cocktail zusammengestellt, der die Neugier der Fans und Zuschauer befriedigt.
Niemals gibt es eine ruhige, einzelne Einstellung. Ständig ist die Kamera in Bewegung. Man will immer gleichzeitig alles zeigen. Die Höhepunkte des Films sind die »Kabinenansprachen« von Jürgen Klinsmann vor, während und auch nach dem Spiel. Klinsmann wird als Motivator gezeigt – Löw der ruhige Taktiker – Bierhoff irgendetwas anderes. Mehr nicht.
»Werktreue, nicht Werknibelungentreue«
In der aktuellen Ausgabe der ZEIT wird die seit einigen Wochen dort angestossene Debatte über den Stellenwert der Regie / des Regisseurs im modernen Musiktheater durch einen Beitrag des Dirigenten Christian Thielemann mit dem Titel »Schoenes-Bett-der-Partitur« fortgeschrieben: Werktreue, nicht Werknibelungentreue
Auch wenn die Diskussion (übrigens vor der Absetzung der Neuenfels-Inszenierung der Oper »Idomeneo« begonnen) schwerpunktmässig auf das Musiktheater fokussiert ist, so kann doch auch für das Sprechtheater etliches übernommen werden.
Thomas Müller: Bestie Mensch

Grimmig schaut der Autor mit verkniffenen Augen am Leser vorbei. In roter Schrift erfahren wir: Bestie Mensch. So sieht das Cover von Thomas Müllers Buch aus, und man hätte es wissen können. Aber das Interview mit Denis Scheck machte mich neugierig; die Stimme dieses Mannes, der in unzähligen Gesprächen Massenmördern und Schwerverbrechern gegenüber sass; die weichen, modulierten Töne – ein Märchenonkel, der fast flüsternd, weich sprach, aber schnell und eloquent.
Dr. Thomas Müller ist Kriminalpsychologe. Wie man am Ende des Buches erfährt, ist er es in herausgehobener Position wohl nicht mehr; seine Hinauskompromittierung erzählt er in der dritten Person – übrigens ein lesenswertes Dokument, wie Menschen von ihren Positionen weggemobbt werden. Aber das ist ein anderes Thema.