Phä­no­me­no­lo­gien ei­nes Dich­ters

Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort

Pe­ter Hand­ke:
Ver­such über den Stil­len Ort

[...]
Und nun, nach mehr als zwan­zig Jah­ren legt Pe­ter Hand­ke sei­nen vier­ten Ver­such vor, der »Ver­such über den Stil­len Ort«, wo­bei die Schreib­wei­se des Ad­jek­tivs im Lau­fe der Er­zäh­lung wich­tig wird, denn aus dem »Stil­len Ort« (al­so der eu­phe­mi­sti­schen Um­schrei­bung für die Toi­let­te oder, noch di­rek­ter, dem Scheiß­haus) wird – im Ide­al­fall – der »stil­le Ort«; das Re­fu­gi­um, die ge­such­te wie not­wen­di­ge Welt­ab­ge­schie­den­heit.

Wie­der ein­mal al­so ein ge­mein­hin als schnö­de (oder sonst­wie schlecht) an­ge­se­he­ner Ort, den man ge­wöhn­lich ganz schnell wie­der ver­las­sen möch­te. Die Tra­di­ti­ons­li­nie Pe­ter Hand­kes die­ser Art von Orts­be­su­chen und ‑er­zäh­lun­gen ist lang. Sie reicht vom Pa­ri­ser Vor­stadt­ort »Bé­çon-les-Bruy­è­res«, den einst Em­ma­nu­el Bo­ve in ei­ner mei­ster­haf­ten Mi­nia­tur zu ei­nem li­te­ra­ri­schen Ort mach­te und von Hand­ke ent­deckt und kon­ge­ni­al über­setzt wur­de über die stun­den­lang be­ob­ach­te­te, schmil­zen­de Quel­le in Lli­via, ei­ner spa­ni­schen En­kla­ve im »wei­ten Py­re­nä­en-Hoch­land« (»Ei­ne Stil­le kam auf, wie sie selbst in die­sem Jahr­hun­dert noch mög­lich war, aber nur im Al­lein­sein?« ), den »fah­len Schach­tel­wän­den im Knick der Gas­sen« von So­ria, der »Nie­mands­bucht« des sich sei­ner Freun­de ver­ge­wis­sern­den Schrift­stel­lers Gre­gor Keu­sch­nig, den gott- und oft ge­nug men­schen­ver­las­se­nen En­kla­ven in den weh­mü­tig-zor­ni­gen Ser­bi­en-Tex­ten und der ele­gi­schen »Mo­ra­wi­schen Nacht« bis zur Groß­stadt-Pe­ri­phe­rie, Schau­plät­ze un­ter an­de­rem der Kin­der­ge­schich­te um »Lu­cie mit den Dings­da« (Hand­kes selbst­iro­nisch­stem Buch) und auch dem »Gro­ßen Fall«, als der Schau-spie­ler mä­an­dernd in ein fremd-uto­pi­sches Post-Me­tro­po­lis auf­bricht. [...]

Das voll­stän­di­ge Do­ku­ment als pdf-Da­tei: Phä­no­me­no­lo­gien ei­nes Dich­ters


Raimund Fellinger/Katharina Pektor (Hrsg.): Briefwechsel Peter Handke, Siegfried Unseld

Rai­mund Fellinger/Katharina Pek­tor (Hrsg.): Brief­wech­sel Pe­ter Hand­ke, Sieg­fried Un­seld

Und hier mei­ne Be­spre­chung zum Brief­wech­sel Handke/Unseld auf »Glanz und Elend«: »Le­ben in der Er­zäh­lung« (pdf-Da­tei)

PS: Ein auf­merk­sa­mer Le­ser (ein Pleo­nas­mus ei­gent­lich) re­kla­mier­te zu Recht mei­ne Be­zeich­nung »Ort« für die Land­schaft des Vex­in. Ich bit­te, mir die­sen Feh­ler nach­zu­se­hen.


2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Zwei wun­der­bar in­struk­ti­ve Be­spre­chun­gen! Um nur mal auf den »Ver­such über den Stil­len Ort« ein­zu­ge­hen, den ich aus ei­ge­ner Lek­tü­re ken­ne. Die Haar­waschsze­ne ist wirk­lich Kopf­ki­no vom Fein­sten. Und tat­säch­lich ist die Ba­lan­ce zwi­schen dem vor­der­grün­dig skur­ri­len Stil­len Ort und dem an­de­ren stil­len Ort das gan­ze Buch hin­durch so fein in der Schwe­be ge­hal­ten. Wenn er zum Bei­spiel beim »geo­me­tern« ist, al­so Flie­sen­mu­ster und an­de­re an­de­re geo­me­tri­sche und ku­bi­sche For­men stu­diert, flie­ßen die kon­kre­te und die an­de­re Les­art per­fekt zu­sam­men.

    Oder das Kran­ken­zim­mer als Rück­zugs­ort im In­ter­nat (S. 24–26) – da fällt ei­nem na­tür­lich so­fort Jen­ny Er­pen­becks »Ge­schich­te vom al­ten Kind« ein, das sich über­haupt nur auf ein sol­chen stil­len Ort auf­hal­ten möch­te.

    An kon­kre­ten Stil­len Or­ten und de­ren Tra­di­ti­on in Hand­kes Werk kommt mir au­ßer­dem der Bot­schafts­se­kre­tär Keu­sch­nig in den Sinn. Schon in der »Stun­de der wah­ren Emp­fin­dung«, mei­ne ich, gibt es die­sen ge­nau­en Blick für »Brand­flecken« und »Aschen­glut­stel­len« durch ab­ge­leg­te Zi­ga­ret­ten in WC-Räu­men.

    Und dann, von we­gen ja­pa­ni­sches Tem­pel-WC: In der »Nie­mands­bucht« S. 850 f. be­schreibt der Er­zäh­ler ein Pis­soir na­he beim Pont Mi­ra­beau als viel­leicht letz­tes sei­ner Art: Es ist die­ser aus der Zeit ge­fal­le­ne »Rund­tem­pel« für die Ta­xi­fah­rer, die sich (noch) er­folg­reich wei­gern, für je­des Aus­tre­ten ex­tra Geld in ei­nen neu­mo­di­schen ste­ri­len Au­to­ma­ten ein­zu­wer­fen. Wenn ein Pis­soir je­mals prou­stisch war, dann die­se er­zähl­te Ta­xi­fah­rer-Piss­rin­ne, die man jetzt viel­leicht nicht un­be­dingt da­heim ha­ben woll­te, aber als Er­in­ne­rungs­ort na­mens öf­fent­li­cher Ab­tritt so­fort ver­steht und schätzt.

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