Merkwürdig, wenn man an die »großen« Literaturkritiker Nachkriegsdeutschlands denkt, kommen einem viele Namen in den Sinn. Da sind die Gruppe 47-Granden und deren unmittelbare Schüler. Da war der wunderbare Fritz J. Raddatz, Außenseiter und doch mittendrin. Natürlich der zu früh verstorbene Berserker Jörg Drews. Und da ist Peter Hamm, der sanfte Exeget, der einem, wenn er im Schweizer »Literaturclub« anhob über ein Buch zu erzählen, das Zuhören abnötigte. Man spürte, wie sich Hamm von guter Literatur ergreifen ließ. Als Hermann Lenz gestorben war, setzte er zu einem wunderbaren Nachruf an. Und wie er einst litt, als ein rotziger Henryk M. Broder in der Sendung zu Gast war.
Dabei war Peter Hamm, der auch Gedichte schrieb, über 40 Jahre Redakteur beim Bayrischen Rundfunk, also durchaus im »Betrieb« angekommen. Genutzt hat er dies unter anderem für wunderbare abendfüllende Dokumentationen. Jeweils zwei Stunden über Ingeborg Bachmann (1980), Robert Walser (1986) und Fernando Pessoa (1992). Dichterportraits, die nichts von ihrem Zauber eingebüßt haben. Der letzte Film waren 2002 die 90 Minuten über Peter Handke. Diesen hatte er in den 1960er Jahren noch heftig wegen dessen Ablehnung politische Prosa zu verfassen, angegriffen. Das entsprach dem Zeitgeist. Später revidierte Hamm sein Urteil. Unlängst wurden Hamms über die Jahrzehnte verfassten Aufsätze zu Handkes Werk, seine »Annäherungen«, gesammelt aufgelegt. Bei einem anderen Österreicher war es umgekehrt: Hamm schätzte Thomas Bernhard vor allem als Lyriker, während er dem späten Bernhard eine »Verzweiflungsroutine« attestiert. Hamm lobte also nicht immer. Ich erinnere mich an seine Sendung, in der er wohlbegründet Elfriede Jelineks »Lust« kritisierte. Mit deren zuweilen ins kalauerhafte abdriftende Sprachspielereien konnte er nichts anfangen.
In Erinnerung bleiben die langen Aufsätze Hamms, beispielsweise in der ZEIT. Etwas, was es heute kaum mehr gibt: Das Vertrauen in den Leser. Und die Belohnung dann, in Form von Erkenntnis, wenn sich der Leser dann seinerseits Peter Hamm anvertraute. Man konnte immer etwas aus Peter Hamms Erkundungen lernen, ohne dass sie belehrend oder bevormundend daher kamen. Seine Essays waren wohltuend befreit von jeglichen überbordenden literaturtheoretischen Entwürfen. Er stiftete lieber Analogien, zeigte Referenzen. Wenn er etwas empfahl, wurde und blieb man neugierig.
Peter Hamm ist gestern gestorben. Wieder einer weniger, zu dem man noch aufblicken konnte.
Danke für die Nachricht über das Ableben von Peter Hamm. Nimm »Peter Handke und kein Ende« in die Hand, schlage die letzte Seite auf »Wenn ich, so Gott will, wieder nach Ch. komme, will ich mich dieses Satzes erinnern und nicht nur den Freund, sondern auch sein Haus freudig begrüßen.«