Si­mon Strauss: Rö­mi­sche Ta­ge

Simon Strauss: Römische Tage

Si­mon Strauss:
Rö­mi­sche Ta­ge

Ein 1. Ju­li, ein männ­li­cher Ich-Er­zäh­ler, Mit­te 30, An­kunft in Rom, »zwei­hun­dert­ein­und­drei­ßig Jah­re und acht Mo­na­te nach Goe­the«. Al­so ein Schrift­stel­ler, der da schreibt? Ein Sti­pen­di­at et­wa? Ir­gend­wann ist von ei­nem No­tiz­buch die Re­de. Aber auch von ei­ner Vor­stands­sit­zung, so als ken­ne sich der Er­zäh­ler da­mit aus. Man er­fährt zu Be­ginn von ei­ner Flucht, um »die Ge­gen­wart ab­zu­schüt­teln«. »Rom als Heil­an­stalt«. Hei­lung von was?

Ein­zug in die Via del Cor­so, »ein Zim­mer schräg ge­gen­über von der Ca­sa di Goe­the, Goe­thes Haus«. Wie­der die­se Re­fe­renz. Und er ahnt sie, die Kli­schees, das Zerr­bild von Rom, all die­ser be­rühm­ten Or­te, Stra­ßen, Plät­ze, das Be­kann­te, dass schon al­le ge­se­hen ha­ben, und dass er, der »Lei­dens­tou­rist« auch se­hen möch­te und zwar so, wie es noch nie je­mand ge­se­hen hat. Der Wunsch nach der Nai­vi­tät des er­sten Blicks. Es gibt viel To­po­gra­phie und viel Ge­schich­te in die­sem Buch. Und ein Nach­den­ken, Sin­nie­ren über das, was man Ge­gen­wart nennt und was im An­sich­tig­wer­den die­ser mo­der­nen Me­tro­po­le mit de­ren Jahr­tau­sen­de al­ten Bau­wer­ken kon­tra­stiert. Et­wa wenn er den Ort von Cae­sars Er­mor­dung re­kon­stru­iert und par­al­lel da­zu das ge­gen­wär­ti­ge Stadt­bild be­schreibt.

Be­son­ders zu Be­ginn ist der Grund­ton des Bu­ches wie schon in »Sie­ben Näch­te« von ei­ner trot­zi­gen Weh­mut be­stimmt. »Sie­ben Näch­te«, je­nes Buch, das zu ei­nem Li­te­ra­tur­skan­dal wur­de, weil es nicht den er­wünsch­ten Mu­stern ei­ner po­li­tisch-iden­ti­täts­gläu­bi­gen Zeit­kri­tik ent­sprach. Das Ver­mis­sen des Dio­ny­si­schen als un­er­träg­lich emp­fun­de­ne Pro­vo­ka­ti­on. Man such­te da­her fast ver­zwei­felt bis hin zur Sip­pen­haft nach In­di­zi­en für den Duk­tus der »Neu­en Rech­ten«. Im Ver­lauf die­ses Ver­suchs ei­ner Ehr­ab­schnei­dung zeig­ten sich deut­lich die Vor­bo­ten ei­ner (Li­te­ra­tur- und auch Kunst-)Kritik, die sich auf das Ab­su­chen ver­bo­te­ner oder min­de­stens »um­strit­ten« de­kla­rier­ter Ter­mi­ni kon­zen­triert, die not­falls so lan­ge de­kon­tex­tua­li­siert wer­den, bis die An­kla­ge­schrift »passt«.

»Wo­her kommt die­ses dump­fe, weh­lei­di­ge Ge­fühl, zu spät ge­bo­ren zu sein, in Zei­ten zu le­ben oh­ne Ari­en und Rausch?«, so fragt der Prot­ago­nist. Da war doch je­mand, der ge­tan hat, wie ihm ge­hei­ßen, al­le aka­de­mi­schen Hür­den ge­mei­stert hat­te. Aber am En­de des Mar­sches durch die In­sti­tu­tio­nen fand er sich als äs­the­ti­scher und so­zia­ler Op­por­tu­nist ver­wan­delt. Das bo­lo­gnia­li­sier­te Uni­ver­si­täts­we­sen spucke nur mehr Ra­tio­na­li­sten aus, die im Lau­fe ih­rer Kon­di­tio­nie­rung al­le Phan­ta­sie ver­lo­ren hät­ten. (Könn­te hier­in ei­ner der Grün­de für die wach­sen­de Be­deu­tungs­lo­sig­keit von so et­was wie Li­te­ra­tur zu fin­den sein?) Das Mi­lieu rich­tet sich un­ter­des­sen ein: »Wenn vor we­ni­gen Jahr­zehn­ten noch mit dem Ver­weis auf die ‘Klas­sen­ver­hält­nis­se’ je­der Dis­put ge­won­nen wer­den konn­te, reicht mitt­ler­wei­le die ‘Ge­schlech­ter­fra­ge’, um al­le auf sei­ne Sei­te zu brin­gen. Über­all iden­ti­fi­zie­ren wir uns mit den Dis­kri­mi­nier­ten, füh­len uns aus So­li­da­ri­tät selbst dis­kri­mi­niert und war­ten auf Wie­der­gut­ma­chung durch ein Ge­setz.«

In ei­nem fau­stisch an­mu­ten­den Pakt ver­schaff­te sich der Er­zäh­ler mit dem Aus­le­ben der sie­ben Tod­sün­den ei­ne klei­ne Ver­zö­ge­rung, »um der dro­hen­den Zu­kunft noch ein­mal zu ent­kom­men.« Und auch in »Rö­mi­sche Ta­ge« wird nach der Rol­le in der Zu­kunft ge­sucht. »Oft füh­le ich mich wie ein Be­fal­le­ner, zer­fres­sen von ver­gan­ge­nen Idea­len, ge­trie­ben von un­be­frie­dig­tem Ehr­geiz. Wer zu spät auf die Welt ge­kom­men ist, wird sei­ne Zeit nie fin­den.« Die Un­gna­de der spä­ten Ge­burt? We­ni­ge Au­gen­blicke spä­ter: »Die mei­sten spre­chen vom Le­ben als wä­re das al­les so ein­fach. Als gä­be es kei­ne an­de­ren Mög­lich­kei­ten, als wür­den wir das Ent­schei­den­de schon se­hen. So ist es nicht. So war es nie. So wird es im­mer blei­ben.« Gott ist schon lan­ge tot und die Ver­gan­gen­heit war in höch­stem Ma­ße Ver­klä­rung und da­her ba­siert die Ge­gen­wart auf den Ver­klä­run­gen des Ver­gan­ge­nen. Al­les schon da­ge­we­sen, al­les schon ge­fühlt, al­les nur noch Imi­ta­ti­on und Ko­pie. »Es gibt kei­ne Chan­ce, in Rom der Er­ste zu sein. Da­für darf sich hier je­der wie ein Letz­ter füh­len«. Am En­de wird nur noch das Er­leb­te an­de­rer er­lebt. Das Goe­the-Haus, die Bach­mann-Stra­ße, wo­mög­lich auch der Wink­ler-Markt (den Strauß’ Fi­gur nicht evo­ziert) – al­les aus zwei­ter, drit­ter Hand; Ka­non, der nicht mehr ret­tet. Wie soll so ei­ne Zu­kunft ent­ste­hen?

So tau­melt denn der Er­zäh­ler durch Rom, an­fangs mit Herz­sti­chen, die ihn ins Kran­ken­haus brin­gen und Ein­blicke in das ita­lie­ni­sche Ge­sund­heits­sy­stem er­mög­li­chen. Aber dann ge­wöhnt er sich an die Som­mer­hit­ze. Es gibt vie­le Be­geg­nun­gen, die fast im­mer mit Gleich­mut er­zählt wer­den. Er trifft ei­nen Theo­lo­gen (»Mit sei­ner tief emp­fun­de­nen Nä­he zu Gott gibt er an wie an­de­re mit be­rühm­ten Na­men in ih­rem Adress­buch«), par­liert mit ei­nem Ku­ri­en­kar­di­nal, der ihm ei­nen Ro­sen­kranz schenkt (»so streng neh­men Sie es mit Ih­rem Pro­te­stan­tis­mus doch nicht«), be­sucht das ita­lie­ni­sche Par­la­ment (in dem die Ab­ge­ord­ne­ten über ih­re Smart­phones Ak­ti­en­kur­se ab­ru­fen), di­ver­se Mu­se­en und ei­ne Par­ty mit Un­men­gen Pla­stik­be­steck (wel­ches, so die Aus­sa­ge, die Frau­en eman­zi­pie­re, weil sie nicht mehr Ge­schirr spü­len müss­ten), freun­det sich mit Re­stau­rant-Be­sit­zern an, hört Zir­kus­di­rek­to­ren zu, be­geg­net ei­nem Schau­spie­ler, der »in sei­ner Not« die Rech­ten ge­wählt hat, schwimmt mit ei­ner RAI-Nach­rich­ten­spre­che­rin, der er ver­zwei­felt ver­sucht die Vor­tei­le von »Eu­ro­pa« zu er­klä­ren (sie ahnt, dass er sel­ber nicht über­zeugt ist) und be­ginnt ei­ne eher pla­to­ni­sche Lie­bes­af­fä­re mit ei­ner Ita­lie­ne­rin, die auch in Rom ihr Glück oder sonst­was sucht. Und es gibt ei­nen ein­drucks­vol­len Be­richt ei­ner Ta­gung, in der ein Phi­lo­soph mit ei­nem Satz sei­nen Ruf ver­spielt und ein Li­te­ra­tur­kri­ti­ker von ei­nem an­ge­trun­ke­nen Au­tor ge­ohr­feigt wird.

Nur ge­le­gent­lich wird er von der Ge­gen­wart ein­ge­fan­gen, ei­nem Blick bei­spiels­wei­se, und dann ent­steht ei­ne kur­ze Pha­se von Em­pa­thie, et­wa bei je­nem Mann, der an ei­ner Tank­stel­le den Au­to­fah­rern ge­gen ein klei­nes Trink­geld zur Hand ge­hen möch­te. Da wird der Ab­schied fast zur Ele­gie: »Ich wer­de ihn nie wie­der­se­hen, die­sen stol­zen Tank­stel­len-Mann, aber die­ses ei­ne Mal ha­be ich ihn ge­se­hen. Sein Bild bleibt mir in Er­in­ne­rung.« Ein Bild, das es vor­her noch nie gab und da­her so kost­bar ist.

Manch­mal ver­strickt sich der Ich-Er­zäh­ler in Un­ge­nau­ig­kei­ten. So be­ob­ach­tet er zwei Schach­spie­ler auf ei­nem Platz. Ei­ner »zieht sei­ne Kö­ni­gin vor und die Bau­ern zu­rück, raucht und trinkt Bier da­bei.« Je­der Schach­spie­ler weiß, dass Bau­ern nicht zu­rück­zie­hen kön­nen. Und dann die­ses spe­ku­la­ti­ve Fa­bu­lie­ren, wenn er auf­grund ei­nes Ge­sichts­aus­drucks oder ei­ner Ge­ste das ge­sam­te bis­he­ri­ge Le­ben ei­nes ihm ei­gent­lich un­be­kann­ten Men­schen ent­wickelt. Dies wird so auf­fäl­lig in­sze­niert, dass es der ge­naue Le­ser (ein Pleo­nas­mus!) in ei­ner Mi­schung aus Neu­gier und Är­ger re­gi­striert. Soll hier­durch die un­auf­lös­ba­re Am­bi­va­lenz zwi­schen der Sehn­sucht nach Zu­ge­hö­rig­keit und ei­nem so­zia­len Ein­ge­bun­den­sein ei­ner­seits und dem Pri­vi­leg der Zu­rück­ge­zo­gen­heit des In­di­vi­du­ums an­der­seits aus­ge­drückt wer­den? »Ich ha­be Sehn­sucht nach Ge­mein­schaft, weil es zum Ein­zel­gän­ger nicht reicht« hieß es schon in »Sie­ben Ta­ge«. Ge­gen En­de sei­nes Rom-Auf­ent­halts wird er Altie­ro Spi­nel­li zi­tie­ren, der wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs ein Ma­ni­fest ver­fasst hat­te, »das im Ego­is­mus der Ein­zel­nen gro­ßen Scha­den für al­le vor­aus­sah«.

Die Re­fle­xio­nen des Prot­ago­ni­sten ma­chen auch vor so­zio­po­li­ti­schen Im­pli­ka­tio­nen nicht halt. So ver­sucht er ein we­nig fas­sungs­los die stei­gen­de Fas­zi­na­ti­on in Ita­li­en von Mus­so­li­ni zu er­grün­den. Ita­lie­ni­scher Na­tio­na­lis­mus? Nun, »man gibt nichts auf Rom, auf sei­ne über­be­zahl­ten Po­li­ti­ker und sei­ne kor­rup­te Bü­ro­kra­tie. […] Man liebt das Land, aber hasst den Staat, so lau­tet die Faust­for­mel in Ita­li­en.« Und süf­fi­sant über Deutsch­land: »Vor der Na­ti­on zucken die Ver­wal­ter zu­sam­men, re­den lie­ber von Men­schen als von Bür­gern und hal­ten bei Ausch­witz den Atem nicht mehr an. Stra­te­gien ma­chen die Ord­nung, Be­ra­tung er­setzt das Ge­spräch, be­haup­te­te Ei­gen­art über­trumpft kri­ti­sche Emp­fin­dung. War Deutsch­land am be­sten nicht im­mer das: Ei­ne Pflanz­schu­le für Be­wusst­sein und Fühl­ver­trau­en, Kant und No­va­lis. Heu­te ist es ein Land, dem die gan­ze Welt be­geg­net. Dem so viel pas­siert, das aber nichts da­von hält. Es fehlt die Ver­ar­bei­tung, das Ein­ma­chen der Er­fah­rung.« Heu­te, so möch­te man dem Ich-Er­zäh­ler zu­ru­fe, muss man schon dank­bar sein, wenn je­mand Kant und No­va­lis kennt.

Auch die ver­meint­li­che Heil­an­stalt Rom ver­liert sei­nen Glanz. Der Di­rek­tor der Bi­blio­thek Hertzia­na ist hier der Kron­zeu­ge: »Rom ste­he für das al­te Eu­ro­pa, für Nach­ah­mungs­ei­fer, Ver­eh­rungs­lust, Ge­schichts­phi­lo­so­phie. Für Me­lan­cho­lie und De­mut auch. Das pas­se nicht zu den neu­en For­schungs­pro­gram­men: Die Ge­schlech­ter­fra­ge las­se sich mit ei­ner Ar­beit zu Rom nicht be­ant­wor­ten, nach an­ti­ko­lo­nia­li­sti­schen Ge­währs­män­nern su­che man un­ter den Na­za­re­nern ver­ge­bens«. Und ein Schau­spie­ler sagt ihm, Rom sei ver­lo­ren, der »Müll, die Stra­ßen, der Nah­ver­kehr – al­les ka­putt, aus und vor­bei, für im­mer und ewig, mai e poi mai. Er […] hasst den Lärm, die Mas­sen, das Kämp­fen.«

Am En­de – er­neut ein ver­steck­ter Goe­the-Re­kurs – blei­ben nur noch die Stei­ne. Sie wer­den zu Mo­nu­men­ten der Dau­er, zu »Groß­ar­chi­va­ren«, denn »sie wa­ren im­mer schon hier, sind ewi­ge Zeu­gen des Ge­sche­hens.« Sie ha­ben al­les aus­ge­hal­ten: Kai­ser, Päp­ste, »Arkadien«-Träume, die Ma­fia, Fa­schis­mus, Ber­lus­co­ni, den Müll. Und nun? »Rö­mi­sche Ta­ge. Jen­seits al­ler Wirk­lich­keit. Dem Ge­gen­teil ver­schrie­ben«, so heißt es nach zwei Mo­na­ten Auf­ent­halt, kurz vor der Ab­rei­se, bi­lan­zie­rend. Er reist ab, um sich dann in der Ab­we­sen­heit der Stadt Rom wie­der »seh­nen« zu kön­nen. »Nach dem Licht, dem Rau­schen, dem in­ni­gen Glück.«

Strauß’ zeit­ge­nös­si­sche Be­find­lich­keits­pro­sa, die die Su­che ei­ner apol­li­nisch-freud­los dres­sier­ten Aka­de­mi­ker-Wohl­stands­exi­stenz nach Le­bens­lust, oder, wie es neu­deutsch heisst, nach Re­le­vanz, zei­gen möch­te, trifft in den be­sten Stel­len ei­nen wah­ren Kern, lässt dann den Le­ser auf­schau­en. Aber sie wird zu oft kon­ter­ka­riert von ei­ner fast hoch­mü­ti­gen Lar­moy­anz des Prot­ago­ni­sten. Dass er dies er­kennt, macht es ei­ni­ger­ma­ßen er­träg­lich.

»Wenn al­les Stau­nen auf­ge­braucht ist, bleibt nur das Recht­ha­ben üb­rig.« Ein Be­fund, der ge­sell­schaft­lich der­zeit en vogue zu sein scheint, denn Recht­ha­ber gibt es ge­nug. Aber was, wenn man nicht Recht­ha­ben möch­te? Man muss sich Si­mon Strauß’ Fi­gu­ren als rast­lo­se und ver­zag­te Men­schen vor­stel­len.

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  1. »»Wenn al­les Stau­nen auf­ge­braucht ist, bleibt nur das Recht­ha­ben üb­rig.« Ein Be­fund, der ge­sell­schaft­lich der­zeit en vogue zu sein scheint, denn Recht­ha­ber gibt es ge­nug. Aber was, wenn man nicht Recht­ha­ben möch­te? Man muss sich Si­mon Strauß’ Fi­gu­ren als rast­lo­se und ver­zag­te Men­schen vor­stel­len.«

    Ach ja, und dann?

    Mar­tin Seel hat ge­ra­de ein Buch über das Nicht-Recht­ha­ben wol­len ver­öf­fent­licht.

    Es ist me­kwür­dig, Gre­gor Keu­sch­nig, ei­nem Au­tor vor­zu­hal­ten, dass er Men­schen schil­dert, die beim Schach­spie­len ei­nen Feh­ler ma­chen. – Und in dem von Ih­nen auf­ge­ru­fe­nen Kon­text des Recht­ha­bens auch ein we­nig un­frei­wil­lig ko­misch, ehr­lich ge­sagt. Es wirkt je­den­falls so, als ob Sie die Poin­te von Strauß’ ge­schil­der­tem Schach-Feh­ler nicht ver­stan­den hät­ten: Die Ge­mein­schaft, die die Ge­las­sen­heit stif­tet, sol­che Feh­ler eben nicht zu kri­ti­sie­ren, oder zu ver­ber­gen, son­dern sie so­zu­sa­gen gel­ten zu las­sen.
    Ich fürch­te so­gar, dass Strauß ge­nau die­ses spre­chen­de De­tail und sei­ne er­zäh­le­ri­sche Hal­tung da­zu für so­zu­sa­gen pro­to­ty­pisch un­fa­schi­stisch an­sieht und ge­nu­in mensch­lich, ja so­gar barm­her­zig (=christ­lich). So ge­se­hen, wä­ren Sie ihm in die Fal­le ge­tappt. Tcha.

  2. Das Buch von Strauss fin­de ich span­nend. Ich den­ke durch­aus an das fau­sti­sche Mo­tiv vom ab­so­lu­ten Au­gen­blick, oder den Prüf­stein von der ewi­gen Wie­der­kehr (der Ge­gen­wart), den Nietz­sche auf­legt.
    Die Spra­che scheint mir sehr ge­wählt. Ei­ne Pro­sa, die so deut­lich am Stil und an der Re­fle­xi­on ar­bei­tet, ist im be­sten Sin­ne des Wor­tes eli­tär. Viel­leicht ent­springt dar­aus ja schon ge­nug Ver­dam­mungs­grund für die eher »mo­ra­lisch be­gab­ten« Eli­ten, die im Tarn­man­tel der Li­te­ra­tur­kri­tik auf die Su­che nach dem ei­ge­nen Schat­ten ge­hen.
    Wie be­ur­tei­len Sie (@Gregor) das Ge­lin­gen die­ser doch sehr hoch­flie­gen­den Tex­tur, die phi­lo­so­phi­sche Sen­ten­zen an­klin­gen lässt (»das Ein­ma­chen der Er­fah­rung«), und doch die Sug­ge­sti­on von der un­mit­tel­ba­ren Mit­tei­lun­gen auf­recht er­hal­ten möch­te?!
    Ich sym­pa­thi­sie­re je­den­falls mit dem apol­li­ni­schen Irr­läu­fer, das darf ich of­fen sa­gen. Da Ein­zel­gän­ger­tum und spä­te Ge­burt ein har­tes Brot ist, wird man et­was Lar­moy­anz ent­schul­di­gen kön­nen.

  3. @die_kalte_Sophie

    Der »fau­sti­sche Pakt« mit den Er­leb­nis­sen der sie­ben Tod­sün­den fin­det sich in »Sie­ben Näch­te«. Die­ses Buch fand ich in sei­ner Su­che stim­mi­ger; be­son­ders die An­fangs­sen­ten­zen sind sehr ge­lun­gen. »Rö­mi­sche Ta­ge« wirkt mir ein biss­chen zu ad­di­tiv. Der Au­tor kann sich nicht ent­schei­den zwi­schen Be­find­lich­keits­pro­sa und Rom­er­zäh­lung – und ver­sucht bei­des ir­gend­wie halb­her­zig.

    (Viel­leicht liegt das Pro­blem auch dar­in, dass ich, wie Strauss, glau­be, schon al­les von und über Rom ge­le­sen und ge­se­hen zu ha­ben. So­mit ist kein »er­ster Blick« mehr da, al­les ist schon ein­mal er­zählt.)

    Ih­re Er­klä­rung über die hy­per­ven­ti­lie­ren­de Li­te­ra­tur­kri­tik scheint mir tref­fend zu sein. Strauss wird als »eli­tär« wahr­ge­nom­men. Häu­fig von je­nen, die sich an an­de­rer Stel­le dann über die ge­rin­ge Be­zah­lung ih­rer Ar­ti­kel be­schwe­ren. Tat­säch­lich könn­te man sei­ne Tex­te auch als Pro­duk­te ei­ner post­mo­der­nen Mü­dig­keit (»Neur­asthe­nie« nann­te man das um die Jahr­hun­dert­wen­de) le­sen. Die ist al­ler­dings im­mer recht un­be­liebt ge­we­sen.

  4. Ich ha­be mich in den An­fang der Er­zäh­lung ein­ge­le­sen: ei­ne ra­sche Be­weg­lich­keit von Ort zu Ort, von Wahr­neh­mung zu Wahr­neh­mung.
    Dar­in liegt schein­bar das Mo­tiv der Su­che, aber ich fra­ge mich, ob das nicht ein­fach ein »Le­se­ef­fekt« ist. Die leich­te Sinn­kri­se (va­ni­tas) ver­stärkt den Ein­druck. Die knap­pen Sät­ze tra­gen stets viel Ge­wicht, weil der for­ma­le An­spruch zu sei­nem Recht kom­men möch­te. Zu viel Kies, zu we­nig Sty­ro­por?!
    Aus der Re­zen­si­on geht auch nicht her­vor, ob es sich bei dem Rom­auf­ent­halt um ei­ne »Heil­kur«, ei­ne sen­ti­men­ta­le Flucht oder um ei­ne Sinn­su­che han­delt. Das ist schon merk­wür­dig, denn das »Ge­schwei­fe« scheint dem Text in­hä­rent, oh­ne das man zu sa­gen wüss­te, was die­se Be­we­gung ei­gent­lich be­deu­tet.

    Ich rät­se­le noch ein we­nig dar­über, ob die­se Be­find­lich­keits­pro­sa nicht ein we­nig mehr Emo­ti­on ver­tra­gen könn­te. Das wä­re dann im Ex­trem­fall In­ner­lich­keits­pro­sa, aber ge­nau um die Do­sie­rung geht es. Mir scheint, der Au­tor traut der An­deu­tung mehr als der vol­len Emo­ti­on. Ist das Zu­rück­hal­tung, Stil oder In­dif­fe­renz?! Ich weiß es nicht.
    Für Be­find­lich­keits­pro­sa treibt sich m.M.n. der Au­tor zu viel in der neu­tra­len Ecke her­um (wie beim Bo­xen)... For­mal ist das ganz gut, aber das er­zäh­le­ri­sche Ich wirkt da­durch et­was zu äthe­risch. Ein Un­er­reich­bar-wer­den, hät­te De­leu­ze ge­sagt.

  5. Ob Heil­kur, Flucht oder Sinn­su­che bleibt tat­säch­lich un­klar. Mehr Emo­ti­on hät­te ich nicht aus­ge­hal­ten, weil dann schnell Kitsch auf­kommt. Hier­für ist Strauss zu klug. Ich glau­be, er spielt schon mit der Sinn­su­che, ir­gend et­was als zig­mil­li­on­ster Rom-Tou­rist zu ent­decken, was gänz­lich neu ist.

    Strauss ist ja im wirk­li­chen Le­ben auch Thea­ter­kri­ti­ker für die FAZ. Ich stel­le es mir sehr schwie­rig vor, im An­ge­sicht der me­dia­len Über­flu­tung neue Af­fek­te und Ef­fek­te im Thea­ter zu er­zeu­gen und die­se dann als Kri­ti­ker zu wür­di­gen, oh­ne in end­lo­se (und lang­wei­li­ge) Re­fe­renz­schlei­fen zu ver­fal­len. Was der Ich-Er­zäh­ler in »Rö­mi­sche Ta­ge« be­ruf­lich macht, bleibt voll­kom­men un­klar; den Bo­gen von »Sie­ben Näch­te« zu »Rö­mi­sche Ta­ge« ha­be ich ge­schla­gen. Die Wahr­schein­lich­keit, dass es sich um zwei ver­schie­de­ne Prot­ago­ni­sten han­delt, ist sehr hoch. Die Ge­mein­sam­keit lä­ge in der Un­ent­schie­den­heit, die Zu­kunft zu ge­stal­ten.

  6. Hm, Heil­kur und Sinn­su­che kann man durch­aus ver­bin­den, Sinn, selbst tem­po­rä­rer, kann (vor­über­ge­hend) hei­len.

    Was mich, oh­ne das Buch zu ken­nen, wun­dert: Ist es denn kein The­ma, dass die An­schau­ung selbst von Wert ist und al­les Ge­sag­te, Fo­to­gra­fier­te und Ge­le­se­ne, die­se nicht er­set­zen kann?

  7. Habs nicht ge­le­sen, glau­be aber zu wis­sen, wie schwie­rig es ist, als deut­scher Au­tor et­was über Rom zu schrei­ben. Da ist die­ses wun­der­ba­re Sti­pen­di­um in der Vil­la Mas­si­mo, wo die wer­ten Au­toren in voll­kom­me­ner Ab­ge­schie­den­heit mit­ten in der Stadt sor­gen­los schrei­ben kön­nen. Ganz an­ders als Ecker­mann, der in Ita­li­en er­mor­det wur­de, oder auch Goe­the, der in ge­wis­ser Wei­se auf der Flucht war. Gibt es heu­te nicht schlicht und ein­fach das Pro­blem der Sti­pen­dia­ten­pro­sa und der aus­ge­tre­te­nen We­ge? Rolf Die­ter Brink­mann hat in sol­chem Kon­text den bö­sen Bu­ben ge­spielt und Rom, Blicke ge­schrie­ben. Auch dar­über kann man nicht mehr hin­aus.

  8. @metepsilonema
    Ist es denn kein The­ma, dass die An­schau­ung selbst von Wert ist und al­les Ge­sag­te, Fo­to­gra­fier­te und Ge­le­se­ne, die­se nicht er­set­zen kann?

    Es gibt die­se oder min­de­stens ähn­li­che Mo­men­te. Sie sind sel­ten und zei­gen sich häu­fig in Blicken von Frem­den oder auf Frem­de, mit Per­so­nen, mit de­nen der Er­zäh­ler nicht in Kon­takt kommt.