Auf dem Umschlag steht nur »Mahler«. Der Titel: »Längen und Kürzen«. Man staunt, einen »Band I« eines »schriftstellerischen Gesamtwerks« in den Händen zu halten. Die Figuren hat man aber schon einmal irgendwo gesehen.
Mahler? Ja. Klar. Es handelt sich um den österreichischen Zeichner Nicolas Mahler (bekannt aus für FAZ, NZZ und »Titanic«, zum Beispiel).
Und ganz schnell geht man Mahler auf den Leim: Ist nicht der vor dem Verlagschef stehende und später in seinen Briefen mit »M.« zeichnende Dichter Mahler selber? Ein findiger Trick, denn man glaubt zunächst genau das Buch zu lesen, welches der Dichter seinem Verleger vorstellt (wie lakonisch diese gezeichneten Comics) und seiner Freundin Dorothee anpreist.
Eigentlich wollte Petra Gerster in der »heute«-Sendung vom 05.11.09 zeigen, wie »dramatisch« die Einbrüche bei den Steuereinnahmen sind. Da jedoch bei Kategorien von 500 Milliarden Euro und mehr die Relationen schwer vermittelbar sind, schritt man zur hyperdeutlichen Graphik, in der die Balken nur ab 500 Milliarden gezeigt wurden:
Da unser Rückflug sich verzögerte, hatten wir, Vater und Sohn, unverhofft ein paar Stunden Zeit und gingen in den Berliner Zoo. Während Noam um die Habitate exotischer Tiere strolchte, saß ich da und schaute den gefangenen Affen zu. Alle sprangen lebhaft und verspielt von einem Ast zum anderen. Mit einer Hand hielten sie sich fest, ...
Vielleicht steht es einfach zu früh dort – in dieser kurzen, kursiv gesetzten Einleitung: Dieses Buch sei im Bauch von Berlin geschrieben worden als die Stadt noch ein ummauertes, gefesseltes Tier war. Es handele sich um Protokolle des Verlusts, so der Autor. Vielleicht hätte aber dem Leser der Untertitel »Versuche« zu diesen »Konstruktion einer Stadt« zunächst einmal genügt; die Spuren, dass hier aus einer vergangenen Zeit erzählt wird (abgesehen von zwei Exkursen: einem fast restaurativ anmutenden Idyllenszenario, stark erinnernd an die Emmanuel Bove-Welt beispielsweise aus »Meine Freunde« oder »Armand«, und, ziemlich am Anfang, einer kruden Weltapokalypse) hätten sich wenn nicht sofort, so doch im Erzählten langsam ergeben. So lehnt man sich zurück und staunt ob dieser so unendlich fern liegenden einundzwanzig (?) Jahre, in der hier noch einmal eine Großstadt aufscheint (viel mehr als diese Großstadt dann diese Zeit). Wie fast niedlich dieses mobilfunklose Treiben da plötzlich erscheint, obwohl die »Protokolle« des Erzählers auch damals schon kein Glück in den Gesichtern der Fußgänger, Nachtschwärmer, Nachmittagsspaziergänger, Voyeure, Barmänner, Trainingshosenträger, Betrunkenen und/oder Beschäftigungslosen entdecken.
Hermann schreibt in einer expressiven Einleitung vom welken und stummen Leben der Städter (und setzt dabei Städter unterschwellig als synonym für den [post-?]modernen Menschen), deren Poren verstopft sind. Sie wagen sich nicht aus ihren kleinen Häusern, denn Sterben vor Angst, das ist Gesetz. Lieber Maus sein als einmal freien Wind atmen. Und sie fragen ‘Warum bin ich hier’, sie verstehen nicht, aber es muss etwas mit Gott zu tun haben, dem namenlos Beispielgebenden. Und sie übertreiben, um das Maß wiederzufinden.
LOSLABERN: Traktat, Traktat über den Tod, über Wahn, Sex und Text, und, erheitert von diesem soeben durch ihn hindurchgefahrenen Expressivitätsereignis: Bericht!, der Herbst 2008!... Eine grosse (großspurige?) Eröffnung. Dann: »loslabern« als ethischer Akt. Als neue Diskursform im Habermasien der Nullerjahre? Und natürlich auch gleich die »passende« literaturhistorische Selbsteinstufung: Ein richtig losgelaberter Text würde seine, dass man aber dann, ohne sich dabei zu unter; Finsternis: Steuer, Erwachsenenleben, Verantwortung, Einsicht, Vernunft; ENDHÖLLE. Verstanden? Nein? Macht nichts. »loslabern« ist eben auch zwangloses bzw. ‑haftes Absondern. (Das aber glücklicherweise eher selten.)
Vom Größenwahn wechselt Rainald Goetz dann bisweilen ins theatralische und geriert sich auch schon mal als der Gefangene. Aber tröstend für den Leser: Er meint wenig in diesem Buch wirklich Ernst. Hinter diesen Textkaskaden steckt (zu) oft (zu) wenig. Nur ab und an ist das anders, etwa wenn er Schirrmacher vorhält, die Seriosität des (FAZ-)Feuilletons drohe nachzulassen. Dann blitzt die Angst des Kindes hervor, seine Spielwiese zu verlieren. Denn Goetz weiß sehr wohl, was er an seiner Spielwiese hat.
Wie kann man die Frage über die Rechtfertigung von Sterbehilfe beantworten? Wie kann man akzeptieren, dass auch schon Kinder manchmal sterben müssen? Wie kann man verstehen, dass jemand noch in der Blütezeit des Lebens den sogenannten Schnitter trifft?
Keiner kann Antworten darauf geben. Man kann nur vermuten, denn die Wahrheit liegt, falls es überhaupt eine gibt, hinter vielen Fassaden und Trugbildern verborgen, und der größte Schleier vor unseren Augen ist der der Unwissenheit und des ewigen Schweigens. Jede Spekulation in diese Richtung, jede noch so begründete Annahme ist, wie, wenn man in einem großen kreisförmigen Saal steht, und von diesem in alle Richtungen Gänge abgehen, und diese mit Vorhängen verdeckt sind. Schiebt man einen Vorhang beiseite, so sieht man nichts als Dunkelheit und setzt man auch nur einen Fuß hinter die Schwelle der Finsternis, so geht man damit bereits das Risiko ein, in die Schluchten des Irrtums zu fallen. Man kann warten, bis sich die Vorhänge von selber öffnen, man den richtigen Weg geweist bekommt, doch dann ist es meistens bereits zu spät, noch aus eigener Kraft umzukehren. Ein freiwilliges Gehen, in zweierlei Hinsicht, kann dann nicht mehr erwartet werden. Schwerwiegendes Wehklagen und Jammern sind dann der Preis für eine geringe Risikofreudigkeit. Sollten wir dann nicht lieber selbst den Weg der Wahrheit suchen? Je eher wir wissen, welchen Pfad wir später einschlagen müssen, desto besser können wir uns auf die Reise vorbereiten. Wir haben immerhin das Licht unserer Vernunft, welches uns wenigstens einen kleinen Teil der Dunkelheit hinter den Vorhängen offenbart.
Nach der Entscheidung der Grünen an der Saar, mit CDU und FDP in Koalitionsverhandlungen zu gehen, kann man an den Reaktionen von SPD und der Linken erkennen, warum sich die Leute in Scharen von der Politik abwenden.
Eben noch umworben poltert Lafontaine gegen den Grünen-Chef Ulrich, dass der wohl mit 5,9% vergessen habe, dass dies keine 59% seien. Man fragt sich, ob er ihm dies in den Vorgesprächen auch so gesagt hat.
Roberto Bolaño: 2666
Das Buch beginnt so harmlos. Drei Literaturprofessoren (Jean-Claude Pelletier aus Frankreich, Manuel Espinoza aus Spanien und Piero Morini aus Italien) und die englische Literaturdozentin Liz Norton (später heißen sie nur noch die Kritiker) entwickeln über die Jahre eine Affinität zum Werk des deutschen Schriftstellers Benno von Archimboldi. Anfangs ein Geheimtip, forcieren nicht zuletzt die vier die Rezeption Archimboldis in der Literaturwissenschaft; unter anderem auch durch Übersetzungen. Auf Kongressen, Colloquien und andere Zusammentreffen (die es offensichtlich reichlich gibt) lernen sie sich persönlich kennen und vertiefen nicht nur ihre fachlichen Kenntnisse. Durch Liz Norton kommt es zu allerlei Liebesverwicklungen; die Dame hat zunächst Pelletier als Geliebten, etwas später dann Espinoza, längere Zeit beide parallel und mindestens einmal auch gleichzeitig. Die körperlichen Gebresten Morinis (er ist im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen) scheinen da Barrieren zu bilden, wobei es am Ende dieses ersten Teils dann doch noch eine Überraschung gibt.
Neben diesen Interaktionen unter den vier Kritikern (Telefon‑, Mail‑, Gesprächsaustausch), dem gelegentlichen Beäugen, den Idiosynkrasien, den Verletzungen, den Merkwürdigkeiten, den Sexualstellungen und –frequenzen – alles in einer Mischung zwischen Protokoll und Reportage aufbereitet – geht es natürlich auch um Literatur. Das Geschriebene bleibt die einzige Referenz für die Adepten, denn Archimboldi ist so phantomhaft wie im realen Leben sonst nur Thomas Pynchon.