Mark Greif: Blue­screen

Sechs qua­li­ta­tiv un­ter­schied­li­che Es­says von Mark Greif sind im Band »Blue­screen« ver­sam­melt. »Ein Ar­gu­ment vor sechs Hin­ter­grün­den« heißt es ein biss­chen mon­strös im Un­ter­ti­tel, wo­bei man sich am En­de der Lek­tü­re fragt, wel­ches Argu­ment denn wohl ge­meint ist, au­ßer viel­leicht je­nes, dass al­les ir­gend­wie was mit Me­di­en zu tun hat und das Blue­­screen-Ver­fah­ren des Fern­se­hens As­so­zia­tio­nen mit dem Him­mel wecken könn­te (da­her ver­mut­lich auch der pro­gressive Ge­dan­ke, dem Büch­lein ei­ne gelb-oran­ges Co­ver zu ver­passen). Greifs Stär­ke ist ein­deu­tig nicht die Ana­ly­tik, was er je­doch – an­ders als so manch an­de­rer Es­say­ist – lei­der nicht mit ei­ner ge­wis­sen Sprach­mäch­tig­keit zu kom­pen­sie­ren ver­mag. Auch die As­so­zia­tio­nen, die er ent­wickelt, sind be­dau­er­li­cher­wei­se nur be­grenzt geist­voll.

Aber der Rei­he nach. Zwei Es­says fal­len deut­lich ab und sind letzt­lich nur argumen­tationsfreie The­sen­auf­sät­ze. In »Ge­setz­ge­bung aus dem Bauch her­aus oder: Umver­teilung« greift der Au­tor zu­nächst das ri­tua­li­sier­te Ven­ti­lie­ren von An­sich­ten zu al­lem und je­dem als Mei­nungs­hu­be­rei an, um dann sel­ber in sol­che zu ver­fal­len und mit ei­ner als sur­re­al be­zeich­ne­ten Ge­setz­ge­bung dem In­di­vi­dua­lis­mus das Wort zu re­den, ein be­din­gungs­lo­ses Grund­ein­kom­men zu for­dern (10.000 Dollar/Jahr) und al­le Ein­kom­men über 100.000 Dol­lar im Jahr zu 100% zu be­steu­ern. Da­bei nennt er au­ßer sei­nem Ge­rech­tig­keits­emp­fin­den lei­der kei­ne Grün­de und so bleibt nur ein im­mer­hin gut ge­mein­ter Text. Und in sei­nem Auf­satz über You­tube spielt er mit der The­se, dass das Le­ben oh­ne In­ter­net frü­her an­ge­neh­mer ge­we­sen sei und mo­niert am En­de, dass You­tube kein sau­ber ver­wal­te­tes chro­no­lo­gi­sches Ar­chiv vor­wei­sen kann und da­mit ge­nau so ge­dächt­nis­los sei wie das Fern­se­hen.

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Die drei Wulffs

Chri­sti­an Wulff spricht frei, oh­ne Un­ter­la­gen. Viel­leicht ist es des­halb ein biss­chen un­fair, sei­ne Wor­te der­art zu ge­wich­ten, wie man dies bei an­de­ren Tex­ten ma­chen soll. Aber das gest­ri­ge In­ter­view des Bun­des­prä­si­den­ten zeigt auch un­ter Be­rück­sich­ti­gung die­ser be­son­de­ren Si­tua­ti­on das Ver­ständ­nis Wulffs zum Amt und zur Po­li­tik an.

Zu­nächst be­ginnt Wulff in der »Ich«-Form. Be­zeich­nend ist da­bei, dass er auf die Fra­ge nach ei­nem Rück­tritt über sei­ne »gro­sse Un­ter­stüt­zung« re­det (»ich hatte…grosse Un­ter­stüt­zung«). Es ist dann fast schon frech, wie er das Amt im Op­fer­ge­stus als Pflicht in­stru­men­ta­li­siert: »ich neh­me mei­ne Ver­ant­wor­tung ger­ne wahr«. Da­bei wird durch den Ein­schub »ger­ne« die Pflicht re­la­ti­viert, um dem dro­hen­den Ein­wand, dass er sich frei­wil­lig in das Amt ha­be wäh­len las­sen, vor­aus­ei­lend zu be­geg­nen. Je­der Kell­ner wird auf ein sol­ches »ger­ne« ge­schult, wenn ein Gast ei­nen Wunsch äu­ßert.

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Zu­mu­tun­gen auf NDR2

Manch­mal steht man fas­sungs­los vor dem, was sich in­zwi­schen in Deutsch­land Literatur­kritik nennt. Und fragt sich, es mög­lich ist, dass so et­was im Ra­dio ei­ne Stim­me be­kommt.

Ga­brie­la Jas­kul­la hat für NDR2 Sa­bi­ne Gru­bers Ro­man »Still­bach oder Die Sehn­sucht« ge­le­sen. Schon die­ser Satz ent­hält je­doch ei­nen Feh­ler, denn Jas­kul­la kann das Buch gar nicht ge­le­sen ha­ben. Sie hat nur un­ge­fähr ei­ne Ah­nung von dem, was sie da ge­le­sen hat. Sie ver­or­tet den Sehn­suchts­ort Still­bach näm­lich in Kärn­ten (in der Ein­gangs­mo­de­ra­ti­on zum Pod­cast wird dies mit Ma­ja Ha­der­laps Ro­man »En­gel des Ver­ges­sens« ver­knüpft). Sa­bi­ne Gru­ber ha­be, so Jas­kul­la, ei­nen Ro­man über die »jün­ge­re Ge­schich­te Kärn­tens« ge­schrie­ben. Mehr­fach be­tont die (so­ge­nann­te) Re­zen­sen­tin die Ver­or­tung mit Kärn­ten und Öster­reich. Das ist na­tür­lich ein ha­ne­bü­chen­der Un­fug, denn je­der, der das Buch wirk­lich ge­le­sen hat, weiss, dass es um Süd­ti­rol und die jün­ge­re ita­lie­ni­sche Ge­schich­te geht, die hier er­zählt wird.

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Weih­nach­ten mit Wolf­diet­rich Schnur­re

      Sum­mend und pfei­fend gin­gen wir los; Va­ter den Spa­ten auf dem Rücken, ich ei­nen Sack un­ter dem Arm. Hin und wie­der hör­te Va­ter auf zu pfei­fen, und wir san­gen zwei­stim­mig »Mor­gen, Kin­der, wird’s was ge­ben« und »Vom Him­mel hoch, da komm’ ich her«. Wie im­mer bei sol­chen Lie­dern, hat­te Va­ter Trä­nen in den Au­gen, und auch mir war schon ganz fei­er­lich zu­mu­te.
      Dann tauch­te vor uns der Fried­richs­hain auf, und wir schwie­gen.
      Die Blau­tan­ne, auf die Va­ter es ab­ge­se­hen hat­te, stand in­mit­ten ei­nes stroh­ge­deck­ten Ro­sen­ron­del­ls. Sie war gut an­dert­halb Me­ter hoch und ein Mu­ster an eben­mä­ßi­gem Wuchs.
      Da der Bo­den dicht un­ter der Ober­flä­che ge­fro­ren war, dau­er­te es auch gar nicht lan­ge, und Va­ter hat­te die Wur­zeln frei­ge­legt. Be­hut­sam kipp­ten wir den Baum dar­auf um, scho­ben ihn mit den Wur­zeln in den Sack, Va­ter hing sei­ne Jop­pe über das En­de, das raus­sah, wir schipp­ten das Loch zu. Stroh wur­de drü­ber­ge­streut. Va­ter lud den Baum auf die Schul­ter, und wir gin­gen nach Hau­se.

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Mit spit­zen Fin­gern

Mi­cha­el Spreng er­läu­tert auf sei­nem Blog das »Prin­zip Han­no­ver« und »Wulffs Bio­top« ganz ge­nau. Dem ist ei­gent­lich nichts hin­zu­zu­fü­gen. For­mal hat Wulff da­mals den nieder­sächsischen Land­tag nicht be­lo­gen, als er den Kre­dit der Un­ter­neh­mens­gat­tin Ge­er­kens für sein Haus ver­schwie­gen hat­te. Aber die Ent­rü­stung vor al­lem in der op­po­si­tio­nel­len po­li­ti­schen Klas­se ist den­noch hoch: Wulff ha­be »ge­täuscht« heißt es da. Chef­an­klä­ger Op­per­mann von der SPD, der sich im Er­ei­fern ge­gen Ex-Bun­des­prä­si­dent Köh­ler schon her­vor­ge­tan hat­te, mein­te dies­mal et­was di­plo­ma­ti­scher, di­plo­ma­tisch Wulff ha­be wohl nicht voll­stän­dig die Wahr­heit ge­sagt.

Ich ge­ste­he: Ich hal­te die­ses Ver­hal­ten ei­nes Bun­des­prä­si­den­ten für un­wür­dig (auch wenn er es ver­bro­chen hat­te, als er noch nicht Bun­des­prä­si­dent war). Chri­sti­an Wulff als Bun­des­prä­si­dent ist ei­ne Schan­de für die­ses Land. Er hat jeg­li­che mo­ra­li­sche Au­to­ri­tät dau­er­haft ein­ge­büßt. Und es ist ge­nau die­se mo­ra­li­sche Au­to­ri­tät, die ein im Prin­zip fast macht­lo­ser deut­scher Bun­des­prä­si­dent in die Waag­scha­le wer­fen kann.

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Wil­fried F. Schoel­ler: Al­fred Dö­b­lin. Ei­ne Bio­gra­phie

Die gro­ßen Stär­ken die­ser Bio­gra­phie lie­gen im in­ten­si­ven und dich­ten Er­zäh­len der Wirr­nis­se, die in die­sem Le­ben an­ge­legt sind und de­nen Dö­b­lin schutz­los aus­ge­lie­fert war. Hier wird der Le­ser ge­packt und er­grif­fen. Es ist da­her um­so be­dau­er­li­cher und ei­ni­ger­ma­ßen rät­sel­haft, wie fahr­läs­sig die Chan­ce ver­spielt wur­de, ei­ne un­ter den heu­ti­gen Um­stän­den mög­lichst wahr­haf­ti­ge Re­kon­struk­ti­on von ...

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Bull­shit oc­cu­p­ied

Ei­nen »pla­ka­ti­ven Text« kün­digt das »Ti­tel Ma­ga­zin« an, der den »re­si­gnier­ten« Le­ser auf­rüt­teln will. Ein al­ter To­pos des Feuil­le­tons wird da be­dient: Man nimmt den Le­ser, der sich nicht weh­ren kann, in den Arm und spricht – na­tür­lich un­ge­fragt – für ihn. Nicht der ein­zi­ge Trick. Denn was dann von Thor Kun­kel folgt, ist ein ha­stig zu­sam­men­ge­stop­pel­tes, lar­moy­an­tes Ge­plap­per mit reich­lich sach­li­chen Feh­lern gar­niert. Das Pro­to­koll ei­nes Wut­li­te­ra­ten, der um Auf­merk­sam­keit win­selt, in dem er mög­lichst dra­stisch die­je­ni­gen an­schreit, de­ren Zu­nei­gung er doch so er­sehnt.

Früh wird klar: Es geht Kun­kel über­haupt nicht um Li­te­ra­tur­kri­tik. In sei­nem Text ist nicht ein Wort dar­über zu fin­den. Es geht um das »Be­triebs­sy­stem«, die­ses omi­nö­se Hin- und Her­ge­scha­cher, was sich zur Ver­blüf­fung vie­ler Jungli­te­ra­ten jen­seits so­zia­ler Netz­werke ab­spielt. In Köln hat man da­für den Di­mi­nu­tiv »Klün­gel« er­fun­den. Kun­kel ent­deckt den Klün­gel im­mer wie­der neu. So weit, so schlecht. Und so be­kannt. Aber se­lek­ti­ve Wahr­neh­mung ist im­mer der Freund des Ver­schwö­rungs­theo­re­ti­kers. Wo bleibt die fach­li­che Aus­ein­an­der­set­zung? Wo blei­ben Hin­wei­se auf ei­ne al­ter­na­ti­ve Literatur­kritik jen­seits der Loven­bergs, Ra­dischs, Wei­der­manns und Schecks? Statt­des­sen greift er lie­ber in die Kli­schee­ki­ste und suhlt sich in sei­nen Ori­gi­na­li­tät si­mu­lie­ren­den In­vek­ti­ven. Man sieht ihn förm­lich jauch­zen, wie er ei­ne schie­fe Me­ta­pher an die an­de­re klebt. Der Le­ser, zum Auf­rüt­teln be­stellt, gähnt und spen­det sanf­tes Mit­leid.

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Aus der Pup­pen­stu­be oder Die Kri­tik ei­ner Kri­tik

Peter Handke: Die Geschichte des Dragoljub Milanovic
Pe­ter Hand­ke:
Die Ge­schich­te des Dra­gol­jub Mila­no­vic

Vor ei­ni­gen Mo­na­ten er­schien im Ver­lag »Jung und Jung« Pe­ter Hand­kes klei­nes Buch mit dem Ti­tel »Die Ge­schich­te des Dra­gol­jub Mila­no­vić«. Hand­ke be­han­delt hier auf 40 Sei­ten das Schick­sal ei­nes ehe­ma­li­gen Fern­seh­di­rek­tors, der von ei­nem ser­bi­schen Ge­richt zu ei­ner mehr­jäh­ri­gen Frei­heits­stra­fe ver­ur­teilt wur­de, weil er das Ge­bäu­de ent­ge­gen ei­ner an­geb­lich exi­stie­ren­den An­ord­nung nicht eva­ku­iert hat­te. Bei ei­nem NA­TO-Bom­ben­an­griff 1999 wur­den 16 Men­schen ge­tö­tet. Hand­ke, der in jun­gen Jah­ren Ju­ra stu­diert hat­te, be­han­delt so­wohl die recht­li­che wie auch die per­sön­li­che Si­tua­ti­on von Mila­no­vić. Er be­sucht ihn zwei Mal im Ge­fäng­nis und es ge­lingt ei­ne in­ni­ge Schil­de­rung von Bei­stand. Und na­tür­lich wird auch der NA­TO-Krieg ge­gen Ju­go­sla­wi­en the­ma­ti­siert und – für Hand­ke neu – mit Zy­nis­mus kom­men­tiert.

Man könn­te nun Carl Wil­helm Mackes Be­spre­chung die­ses Bu­ches auf »culturmag.de« auf sich be­ru­hen las­sen und un­ter Nör­ge­lei statt Auf­klä­rung ein­ord­nen. Da ist je­mand be­müht sein Un­be­ha­gen in ver­mut­lich ge­bo­te­ner Kür­ze zu ar­ti­ku­lie­ren. Au­ßer ein paar nichts­sagenden Mei­nungs­af­fek­ten hat Macke nichts zu bie­ten. Er be­ginnt mit der gön­ner­haf­ten At­ti­tü­de, je­der ha­be »al­les Recht der Welt…als frei­er Schriftsteller….ein rechts­kräf­ti­ges Ur­teil an­zu­grei­fen«. Die­se Er­kennt­nis ten­diert für den Le­ser gen Null, be­rei­tet aber im­mer­hin rhe­to­risch ge­wis­se Ein­wän­de vor. Ob­wohl: Ein­wän­de? Wenn es denn wirk­li­che Ein­wän­de wä­ren. Mit Ar­gu­men­ten bei­spiels­wei­se.

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