Mar­len Ho­brack: Schrö­din­gers Grrrl

Marlen Hobrack: Schrödingers Grrrl

Mar­len Ho­brack:
Schrö­din­gers Grrrl

Ma­ra Wolf ist zu Be­ginn von Mar­len Ho­bracks Ro­man Schrö­din­gers Grrr 23 Jah­re alt. Der Ti­tel ist Ma­ras Pseud­onym auf In­sta­gram; ih­re Fas­zi­na­ti­on zur po­pu­lä­ren Deu­tung des Quan­ten­phy­sik-Pro­blems »Schrö­din­gers Kat­ze« ist der­art, dass sie schon auf der er­sten Sei­te ih­ren Brief­ka­sten zu »Schrö­din­gers Gift­box« er­klärt – mit all den Rech­nun­gen, Mah­nun­gen und Be­hör­den­schrei­ben, die re­al sind und zu­gleich ir­re­al er­schei­nen, so­bald der Ka­sten ge­schlos­sen ist. Ma­ra Wolf ist mit 15 als Ein­ser-Schü­le­rin von der Schu­le ge­gan­gen (war­um, er­fährt der Le­ser ge­gen En­de) und ver­bringt ih­ren Tag mit ei­nem merk­wür­di­gen Ka­ter, den sie »Psy­ka­ter« nennt, in ei­ner klei­nen Woh­nung in Dres­den. Der Va­ter ist tot, ih­re Mut­ter führt ei­ne Art Mes­sie-Da­sein; ge­le­gent­li­che Be­su­che der Toch­ter er­schöp­fen sich in ge­gen­sei­ti­gem Ein­an­der­vor­bei­re­den beim Fern­seh­kon­sum und der Fest­stel­lung des Mot­ten­be­falls bei den Le­bens­mit­teln der Mut­ter. Ma­ras Le­ben ist »ein täg­li­ches Schei­tern«. Es sind Zei­chen ei­ner ve­ri­ta­blen All­tags­de­pres­si­on, die zeit­wei­se von bor­der­li­ne­ähn­li­chen Eu­pho­rien ab­ge­löst wer­den. Aber die De­pres­sio­nen sind das ein­zi­ge, was Ma­ra Wolf tat­säch­lich ge­hört, wie sie keck be­tont und da­her Hil­fe ab­lehnt.

Ihr Traum ist ei­ne In­fluen­cer­kar­rie­re bei In­sta­gram, aber vor­erst ist sie eher sel­ber Kun­din und lei­det dar­un­ter, die an­ge­sag­ten Makeups aus Geld­man­gel nicht kau­fen zu kön­nen. Die bil­li­ge­ren Sa­chen klaut sie bis­wei­len mit ei­nem cle­ve­ren Trick aus dem Su­per­markt. Alarm ist bei ihr, wenn sie sich zu ei­nem Ter­min beim Job­cen­ter ein­zu­fin­den hat, aber Frau Kra­mer ist ver­ständ­nis­voll und um­gäng­lich. Be­son­ders be­sorgt ist Ma­ra um ihr Aus­se­hen; je­de Haut­un­rein­heit stürzt sie in Re­pa­ra­tur­ar­bei­ten; Deh­nungs­fal­ten ver­set­zen sie in Schrecken. Das Kör­per­ge­wicht möch­te sie der­art re­gu­lie­ren, dass sie von Grö­ße 38 auf 36 kommt; die Becken­kno­chen zei­gen ihr ir­gend­wann an, dass das Ziel er­reicht hat und dem­nächst un­ter­schrei­ten wird.

Ih­re Freun­de sind (un­ter an­de­rem) Mark vom Net­to-Markt, der mit sei­nem Asper­ger die Ge­trän­ke­ver­packun­gen sor­tiert, die chao­ti­sche Cha­ris und der »Fuck­boy« Ro­bert, der Mann, der zu nichts ver­pflich­tet. Über Cha­ris lernt Ma­ra Ben ken­nen, ei­nen Ly­ri­ker, der den Ka­pi­ta­lis­mus durch »Sub­si­stenz­wirt­schaft« er­set­zen möch­te und der sie nicht mag. Ben hat ei­nes Ta­ges Paul zu Be­such, ei­nen 29jährigen Mu­se­umwär­ter aus Li­ver­pool, der fas­zi­niert ist von süd­ame­ri­ka­ni­schen Ka­ker­la­ken und in den sich Ma­ra schon bei der An­kün­di­gung ei­nes ge­mein­sa­men Tref­fens der Cli­que über sei­ne Face­book-Bil­der ver­bliebt hat und nun al­le Re­gi­ster zieht, um ihn für sich zu er­obern. In ei­ner eu­pho­ri­schen Pha­se ent­schließt sie sich the­ra­peu­ti­sche Hil­fe an­zu­neh­men und trifft sich nun je­den Frei­tag bei Herrn Dr. Köh­ler, ih­rem »Kum­mer­ka­sten«.

Ir­gend­wann wird sie von ei­nem Han­no Thal­mayr (59), sei­nes Zei­chens »Agent«, nach Ber­lin ein­ge­la­den, tritt dort stil­ge­recht in Leo­par­den­leg­gins auf (Co­ver!) und nach der Ein­nah­me ei­ner wei­ßen Pil­le mu­tiert sie zur ra­san­ten »Un­ter­schich­ten­tän­ze­rin«. Han­no ist be­gei­stert und macht ihr zu­sam­men mit Lek­tor Jür­gen ein An­ge­bot: Sie soll als Fake-Au­torin für ei­nen Ro­man fun­gie­ren, den ein »al­ter wei­ßer Mann« ge­schrie­ben hat, der aber mit des­sen Vi­ta nie er­folg­reich wür­de. Die Mo­da­li­tä­ten sind ver­lockend; sie zö­gert, hat kei­ne Ah­nung vom Li­te­ra­tur­be­trieb, ist na­he­zu un­be­le­sen, aber »Stolz muss man sich lei­sten kön­nen«. Der Ro­man muss nur noch um­ge­schrie­ben wer­den und soll in acht­zehn Mo­na­ten er­schei­nen. Über das Aus­maß des­sen, was auf sie war­tet, ist sie sich nicht im Kla­ren. Am un­wich­tig­sten da­bei ist noch, dass sie von Han­no ab so­fort »Püp­pi« ge­nannt wird.

Mar­len Ho­brack in­sze­niert der­weil die Lie­bes- bzw. Nicht­lie­bes­ge­schich­te zwi­schen Ma­ra und Paul, ih­re ero­tisch auf­ge­la­de­nen Whats­App-Mes­sa­ges, die mit der Rea­li­tät in Li­ver­pool dann auf Crash­kurs ge­hen aber von Ma­ra spä­ter zu ei­nem »wach­sen­des Lie­bes­text« aus­ge­druckt wer­den und ih­rer Schmacht die­nen. Das ist ins­be­son­de­re was die Lie­bes­schwär­me­rei­en Ma­ras an­geht aus­ufernd und de­tail­reich er­zählt, aber dem Le­ser soll die Zeit bis zur Buch­vor­stel­lung ver­kürzt wer­den. Zwi­schen­zeit­lich lernt Ma­ra – auf des­sen Wunsch – den Au­tor des Bu­ches, ei­nen ge­wis­sen Ben­ja­min Rich­ter, Mit­te 50, ken­nen. Der ist be­gei­stert von ihr; sein Le­bens­zweck scheint dar­in zu be­stehen, ein Mal die Li­te­ra­tur­bubble zu fop­pen.

Ma­ra Wolf pen­delt zwi­schen De­pres­si­on, Geld­not, Lie­bes­kum­mer (Paul ging we­gen Ma­ras »Be­dürf­tig­keit« auf Di­stanz – die Ent­lie­bungs­sze­ne ist groß­ar­tig), Ka­ter­krank­hei­ten, Psy­cho­ana­ly­se und nimmt, um dem Druck des neu­en Job­cen­ter-Be­treu­ers zu ent­kom­men, ei­nen Job als Putz­hil­fe an – in dem Un­ter­neh­men, in dem auch ih­re Mut­ter ar­bei­tet. Nach ei­ner Ein­ar­bei­tungs­zeit ge­fällt ihr so­gar die Ar­beit; der ät­zen­de Ge­ruch der Blei­che für die Toi­let­ten­rei­ni­gung weckt in ihr das Ge­fühl von Rein­heit.

Lang­sam aber si­cher steu­ert der Ro­man auf sei­nen Hö­he­punkt zu: Die Ver­öf­fent­li­chung des Ro­mans »von« Ma­ra Wolf. Ei­nen Ti­tel er­fährt man nie; le­dig­lich ein paar Sätz­chen wer­den zi­tiert. Ma­ra Wolf tritt im Ro­man als Ma­ra Wolf auf. Ent­ge­gen ih­ren ei­ge­nen Be­fürch­tun­gen schlägt sie sich in ih­rem »Rol­len­spiel« sehr gut, ver­in­ner­licht rasch die At­ti­tü­den ei­ner in den Me­di­en ste­hen­den Au­torin. Schnell in­kor­po­riert sie auch Rich­ters Rat­schlag, dem Pu­bli­kum (und auch den Feuil­le­to­ni­sten) zu sug­ge­rie­ren, der Text sei au­to­bio­gra­phisch – und gleich­zei­tig die­sen Sach­ver­halt ka­te­go­risch von sich zu wei­sen. Ma­ra ge­nießt den Ruhm und die Le­se­rei­sen mit Über­nach­tun­gen in Drei- oder Vier­ster­ne­ho­tels. Die im­mer­glei­chen Kin­der­fra­gen der Jour­na­li­sten kann sie mit rou­ti­niert-ge­lern­ten Ant­wort­scha­blo­nen be­die­nen. Das wird un­ter­halt­sam er­zählt; nichts da­von er­scheint über­trie­ben oder un­glaub­wür­dig. Auf Bei­spie­le von Au­toren­fäl­schun­gen (z. B. Bin­ja­min Wil­ko­mir­ski oder, we­ni­ger gra­vie­rend, die Ent­tar­nung des Pseud­onyms »Aléa To­rik«, hin­ter dem sich statt ei­ner jun­gen ru­mä­ni­en­deut­schen Emi­gran­tin der fast 20 Jah­re äl­te­re Deut­sche Claus Heck zeig­te) wird ver­zich­tet.

Ei­ner der Hö­he­punk­te ist ihr Auf­tritt auf ei­nem »Fe­sti­val der Viel­falt«. Kurz zu­vor hat­te man Ma­ra den Preis für das be­ste De­büt des Jah­res zu­ge­spro­chen. Vor ei­nem de­zi­diert lin­ken Pu­bli­kum wird sie nach ih­rer Le­sung je­doch mit Vor­hal­tun­gen kon­fron­tiert, die sie beim klas­si­schen Buch­han­dels­pu­bli­kum noch nie ge­hört hat: Sie rei­chen von »ra­di­ka­lem An­ti­in­tel­lek­tua­lis­mus« über »Klas­sis­mus« (in Be­zug auf die Schil­de­rung des Job­cen­ter-Pu­bli­kums), dem Vor­wurf der Män­ner­dis­kri­mi­nie­rung bis hin zur »he­te­ro­se­xu­el­len Zwangs­ma­trix« der Pro­sa.

Die Ein­wän­de an die Fake-Au­torin könn­te man mit ei­ner gu­ten Por­ti­on Bös­wil­lig­keit und li­te­ra­risch-äs­the­ti­schen Ah­nungs­lo­sig­keit auch auf Ho­bracks Ro­man selbst an­wen­den. Es ist der in vie­len Stel­len im Buch prak­ti­zier­te fast ge­nia­le Zug der Au­torin, die Kli­schees und Scha­blo­nen, die sie (bzw. ih­re Prot­ago­ni­stin) er­ken­nen – vor bzw. im Job­cen­ter, auf ei­ner Par­ty in Ber­lin, in der Be­geg­nung mit dem tat­säch­li­chen Au­tor im Cord-Jackett oder bei der Pre­mie­ren­le­sung – so­fort auch als sol­che be­nannt wer­den. Da­mit er­folgt ei­ne so­for­ti­ge Im­mu­ni­sie­rung für den aus dem Ru­der lau­fen­den li­te­ra­ri­schen Rea­lis­mus. Für Ex­ege­ten dürf­te es zu­dem span­nend sein zu ana­ly­sie­ren, wann Ma­ra Wolf im Buch di­rekt als »Ich« er­zählt und wann ei­ne per­so­na­le Er­zähl­form ge­wählt wird.

Das En­de soll hier nicht er­zählt wer­den, au­ßer dass Psy­ka­ter das Schick­sal von Jim Mor­ri­son er­lei­det und die Be­er­di­gung zu ei­nem fast poe­ti­schen Akt hät­te wer­den kön­nen. Zu­wei­len reißt der Ro­man The­men­fel­der auf, um sie da­nach so­fort wie­der zu be­gra­ben. Da wird über Er­in­ne­run­gen phi­lo­so­phiert (»Er­in­ne­rung ist das Ab­ru­fen von Er­in­ne­rung«), über Ess­stö­run­gen, Mes­sie-Sym­pto­me, So­cial-Me­dia-Sucht und das Un­ver­ständ­nis der Mitt­fünf­zi­ger über die­se Me­di­en ge­ne­rell (Herr Köh­ler; Bern­hard Rich­ter), die pre­kä­ren Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se (Su­per­markt; Rei­ni­gungs­kräf­te), Fern­be­zie­hun­gen (Zi­tat Kaf­kas aus Brief an Fe­li­ce Bau­er!) oder den Un­ter­schied zwi­schen Trau­er und Me­lan­cho­lie (Freud hilft da­bei). Bis­wei­len wer­den Su­per­la­ti­ve ge­wählt, die nicht zu pas­sen schei­nen: Ma­ra ge­rät nicht Pa­nik, son­dern es ist so­fort ei­ne »Pa­nik­at­tacke«, der Ku­chen beim Früh­stück ist nicht süß, son­dern ver­schafft ihr ei­nen »Zucker­schock«. Vie­les kommt nach­träg­lich als De­ko­ra­ti­on da­her, chan­giert mit­un­ter ins un­frei­wil­lig ko­mi­sche. An­de­re An­spie­lun­gen ver­puf­fen, wie et­wa das Ge­schenk ei­nes Da­vid Fo­ster Wallace-»Büchleins« von Han­no an Ma­ra oder der Selbst­hass ih­rer »makelbehaftete[n] Exi­stenz«. Fünf Mi­nu­ten spä­ter ist dann al­les wie­der gut.

Ge­lun­gen bleibt die sanf­te Ka­ri­ka­tur des Schreib­be­triebs und des­sen me­dia­le Ver­hun­zung spe­zi­ell durch das Fern­se­hen. Ins­ge­samt weist der Ro­man die vom Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Mo­ritz Baß­ler po­stu­lier­te »of­fe­ne Zu­kunft« auf und er­füllt da­mit zu­gleich li­te­ra­tur-äs­the­ti­sche wie auch po­pu­lär-un­ter­hal­ten­de Kri­te­ri­en. Letz­te­re wür­de ihn prä­de­sti­nie­ren zur Be­ar­bei­tung für den »Film-Mitt­woch im Er­sten« oder dem »Fern­seh­film der Wo­che« im ZDF. Die zwei­fel­los vor­han­de­nen li­te­ra­ri­schen Qua­li­tä­ten des Ro­mans wür­den da­bei ver­mut­lich li­qui­diert. Der Ge­nie­ßer bleibt beim Ro­man.

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  1. Zi­tat: »...ei­ne so­for­ti­ge Im­mu­ni­sie­rung für den aus dem Ru­der lau­fen­den li­te­ra­ri­schen Rea­lis­mus«.
    Muss­te ich ein biss­chen über­le­gen. Rea­li­stisch, heißt doch in die­sem Zu­sam­men­hang: leicht vor­stell­bar, plau­si­bel, ver­traut. Wenn man sich das Le­ben ei­ner jun­gen Schrift­stel­le­rin vor­stellt, wür­de man die­sen Ro­man als er­ste Wahl sor­tie­ren. Aber dann wä­re der sog. Rea­lis­mus doch ein sehr ober­fläch­li­cher Ef­fekt, der aus dem Ver­schnitt von Au­toren­le­ben und Wirk­lich­keits­ele­men­ten her­rührt. Man könn­te auch Ta­ge­buch füh­ren, und das Gan­ze ein biss­chen fik­tiv auf­schäu­men. Das wä­re die ad­äqua­te Form. Soll hei­ßen: ist ein Schrift­stel­ler-Ro­man auf­grund der bei­den Ich-Funk­tio­nen nicht von vor­ne her­ein su­per-rea­li­stisch?! Man müss­te doch sprich­wört­lich phan­ta­sti­sche Mit­tel ein­set­zen, um den Le­ser von der all­ge­gen­wär­ti­gen Sug­ge­sti­on ab­zu­hal­ten...
    Ein Zwei­tes: die Ge­schich­te bil­det doch ei­ne Di­stan­zie­rung von der Öf­fent­lich­keit ab, wenn ich das rich­tig ver­ste­he. Ja, da gibt es Auf­trit­te, Kon­tak­te, Le­sun­gen, etc. Aber liegt dar­in nicht mehr als ei­ne iro­ni­sche Bre­chung?! Ich glau­be, die Au­torin wür­de sich ger­ne ver­stecken, kennt aber auch die »Re­geln des Spiels«, und ent­schließt sich da­her, den Kon­flikt auf ei­ner fik­tio­na­le Ebe­ne zu lö­sen. Wie kann man heut­zu­ta­ge ein un­be­schwer­ter Au­tor sein, wenn nicht als Ghost­wri­ter?! Das ist mehr als Iro­nie, das ist Kul­tur­kri­tik.

  2. Mit »Rea­lis­mus« ist der der Ef­fekt der Vor­her­seh­bar­keit, des wohl­si­tu­ier­ten Kli­schees ge­meint. So ist der »al­te, wei­ße Mann« in Cord­an­zug na­tür­lich sehr leicht als (nicht ganz so er­folg­rei­cher) Gün­ter-Grass-Ver­schnitt zu in­ter­pre­tie­ren, usw. In­dem Ho­brack selbst auf die­se ein­gän­gi­ge Ty­pi­sie­rung hin­weist, nimmt sie der Kri­tik den Wind aus den Se­geln (und er­leich­tert mir die Lek­tü­re).

    Für ei­nen kul­tur­kri­ti­schen Im­pe­tus ist mir der Ro­man zu brav. Viel­leicht hat es da­mit zu tun, dass die Au­torin Jour­na­li­stin und Ko­lum­ni­stin ist, und zwar, wie bei dem Ver­lag nicht an­ders zu er­war­ten, de­zi­diert links. (Hier ein Text von ihr über »Klas­sis­mus«, der die klas­si­schen [!] Sym­pto­me des ak­tu­el­len »Dis­kur­ses« über Dis­kri­mi­nie­rung ent­hält und da­her un­end­lich lang­wei­lig ist; der Ro­man ist bes­ser.) Sie möch­te gar ver­mut­lich kei­ne Kul­tur­kri­tik üben – das wä­re zu sehr »ab­ge­ho­ben«, son­dern bleibt bei den po­li­ti­schen Ver­hält­nis­sen.

  3. Oh, ei­ne Ge­rech­tig­keits-Mam­sell, dann frei­lich kann sie gar kein kri­ti­sches Po­ten­zi­al ha­ben, son­dern nur af­fir­ma­tiv den­ken. Wer in ei­nem Es­say ernst­haft den Be­griff »Dis­kurs« be­nutzt, be­fin­det sich so­wie­so in gei­sti­ger Dau­er-Qua­ra­tä­ne. Das ist sehr scha­de, denn ich hat­te ein biss­chen Mit­ge­fühl mit dem jun­gen Ding. Ich stel­le mir die gei­stig-mo­ra­li­sche Ver­lo­ren­heit der jun­gen Men­schen im­mer sehr dra­ma­tisch vor. Viel­leicht, weil ich es so er­lebt ha­be?! – Ent­zückend, wenn dann die Ko­lum­ni­sten auch noch die »An­stren­gung des Be­griffs« auf sich neh­men, und die Klas­se zum Be­zugs­punkt ei­ner Re­fle­xi­on über die leer­lau­fen­de po­li­ti­sche Ge­rech­tig­keits-Kom­mu­ni­ka­ti­on wäh­len. Das klappt ja so rein gaaar nicht... Das Durch­ste­chen der wich­ti­gen wich­ti­gen An­lie­gen!
    Ei­ne ernst­haf­te Fra­ge: was ist so schlimm am Kli­schee?! Es ist das zen­tra­le Ele­ment der Ko­mö­die. Die ko­mö­di­en-feind­li­chen Ten­den­zen in der Li­te­ra­tur wür­de ich (frech!) als die ver­zwei­fel­te Bit­te um An­er­ken­nung der ei­ge­nen »mo­ra­li­schen Ernst­haf­tig­keit« von Autorinnen/Autoren deu­ten.
    Die wah­re Welt ge­ring zu schät­zen, – wir hät­ten im Mo­ment so viel Grund. Aber im Ernst: gibt es ei­ne »Kon­fron­ta­ti­on« des Ro­mans mit der Ko­mö­die, schon aus theo­re­ti­scher Sicht?!

  4. Das Kli­schee in der (gu­ten) Ko­mö­die wird nicht nur ge­nannt, son­dern auch im­mer ir­gend­wie »ver­packt«, sei es iro­nisch, sar­ka­stisch oder ein­fach nur hu­mo­resk; im Ide­al­fall wird es durch­bro­chen, aber nicht so, dass plötz­lich nur das Ge­gen­teil gilt. Das Kli­schee als blo­ße Ab­bil­dung bzw. als Ty­pi­sie­rung von je­man­dem ist tri­vi­al, weil es die x‑te Wie­der­ho­lung des Be­kann­ten ist. Man könn­te es als Denk­faul­heit des­je­ni­gen apo­stro­phie­ren, der es ver­wen­det.

    Ich glau­be, dass ein gu­ter, ko­mö­di­an­ti­scher Text ei­ne Kö­nigs­dis­zi­plin der Li­te­ra­tur ist. Da­her gibt es so we­ni­ge. Ich er­in­ne­re mich an ei­ne Kri­ti­ker­run­de (da­mals mit Reich-Ra­nicki), in der das ein­mal the­ma­ti­siert wur­de. Als letz­te her­aus­ra­gen­de Ko­mö­die deut­scher Spra­che wur­de dort »Der zer­bro­che­ne Krug« von Hein­rich von Kleist ge­nannt.

    Ich ha­be ver­sucht, Ho­bracks Ro­man oh­ne das »Kli­schee« der lin­ken Jour­na­li­stin zu le­sen.

  5. Ja, die­se In­tui­ti­on hat­te ich auch. Das Kli­schee stört so­fort, wenn es nicht in ei­nem »hu­mo­res­ken Mi­lieu«, und sei es nur ein Ka­pi­tel lang, ein­ge­bet­tet ist. Bleibt gar nichts an­de­res üb­rig, als es so­fort zu iro­ni­sie­ren (da ja auch sonst kein »Ge­dan­ke« vor­stel­lig wird, Stich­wort Faul­heit...), will sich der Au­tor nicht lä­cher­lich ma­chen. Das ist fast schon ei­ne hand­werk­li­che Pflicht.
    Da­bei ist die Au­torin selbst ein Kli­schee, Sie sa­gen es. Das ist nun de­fi­ni­tiv lu­stig. – Ih­re Re­zen­si­on ist über­aus fair. Was un­ter­schei­det Ih­rer Mei­nung nach die Ho­brack von ei­nem wirk­lich ge­lun­ge­nen ko­mö­di­an­ti­schen Text. Zu viel »Klas­sen­er­fah­rungs­be­richt«?! Zu we­nig Ta­lent im Klein-Wer­den (De­leu­ze)?!

  6. Ich ha­be in mei­nem Text ja nicht das En­de er­zählt. Die Sa­che mit dem Fake kommt na­tür­lich ‘raus – und zwar weil der »al­te wei­ße Mann« nicht still­hal­ten kann, der jun­gen »Au­torin« den Er­folg nicht gönnt und an die Öf­fent­lich­keit geht. Sie zieht sich al­so zu­rück, im Brief­ka­sten ist nur noch ei­ne Kar­te und im Job­cen­ter ist Frau Kra­mer wie­der zu­rück (der Kol­le­ge mit dem tol­len Stuhl, der Ma­ra här­ter »ran­neh­men« woll­te, ist weg). Frie­de, Freu­de, Ei­er­ku­chen.

    Schwer zu sa­gen, wie man es hät­te bes­ser ma­chen kön­nen. Ich ha­be den Ro­man ger­ne ge­le­sen. Was den Li­te­ra­tur­be­trieb an­geht, trifft sie manch­mal ins Schwar­ze. Die Er­leich­te­rung, ihm nicht mehr an­zu­ge­hö­ren, ist ver­ständ­lich. Und hier schei­den sich eben Fi­gur und Au­torin. Letz­te­re ist »drin«. Viel­leicht ist das ja die Poin­te, fällt mir ge­ra­de ein.