In­fla­ti­on der Mut­ma­ßun­gen

Der Ab­sturz der ma­lay­si­schen Boe­ing 777 über der Ost­ukrai­ne kann wohl als Fa­nal für Qua­li­tät wie Quan­ti­tät von Be­richt­erstat­tung im di­gi­ta­len Raum be­trach­tet wer­den. Ent­schei­dend für die In­fla­ti­on der Mut­ma­ßun­gen1 ist da­bei, dass die Ab­sturz­stel­le in ei­nem bür­ger­kriegs-um­kämpf­ten Ge­biet mit un­kla­ren Zu­stän­dig­kei­ten und In­sti­tu­tio­nen liegt. Die Pro­pa­gan­da der bei­den Par­tei­en führt so­fort zu un­ter­schied­li­che Deu­tun­gen. Das an sich schon hoch­emo­tio­na­li­sier­te Er­eig­nis »Flug­zeug­ab­sturz« wird da­durch zu­sätz­lich mo­ra­lisch auf­ge­la­den.

Er­staun­lich da­bei ist: Po­li­ti­ker, Jour­na­li­sten und der zu Hau­se auf dem Ses­sel s(chw)itzende Fo­rum- und Blog­kom­men­ta­tor ver­schmel­zen in ih­rem Ver­hal­ten. Das Netz ni­vel­liert al­le Dif­fe­ren­zen; der Zu­stand voll­kom­me­ner Ega­li­tät ist min­de­stens in die­sem Fall voll­zo­gen. Al­le Stan­des­un­ter­schie­de auf­ge­ho­ben – so­fern die »rich­ti­ge« Mei­nung ver­tre­ten wird. Ega­li­tät be­deu­tet näm­lich nicht, dass Ein­tracht herrscht; im Ge­gen­teil. Ei­nig­keit be­steht nur dar­in, dass plötz­lich je­de Nach­richt – sei sie auch un­ter noch so du­bio­sen Mit­teln ent­stan­den – als sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig gilt, so­fern sie in das ei­ge­ne Welt­bild passt.

Auf­grund der be­son­de­ren La­ge, die kei­ne auch nur an­nä­hernd ob­jek­ti­ve La­ge­be­ur­tei­lung zu­lässt, sprie­ßen Ge­rüch­te, An­nah­men und Schuld­zu­wei­sun­gen wie die sprich­wört­li­chen Pil­ze aus dem Bo­den. Vor ei­ner Ern­te nebst ent­spre­chen­der Zu­be­rei­tung wird je­der be­dacht­sa­me Mensch al­ler­dings zu­rück­scheu­en – die mei­sten die­ser Pil­ze sind ver­gif­tet mit Mei­nung, Vor­ur­teil, Pro­pa­gan­da und/oder schlicht­weg der Hy­bris de­rer, die glau­ben aus tau­sen­den Ki­lo­me­tern Ent­fer­nung Ge­wiss­hei­ten zu ha­ben.

Je­der glaubt, in sei­nem Pilz­körb­chen die rich­ti­gen Ex­em­pla­re zu ha­ben. Die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen aus SZ, Zeit und auch taz ru­fen je nach Men­ta­li­tät den Bünd­nis­fall aus und/oder pla­nen min­de­stens schon ein­mal Mi­li­tär­schlag. Sie ha­ben die, den Schul­di­gen, be­reits aus­ge­macht. Hier­zu rei­chen ih­nen In­di­zi­en­ket­ten, die sie sich auf dem frei­en Markt der ih­nen je­weils pas­sen­den Pro­pa­gan­da zu­sam­men­ge­ba­stelt ha­ben.

Aus­ge­rech­net in die­ser un­über­sicht­li­chen La­ge wird der Kon­junk­tiv prak­tisch ab­ge­schafft. Ver­mu­tun­gen wer­den zu Kau­sal­ket­ten ge­knüpft. Ap­pel­le an Ra­che­in­stink­te wer­den hof­fä­hig. Es ist, als wol­le man uns zei­gen, wie vor fast ge­nau ein­hun­dert Jah­ren ein Welt­krieg los­ge­tre­ten wur­de. Ob man da­mals mit den mo­der­nen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­teln von heu­te noch knapp fünf Wo­chen ge­war­tet hät­te?


  1. Ich vermeide in diesem Beitrag Verlinkungen, weil ich diesem Geschwätz nicht noch zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen möchte. Mir ist das schlichtweg zuwider 

19 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Nur zu­wi­der? Mir ist kör­per­lich schlecht. Was ist z.B. bloß in ei­nen vor­mals ge­schät­zen Men­schen wie Ro­bert Leicht ge­fah­ren, ei­nen so un­glaub­lich däm­li­chen Kom­men­tar in der »Zeit« zu ver­öf­fent­li­chen? Den Link schen­ke ich mir auch, aber es gibt Gott sei Dank auch noch Jour­na­li­sten, die ei­nen nicht völ­lig vom Glau­ben ab­fal­len las­sen. Hier ist ei­ner, na­tür­lich vom öster­rei­chi­schen Rund­funk. Der Mann ist vor Ort und dem Stu­dio­mo­de­ra­tor merkt man an, dass ihm die­ser Be­richt nicht so ganz passt:

    http://apasfftp1.apa.at/oe1/news/00022F5E.MP3

  2. @blackconti
    »Das Pro­blem ist, es gibt hier we­der gut noch bö­se, son­dern nur mehr oder we­ni­ger bö­se«. Sagt im­mer­hin je­mand, der vor Ort ist. Dan­ke.

  3. Na­ja, die Un­ter­su­chun­gen wer­den wohl kein ein­deu­ti­ges Er­geb­nis brin­gen, weil das Un­glück ganz au­to­ma­tisch in die (Pro­pa­gan­da) Schlacht bei­der Sei­ten ein­ge­bet­tet wird, so­dass je­der Ein­zel­ne doch ge­zwun­gen ist, der ei­nen oder der an­de­ren Sei­te Glau­ben zu schen­ken, ob man das nun gut fin­det oder schlecht.

    Zwei Ge­dan­ken hat­te ich bei den Nach­rich­ten über das Er­eig­nis:

    1. Die Ant­wort auf die Fra­ge »Wem nützt es?« lie­fert kein sinn­vol­les Ar­gu­ment und trägt schon gar nicht zur Ur­sa­chen­fin­dung bei. (An­ge­bracht ha­ben die­se Fra­ge in die­sem Fall die Rus­sen als Ar­gu­ment, war­um es die Se­pa­ra­ti­sten nicht ge­we­sen sein kön­nen.)

    2. Es wirft ein be­zeich­nen­des Licht auf un­ser Den­ken, wenn man glaubt, in gro­ßer Hö­he über ein Kriegs­ge­biet flie­gen zu kön­nen und sich da­bei aus dem Ge­sche­hen her­aus­hal­ten kann. Ähn­lich irr­sin­nig wie z.B. die Gen­fer Kon­ven­ti­on, in der ver­ein­bart wur­de, mit wel­cher Mu­ni­ti­on im Krieg ge­tö­tet wer­den darf (spit­ze Ge­schos­se) und mit wel­cher nicht (ab­ge­schräg­te).

  4. Locker­bie ist bis heu­te – trotz schein­bar idea­ler Be­din­gun­gen – nicht si­cher auf­ge­klärt. Gad­da­fis Li­by­en hat­te zwar die Ver­ant­wor­tung und Zah­lun­gen über­nom­men, spä­ter aber dann an­geb­lich je­de Schuld bzw. Un­ter­stüt­zung de­men­tiert.

    Die Sa­che mit dem Über­flug über Kri­sen- bzw. Kriegs­ge­bie­te muß wohl bis­her so­zu­sa­gen all­täg­lich sein. Mu­tet schon sehr merk­wür­dig an, wenn man statt­des­sen vor dem Flug ab­ge­ta­stet wird wie ein Schwer­ver­bre­cher oder die Was­ser­fla­sche mit 500 ml nicht mit­neh­men darf.

  5. »We should­n’t re­al­ly be do­ing this, I sup­po­se re­al­ly, but look, ahm,...«
    Ich bin beim Nach­den­ken über die so­ge­nann­te Be­richt­erstat­tung zum Schluss ge­kom­men, dass wir die Kon­se­quen­zen un­se­res ei­ge­nen Ver­hal­tens nicht er­tra­gen wol­len. Un­ser Ver­hal­ten, mit dem wir das Me­di­en­selbst­ver­ständ­nis sich so ent­wickeln lie­ßen, wie es nun mal ist. DIE Gei­ster bringt kein Mei­ster mehr weg. So ist das eben, wenn Zau­ber­lehr­lin­ge sich in Po­li­tik ver­su­chen. Das in Ge­stalt von Mut­ma­ßun­gen, Un­ter­stel­lun­gen und Ver­däch­ti­gun­gen da­her­kom­men­de Ergbnis kann doch nicht ernst­haft über­ra­schen. Die Em­pö­rung dar­über soll­te mE in Ru­he über­dacht wer­den.

  6. Die Em­pö­rung stellt sich für mich ein, weil ein sol­ches Er­eig­nis in ei­nen ähn­li­chen Spe­ku­la­ti­ons­dis­kurs ge­rät wie bei­spiels­wei­se ei­ne Dis­kus­si­on über ei­ne Fuß­bal­l­auf­stel­lung oder die po­li­ti­schen Ran­kü­ne in Par­tei­en (sei es nun in D oder A). Al­les ist prak­tisch der glei­chen Mut­ma­ßung aus­ge­lie­fert. Ob­wohl ein Un­ter­schied be­steht, wird er ni­vel­liert: Ob ein Trai­ner den Spie­ler X in die Mann­schaft nimmt hat den glei­chen Rang wie die Fra­ge, ob und wenn ja wer das Flug­zeug ab­ge­schos­sen hat. Die Fol­gen ei­ner sol­chen Mut­ma­ßungs­bla­se sind aber an­de­re: Durch die Emo­tio­na­li­sie­rung des Vor­gangs dro­hen Ag­gres­si­ons­mu­ster, vor­ei­li­ge Dä­mo­ni­sie­run­gen, usw. Das schlim­me ist nicht, dass das in Blogs oder in der Kan­ti­ne am Ar­beits­platz pas­siert, son­dern eben auch in den Me­di­en, die ih­ren Po­sten als Be­ob­ach­ter längst auf­ge­ge­ben ha­ben. Sie las­sen – wie der »Pri­vat­mann« – nur noch das an sich her­an, was ih­rer The­se Nah­rung gibt. Wenn’s denn hoch kommt, gibt es noch ei­ne Ge­gen­mei­nung und der Re­zi­pi­ent ist nun ge­zwun­gen, aus­zu­wäh­len. Das kann er aber gar nicht bzw. er kann dies nur, in dem er eben­falls auf die wo­mög­lich kon­ta­mi­nier­ten Nach­rich­ten Drit­ter zu­rück­greift.

    In­ter­es­sant, dass das von Vi­deo vom Sky-Re­por­ter, der Ge­gen­stän­de aus ei­nem Kof­fer (mit sicht- wie hör­bar schlech­tem Ge­wis­sen) an­fasst, ge­mein­hin ne­ga­tiv be­wer­tet wird. Er macht doch ein­fach nur phy­sisch und sicht­bar das, was die Jour­na­li­sten in Mos­kau und ih­ren Hei­mat­re­dak­tio­nen vir­tu­ell tun: Er wühlt.

  7. @h.z.
    Aber war das Me­di­en­selbst­ver­ständ­nis nicht im­mer (nach Aus­sa­ge der Prot­ago­ni­sten) ein an­de­res? Und wird nicht noch oft ge­nug be­haup­tet, dass man dem Bür­ger er­klä­re, folg­lich ei­ne an­de­re War­te in­ne­ha­be? — Am En­de war es viel­leicht im­mer schon an­ders (al­so: wie heu­te; oder zu­min­dest: schon ein­mal an­ders [vor hun­dert Jah­ren, wo­mög­lich])?

    Viel­leicht wä­re auch der me­dia­len (ge­meint ist: tech­ni­schen) Ent­wick­lung mehr Raum zu schen­ken (wenn man ei­ne Nach­richt so­fort wei­ter­ge­ben kann, dann prüft man nicht mehr und tut es, viel­leicht auch weil »die Emp­fän­ger« war­ten oder man meint sie tä­ten dies [ähn­lich wie man rasch zum mo­bi­len Te­le­fon greift und nicht ab­war­tet])?

  8. Be­son­ders übel ist, das nicht mal mehr ei­ne Scham-zeit ein­ge­hal­ten wird, um aus dem Un­glück ( und da­von ge­he ich mal aus) ein Süpp­chen zu ko­chen. Oder soll­te die Po­li­tik so per­fi­de sein, und ei­nen Ab­schuss ei­ner Zi­vil­ma­schi­ne in ihr Rän­ke­spiel ein­be­zie­hen. Dann al­ler­dings soll­te man sei­nen Wohn­sitz in die nä­he ei­nes Bun­kers ver­le­gen, denn dann ist al­les mög­lich.

  9. @G.K.
    Was Sie (auch im Bei­trag) dar­le­gen, ist mei­ner Auf­fas­sung nach un­ein­ge­schränkt zu­tref­fend. Doch die an sich be­grün­de­te Em­pö­rung re­la­ti­vier­te sich für mich im Nach­den­ken über die un­ter­grün­dig wirk­sa­men Me­cha­nis­men. Um mei­ne Ge­dan­ken­mä­an­der grob nach­zu­zei­chen, füh­re ich drei Stich­wor­te an: Zu­schau­er­ef­fekt, plu­ra­li­sti­sche Igno­ranz und De­indi­vi­dua­ti­on. Im Kern geht es dar­um, sich in ei­nem »sta­te of mind« zu ver­sam­meln und sich dar­über ei­ne Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit zu si­chern (nicht ein­mal zu versi­chern). In­for­ma­tio­nen und Wer­te spie­len da­bei kei­ne tra­gen­de Rol­le. Das gilt mMn für vie­le Le­bens­be­rei­che – un­ter an­de­rem ge­ra­de auch für Kunst­kri­tik.

    @metepsilonema
    Ih­re Fra­gen füh­ren mich zu ei­ner wei­te­ren: Wie wird Ge­sell­schaft, wel­che ein be­stimm­tes Me­di­en­selbst­ver­ständ­nis gefo[ö]rdert hat, durch die­ses Me­di­en­selbst­ver­ständ­nis ge­formt? Die­ser Rück­kopp­lungs­pro­zess (ein in re­ge­lungs­tech­ni­scher Hin­sicht ex­trem po­si­ti­ver, wie ich mei­ne) hat mich in den Bann ge­zo­gen. Er müss­te kon­se­quen­ter­wei­se zum ge­sell­schaft­li­chen Kol­laps füh­ren, wenn nicht ent­schei­den­de Stell­grö­ßen (i.e. Dämp­fungs­glie­der) nach­re­gu­liert wer­den. Die Pres­se­för­de­rung sei hier ex­em­pla­risch er­wähnt.

  10. @G.K.
    Als Nach­trag noch: Dass Sie das schlech­te Ge­wis­sen des Sky-Re­por­ters ge­se­hen, ge­hört und be­schrie­ben ha­ben, emp­fin­de ich als Wohl­tat. Der ent­schei­den­de Punkt dar­an ist: »but, look, ahm:...« Was hat die­ser Re­por­ter wohl ge­dacht und nicht aus­ge­spro­chen? Wenn man be­denkt, dass an­de­re dar­über ent­schei­den, wel­ches Ma­te­ri­al auf Sen­dung geht, schrän­ken sich die Fort­set­zungs­mög­lich­kei­ten et­was ein.

  11. Kurz zum Sky-Re­por­ter: Sei­en wir mal ehr­lich. Ver­set­zen wir uns die La­ge, Re­por­ter, Jour­na­list zu sein. Wir ste­hen an / auf der Un­glücks­stel­le. Ha­ben Lei­chen­tei­le ge­se­hen, viel­leicht zum er­sten Mal. Bru­ta­le Bil­der. Dann ste­hen wir dort. Müs­sen was sa­gen. Ne­ben uns ein of­fe­ner Kof­fer. Wer wür­de nicht hin­ein­ge­grif­fen ha­ben?

  12. Ver­ste­he ich voll­kom­men.
    Den­noch ei­ne Ge­gen­fra­ge: Wer wür­de an­ge­sichts der Vor­ga­ben des Sen­ders und der er­schüt­tern­den Ein­drücke am Schau­platz den Job ge­kün­digt ha­ben?

  13. Ver­ste­he Gre­gor, ich hab nur die er­sten 10 Mi­nu­ten zu­ge­hört, bis ich ver­stan­den hat­te, was pas­siert ist, und dann die Pro­pa­gan­da weg ge­schal­tet. Ich kenn mich ein biss­chen aus mit der Luft­waf­fe, die Mut­ma­ßun­gen der Hob­by-Welt­krie­ger sind mir ei­ner­lei. Schreib­tisch-Hel­den ma­chen in Welt­po­li­tik auf der Ba­sis von Ge­rüch­ten.
    Tja, das muss­te pas­sie­ren. Ein Welt­krieg fin­det, wenn über­haupt, ja oh­ne die­ses »Ge­schmeiß« statt. Da kann man den Mund schon durch­aus voll neh­men.
    P.S.: »Ge­schmeiß« ist ein Be­griff von Klaus Kin­ski für...

  14. @h.z.
    War­um soll er den Job kün­di­gen? So et­was ge­hört doch da­zu. Ich glau­be ernst­haft, dass z. B. auch Kriegs­re­por­ter ei­ne ge­wis­se Mis­si­on ver­spü­ren, den Leu­ten das zu prä­sen­tie­ren, was sie dann für die Rea­li­tät hal­ten. Re­por­ter ist im üb­ri­gen nicht ein Vor-de-PC-Sitzer. Die ge­hen schon raus und wüh­len. Über­all. Die Fra­ge ist nur, wann sie mit ih­ren Er­kennt­nis­sen her­aus­rücken: so­fort, im Af­fekt al­so oder nach ei­ner ge­wis­sen Re­cher­che­zeit. Ich glau­be, nur hier­um geht es.

  15. @h.z.
    »Im Kern geht es dar­um, sich in ei­nem »sta­te of mind« zu ver­sam­meln und sich dar­über ei­ne Grup­pen­zu­ge­hö­rig­keit zu si­chern (nicht ein­mal zu ver­si­chern).«

    Die Ver­si­che­rung fällt mit der Si­che­rung zu­sam­men. Ähn­li­ches kann je­der im Freun­des- oder Be­kann­ten­kreis be­ob­ach­ten, bei Vor­komm­nis­sen, de­nen vor­ge­fass­te Ur­tei­le vor­aus­ge­hen und re­la­tiv kla­re Ab­gren­zungs­zu­wei­sun­gen: Der­je­ni­ge der von der Grup­pe nicht ge­mocht wird, wird un­ab­hän­gig von den Ge­ge­ben­hei­ten rasch und oh­ne tat­säch­li­che Prü­fung (nur: rhe­to­ri­sches Nach­fra­gen), über­führt.

    Ist die Fra­ge nach der Rück­kop­pe­lung nicht auch ein Hen­ne-oder-Ei-Pro­blem (vom lang­sa­men Wan­del ein­mal ab­ge­se­hen)?

  16. @Gregor Keu­sch­nig
    Nach­dem ich nun end­lich den Mut auf­ge­bracht ha­be, mir ei­ni­ge we­ni­ge Ama­teur­auf­nah­men aus je­nem Ge­biet an­zu­se­hen, kann ich fest­stel­len, dass Kriegs­re­por­ter nicht mehr ge­braucht wer­den – das »Do­ku­men­ta­ti­ons­mo­no­pol« der Pres­se darf wohl als ge­bro­chen be­zeich­net wer­den (wie lan­ge schon? seit es youtube/twitter gibt? bis­lang ha­be ich mich dar­um ge­drückt).
    Den Job kün­di­gen je­ne Re­por­ter, de­ren Er­kennt­nis­se in den Hei­mat­re­dak­tio­nen nicht be­rück­sich­tigt wer­den und de­ren all­ge­mei­ne Kom­pe­tenz den pro­fes­sio­nel­len Griff in den men­ta­len Ho­sen­latz an­de­rer über­steigt. Ein­falts­pin­sel wer­den das na­tür­lich nicht tun – de­nen stellt sich die Fra­ge erst gar nicht, da ha­ben Sie schon recht.

    @metepsilonema
    An das Hen­ne-Ei-Pro­blem dach­te ich an­fangs auch, ver­warf es dann aber wie­der.
    Die Me­ta­pher des Tur­bo­fan-Trieb­werks ge­fie­le mir bes­ser. Die­ses Trieb­werk be­nö­tigt nur für den Start – das Über­schrei­ten der Min­dest­dreh­zahl – ei­ne ex­ter­ne Kraft­quel­le. Nach Zün­dung hält es sich selbst am Lau­fen. Der in­ne­re Trieb­werks­teil (Pres­se) pro­du­ziert ei­nen Ab­gas­strom, hei­ße Luft al­so. Da­mit wird über ei­ne Tur­bi­ne der äu­ße­re Trieb­werks­teil, der Fan (Pu­bli­kum) an­ge­trie­ben. Zwi­schen die­sen bei­den Trieb­werks­tei­len be­steht kei­ne kraft­schlüs­si­ge Ver­bin­dung. Den Vor­trieb, üb­ri­gens, er­zeugt zum weit­aus grö­ße­ren Teil der Fan.

    Noch be­vor die sach­ver­stän­di­gen Aus­wer­tun­gen der Flug­schrei­ber – da­mit ist, wie be­kannt ge­ge­ben wur­de, An­fang Au­gust zu rech­nen – vor­lie­gen, wur­de be­reits der näch­ste Schritt in Rich­tung Wirt­schafts­krieg auf höch­ster EU-Ebe­ne be­schlos­sen. Man darf al­so schluss­fol­gern, dass an fun­dier­ten Er­kennt­nis­sen (z.B. den ex­ak­ten Ort des Ka­ta­stro­phen­be­ginns – mit al­len Im­pli­ka­tio­nen) kein In­ter­es­se be­steht. In­so­fern ist auch die or­ga­ni­sier­te »Be­richt­erstat­tung« ent­behr­lich. Aber was reg’ ich mich ei­gent­lich auf?

  17. @h.z.
    Wir ha­ben be­züg­lich der Me­di­en bzw. der Pres­se zu­min­dest zwei Pro­ble­me, die mit­ein­an­der zu­sam­men­hän­gen oder ein­an­der be­din­gen (al­ler­dings nicht zwin­gend):

    1) Die Echt­zeit­be­richt­erstat­tung und die da­mit ein­her­ge­hen­de In­for­ma­ti­ons­flut, die ei­ner­seits grö­ßer ist als in frü­he­ren Zei­ten, weil dem Ein­zel­nen ei­ne Viel­zahl an Me­di­en zur Ver­fü­gung steht und an­de­rer­seits aus den ver­schie­den­sten Erd­tei­len Nach­rich­ten ein­tref­fen. Im We­sent­li­chen ist das ein Re­sul­tat der zu­neh­men­den Tech­ni­sie­rung, die die (ra­sche) Wei­ter­ga­be von In­for­ma­tio­nen nicht nur er­mög­licht son­dern auch dra­stisch er­leich­tert hat. Dem­ge­gen­über ist der Re­zi­pi­ent bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad hilf­los: Er muss fil­tern und ei­gent­lich schon vor dem Le­sen wis­sen, was des Le­sens wert ist (das ist manch­mal mög­lich, aber nicht im­mer; ein Über­blick ist kaum noch zu be­kom­men, man ist ge­zwun­gen In­for­ma­tio­nen aus­zu­blen­den und über­sieht dann wo­mög­lich We­sent­li­ches (trö­sten kann man sich da­mit, dass man nicht al­lei­ne ist, al­so nicht selbst al­les wis­sen oder be­ur­tei­len muss).

    2) Die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten ver­lan­gen (ma­chen das glau­ben oder erst mög­lich), dass die Ge­schwin­dig­keit Prio­ri­tät noch vor dem In­halt hat (hin­zu kom­men öko­no­mi­sche Grün­de: der Er­ste hat wo­mög­lich die mei­sten Le­ser, die Rah­men­be­din­gun­gen ver­än­dern sich, Ko­sten­druck, Kon­kur­renz, und an­de­res...).

    Die Rück­kop­pe­lung bleibt so­lan­ge po­si­tiv so­lan­ge die Re­zi­pi­en­ten mit­ma­chen und, das ist nicht un­wich­tig: noch mit­ma­chen kön­nen. Ei­ni­ge ge­ben sich mit Agen­tur­mel­dun­gen zu­frie­den, an­de­re le­sen ge­zwun­ge­ner­ma­ßen auch im­mer wie­der schlech­tes, weil sie an den Er­eig­nis­sen in­ter­es­siert sind und es noch nichts Bes­se­res gibt. So weit, so gut: Je ra­san­ter und je grö­ßer die In­for­ma­ti­ons­flut wird, de­sto eher wird sie uns in den sprich­wört­li­chen Wahn­sinn trei­ben (un­se­re Ge­hir­ne ma­chen ir­gend­wann nicht mehr mit, ich selbst wür­de ger­ne die zehn­fa­che Men­ge an Ar­ti­keln le­sen, es geht aber nicht...). Ich bin re­la­tiv zu­ver­sicht­lich, dass schon aus die­sen Grün­den, die Ent­wick­lung ab­fla­chen wird. Au­ßer­dem wird sich zei­gen, dass die Be­dürf­nis­se nach qua­li­ta­ti­ver Be­richt­erstat­tung nicht ver­schwun­den sind, es wer­den sich Al­ter­na­ti­ven ent­wickeln (Stich­wort: »Kraut­re­por­ter« — wie auch im­mer man das be­ur­tei­len mag).

    [Ih­rem letz­ten Ab­satz stim­me ich zu hun­dert Pro­zent zu.]