Har­ry G. Frank­furt: Bull­shit

Harry G. Frankfurt: Bullshit

Har­ry G. Frank­furt: Bull­shit

Auf­merk­sam ge­wor­den durch die­ses In­ter­view und ei­ne ent­spre­chen­de Wer­bung, die ver­sprach, dass die­ses Buch mein Le­ben ver­än­dern wird, griff ich zu.

Das Buch ist kurz; in vie­ler­lei Hin­sicht. Es hat 73 Sei­ten, das For­mat ist sehr hand­lich (10,5 cm x 15,5 cm); im­mer­hin har­ter Ein­band. Zwei­mal Stra­ssen­bahn ge­fah­ren – und man hat es durch.

Trotz­dem: Er­staun­lich, wie viel Red­un­danz in ei­nem so dün­nen Buch stecken kann. Da­bei gibt es noch nicht ein­mal ei­ne aus­ge­ar­bei­te­te Theo­rie über das Su­jet. Und der mit ei­ni­ger Won­ne im­mer wie­der zi­tier­te Be­griff des »Bull­shit« bleibt auch nach der Lek­tü­re ei­ne Phra­se – eben Bull­shit.

Im­mer­hin ver­sucht Frank­furt sei­nen Be­griff ge­gen­über den bis­her ge­bräuch­li­chen (bei­spiels­wei­se des Hum­bugs) ab­zu­gren­zen. Und im Ge­gen­satz zum Lüg­ner stellt er fest:

Das ein­zi­ge un­ver­zicht­ba­re und un­ver­wech­sel­ba­re Merk­mal des Bull­shit­ters ist, dass er in ei­ner be­stimm­ten Wei­se falsch dar­stellt, wor­auf er aus ist. [...] ...der Lüg­ner ver­birgt vor uns, dass er ver­sucht, uns von ei­ner kor­rek­ten Wahr­neh­mung der Wirk­lich­keit ab­zu­brin­gen. [...] Der Bull­shit­ter hin­ge­gen ver­birgt vor uns, dass der Wahr­heits­wert sei­ner Be­haup­tung kei­ne be­son­de­re Rol­le für ihn spielt. Wir sol­len nicht er­ken­nen, dass er we­der die Wahr­heit sa­gen noch die Wahr­heit ver­ber­gen will.

Lei­der ist das für mich we­nig über­zeu­gend, da ja auch der Lüg­ner sei­ne Lü­ge ver­birgt. Er und der Bull­shit­ter ver­ber­gen bei­de, dass sie nicht die Wahr­heit sa­gen, denn sonst wür­de ih­re In­ten­ti­on ja „auf­flie­gen“. Der ein­zi­ge Un­ter­schied könn­te dar­in be­stehen, dass der Lüg­ner die Wahr­heit kennt, wäh­rend der Bull­shit­ter in­zwi­schen selbst Ge­fan­ge­ner sei­ner ei­ge­nen Lü­gen­ge­spin­ste ge­wor­den ist. Es könn­te aber auch sein, dass der Bull­shit­ter ein se­lek­tie­ren­der ist, der nur Teil­aspek­te der Wahr­heit her­aus­stellt und als al­lei­ni­ge Wahr­heit ver­kauft. Dies bleibt lei­der im Dif­fu­sen.

In­ter­es­sant üb­ri­gens die Grün­de, die Frank­furt an­gibt, war­um Bull­shit pro­du­ziert wird:

Bull­shit ist im­mer dann un­ver­meid­bar, wenn die Um­stän­de Men­schen da­zu zwin­gen, über Din­ge zu re­den, von de­nen sie nichts ver­ste­hen. [...] Die ge­gen­wär­ti­ge Ver­brei­tung von Bull­shit hat ih­re tie­fe­ren Ur­sa­chen auch in di­ver­sen For­men ei­nes Skep­ti­zis­mus, der uns die Mög­lich­kei­ten ei­nes zu­ver­läs­si­gen Zu­gangs zur ob­jek­ti­ven Rea­li­tät ab­spricht und be­haup­tet, wir könn­ten letzt­lich gar nicht er­ken­nen, wie die Din­ge wirk­lich sind. Die­se „an­ti­rea­li­sti­schen“ Dok­tri­nen un­ter­gra­ben un­ser Ver­trau­en in den Wert un­vor­ein­ge­nom­me­ner Be­mü­hun­gen um die Klä­rung der Fra­ge, was wahr und was falsch ist, und so­gar un­ser Ver­trau­en in das Kon­zept ei­ner ob­jek­ti­ven For­schung.

Wie fast all sei­ne Be­haup­tun­gen wer­den die­se in leich­ten Va­ria­tio­nen noch ein- oder zwei­mal um­for­mu­liert – und dann ist auch schon das Buch zu En­de. So ein­fach ist das manch­mal.

Der Er­folg, den die­ses Buch hat (ha­ben soll?), ist mir un­er­klär­lich. Zwar wird mit Bull­shit ei­ne grif­fi­ge Vo­ka­bel für das Täu­schen, Aus­las­sen und Zu­recht­bie­gen von Wahr­hei­ten oder das pseu­do-wich­tig­tue­ri­sche Ge­schwätz in­ner­halb und au­sser­halb der Me­di­en be­nannt, die sich freund­li­cher an­hört als »Lü­ge« und def­ti­ger als das harm­lo­se »Un­wahr­heit sa­gen«, aber die Aus­beu­te ist mir zu ge­ring; viel zu ge­ring.

Wenn man bö­se ist, könn­te man sa­gen, Frank­furt pro­du­zie­re sel­ber Bull­shit mit sei­nem Bull­shit-Ge­re­de. Und im üb­ri­gen hal­te ich es lie­ber mit ei­nem schö­nen deut­schen Wort: »Stuss« (und der­je­ni­ge, der »Stuss« er­zählt, ist ein »Quatsch­kopf«).

Ei­ne Le­se­pro­be fin­det man hier – wo­bei die­se Aus­schnit­te schon ins­ge­samt 6 Sei­ten des Bu­ches aus­ma­chen. Das hier ver­wen­de­te Zi­tat ist dort im gan­zen Kon­text zu se­hen – in­klu­si­ve der von mir mo­nier­ten Red­un­dan­zen. Aber bit­te nicht glau­ben, ich nei­de die­sem Mann den Er­folg. Bull­shit.

13 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Feh­ler­haf­te Über­set­zung
    Das Buch ist zu­erst in Eng­lisch (»Ame­ri­ka­nisch«) er­schie­nen, es gibt ei­ne Über­set­zung für Bull­shit: Mist. Wenn man die über­all in der Le­se­pro­be ein­setzt, ver­än­dert sich der Text. Er ist dann noch be­lang­lo­ser. Wie ein Ver­lag ei­nen sol­chen Mist über­haupt in Buch­form herus­brin­gen kann, ist mir schlei­er­haft. Wahr­schein­lich woll­ten sie te­sten, wwas sie den Le­sern noch al­les an­dre­hen kön­nen.

  2. Du rührst in ei­ner Wun­de
    Ich woll­te mei­ne Re­zen­si­on ei­gent­lich schlie­ssen mit: »Ob ein sol­ches Buch auch un­ter Sieg­fried Un­seld bei Suhr­klamp er­schie­nen wä­re?«. Das klang mir je­doch zu alt­vä­ter­lich. Aber ei­ne ge­wis­se Ni­vel­lie­rung des Suhr­kamp-Ver­lags (nicht nur durch den Tod von Un­seld, son­dern auch die jah­re­lan­gen Que­re­len vor­her und nach­her) ist tat­säch­lich zu be­ob­ach­ten. Wirk­lich scha­de.

    Dass man »Bull­shit« nicht über­setzt hat, ist klar. Man will da­mit »brei­te Krei­se« an­spre­chen...

  3. Mist!!!
    Die­ses Buch hat mein Le­ben ver­än­dert!!!! Ich schal­te ab, wenn ich den Na­men Slo­ter­di­jk hö­re! (Der es in die Ka­me­ra hielt, emp­feh­lend, im »Phi­lo­so­phi­schen Quar­tett« März 06.)
    Ei­ne ech­te Pro­vo­ka­ti­on des (un­kri­ti­schen) Käu­fers.
    Aber aus­stell­bar als Be­leg für die phi­lo­so­phi­sche Zei­ten­wen­de (darf so noch ge­spro­chen wer­den?), viel­mehr für das En­de des Phi­lo­so­phie­rens – viel­leicht so­gar ei­nes Den­kens, das NICHT nur Bull­shit ist.
    Ich un­ter­stel­le Fr. NICHT Sar­kas­mus! ich un­ter­stel­le ihm, daß er auf die Ab­leh­nung (»Bull­shit, Herr F.!«) ei­ni­ger – hof­fent­lich vie­ler – Ver­la­ge re­agier­te, die NICHT Suhr­kamp hei­ssen.
    Ei­ne Bla­ma­ge für die deut­sche Ver­lags­land­schaft ist die­ser in Lei­nen ge­bun­de­ne Schü­ler­auf­satz!

  4. @Petrasch
    Ja, ich ha­be mich auch ge­wun­dert, dass Slo­ter­di­jk die­ses Buch im Phi­lo­so­phi­schen Quar­tett emp­foh­len hat. Man soll­te je­doch zwei Sa­chen nicht un­ter­schät­zen: 1. Slo­ter­di­jks iro­ni­sches Ta­lent und – m. E. wich­ti­ger hier – 2. er muss­te viel­leicht ein­mal wie­der ein Buch »sei­nes« Ver­lags vor­stel­len...

    »Schü­ler­auf­satz« ist ei­ne gu­te For­mu­lie­rung. In der Sach­buch-Best­sel­ler­li­ste war es je­doch kurz sehr pro­mi­nent; in den USA ist es ein Ver­kaufs­schla­ger. Was wie­der Rück­schlüs­se zu­lässt.

  5. Rand­be­mer­kung
    Das schö­ne deut­sche Wort STUSS ist über das Jid­di­sche vom he­bräi­schen SCHTUT zu uns ge­kom­men. Lan­gen­scheids He­brä­isch-Deut­sches Hand­wör­ter­buch über­setzt es mit UNSINN, TORHEIT. Shi­mon Zil­ber­mans The Up-To-Date Eng­lish-He­brew He­brew-Eng­lish Dic­tion­a­ry von 1993 kennt nur den Plu­ral SCHTUJOT und über­setzt ihn als RUBBISH, NONSENSE. Das eng­li­sche Wort BULLSHIT wird mit SCHTUJOT über­setzt, wo­mit der Kreis ge­schlos­sen ist.

  6. war­um die­se ab­leh­nung ge­gen die­ses buch hier?
    das buch lie­fert ein er­klä­rungs­mo­dell und füllt ei­ne lücke aus ... und wie ich fin­de nicht die schlech­te­ste.
    ich freu mich dass je­mand sich mit die­sem the­ma be­schäf­tigt hat und dar­über schreibt. ich hät­te gern schon frü­her ein buch wie die­ses ge­le­sen.
    für mir per­söhn­lich ist das buch als er­klä­rungs­mo­dell für das ver­hal­ten man­cher bull­shit­ter wie har­ry frank­furt sie nennt, sehr nütz­lich ...ja so­gar not­wen­dig ge­we­sen (ich denk da an ei­nen spe­zi­el­len bull­shi­ter).... und des­we­gen vie­len dank an har­ry frank­furt für die­ses buch.

  7. Ein Er­klä­rungs­mo­dell...
    ist noch nicht per se et­was Gu­tes. Das Buch ist reich­lich ba­nal, de­fi­niert sein The­ma eher un­ge­nau und reiht ein Kli­schee ans an­de­re. In die Tie­fe geht er nicht.

    Mich wür­de in­ter­es­sie­ren, wel­chen spe­zi­el­len »bull­shi­ter« Sie mei­nen. Das hat mich am Buch auch ge­stört: Die­se ne­bu­lö­se An­deu­tungs­ma­schi­ne­rie des Au­tors, die nir­gend­wo auch nur ein­mal »be­frie­digt« wird.

  8. nur ein ju­gend­freund mit dem ich jetzt nicht mehr be­freun­det bin
    und des­sen ver­hal­ten ich nicht deu­ten, mir er­klä­ren kann, . kei­ne ah­nung ob es so ist wie in dem buch steht aber sein ver­hal­ten passt zu dem was in dem buch über bull­shit­ter steht.

  9. Frank­furts...
    De­fi­ni­ti­on des bull­shit­ter ist al­ler­dings ei­ne an­de­re als die des »pro­fa­nen« Lüg­ners. Hier wür­de ich ihm ja durch­aus noch fol­gen – wo­bei ich das Wort »bull­shit« nicht glück­lich fin­de. Der Ver­lag macht es sich sehr ein­fach, die­sen eng­li­schen Be­griff ein­fach zu über­neh­men. Da­durch be­kommt der bull­shit­ter so et­was pos­sier­li­ches.

  10. ich glaub da muss man nach­sich­tig sein we­gen der über­set­zung des be­grif­fes bull­shit
    vom in­halt des bu­ches ge­se­hen ist es glaub ich schwie­rig ei­nen deut­schen be­griff zu fin­den der sich mit al­lem deckt was herr frank­furt
    über den bull­shit­ter schreibt.
    zum bei­spiel sei­te 49/50
    »nicht zweck­dien­lich« »hei­sse luft« »...es ist nur dampf. sei­ne re­de leer, oh­ne sub­stanz und oh­ne in­halt. sein ge­brauch der spra­che trägt dem­entspre­chend auch nichts bei zu dem zweck, dem sie an­geb­lich dient.«
    in die­sem kon­text wür­de der deut­sche be­griff »luf­ti­kus« pas­sen.
    aber in nem an­de­ren kon­text sei­te 61
    »da bull­shit nicht not­wen­dig wahr­heits­wid­rig sein muss, un­ter­schei­det er sich von der lü­ge durch die ge­fälsch­te ab­sicht. der bull­shit­ter muß uns nicht täu­schen und nicht ein­mal täu­schen wol­len, we­der hin­sicht­lich der tat­sa­chen noch hin­sicht­lich sei­ner vor­stel­lung von den tat­sa­chen. er ver­sucht aber im­mer uns über sein vor­ha­ben zu täu­schen.«
    ich weiss nicht ob das jetzt zu weit her­ge­holt ist aber ich fin­de da gibt es ähn­lich­keit in be­zug zum be­griff ma­ni­pu­la­ti­on. sie­he de­fi­ni­ti­on ma­ni­pu­la­ti­on bei wi­ki­pe­dia.
    »Der Be­griff Ma­ni­pu­la­ti­on (lat. für Hand­griff, Kunst­griff) be­deu­tet im ei­gent­li­chen Sin­ne „Hand­ha­bung“ und wird in der Tech­nik auch so ver­wen­det. Die um­gangs­sprach­li­che Be­deu­tung ist je­doch die ge­ziel­te und ver­deck­te Ein­fluss­nah­me – in psy­cho­lo­gi­scher Hin­sicht sämt­li­che Pro­zes­se, wel­che auf ei­ne Steue­rung des Er­le­bens und Ver­hal­tens von Ein­zel­nen und Grup­pen zie­len und die­sen ver­bor­gen blei­ben sol­len.«

  11. das wä­re ja auch bull­shit
    »Zum Bei­spiel gibt es Ma­ni­pu­la­ti­on durch Angst vor et­was Ein­ge­re­de­tem, das je­mand uns über­zeu­gend ver­mit­telt hat, das aber nicht der Rea­li­tät ent­spricht.«

  12. Mit die­sem Kom­men­tar...
    tref­fen Sie m. E. sehr gut die Ma­lai­se des Bu­ches. Ich bin aber – im Ge­gen­satz zu Ih­nen – mit­nich­ten nach­sich­tig bzgl. der Über­set­zung des Be­griffs, um den es geht (de fac­to wird er ja nicht über­setzt, son­dern ein­fach ab­ge­schrie­ben).

    Nein, ich bin ganz und gar nicht nach­sich­tig mit schlam­pi­gen bzw. un­ex­ak­ten Über­set­zun­gen und un­ge­nau­en Tex­ten, die sel­ber ge­nau das prak­ti­zie­ren, was sie an­de­ren vor­wer­fen.