Klickverweigerung
Ich kenne Leute, die die Digitalisierung verweigern, obwohl sie nicht umhin können, deren technische Vorteile doch ab und zu in Anspruch zu nehmen. Ein siebzigjähriger Schriftsteller antwortete mir, als ich ihm einen link vorschlug und erklärend hinzufügte, er müsse nur darauf klicken, er klicke nicht. Das klang kategorisch, wie ein moralischer Imperativ. Wie ich erst später bemerkte, wußte er nicht, daß es dabei nur um eine Maus- oder Tastenberührung ging. Er klickte nicht – aus Prinzip, und dieses Prinzip war so leer wie viele der Inhalte, zu denen uns die links im Netz führen. Ich selbst, überzeugt, kein Smartphone zu brauchen, weil ich nicht pausenlos vernetzt und von der primären Wirklichkeit abgezogen sein will, frage mich manchmal, wie ich mir in Zukunft Konzert- oder Fahrkarten besorgen werde, wenn gewisse Veranstalter, vielleicht sogar staatliche Institutionen, ihre Kunden zu dieser Technik zwingen und damit bestimmten Firmen in die Hände arbeiten werden. Wenn es soweit ist, werde ich endgültig alt aussehen.
© Leopold Federmair
Da geht es dir ähnlich wie mir mit meiner Facebook-Verweigerung. Ich fühle mich schon ab und zu ausgeschlossen und denke, auch wenn Betriebe mit der Zeit gehen müssen und so viele Leute erreichen können, sollten sie doch den Rest nicht vergessen. Wie kann es sein, dass Neuigkeiten erst bei FB gepostet werden und erst viel später (oder gar nicht!) auf der eigenen Webpräsenz? Sich so sehr abhängig zu machen erscheint mir fatal. Aber ich schweife ab.
Wonach ich in diesen kleinen Texten (einige davon, ein paar Bäume, werden noch auf Begleitschreiben erscheinen) vor allem frage, ist, wie und in welchem Maß die globale Digitalisierung unsere Kultur, Gewohnheiten, Sprechweisen und, last not least, unsere Gehirne beeinflußt und transformiert. Viele Personen in fortgeschrittenem Alter können und wollen diese Transformationen nicht mitmachen. Das ist in Ordnung so und natürlich auch nichts Neues, neu allerdings die Beschleunigung, sie bewirkt, daß man früh alt aussieht, in einer Welt, die dauernd einen Jugendlichkeitsdruck ausübt.
Facebook gehört zu diesen tief wirkenden digitalen Strukturen. Das Kommunikationsgitter, dem sich die meisten User freudig oder unbewußt unterwerfen, reduziert die Personen auf Reize, denen sie folgen: like/dislike, Daumen rauf, Daumen runter... Massenhafte Entladungen in Shitstorms ist eine der Folgen.
Man kann die FB-Welten allerdings aus der Distanz betrachten, ohne sich reinziehen zu lassen. Ein bißchen Freiheit bleibt uns schon noch.
Noch habe ich Lust mich zu verlaufen, Briefe zu schreiben, Texten zu folgen, deren Sinn sich mir erst mit der Zeit erschließt, deren Tonfall mich rührt, deren Mühe und Ernst ich spüre, deren Veranntheit und wuchernde Maßlosigkeit mich überrollt. Noch habe ich Lust mitzuvollziehen, was jemand anderer sieht, hört, bedenkt, auch wenn er sich dafür Platz und Zeit nimmt. Kürze = Würze. Kurz und Wurz. Schnurz. Daumen rauf, Daumen runter. Und dann? Warum meine emails kaum mehr gelesen werden habe ich wohl kapiert. Bei FB müsste ich halt posten. Das erreicht die Leut. Du bist freischaffender Musiker sagt man mir, da komm ich nicht aus, mich up to date zu präsentieren. Ich bin kein Technikmuffel. Betreibe eine Heimseite seit vielen Jahren. Aber die kann ich gestalten wie ich mag. Bei FB sieht alles gleich aus. Mir gefällt das nicht. Ob ich mich umstelle, wenn ich das Gefühl habe die Mitwelt hat sich von mir abgenabelt? Man wird sehen. Noch geht´s. – Immerhin: Mit Neununddreißig schon mal vorfühlen wie das ist alt auszusehen, ist doch was, oder?
Für meine Person liegt »die Digitalisierung« wie so vieles zwischen Verweigerung und ungeteilter Bejahung: Facebook interessiert mich ebensowenig wie ein smartphone oder ein Fernseher, aber das Netz ist seit vielen Jahren ein Ort des Austausches, des Diskutierens und Schreibens, mit vielen positiven Aspekten. — Ich sehe, als jemand der die Digitalisierung nicht von klein auf mitgemacht hat, noch keine Nötigung.
Anders ist es für jene, die mit den digitalen Geräten quasi von Geburt an aufwachsen: Dass Babyfernsehen oder die häufige Nutzung von tablet und smartphone Einflüsse auf die Gehirnentwicklung haben (z.B. die Aufmerksamkeitsspanne) wird man kaum bestreiten können.