Lucky Punch

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 19

Am 12. Au­gust 2014 er­scheint bei Hoff­mann und Cam­pe un­ter dem Ti­tel Deut­scher Mei­ster mein neu­er Ro­man dar­über, wie der Pro­fi­bo­xer Hein­rich Troll­mann die Na­zis be­sieg­te. Als ich das letz­te Ka­pi­tel schrieb und mich zu die­sem Zweck mit Le­ber­ha­ken aus­ein­an­der­setz­te, sol­chen mit K.o.-Wirkung und sol­chen oh­ne, und wie ver­schie­den und doch le­ber­ha­ken­spe­zi­fisch die Ge­trof­fe­nen fal­len, und wel­che Art von Schmer­zen sie er­lei­den, und wie die Le­ber­ha­ken in­nen, al­so ana­to­misch wir­ken, und als ich sah, wo der K.o.-Knopf ist, und wie man ihn ge­drückt kriegt, da fiel mir plötz­lich je­nes bis­her un­verstandene Er­leb­nis auf dem Ok­to­ber­fest 2004 wie­der ein, und mir wur­de schlag­ar­tig klar, dass ich da­mals mei­nen Kon­tra­hen­ten in die Le­ber ge­trof­fen ha­ben muss­te.

Um das gleich vor­weg­zu­neh­men: Er war sel­ber schuld. Zu­nächst ein­mal ist, wer ei­ne solch pro­vo­kan­te Le­der­ho­se trägt, die durch al­ler­lei Zier­sticke­rei­en, Klap­pen und Knöp­fe den ge­schlecht­li­chen Be­reich auf­dring­lich her­vor­hebt und be­tont, oh­ne­hin sel­ber schuld und muss sich über nichts wun­dern. Wä­re er zwei­tens erst gar nicht aufs Ok­to­ber­fest ge­gangen, son­dern zu Hau­se ge­blie­ben, hät­te ich ihn nicht k.o. schla­gen kön­nen, und hät­te er mich drit­tens nicht un­ge­fragt an­ge­fasst, so hät­te ich gar nicht dar­an ge­dacht, ihm ei­ne Leh­re zu er­tei­len, denn ich hat­te weiß Gott bes­se­res zu tun, na­ment­lich, durch an­stren­gen­de Ar­beit mit der Rik­scha Geld zu ver­die­nen.

Wei­ter­le­sen ...

Spre­chen Sie die mal an

Bei ei­ner Li­te­ra­tur-Ver­an­stal­tung in ei­ner Buch­hand­lung im Frie­de­nau­er Dich­ter­vier­tel sprach die Re­fe­ren­tin – ei­ne be­rühm­te Pro­fes­so­rin üb­ri­gens – so rhe­to­risch bril­lant wie un­ter­halt­sam über Tho­mas Mann und sei­ne Fa­mi­lie und er­wähn­te da­bei ei­nen Zi­geu­ner auf dem gel­ben Wa­gen. Das Pu­bli­kum be­stand ganz über­wie­gend aus jun­gen und we­ni­ger jun­gen Se­nio­rin­nen und Se­nio­ren be­sten, alt­ein­ge­ses­se­nen West­ber­li­ner Bildungsbürger­tums, so­wie Stu­die­ren­den der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaf­ten, und et­li­che schie­nen ein­an­der zu ken­nen. Man war ein­ge­la­den und auf­ge­for­dert, nach dem Vor­trag zu dis­ku­tie­ren und Fra­gen zu stel­len. Ich frag­te nach dem »Zi­geu­ner«, er­fuhr, dass es sich um ein Zi­tat von Tho­mas Mann hand­le und er­wi­der­te, dass es schön ge­we­sen wä­re, wenn sie das Zi­tat kennt­lich ge­macht hät­te, weil der Be­griff »Zi­geu­ner« pro­ble­ma­tisch sei, wor­auf die Pro­fes­so­rin sich so­fort der näch­sten Wort­mel­dung zu­wand­te, die ein an­de­res The­ma be­traf.

Hin­ter­her schenk­te der Buch­händ­ler Wein aus, und ei­ne je­ner bil­dungs­bür­ger­li­chen jun­gen Se­nio­rin­nen pro­ste­te mir zu mit den Wor­ten, sie sei froh, dass ich das Zi­geu­ner-Zi­tat an­ge­spro­chen hät­te, denn das Zi­tat sei falsch. In Wahr­heit sei der Wa­gen grün und nicht gelb! Das kön­ne man nach­le­sen, sie wis­se es be­stimmt. Wir nipp­ten am Wein, sie trank wei­ßen, ich ro­ten. Auch dies sei si­cher ein in­ter­es­san­ter Aspekt, gab ich zu, je­doch sei es mir um et­was an­de­res ge­gan­gen, näm­lich um den Be­griff »Zi­geu­ner«, der … und wur­de un­ter­bro­chen da­mit, dass der Wa­gen aber wirk­lich grün …

Wei­ter­le­sen ...

Au­ßer Dienst, auf Jagd

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 18

Von park­lie­gen und na­se­boh­ren kann über­haupt kei­ne Re­de sein. So ein Sti­pen­di­um ist furcht­bar an­stren­gend. Ich ar­bei­te rund um die Uhr, ich ken­ne kein Weekend, nachts träu­me ich da­von. Ich trei­be mich in Bi­blio­the­ken und Ar­chi­ven her­um, re­de mit Leu­ten, sit­ze Stun­den um Stun­den vorm Bild­schirm, schrei­be, lö­sche, kor­ri­gie­re. Die Au­gen wer­den zu­neh­mend schlech­ter, die Schul­ter ist ver­spannt. Ich ver­ges­se zu es­sen, ich le­se, schla­ge et­was nach, Wä­sche und Ge­schirr tür­men sich auf, Frucht­flie­gen meh­ren sich, al­les liegt über­all her­um, nichts wo es hin­ge­hört. Mit ei­ner Aus­nah­me: Von ih­ren Bil­dern an der Kühl­schrank­tür schau­en mich die Ro­man­fi­gu­ren an. Sie sind schon lan­ge tot, aber jetzt zie­ren sie sich, und ich lau­fe ih­nen nach.

Wei­ter­le­sen ...

Hän­gen las­sen

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 17

Es ist Frei­tag. Es ist heiß, auf der Kip­pe zu schwül. Die Stadt ist voll. Al­le Rä­der rol­len für das Porte­mon­naie. Die Gä­ste ar­bei­ten das tou­ri­sti­sche Pflicht­pro­gramm ab. Die Ein­heimischen müs­sen mit dem Au­to et­was lie­fern, zur Be­spre­chung, Kun­den be­su­chen. Blin­ker wer­den nicht be­tä­tigt, Stra­ßen oh­ne links und rechts zu schau­en über­quert, We­ge ge­schnit­ten. Man muss hal­ten, an­fah­ren, flu­chen, dan­ken fürs Rein­las­sen, sich durch­kämpfen zwi­schen wü­ten­den Hu­pen. Auf mei­nem Kör­per klebt ei­ne Schicht aus Schweiß und Staub. An mei­nem Mund hän­gen end­los ge­sab­bel­te Stadt­füh­rungs­fran­sen.

Wei­ter­le­sen ...

Die­se Sai­son

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 16

Ich fah­re raus zum Event. Völ­lig nor­ma­les Event. Ir­gend­ei­ne Ta­gung, 40 Fahr­gä­ste, 20 Rik­schas, vom ei­nen Ho­tel am Alex­an­der­platz zum an­de­ren Ho­tel in der Stauf­fen­berg­stra­ße, di­rek­ter Weg, Fahr­zeit ei­ne hal­be Stun­de, Eng­lisch­kennt­nis­se er­for­der­lich, Ab­fahrt 15.00 Uhr. Ich bin eu­pho­ri­siert da­von, dass ich die­se Sai­son nicht mehr mit der Rik­scha ar­bei­ten muss. Ich fah­re nur für das Event raus und da­nach gleich wie­der rein.

Wei­ter­le­sen ...

Klick

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 15

Hän­de­we­deln: Wir wol­len nicht fah­ren, Ka­me­ra­zei­gen: Wir wol­len nur ein Fo­to von uns ma­chen. Schritt zur Sei­te, ausm Bild: Bit­te schön. Klick, Klick, und jetzt noch von hier, so, Klick, dan­ke. Bit­te. Tschüss. Tschüss. – Wir lau­fen, wir müs­sen lau­fen, wir kön­nen noch lau­fen. Klick. Wir schaf­fens noch, ist das nicht an­stren­gend, kön­nen Sie da­von le­ben. Klick. – Von Links: Ka­me­ra-An­schlag, Fa­den­kreuz, Klick­klick. Es wä­re schön, wenn Sie erst fra­gen wür­den, be­vor Sie mich fo­to­gra­fie­ren. Klick, Klick, ver­schäm­tes Tri­umph­grin­sen: Die hab ich, Ab­wen­den: Ich wars nicht.

Wei­ter­le­sen ...

Die Auf­ga­be der Re­gie­rung

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 14

Neu­lich, am Nep­tun­brun­nen, un­ter schwe­ren Wol­ken, steigt ein jun­ger Mann bei mir ein. Er trägt frisch ge­wich­ste Schu­he, dun­kel­blaue Jeans und der blü­ten­wei­ße Hemd­kra­gen steht so läs­sig of­fen, wie ihm das Jacket von den schma­len Schul­tern fällt. Sei­ne Haut ist wie fri­scher Rahm, die Au­gen was­ser­blau. Er möch­te in die Staats­bi­blio­thek Un­ter den Lin­den, wir fah­ren los. So­gleich tut er kund, dass er sich ganz be­wusst für das umwelt­verträgliche Fahr­rad­ta­xi ent­schie­den ha­be. Ich lo­be ihn da­für. Er sagt, die En­er­gie­po­li­tik sei das Schwer­punkt­the­ma sei­nes En­ga­ge­ments in der Jun­gen Uni­on. Dann wirft er mit ei­ner ruck­ar­ti­gen Kopf­be­we­gung den Schopf aus der Stirn, holt Luft und setzt an zu ei­nem Vor­trag über sein Schwer­punkt­the­ma, den ich be­quem auf mei­nem Fahrrad­sattel aus­sit­ze. Ich fah­re fast kraft­los, der Jung­unio­nist ist ein Flie­gen­ge­wicht. Er hat ei­nen Arm auf die Leh­ne und ein Bein halb auf die Sitz­bank hoch­ge­legt. Am Schiffs­an­le­ger schaue ich hin­über zur Kup­pel der Neu­en Syn­ago­ge. Ein paar Son­nen­strah­len las­sen vor dem ver­dun­kel­ten Him­mel durch Wol­ken­lö­cher hin­durch ihr Gold ins ge­ra­de­zu Un­wirk­li­che er­glän­zen. Wäh­rend ich über­le­ge, wie ich das The­ma wech­seln könn­te, hö­re ich den Jung­unio­ni­sten fra­gen: »Oder wol­len Sie et­wa so ein Wind­rad in Ih­rem Vor­gar­ten ste­hen ha­ben?« – »Gott be­wah­re, nein, ein Atom­müll­end­la­ger wä­re mir viel lie­ber.« – »Das ist ver­nünf­tig. Ato­ma­re Strah­lung kön­nen wir si­cher ab­schir­men, aber wel­che ge­sund­heit­li­chen Ge­fah­ren von Wind­rä­dern aus­ge­hen, ist noch nicht ein­mal rich­tig er­forscht.«

Wei­ter­le­sen ...

Dass mor­gen die Son­ne

A.d.L.e.R: Aus dem Le­ben ei­ner Rik­scha­fah­re­rin – Nr. 13

Der Wecker klin­gelt. Ich stel­le ihn aus. Ich wa­che auf. Ich dre­he mich um. Gleich wer­de ich auf­ste­hen und Früh­stück ma­chen. Soll ich heu­te raus­fah­ren, oder soll ich nicht? Mal se­hen. Die­se Ent­schei­dung wer­de ich nach dem Früh­stück tref­fen. Ein Him­mel­reich für ein An­ge­stell­ten­ver­hält­nis. Das Wet­ter ist un­zu­ver­läs­sig, von der Kund­schaft nicht zu re­den. Fah­re ich raus, ste­he dann bloß wie­der rum, wer­de miss­mu­tig da­von und ver­lie­re mei­ne Zeit, oder blei­be ich zu Hau­se, schrei­be den näch­sten Ad­LeR und küm­me­re mich um den Haus­halt? (Bei mir siehts aus wie bei Hem­pels un­term So­fa.)

Ich früh­stücke reich­hal­tig und in Ru­he. Da­bei fra­ge ich mich, ob ich heu­te raus­fah­ren soll oder nicht. Ich fin­de kei­ne Ant­wort und ver­schie­be die Fra­ge zum zwei­ten Mal auf nach dem Früh­stück, das ich ge­nie­ssen möch­te. Das Ge­nie­ssen ist frei­lich nicht so ein­fach mit die­ser Fra­ge im Hin­ter­kopf. Wie mans macht, macht mans ver­kehrt. Auf je­den Fall wer­de ich, wenn ich nicht raus­fah­re, ein schlech­tes Ge­wis­sen ha­ben we­gen mei­ner Faul­heit. Denn wenn ich mir schon frei neh­me, will ich na­tür­lich nicht auch noch zu Hau­se ar­bei­ten, der Haus­halt kann war­ten. Ich wer­de von mei­nem So­fa aus mit hoch­ge­leg­ten Fü­ßen an je­ne Kol­le­gin den­ken, die über den Dau­men ge­rech­net sie­ben­mal in der Wo­che Tag und Nacht drau­ßen ist.

Wei­ter­le­sen ...