Ri­chard Ford: Zwi­schen ih­nen

Richard Ford: Zwischen ihnen
Ri­chard Ford: Zwi­schen ih­nen

Wenn Schrift­stel­ler in ein ge­wis­ses Al­ter ge­kom­men sind wer­den ih­re Er­zäh­lun­gen über ih­re Kind­heit und Ju­gend und ins­be­son­de­re über ih­re Vä­ter meist groß­mü­tig, mil­de und zu­wei­len gar ele­gisch. Viel­leicht weil man plötz­lich an sich sel­ber – halb er­schrocken und al­so mehr als man sich das lan­ge zu­ge­stan­den hat – Ei­gen­schaf­ten des Va­ters be­merkt hat. Zu­letzt konn­te man das bei Bo­tho Strauß be­ob­ach­ten, der in »Her­kunft« sei­nem Va­ter trotz al­ler Un­zu­läng­lich­kei­ten ein epi­sches Denk­mal setz­te. Die Aus­nah­men gibt es auch, et­wa wenn es sich um Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gun­gen des Au­tors so­wohl von den schein­bar über­mäch­ti­gen El­tern als auch von der als be­drückend emp­fun­de­nen Ge­sell­schaft han­delt, wie et­wa Pe­ter Weiss’ »Ab­schied von den El­tern« oder Jo­sef Wink­lers un­ab­läs­si­ges Be­fra­gen des Acker­manns von Kärn­ten – dann je­doch ent­ste­hen die Va­ter­wer­ke un­mit­tel­bar.

Ri­chard Ford be­stä­tigt die­se The­se mit sei­nem Buch »Zwi­schen ih­nen«. Im eng­li­schen folgt nach »Bet­ween them« noch ei­ne Er­gän­zung: »Re­mem­be­ring My Par­ents«. Die Er­in­ne­run­gen an die El­tern be­treibt Ford in die­sem Buch in zwei Er­zäh­lun­gen. Zu­nächst wird in »Weg« vom Va­ter er­zählt. Der zwei­te Teil ist mit »Mei­ne Mut­ter in me­mo­ri­am« be­ti­telt. Im Nach­wort er­läu­tert Ford, dass er die Mut­ter­er­zäh­lung un­mit­tel­bar nach ih­rem Tod 1981 ge­schrie­ben ha­be (sind nicht auch vie­le an­de­re Mut­ter­er­zäh­lun­gen un­mit­tel­bar nach de­ren Tod ver­fasst wor­den?), den Va­ter­text je­doch erst 50 Jah­re nach des­sen Tod 1960 be­gon­nen hat. Ford be­grün­det schlüs­sig, war­um den­noch die Er­in­ne­run­gen an den Va­ter an den Be­ginn des Bu­ches ge­stellt sind. Das Le­ben des Va­ters reich­te ei­ner­seits wei­ter in die Ver­gan­gen­heit hin­ein und an­de­rer­seits über­leb­te sei­ne Mut­ter ih­ren Ehe­mann um 21 Jah­re. So­mit ent­steht durch die­se Rei­hen­fol­ge ei­ne spe­zi­fi­sche Form von Chro­no­lo­gie.

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Über­druss

Nein, di­rek­te Nach­fra­gen war­um es hier in der letz­ten Zeit so ver­gleichs­wei­se ru­hig ist, gab es noch nicht. Viel­leicht fällt es im Ge­tüm­mel all der stünd­lich auf­fri­schen­den Feeds auch gar nicht auf, wenn hier we­ni­ger los ist. Klagt man doch all­ge­mein eher über zu viel An­ge­bot. Den­noch treibt es mich zur Er­klä­rung, die aber we­der Re­chen­schaft noch An­kla­ge wer­den soll.

Zu­nächst ein­mal schrei­be ich an ei­nem wei­te­ren Band zu Pe­ter Hand­ke. Es sind Es­says oder, viel­leicht bes­ser, Auf­sät­ze, oder, viel­leicht noch bes­ser: Be­gleit­schrei­ben zum Werk Hand­kes. Sechs Tex­te sind fer­tig, der sie­ben­te hat es in sich und ich er­fah­re fast zum er­sten Mal was es be­deu­ten kann ei­ne »Schreib­hem­mung« zu ha­ben. Wo­bei es na­tür­lich kei­ne Schreib­hem­mung ist, son­dern eher ei­ne Art Ge­hemmt­heit, die mir bis­her voll­kommen fremd war. Wäh­rend des Schrei­bens an die­sem Text stel­le ich näm­lich fest, wie sich mein Ur­teil, mit dem ich den Text be­gon­nen ha­be, än­dert. Das ist nicht ganz neu für mich. Aber neu ist, dass ich nicht weiß, in wel­che Rich­tung die­se Än­de­rung ver­läuft. So sit­ze ich fest, ob­wohl Ter­mi­ne am Ho­ri­zont ste­hen. Hin­zu kommt, dass ich Mit­te Ok­to­ber ei­nen Vor­trag über Hand­ke im In­ter­net hal­ten soll. Ur­sprüng­lich als Ab­len­kung zum ver­flix­ten Text ge­dacht, ent­puppt er sich eher als zu­sätz­li­che Be­la­stung.

Aber es wä­re nicht auf­rich­tig, wenn ich mei­ne Fast-Ab­sti­nenz al­lei­ne da­mit be­grün­den wür­de. Es hat sich auch in den letz­ten Mo­na­ten ein ge­wis­ser Über­druss ein­ge­stellt. Ein Über­druss am Füt­tern der Blog­ma­schi­ne mit Be­spre­chun­gen bei­spiels­wei­se zu Neu­erscheinungen, die kei­ner kom­men­tie­ren kann (man­gels Kennt­nis des Bu­ches) oder kom­men­tie­ren mag (aus an­de­ren Grün­den). Hin­zu kommt, dass mich kaum ei­ne der Neu­erschei­nun­gen, die ei­nem in den Ver­lags­pro­gram­men an­ge­prie­sen wer­den an­ge­spro­chen ha­ben. Es gibt zwei, drei Bü­cher (die ich auch le­sen wer­de), aber das Be­dürf­nis, sich auf Neu­es oder eben das Al­te ein­zu­las­sen, schwin­det.

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Bad Mo­ther­fucker...

steht in go­ti­schen Let­tern am Rücken des schwar­zen T‑Shirts des stäm­mi­gen Man­nes, in des­sen dunk­lem Voll­bart ein paar Sil­ber­sträh­nen flie­ßen. So­eben hat er ei­ne flin­ke, fast an­mu­ti­ge Dreh­be­we­gung voll­zo­gen und ei­ne her­bei­ge­zau­ber­te Ba­na­ne bis zur Mit­te des Schafts in drei Strei­fen ge­schält. Ein Ohr beim Blues des Schwer­ge­wich­ti­gen – »ein Schrank von ei­nem Mann«, da­zu ...

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An­ti­qui­tä­ten und Freund­lich­keit

Zu­ge­ge­ben, lan­ge Zeit war mei­ne Ab­nei­gung ge­gen die Fi­gur, die sich im Fern­se­hen Horst Lich­ter nennt so groß, dass ich im­mer wenn ich durch Zu­fall beim Chan­nel­crossing auf »Ba­res für Ra­res« stieß bin­nen Se­kun­den um­schal­te­te. Ein Koch, der für Mag­gi Wer­bung ge­macht hat­te. Un­mög­lich. Und auch sonst. Ir­gend­wann war ich ein­mal zu mü­de, blieb auf dem Sen­der und plötz­lich er­kann­te ich dort jen­seits von Small­talks, Ex­per­ti­sen, Preis­ge­bo­ten und Geld­zäh­len ein zeit­ge­nös­si­sches Phä­no­men wür­dig von So­zio­lo­gen und son­sti­gen stu­dier­ten Ta­xi­fah­rern bei Ge­le­gen­heit ein­mal ge­nau­er ana­ly­siert zu wer­den.

Wie hell­sich­tig er­scheint das Lied vom Ver­sau­fen des Häus­chens der Groß­mutter aus den 1920er Jah­ren. Denn die mei­sten der von den po­ten­ti­el­len Ver­käu­fern vor­ge­brach­ten Kost­bar­kei­ten (wo­bei die Va­ria­ti­ons­brei­te sehr groß ist – zwi­schen 20 Eu­ro und – ein­mal ei­ne be­son­de­re Mün­ze – 35.000 Eu­ro, vom Nip­pes bis zum Old­ti­mer ist al­les mög­lich) sind Fund- bzw. Erb­stücke, was nicht nur von Lich­ter im Plausch ab­ge­fragt wird son­dern oft ge­nug von den fünf Händ­lern, die in schein­ba­rer Harm­lo­sig­keit fra­gen, wo­her man denn bit­te­schön die­sen Ge­gen­stand ha­be, her­aus­ge­kit­zelt wird. Da­bei be­deu­tet Erb­stück na­tür­lich im­mer auch, dass der Ver­käu­fer rein gar nichts auf­ge­bracht hat – sein Ein­standspreis ist null Eu­ro. Jetzt muss man nur her­aus­be­kom­men, ob das Stück­chen von ei­ner na­hen oder fer­nen Ver­wand­ten (Freund/Freundin) stammt – und schon kann man auch den emo­tio­na­len Wert für den Ver­käu­fer ta­xie­ren. Je ge­rin­ger die­ser ist, de­sto lu­kra­ti­ver der Ein­kauf.

Tat­säch­lich wird, wenn man die Sen­dung über ein paar Mo­na­te ge­se­hen hat, über­wie­gend der Großeltern‑, Tan­ten- und On­kel­h­aus­stand ver­kauft und da­mit al­les, was ei­ner be­stimm­ten Epo­che an­ge­hört und Ge­ne­ra­tio­nen einst als kost­bar, wert­voll oder wich­tig er­schien ab­ge­wickelt. Por­zel­lan (Mei­ßen, wo­bei Mei­ßen Syn­onym für Er­nüch­te­rung ist), Sil­ber in al­len Va­ria­tio­nen, Schmuck jeg­li­cher Art und Pro­ve­ni­enz, Sta­tu­et­ten, Bron­zen, Bier- und son­sti­ge Krü­ge, Pickel­hau­ben, Ge­mäl­de, die zu groß, zu klein oder zu spe­zi­ell sind und so­gar Mö­bel­stücke. Kurz: De­vo­tio­na­li­en aus ver­gan­ge­nen Zei­ten, die nun vom so­li­den Mit­tel­stand des 21. Jahr­hun­derts zur Auf­fül­lung der Ur­laubs­kas­se oder als klei­ne Un­ter­stüt­zung für Kin­der und/oder En­kel die­nen sol­len. Die mei­sten Ge­gen­stän­de die auf die­se Art ver­flüs­sigt wer­den sol­len stam­men aus der so­ge­nann­ten Grün­der­zeit (ab 1870) bis hin­ein in die 1930er Jah­re. Ob Ab­sicht oder nicht – der ge­drill­te Schnurr­bart des Mo­de­ra­tors er­scheint kon­ge­ni­al. Die Na­zi­jah­re kom­men kaum vor. Es geht dann wie­der wei­ter mit den 1950er Jah­ren, »Ma­de in US-Zo­ne«, vor al­lem Blech- und an­de­res Spiel­zeug und dann na­tür­lich die 1970er, das, was als Vin­ta­ge bzw. Re­tro gilt.

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Zu­kunft

Der Song von Da­vid Bo­wie, der sich in mei­nem Kopf dreh­te, mit Wor­ten in der Art von wir stan­den vor der Wand und küß­ten uns, als könn­te nichts fal­len wäh­rend die Ge­wehr­ku­geln über un­se­ren Köp­fen pfif­fen aber die Schan­de (Scham?) fiel auf ih­re Sei­te... weck­te Bil­der von Go­ya im Kopf. Wor­te und Tö­ne und Bil­der ...

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Just for two weeks

Nie­mand be­ach­tet sie mehr, die Kirsch­bäu­me, seit sie ih­re Blü­ten ver­lo­ren ha­ben. Da­mals, in der kur­zen Blü­te­zeit, wa­ren sie die Stars: in Scha­ren dräng­ten sich die Leu­te um ih­re Stäm­me, lie­ßen sich nie­der un­ter der – what you’d say? – wei­ßen Pracht, lach­ten, tran­ken aus Bier­do­sen, lach­ten... Einst bil­de­ten sie ei­ne Al­lee, jetzt ste­hen sie ...

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Lu­cas Cra­nach in Düs­sel­dorf

Al­so doch noch ge­schafft zu Lu­cas Cra­nach der Äl­te­re in Düs­sel­dorf. Seit April läuft die Aus­stel­lung aber ir­gend­wie gab es im­mer wie­der Hin­der­nis­se, mal zu warm, mal zu reg­ne­risch, dann schon wie­der fast ver­ges­sen und nur die gro­ße Pla­ka­tie­rung er­in­ner­te mich wie­der dar­an. Es ist Don­ners­tag, die Aus­stel­lung ist vor zehn Mi­nu­ten ge­öff­net wor­den. Am Ein­gang er­klärt uns ein Mann wo wir die Räu­me fin­den und was wir sonst noch be­su­chen dür­fen für un­ser Ein­tritts­geld. Ich fra­ge mich, ob er das in fünf Stun­den noch mit der glei­chen In­ten­si­tät und Freund­lich­keit macht. Prompt kommt ei­ne äl­te­re Frau und be­schwert sich bei ihm, dass nie­mand ge­kom­men sei, ih­ren geh­be­hin­der­ten Mann ab­zu­ho­len.

Wir zah­len. Den Au­dio­gui­de gibt es ko­sten­los zum Ein­tritts­geld. Ich hal­te zum er­sten Mal ein sol­ches Ge­rät in Hän­den. Ins­ge­samt gibt es In­for­ma­tio­nen für 90 Mi­nu­ten und ich er­in­ne­re mich an An­dré Seel­manns 20 Mi­nu­ten-Mu­se­ums­be­su­che, was mir zu kurz er­scheint. Aber 90 Mi­nu­ten woll­te ich auch nicht blei­ben. Zu­dem möch­te ich im­mer erst das ent­spre­chen­de Bild se­hen und dann erst den Text da­zu hö­ren. Die­ser kommt sehr ge­tra­gen da­her und mehr­mals er­tap­pe ich mich da­bei, dass ich glau­be er sei zu En­de und dann geht es doch noch wei­ter. Gleich am Ein­gang ist ei­ne Schü­ler­grup­pe; 15, 16jährige. Die Leh­re­rin er­klärt und hält gleich­zei­tig Un­ter­richt. Zwei Ta­ge vor den Som­mer­fe­ri­en. Laut. Den Film über Cra­nach kann man nicht hö­ren, die Laut­spre­cher sind zu schwach ein­ge­stellt. Ich le­se ein we­nig die eng­li­schen Un­ter­ti­tel und war­te bis die Leh­re­rin mit ih­ren Schü­lern au­ßer Hör­wei­te ist. Schon kommt ei­ne an­de­re Schü­ler­grup­pe, aber es gibt we­ni­ger Vor­trag. We­nig spä­ter Zweit­kläss­ler mit ei­nem Leh­rer. Sie set­zen sich auf den Bo­den und hö­ren ihm zu.

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In­ter­tex­tua­li­tät

. . . seht ihr ei­nen von vie­len Zu­flüs­sen. Das Rinn­sal der Exi­stenz, das Bäch­lein des Werks wird grö­ßer, wird zum Fluß, strömt breit und trä­ge, lang­sam, stockend, san­dig und schlam­mig (»Sand im Ge­trie­be«), von »Werk« kann nicht mehr die Re­de sein, aus dem Fluß geht nichts mehr her­vor, auch in der Tie­fe kei­ne Le­be­we­sen, ...

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