
Bayern kann es auch allein
Irgendwie gehörte Wilfried Scharnagl schon immer dazu. Ich war nur überrascht, als ich in den 70er Jahren erfuhr, er sei »Journalist«. Unter einem Journalisten stellte ich mir einen wenigstens formal dialektischen, offenen Geist vor. Ein Irrtum, der mir ab und zu auch heute noch unterläuft, mich aber längst nicht mehr derart konsterniert wie damals. Zwar muss man auch Journalisten ihre eigene Meinung, ihr eigenes Weltbild, zugestehen. Aber wie kann jemand derart selektiv und parteiisch sein und sich gleichzeitig noch auf der Karte des Journalisten fahren? Da Scharnagl auf der politischen Seite stand, die ich rigoros ablehnte, kam mir die Verzerrung noch viel deutlicher vor. Aber wer sich derart zum Sprachrohr, zum Blindversteher seines Mentors, also Franz Josef Strauß, machte, verspielte jegliche Glaubwürdigkeit.
Mit Strauß’ Tod 1988 ließ Scharnagls mediale Präsenz nach. Sein Einfluss als Strippenzieher im Hintergrund dürfte jedoch längere Zeit noch erheblich gewesen sein. Auf Strauß folgte »Amigo« Streibl als bayerischer Ministerpräsident. Danach dann der »Saubermann« Stoiber, der in einem heute noch nicht einmal ansatzweise aufbereiteten CSU-internen Putsch 2007 zum Rücktritt gezwungen wurde. 2001, zwei Jahre nachdem Stoiber Ministerpräsident geworden war, hatte Scharnagl seinen Posten beim »Bayernkurier« geräumt. Aber noch heute nimmt er an Sitzungen der obersten CSU-Parteigremien teil. Er ist Mitglied des Vorstands der Hanns-Seidel-Stiftung. Und gelegentlich darf er in seinem immer noch polternden Stil in einer der zahlreichen Talkshows exotische Positionen einnehmen.