Ul­rich Grei­ner: Das Le­ben und die Din­ge

Ulrich Greiner: Das Leben und die Dinge
Ul­rich Grei­ner: Das Le­ben und die Din­ge
»I am a ra­ther el­der­ly man.« So lau­tet der er­ste Satz von Her­man Mel­vil­les »Bart­le­by, the Scri­ve­ner«; deutsch: »Bart­le­by, der Schrei­ber«. Im kur­zen Vor­wort zu sei­ner Au­to­bio­gra­phie ha­dert Ul­rich Grei­ner mit den ver­schiedenen Über­set­zun­gen die­ses Sat­zes. Kei­ne da­von, ob »äl­te­rer Mann«, »be­jahr­ter Mann« oder »Mann in recht vor­ge­rück­tem Al­ter«, schei­nen ihm ge­glückt. Wie Grei­ner »el­der­ly« über­set­zen wür­de, sagt er nicht. Aber wenn man sein Buch ge­le­sen hat, dann ahnt man es viel­leicht.

Un­ge­wöhn­lich die­ses kur­ze Vor­wort in der Er-Form. Es ist der Ver­such, noch ein­mal ei­ne klei­ne Di­stanz her­zu­stel­len zu dem, was dann un­wei­ger­lich »Ich« ge­nannt wer­den wird. Der Mann, der sei­ne schwar­zen An­zü­ge nur noch zu Trau­er­fei­ern be­nutzt. Die so­ge­nann­ten »Ein­schlä­ge«, die nä­her­kom­men. Die Er­in­ne­run­gen, die im­mer mehr ver­blas­sen und vor dem end­gül­ti­gen Ver­schwin­den er­ret­tet wer­den sol­len.

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Heinz Rein: Fi­na­le Ber­lin

Heinz Rein: Finale Berlin
Heinz Rein: Fi­na­le Ber­lin

Spä­te­stens in der Schu­le kam man an ih­nen nicht mehr vor­bei. Da war der Kriegs­heim­keh­rer Beck­mann aus Bor­cherts »Drau­ßen vor der Tür«, der Sol­dat Fein­hals und die Ar­chi­tek­ten­fa­mi­lie Fäh­mel aus Bölls Wer­ken, spä­ter noch Clown Schnier und des­sen An­sich­ten. Os­kar Mat­zer­ath kann­te je­der (meist al­ler­dings oh­ne das Werk en dé­tail ge­le­sen zu ha­ben). Sel­te­ner wa­ren schon die Er­leb­nis­se mit dem des­il­lu­sio­nier­ten Bundestags­abgeordneten und Schön­geist Kee­ten­heuve (Koep­pens »Treib­haus«) oder dem Ma­ler Lud­wig Nan­sen aus der 60er Jah­re »Deutsch­stun­de« (Sieg­fried Lenz). All die­sen Fi­gu­ren ist ge­mein, dass sie heu­te noch Er­in­ne­run­gen her­vor­ru­fen und Re­fe­renz­grö­ßen der deut­schen Nach­kriegsliteratur wie selbst­ver­ständ­lich her­bei­zi­tiert wer­den. Aber wer kennt ei­gent­lich Joa­chim Las­sehn, den De­ser­teur aus Heinz Reins »Fi­na­le Ber­lin«? und wer kennt die­ses Buch, das be­reits 1947 er­schie­nen war und ve­he­ment-dra­sti­scher Spra­che die Schrecken des Krie­ges nicht nur er­zähl­te, son­dern vor dem Le­ser fast aus­spie?

Si­cher­lich, ver­ges­se­ne Bü­cher mit ver­ges­se­nen Schrift­stel­lern aus die­ser Zeit gibt es vie­le. Ne­ben Heinz Rein fal­len ei­nem auf An­hieb Hans Scholz (»Am grü­nen Strand der Spree« [die­ses Buch wur­de in den 1960er Jah­ren er­folg­reich für das Fern­se­hen ver­filmt]), Pe­ter Bamm und Hans Hell­mut Kirst ein, die al­le­samt mit dem Vor­wurf des Tri­vi­al­au­tors zu kämp­fen hat­ten. Aber auch äs­the­tisch an­spruchs­vol­le­re Au­toren wie Gert Le­dig und Jo­sef W. Jan­ker gin­gen im Li­te­ra­tur­be­trieb un­ter, vor al­lem weil sie nicht in das äs­the­ti­sche Kon­zept der Grup­pe 47 hin­ein­pass­ten, ei­ner in­for­mel­len Ver­ei­ni­gung, die suk­zes­si­ve die Ho­heit über die deut­sche Nach­kriegs­li­te­ra­tur über­nahm und schon vor der Usur­pie­rung durch die Kri­ti­ker-Vie­rer­ban­de (Reich-Ra­nicki, May­er, Kai­ser, Jens) ei­ne macht­vol­le Po­si­ti­on ein­nahm. Wer heu­te den Ka­non durch­schaut, den die­se We­ni­gen auf­ge­stellt ha­ben, ent­deckt über­all die im­mer­glei­chen Na­men: Hein­rich Böll, Gün­ter Eich, Gün­ter Grass, Al­fred An­dersch, Il­se Ai­chin­ger, In­ge­borg Bach­mann, Hans Ma­gnus En­zens­ber­ger, Mar­tin Wal­ser (der ei­gent­lich als »grup­pen­frem­der« Au­tor galt), ein biss­chen Wolf­diet­rich Schnur­re und Wal­ter Höl­le­rer noch. Al­le­samt Au­toren, die an den Sit­zun­gen der Grup­pe 47 zum Teil re­gel­mä­ssig teil­nah­men und da­durch bis heu­te das li­te­ra­ri­sche Bild der 1950er und 1960er Jah­re in Deutsch­land präg­ten.

Ach­te­te man pein­lichst dar­auf, kei­ne na­zi­be­la­ste­ten Schrei­ber in der Grup­pe zu ha­ben (was, wie sich spä­ter her­aus­stell­te, gründ­lich miss­lang), so konn­te man je­doch als Op­fer, das nicht den sol­da­ti­schen Weg ein­ge­schla­gen hat­te, kaum re­üs­sie­ren, wie am Bei­spiel Paul Ce­lan deut­lich wur­de. Exi­lan­ten mied man of­fi­zi­ell aus äs­the­ti­schen Grün­den – in Wahr­heit woll­ten sich die­se in der Re­gel nicht mit Wehr­macht­sol­da­ten oder »In­ne­ren Emi­gran­ten« mes­sen. Am­bi­tio­nier­te Pro­sa, die sich von der dem Rea­lis­mus ver­pflich­te­ten so­ge­nann­ten Trüm­mer­li­te­ra­tur ab­wi­chen, hat­te eben­falls kei­ne Chan­ce; sie wa­ren auf Für­spra­che au­ßer­halb der Grup­pe an­ge­wie­sen, was bei ei­ni­gen Aus­nah­men (Koep­pen, Sieg­fried Lenz) ge­lang.

Höl­len­ge­wit­ter oh­ne Scheu vor Pa­thos

So ist es nicht über­ra­schend, dass Heinz Rein, der Au­tor von »Fi­na­le Ber­lin«, nie­mals in der Grup­pe 47 ge­le­sen hat. Sein Ro­man ent­sprach mit sei­nem der­ben Splat­ter-Ex­pre­s­­sio­nis­mus nicht dem Ge­schmack der Grup­pe, die es vor­zog, den deut­schen Sol­da­ten nach dem Krieg als Op­fer der Um­stän­de dar­zu­stel­len. Reins Buch da­ge­gen zeigt in ex­pres­si­ven, zum Teil pa­the­tisch-bru­ta­len Bil­dern ein Ber­lin vom 15. April 1945 bis zur Ka­pi­tu­la­ti­on am 2. Mai. Es ist ein Ber­lin der Stra­ßen- spä­ter so­gar Häu­ser­kämp­fe – ei­ne Be­völ­ke­rung ein­ge­presst zwi­schen Ro­ter Ar­mee und rück­sichts­los ge­gen die ei­ge­ne Zi­vil­be­völ­ke­rung vor­ge­hen­der SS-Trup­pen. Es ist ein Ber­lin der bis zum Schluss an den Sieg Glau­ben­den, ein Ber­lin, das am En­de groß­flä­chig in Schutt und Asche liegt, über­sät mit Lei­chen bzw. Lei­chen­tei­len. Rein ent­wickelt ei­ne To­po­gra­phie des Schreckens; wer möch­te, kann Trup­pen- und Kampf­be­we­gun­gen auf ei­ner Kar­te ge­nau nach­voll­zie­hen. Ber­lin wird zur Höl­le, bar je­der Zi­vi­li­sa­ti­on.

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Fritz J. Rad­datz

Fritz J. Rad­datz ist tot. Wirk­lich? Oder ist es nur Spiel von ihm, die heuch­le­ri­schen Nach­ru­fe für ein neu­es Buch zu sam­meln? Man kennt das von Kin­dern, die sich nicht ge­nü­gend ge­liebt füh­len und dann er­le­ben möch­ten, wie El­tern und Freun­de sie auf ih­rer Be­er­di­gung be­wei­nen. Die Lek­tü­re der Ta­ge­bü­cher von Rad­datz ver­mit­tel­te mir ei­nen ...

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Nie­der­tracht

Es gä­be viel über die mei­nes Er­ach­tens ziem­lich bös­ar­ti­ge Kri­tik von Gre­gor Dot­zau­er zu den Ta­ge­bü­chern von Fritz J. Rad­datz zu sa­gen. Es scheint in­zwi­schen zum Feuil­le­ton­s­port zu wer­den, Zi­ta­te aus Bü­chern wenn nicht ganz zu er­fin­den (Hei­den­reich), so doch we­nig­stens der­art aus dem Kon­text des Ge­schrie­be­nen zu rei­ssen, so dass die In­ten­ti­on voll­ends ins ...

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Der gro­sse Rad­datz

»Ge­strei­chelt wor­den bin ich in mei­nem Le­ben nicht« Die Au­to­bio­gra­phie und die Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz zei­gen nicht nur ei­ne längst ver­sun­ke­ne Welt der bun­des­deut­schen Nach­­kriegs-Li­te­ra­tur­­bo­­hè­­­me. Wer ge­nau liest, ent­deckt ei­nen auf­rech­ten und emp­find­sa­men In­tel­lek­tu­el­len – und ei­nen groß­ar­ti­gen Schrift­stel­ler Da sind sie al­so end­lich: Die letz­ten Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz, 2002–2012 (TB ...

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