Philosophisches und Aphoristisches von Byung-Chul Han und Botho Strauß
In seinem Buch »Lichter des Toren – Der Idiot und seine Zeit« (LT; 2013) findet Botho Strauß eine konzise Formulierung für das Phänomen des Schwarms im Internet: »Netz-Schwärme sind keine konsumistische Masse, sondern lassen in korrelierten Prozessen dominante Leitsysteme entstehen, die im Kern dieselbe Botschaft verbreiten – in Meinungen, Vorlieben, Verdammungen und Direktiven.« (LT 79)

Ansichten eines Digitalen
Diese Form einer Definition ist in Strauß’ ansonsten meist sentenziösem Buch ungewöhnlich. Es könnte jedoch als Leitspruch auch über den unlängst erschienenen Essay »Im Schwarm – Ansichten des Digitalen« von Byung-Chul Han stehen (IS; 2013). Wo Strauß etwas nebulös vom »Plurimi-Faktor« schreibt, der »das Hohe zugunsten des Breiten« abwerte (LT 32), spricht Han vom Schwarm. Wie Strauß unterscheidet Han Masse von Schwarm und spricht zunächst neutral von Menge. »Die neue Menge heißt der digitale Schwarm« (IS 19). Die Unterschiede zur Masse sind immanent. Der Schwarm hat, so die These, keine Seele, keinen Geist. Seele sei »versammelnd«, so Han, der Schwarm bestehe jedoch aus »vereinzelten Individuen«. Eine Masse »offenbart Eigenschaften, die auf die Einzelnen nicht zurückzuführen sind. Die einzelnen verschmelzen zu einer neuen Einheit« (IS 19). Das Ganze ist eben mehr als die Summe seiner Teile. Die Individuen des Schwarms »entwickeln kein Wir.« Sie blieben alleine: »Elektronische Medien…versammeln Menschen, während die digitalen Medien sie vereinzeln.« Der Schwarmteilnehmer, der homo digitalis, sei kein Niemand, sondern ein Jemand, »der sich ausstellt und um Aufmerksamkeit buhlt«. Für Strauß ist der Schwarm sogar bedrohlich: »Wenn sich der Geist des Schwarms als Ordnungsmacht etabliert, schlägt die Stunde der Insurgenten« (LT 41), so heißt es ein wenig bedrohlich.