An­mer­kun­gen zur trans­ver­sa­len Äs­the­tik

1. Bei spo­ra­di­schen Lek­tü­ren von aka­de­mi­schen Auf­sät­zen zur deutsch­spra­chi­gen Ge­gen­warts­li­te­ra­tur, be­son­ders zu sol­cher mit so­ge­nann­tem Mi­gra­ti­ons­hin­ter­grund, ist mir auf­ge­fal­len, daß in den letz­ten Jah­ren die Vor­sil­be »trans-« an Häu­fig­keit ge­won­nen hat im Ver­hält­nis zur Vor­sil­be »in­ter-«, die sie manch­mal er­setzt. »Trans-« ver­weist auf Be­we­gung, auf Dy­na­mik; »in­ter-« auf ein Da­zwi­schen, auf Be­zie­hun­gen, die zwar nicht oh­ne Be­we­gung statt­fin­den, aber doch er­star­ren kön­nen, so daß sie zu Kon­stel­la­tio­nen wer­den. Es ist ei­ne Fra­ge des Ak­zents, der Auf­merk­sam­keits­rich­tung, der in den Blick ge­nom­me­nen Aspek­te. Ich selbst bin, oh­ne mich in mei­nem Tun und Las­sen stän­dig sprach­kri­tisch zu re­flek­tie­ren (und oh­ne aka­de­mi­sche Ab­sich­ten), auf den Be­griff der Trans­ver­sa­li­tät ge­kom­men, um be­stimm­ten Er­fah­run­gen des Schrei­bens, Le­sens und Le­bens Aus­druck zu ver­lei­hen. Es ist mög­lich, daß sich im mi­kro­struk­tu­rel­len Para­digmenwechsel et­was vom Zeit­geist spie­gelt; ja, daß es sich letzt­lich nur um termino­logische Mo­den han­delt. Nie­mand ist dar­über er­ha­ben, aber ei­ne Auf­ga­be des Schrift­stellers be­steht dar­in, ein Sen­so­ri­um für sol­che Vor­gän­ge zu ent­wickeln und zur Gel­tung zu brin­gen.

2. Es ist nicht Auf­ga­be des Schrift­stel­lers, Be­grif­fe zu de­fi­nie­ren, ge­gen­ein­an­der abzu­grenzen und Be­griffs­hier­ar­chien zu er­rich­ten. Auf der Hand liegt, daß in der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts Au­toren und Wer­ke an Zahl und Be­deu­tung zu­ge­nom­men ha­ben, die auf un­ter­schied­li­che Wei­se mit Orts­wech­seln, Rei­sen, Er­fah­rung des Frem­den, Be­haup­tung des Ei­ge­nen in frem­der Um­ge­bung, Be­rüh­rung und Ver­mi­schung von Kul­tu­ren, In­fra­ge­stel­lung von Iden­ti­tä­ten usw. zu tun ha­ben. Es gibt da­bei frei­lich, wie bei an­de­ren Phä­no­me­nen, et­wa der tech­no­lo­gisch be­schleu­nig­ten Glo­ba­li­sie­rung, ei­ne lan­ge Vor­ge­schich­te. Un­ter Ger­ma­ni­sten war in der Zeit, als ich stu­dier­te, die Exil­li­te­ra­tur be­liebt. Sie wur­de durch­for­stet, ob aus­rei­chend oder nicht, sei da­hin­ge­stellt. Heu­te ha­ben sich die Blick­win­kel ge­än­dert, das deutsch­spra­chi­ge Exil ist in hi­sto­ri­sche Fer­ne ge­rückt, um­ge­kehrt sind Au­toren aus an­de­ren Welt­ge­gen­den in Er­schei­nung ge­tre­ten, die die hei­mi­sche Li­te­ra­tur­spra­che be­rei­chert ha­ben und be­rei­chern. Ber­tolt Brecht, Tho­mas Mann, Jo­seph Roth ha­ben die Spra­che nicht ge­wech­selt, aus meh­re­ren Grün­den, vor al­len Din­gen lag es nicht in ih­rer Ab­sicht, ein neu­es Ziel­pu­bli­kum an­zu­spre­chen, au­ßer­dem ist ein Sprach­wech­sel im fort­ge­schrit­te­nen Al­ter auf­wän­dig, schwie­rig bis un­mög­lich. (Es gibt Bei­spie­le wie Ar­thur Koest­ler und Ste­fan Heym, für die das nicht gilt. Bei­de sind in re­la­tiv jun­gen Jah­ren emi­griert.)

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Ei­ni­ge An­mer­kun­gen zur trans­ver­sa­len Äs­the­tik

Vor­trag vom 2. No­vem­ber 2013 beim Sym­po­si­um »In­ter­kul­tu­ra­li­tät in der Li­te­ra­tur – re­gio­na­le, na­tio­na­le und kon­ti­nen­ta­le Iden­ti­tä­ten«, Städ­ti­sche Uni­ver­si­tät (Shirit­su Dai­ga­ku) Nagoya/Japan

Ich bin ein Mi­grant. Seit elf Jah­ren le­be ich in ei­nem Land fern von mei­nem Ge­burts­ort, da­vor ha­be ich in vier an­de­ren Län­dern dau­er­haft ge­wohnt, und auch die Jah­re in Wien wa­ren für mich als über­zeug­ten West­öster­rei­cher ein Aus­lands­auf­ent­halt, üb­ri­gens der un­an­ge­nehm­ste von al­len. Wo ich den Le­bens­abend ver­brin­gen wer­de, wo ich be­gra­ben sein möch­te? Kei­ne Ah­nung. Viel­leicht »zu Hau­se«, viel­leicht nicht. Mei­ne Wan­de­run­gen sind noch nicht be­en­det.

Mi­grant zu sein ist nichts Be­son­de­res, heut­zu­ta­ge eher die Re­gel als die Aus­nah­me. Ei­ne Le­bens­form, mit der vie­le Men­schen auf die ei­ne oder an­de­re Wei­se Be­kannt­schaft ge­schlossen ha­ben. In­so­fern ist auch »Mi­gran­ten­li­te­ra­tur« nichts Be­son­de­res. Man wird so­gar sa­gen kön­nen, daß die Li­te­ra­tur mit ih­rer al­ten und no­to­ri­schen Neu­gier für al­les Frem­de das, was heu­te der ge­sell­schaft­li­che Re­gel­fall ist, vor­weg­ge­nom­men hat. Im Grun­de be­ruht die Re­de von den Mi­gran­ten mit ih­rem Hin­ter­grund und ih­rer Kul­tur nur auf ei­ner be­stimm­ten Sicht­wei­se. Die Wur­zeln der Mi­gra­ti­on ge­hen weit, sehr weit zu­rück. Eben­so das Phä­no­men der Glo­ba­li­sie­rung. Wann hat sie be­gon­nen? Mit Ko­lum­bus? Mit der Han­se? Mit Odys­seus? Mit den Ar­go­nau­ten? Als ich in den sieb­zi­ger Jah­ren Ger­ma­ni­stik stu­dier­te, war Exil­li­te­ra­tur ein Mo­de­the­ma. Das Exil aber ist nur ei­ne be­son­de­re Art der Mi­gra­ti­on, wie Sev­gi Öz­da­mars Ro­man Die Brücke vom Gol­de­nen Horn sinn­fäl­lig macht.

Vor ei­ni­gen Jah­ren wur­de ich von ei­ner Li­te­ra­tur­zeit­schrift um ei­nen Bei­trag für ein Heft zum The­ma Rei­se­li­te­ra­tur ge­be­ten. Ich sag­te zu und hat­te ein un­gu­tes Ge­fühl, weil ich mich nicht als Rei­se­schrift­stel­ler be­trach­te. Mei­stens bin ich nicht auf Rei­sen, son­dern le­be wo­an­ders (als in mei­nem Her­kunfts­land) und be­we­ge mich zwi­schen ver­schie­de­nen Or­ten, weil ich dort et­was zu tun ha­be, et­was su­che, Freun­de tref­fen will, mich in ei­ne Frau ver­liebt ha­be, an ei­nem Kon­greß teil­neh­me, mit ei­nem Au­tor über ein zu über­set­zen­des Buch spre­chen will. Der Rei­sen­de im her­kömm­li­chen Sinn hat sei­ne Rück­kehr ein­ge­plant. Das ist bei mei­nem Mi­gran­ten­tum – mei­ner viel­fäl­ti­gen Wan­der­schaft – oft nicht der Fall. Manch­mal sa­ge ich, um ei­nen Ge­sprächs­part­ner zu ver­blüf­fen: Ich rei­se nicht gern. Und fü­ge, wenn die Ver­blüf­fung auf­ge­braucht ist, hin­zu: Ich hal­te mich gern an ver­schie­de­nen Or­ten auf, aber ich bin nicht so gern un­ter­wegs. Mein Ide­al wä­re die Ubi­qui­tät. Sem­per et ubi­que. Den Kör­per bea­men, nicht nur den Geist und die Bil­der (was durch die kommu­nikations­technische Ent­wick­lung sehr er­leich­tert wor­den ist). Rei­sen ist mir auf die Dau­er zu an­stren­gend.

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