Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Benjamin Stein: Die Leinwand
Ben­ja­min Stein: Die Lein­wand

Gar nicht so ein­fach, mit dem Le­sen die­ses Bu­ches an­zu­fan­gen. Denn man hat un­ver­hofft zwei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der man be­ginnt mit dem Teil von und über Am­non Zi­chro­ni oder man wen­det das Buch, dreht es um 180 Grad und be­ginnt mit Jan Wechs­ler. (Ei­ne an­de­re Idee, die Ka­pi­tel so­zu­sa­gen ab­wech­selnd zu le­sen, dürf­te aus Grün­den der Prak­ti­ka­bi­li­tät fast aus­schei­den; hier­für hät­te man min­de­stens zwei Le­se­zei­chen ein­bin­den müs­sen. Und au­ßer­dem bleibt das Pro­blem, wo man be­ginnt.)

Bei­de Tei­le sind fast pa­ri­tä­tisch. Man ahnt: Wie man es auch be­ginnt – es bleibt ei­ne Ent­schei­dung, die die Re­zep­ti­on prä­gen wird. Man wird nie er­fah­ren, wie es ge­we­sen wä­re, wenn man an­ders be­gon­nen hät­te. Viel­leicht wer­den ein­mal die Le­ser von Ben­ja­min Steins Buch »Die Lein­wand« an­hand ih­res An­fangs­ka­pi­tels un­ter­schie­den zwi­schen Zi­chro­ni- oder Wechs­ler-Ein­stei­ger. Ob sich die bei­den La­ger je­mals mit­ein­an­der ver­stän­di­gen kön­nen? Tat­säch­lich dürf­ten sie zwei un­ter­schied­li­che Bü­cher ge­le­sen ha­ben. Und die­ses schein­bar so spa­ßi­ge Spiel­chen passt am En­de er­staun­lich gut zu At­mo­sphä­re und In­ten­ti­on die­ses Bu­ches.

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Ul­la Ber­ké­wicz: Üb­er­leb­nis

Ulla Berkéwicz: Überlebnis
Ul­la Ber­ké­wicz: Üb­er­leb­nis

Die ein­zi­ge Angst, die ich jetzt noch ha­be, ist die, zu ver­ges­sen. So be­ginnt die­ses Buch. Jen­seits des Ver­ges­sens ist die Zeit­lo­sig­keit. Und jen­seits der Zeit die Ewig­keit. Aber schon im Er­in­nern, dem Ver­such, nicht zu ver­ges­sen, steckt die Ge­fahr der Ver­schol­len­heit: Ist die Er­in­ne­rung ent­rückt, in den Ge­dächt­nis­kam­mern ein­ge­schlos­sen? Die Er­in­ne­rung an den un­wirk­lich­sten Som­mer zwei­tau­send­zwei. Und der »Preis« für die Er­in­ne­rung: Geht der [Som­mer] im­mer und nie vor­bei?

Trost­lo­sig­keit – Ver­ges­sen ist ein mat­ter, halt­lo­ser Land­strich, der zu nichts führt – und Hoff­nung, dass hin­ter je­nem Land­strich noch ein zwei­ter läuft, wie al­les noch ein Zwei­tes hat, viel­leicht so­gar sein Drit­tes, Vier­tes. Ein and­rer Land­strich in ei­nem and­ren Land, wo das Ver­ges­sen sich sam­melt, kon­zen­triert, be­sinnt.

Ul­la Ber­ké­wicz um­kreist das Ver­ges­sen in die­sem Buch – und na­tür­lich nicht nur das. Es geht ums Ster­ben und den Tod (und da­mit um das Le­ben) und es geht – de­zent und dis­kret – um Lie­be. Aber es ist mehr als ein Lebens‑, Liebes‑, To­des- oder To­ten­buch, mehr als som­nam­bu­le (und dann doch ge­le­gent­lich af­fek­tier­te) Li­ta­nei ei­ner Wit­we, mehr als me­ta­phy­si­sche (Selbst-)Tröstung, mehr als ei­ne Kri­tik an den Ver­hält­nis­sen un­se­rer Kran­ken­häu­ser, mehr als ex­pres­sio­ni­stisch-as­so­zia­ti­ve Kla­ge­re­de (mit Spucke auf ei­nem Stein statt lu­the­ri­schem Tin­ten- oder can­ter­vill­schem Blut­fleck). Ja, es ist al­les das. Und eben mehr. Viel mehr.

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