Ri­chard Ford: Va­len­tins­tag

Richard Ford: Valentinstag
Ri­chard Ford: Va­len­tins­tag

Da ist er al­so wie­der: Frank Bas­com­be. In­zwi­schen 74 Jah­re, sechs Jah­re äl­ter als bei den Er­zäh­lun­gen von Frank, die al­ler­dings 2012 spiel­ten, wäh­rend der Haupt­teil des neu­en Ro­mans Va­len­tins­tag 2019/2020 spielt. So ganz stimmt da was nicht (oder ich ha­be falsch ge­rech­net).

Sei­ne er­ste Frau Ann, Mut­ter sei­ner Kin­der Paul (47) und Cla­ris­sa (45), ist ver­stor­ben (sie litt an Par­kin­son). Frank sel­ber er­eil­te in der Zwi­schen­zeit ein »Mi­ni-Schlag­an­fall« so­wie »ei­ne Epi­so­de glo­ba­ler Amne­sie und ein klei­nes, frisch ent­deck­tes Loch« im Herz. Zu­wei­len tritt noch der (be­kann­te) Schwin­del auf, aber an­son­sten geht es ihm gut. Er hat in Had­dam ei­nen Teil­zeit­job als »Haus­flü­ste­rer« bei sei­nem frü­he­ren An­ge­stell­ten Mi­ke Ma­ho­ney an­ge­nom­men. Frank sitzt al­lei­ne in ei­nem Bü­ro, be­wun­dert, was aus Mi­ke, dem Ti­be­ter, ge­wor­den ist und küm­mert sich um Im­mo­bi­li­en­be­schaf­fung für Leu­te, die nicht in Er­schei­nung tre­ten wol­len. Po­ten­ti­el­le Kun­den lei­tet er dann an sei­nen Boss wei­ter, der sie wie­der­um in sei­nem klei­nen Fir­men­im­pe­ri­um wei­ter­be­ar­bei­tet.

Die Ta­ge sind lang und so kommt Frank ans Rä­so­nie­ren und Bi­lan­zie­ren über Viet­nam, sei­ne Mut­ter, sei­ne zwei­te Frau Sal­ly, die als welt­wei­te Trau­er­be­glei­te­rin der­zeit in Tsche­tsche­ni­en wei­len soll oder ei­nen ge­wis­sen Pug Mi­no­kur, der sich ir­gend­wann ein­mal wäh­rend sei­nes kur­zen Auf­ent­halts auf der Mi­li­tär­aka­de­mie für ihn beim Bas­ket­ball­trai­ner ein­ge­setzt hat­te. Als sei es ei­ne Ver­pflich­tung, er­zählt er ihm Jahr­zehn­te spä­ter auf ei­nem Ve­te­ra­nen­tref­fen da­von. »Ich dank­te ihm – für le­bens­lan­ge Er­in­ne­run­gen. Ich er­griff sei­ne er­staun­lich wei­che, er­staun­lich klei­ne und einst ge­schick­te Hand – sei­ne Wer­fer­hand – und schüt­tel­te sie be­hut­sam, um der gu­ten al­ten Zei­ten wil­len.« Teil ei­nes Pro­gramms, »be­vor der graue Vor­gang fällt«. Ob Pug sich dar­an er­in­nert – egal.

Schließ­lich nimmt er sich frei, um den letz­ten Wunsch von Ann zu er­fül­len, dass »die Hälf­te ih­rer kre­mier­ten Über­re­ste auf dem Fried­hof von Had­dam ne­ben un­se­rem Sohn Ralph Bas­com­be be­gra­ben wer­den soll­te, der jetzt ein­und­fünf­zig wä­re und ein be­rühm­ter Phy­si­ker an der Cal Tech oder ein Ly­ri­ker oder ein viel be­wun­der­ter So­lo-Obo­ist.« Und so reist er mit ei­nem Zip­per-Beu­tel im Flug­zeug zu ei­nem ein­sti­gen Fa­mi­li­en­idyl­len­ort mit »Ur­kie­fern und ‑tan­nen«, »dreh­te den Beu­tel um und ließ den kör­ni­gen In­halt hin­aus­rie­seln.«

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Ri­chard Ford: Iri­sche Pas­sa­gie­re

Richard Ford: Irische Passagiere
Ri­chard Ford:
Iri­sche Pas­sa­gie­re

Der neue Er­zäh­lungs­band von Ri­chard Ford heißt im Ori­gi­nal »Sor­ry For Your Trou­ble«, was man mit »Ent­schul­di­gung für Ih­re Pro­ble­me« über­set­zen könn­te. Frank Hei­bert, der seit 2006 Ri­chard Ford ins Deut­sche über­setzt, und dem der Au­tor am En­de die­ses Ban­des ex­pli­zit für sei­ne »scharf­sin­ni­gen« Text­vor­schlä­ge dankt (ob da­zu auch die Über­tra­gung von »pia­no stu­dents« als »Kla­vier­schü­ler und ‑schü­le­rin­nen« zählt, weiß man nicht), wähl­te hin­ge­gen »Iri­sche Pas­sa­gie­re« als Ti­tel für die ins­ge­samt neun Er­zäh­lun­gen.

Tat­säch­lich spielt das Iri­sche in na­he­zu al­len Er­zäh­lun­gen ei­ne Rol­le. Zwei Mal wird Ir­land so­gar zum Schau­platz. Ir­gend­wann sucht man re­gel­recht die­ses Mo­tiv wie ein Ge­würz, das nicht im­mer do­mi­niert, aber (fast) im­mer be­merk­bar ist. So lernt man ei­ni­ges, be­kommt »iri­sche Zwil­lin­ge« er­klärt (Ge­schwi­ster, die auf den Tag neun Mo­na­te aus­ein­an­der lie­gen) und ein biss­chen was zur an­geb­li­chen iri­schen Phy­sio­gno­mie (»leicht un­voll­stän­di­ges Kinn«, »plum­pe Hän­de«, »seelenunruhiges…Starren«). Da gibt es iri­sche Emi­gran­ten, die wie­der zu­rück­fah­ren, weil sie nicht klar­kom­men. Oder ein Ehe­part­ner iri­scher Ab­stam­mung, der nach der Schei­dung von New York nach Dun­quin ge­zo­gen ist und dort in ei­ner »schwe­ren Woll­strick­jacke« Ar­chi­tek­tur­pro­jek­te ent­wirft. An­ders­wo ein irisch­stäm­mi­ger Zahn­arzt mit ei­nem Fai­ble für eu­ro­päi­sche Li­te­ra­tur. Und ei­ne Frau aus ei­nem klei­nen Kaff in Nord­ir­land, die in Dub­lin ein paar Mal im Jahr ei­ne Af­fä­re kul­ti­viert und für die die Stadt die gro­ße Welt ist.

Schau­plät­ze sind ne­ben eu­ro­päi­schen Städ­ten wie Dub­lin und Pa­ris (aus ei­ner ame­ri­ka­ni­schen Bar, bei Re­sul­ta­ten zur Prä­si­dent­schafts­wahl 1992) na­tür­lich New York, vor al­lem dies­mal New Or­leans und bis­wei­len die ame­ri­ka­ni­sche Pro­vinz (Maine!), die zu Re­fu­gi­en vom All­tag wer­den (sel­te­ner zu Be­dro­hun­gen).

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Ri­chard Ford: Zwi­schen ih­nen

Richard Ford: Zwischen ihnen
Ri­chard Ford: Zwi­schen ih­nen

Wenn Schrift­stel­ler in ein ge­wis­ses Al­ter ge­kom­men sind wer­den ih­re Er­zäh­lun­gen über ih­re Kind­heit und Ju­gend und ins­be­son­de­re über ih­re Vä­ter meist groß­mü­tig, mil­de und zu­wei­len gar ele­gisch. Viel­leicht weil man plötz­lich an sich sel­ber – halb er­schrocken und al­so mehr als man sich das lan­ge zu­ge­stan­den hat – Ei­gen­schaf­ten des Va­ters be­merkt hat. Zu­letzt konn­te man das bei Bo­tho Strauß be­ob­ach­ten, der in »Her­kunft« sei­nem Va­ter trotz al­ler Un­zu­läng­lich­kei­ten ein epi­sches Denk­mal setz­te. Die Aus­nah­men gibt es auch, et­wa wenn es sich um Eman­zi­pa­ti­ons­be­we­gun­gen des Au­tors so­wohl von den schein­bar über­mäch­ti­gen El­tern als auch von der als be­drückend emp­fun­de­nen Ge­sell­schaft han­delt, wie et­wa Pe­ter Weiss’ »Ab­schied von den El­tern« oder Jo­sef Wink­lers un­ab­läs­si­ges Be­fra­gen des Acker­manns von Kärn­ten – dann je­doch ent­ste­hen die Va­ter­wer­ke un­mit­tel­bar.

Ri­chard Ford be­stä­tigt die­se The­se mit sei­nem Buch »Zwi­schen ih­nen«. Im eng­li­schen folgt nach »Bet­ween them« noch ei­ne Er­gän­zung: »Re­mem­be­ring My Par­ents«. Die Er­in­ne­run­gen an die El­tern be­treibt Ford in die­sem Buch in zwei Er­zäh­lun­gen. Zu­nächst wird in »Weg« vom Va­ter er­zählt. Der zwei­te Teil ist mit »Mei­ne Mut­ter in me­mo­ri­am« be­ti­telt. Im Nach­wort er­läu­tert Ford, dass er die Mut­ter­er­zäh­lung un­mit­tel­bar nach ih­rem Tod 1981 ge­schrie­ben ha­be (sind nicht auch vie­le an­de­re Mut­ter­er­zäh­lun­gen un­mit­tel­bar nach de­ren Tod ver­fasst wor­den?), den Va­ter­text je­doch erst 50 Jah­re nach des­sen Tod 1960 be­gon­nen hat. Ford be­grün­det schlüs­sig, war­um den­noch die Er­in­ne­run­gen an den Va­ter an den Be­ginn des Bu­ches ge­stellt sind. Das Le­ben des Va­ters reich­te ei­ner­seits wei­ter in die Ver­gan­gen­heit hin­ein und an­de­rer­seits über­leb­te sei­ne Mut­ter ih­ren Ehe­mann um 21 Jah­re. So­mit ent­steht durch die­se Rei­hen­fol­ge ei­ne spe­zi­fi­sche Form von Chro­no­lo­gie.

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Ri­chard Ford: Frank

Richard Ford: Frank
Ri­chard Ford: Frank

In sei­nen bis­her er­schie­ne­nen drei Frank-Bas­com­be-Ro­ma­nen »Sport­re­por­ter« (1986/dt. 1989), »Unab­hängigkeitstag« (1995) und »Die La­ge des Lan­des« (2006/2007) er­zähl­te Ri­chard Ford nicht nur die per­sön­li­chen Er­eig­nis­se sei­ner (fik­ti­ven) Haupt­fi­gur, die in drei Jahr­zehn­ten in ei­nem fast ty­pi­sche ame­ri­ka­nisch an­mu­ten­den Prag­ma­tis­mus so un­ter­schied­li­che Be­ru­fe wie Schrift­stel­ler, Sport­re­por­ter und schließ­lich Im­mo­bi­li­en­mak­ler aus­üb­te, son­dern ver­mit­tel­te im­mer auch ein ent­spre­chen­des zeit­hi­sto­ri­sches Bild des po­li­ti­schen und so­zia­len Zu­stan­des der USA. Frank Bas­com­be muss­te per­sön­li­che Schick­sals­schlä­ge über­win­den (sein Sohn starb als 10jähriger an dem Reye-Syn­drom, was sei­ne Ehe nicht über­stand und die Schei­dung zur Fol­ge hat­te) und dann schien er es No­vem­ber 2000, mit Mit­te 50, als »Die La­ge des Lan­des« spielt, end­lich »ge­schafft« zu ha­ben. In den Clin­ton-Jah­ren ge­lang es ihm durch Cle­ver­ness, Hart­näckig­keit und Glück in die obe­re Mit­tel­schicht auf­zu­rücken. Er war neu ver­hei­ra­tet, das Ver­hält­nis zu sei­nen Kin­dern nor­ma­li­sier­te sich, die Ge­schäf­te lie­fen her­vor­ra­gend. Aber dann kam der Pro­sta­ta-Krebs. Un­er­war­tet auch, als wie aus dem Nichts der ehe­ma­li­ge Lieb­ha­ber sei­ner neu­en Frau auf­tauch­te. Und als wä­re dies noch nicht ge­nug, wur­de er auch noch in ei­ne Schie­sse­rei ver­wickelt. Der Ro­man spielt im In­ter­re­gnum des Jah­res 2000 – es war im­mer noch nicht klar, ob nun Al Go­re oder Ge­or­ge W. Bush der neue Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka wür­de. In­tui­tiv spürt Frank, dass die Zei­chen auf Ver­än­de­rung stan­den. Viel­leicht platzt bald die Im­mo­bi­li­en­bla­se. Wie geht es mit ihm ge­sund­heit­lich wei­ter? »Die La­ge des Lan­des« war ein gro­sses, epi­sches Werk vol­ler Me­lan­cho­lie, aber auch Sinn für die Schön­heit des Le­bens, ei­ner ge­hö­ri­gen Por­ti­on der­bem, aber doch gut­mü­ti­gem Witz und ei­ner fi­li­gra­nen wie lehr­rei­chen Ver­schmel­zung von Fa­mi­li­en- und Zeit­ge­schich­te, wie es sel­ten zu le­sen ist.

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Ri­chard Ford: Ka­na­da

Richard Ford: Kanada
Ri­chard Ford: Ka­na­da

Dell Par­sons ist 1945 ge­bo­ren. Er er­zählt im Jahr 2011, als pen­sio­nier­ter Leh­rer, über die Zeit zwi­schen Au­gust und Ok­to­ber 1960. Ei­ne Zeit, die sein Le­ben ra­di­kal ver­än­dert und ge­prägt hat. Der durch­aus fu­ri­os da­herkommende An­fang lässt hof­fen: »Zu­erst will ich von dem Raub­überfall er­zäh­len, den mei­ne El­tern be­gan­gen ha­ben. Dann von den Mor­den, die sich spä­ter er­eigneten.« Fast la­ko­nisch wird er­gänzt: »Der Raub­überfall ist wich­ti­ger, denn er war ei­ne ent­scheidende Wei­chen­stel­lung in mei­nem Le­ben und in dem mei­ner Schwe­ster«.

Aber nun be­ginnt ein un­end­lich in die Län­ge ge­zo­ge­nes, zä­hes Re­ka­pi­tu­lie­ren über sich sel­ber, sei­ne Zwillings­schwester Ber­ner und ih­re El­tern, Va­ter Bev (geb. 1923), sei­ne Frau Nee­va (geb. 1926), über Gre­at Falls, Mon­ta­na (die Fa­mi­lie lebt seit ei­ni­gen Jah­ren dort) und die pre­kä­re fi­nan­zi­el­le Si­tua­ti­on. Der Va­ter, einst Flie­ger in der Ar­mee (er warf Bom­ben auf Ja­pan im Zwei­ten Welt­krieg), ver­lor sei­nen Cap­tain-Rang und wur­de ent­las­sen (al­ler­dings mit be­lo­bi­gen­der Ur­kun­de).

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Ri­chard Ford: Die La­ge des Lan­des

Richard Ford: Die Lage des Landes
Ri­chard Ford:
Die La­ge des Lan­des

Frank Bas­com­be ist 55 Jah­re alt und wir be­fin­den uns im In­ter­re­gnum des Jah­res 2000, als Clin­ton fast nicht mehr, Go­re wohl doch nicht und Bush auch noch nicht ganz si­cher Prä­si­dent der Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka ist. Wir fol­gen ihm drei Ta­ge im No­vem­ber bis Thanks­gi­ving (am En­de gibt es ei­ne klei­ne Aus­nah­me, als ein klei­ner Zeit­sprung er­folgt).
Bas­com­be hat als Im­mo­bi­li­en­mak­ler an der Ost­kü­ste von den fet­ten Jah­ren der Clin­ton-Wirt­schafts­po­li­tik enorm pro­fi­tiert. Ein biss­chen stört ihn die­ser Hype schon, der selbst für her­un­ter­ge­kom­me­ne Häu­ser sechs­stel­li­ge Dol­lar­sum­men er­zielt (Ame­ri­ka ist ein Land, das sich in ei­nem ei­ge­nen Treu­hand­kon­to ver­lo­ren hat.). Und ein biss­chen ver­schanzt sich Bas­com­be auch hin­ter ei­ner Mas­ke (Rein­las­sen, aber nicht ganz ein­las­sen).

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