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Unter der Hand habe ich begonnen, Eigenschaften zu berühren, die mich an Forresters Essay stören. Muß das sein? Daß ich keine Rezensionen mehr schreibe1, sollte mich eigentlich von dem (Selbst-)Zwang erlösen, an Texten herumzumäkeln, die ich im großen und ganzen ziemlich gut finde. Aber vielleicht habe ich das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und es ergeben sich durch derlei »Kritik« ja noch ein paar produktive Gedanken.
Ça m’intrigue, wie der Franzose sagt. Dies und jenes macht mich stutzig. Zunächst mehr die Ausdrucksform als einzelne Aussagen oder Argumentationslinien. Wird überhaupt argumentiert? Nein, meistens nicht. Vielmehr: Die Rede ergießt sich. Muß man argumentieren? Nicht unbedingt. Der Terror der Ökonomie ist ein sehr rhetorisches Buch; Rhetorik verstanden als Neigung, stets den Effekt des Gesagten zu suchen. Inhalte werden nicht im Textverlauf entwickelt, sie stehen vorher fest und werden mit großem sprachlichem Aufwand formuliert, wiederholt, variiert. Das ist der Grund, weshalb Forrester syntaktische Positionen ständig mehrfach besetzt. Eine solche Schreibweise nenne ich »rhetorisch«, oder auch »barock«. Dieses Barocke entfaltet sich in einem seltsamen Widerspruch zur Härte und Direktheit der vorrangigen Aussageintention, die eine – ich würde nicht sagen Kritik, sondern Denunziation des Neoliberalismus anstrebt. Diese Denunziation wird in zahllosen Anläufen verfolgt: Das Buch belagert mit sprachlichen Mitteln eine Festung, die in der Wirklichkeit, also mit politischen Mitteln, unüberwindlich scheint.
So werden zum Beispiel an einer Satzstelle drei Nomen gereiht (Kybernetik, Automatisierung, revolutionäre Technologien) und, im Prädikat, zwei Verben (sich davonstehlen, sich verschanzen). In derselben Passage wird der Parasit, zu dem die handfeste »Welt der Arbeit« gegenüber der digital-virtuellen Welt geworden ist, durch vier Nomen charakterisiert: 1. durch sein Pathos, 2. durch den Ärger, den dieser Parasit macht, 3. durch seine störenden »Katastrophen« und 4. durch die irrationale Hartnäckigkeit, mit der er auf seiner Existenz besteht, statt einfach zu verschwinden. (Hinter dieser parasitären Arbeitswelt verbirgt sich »der Arbeiter«, aber auch der Arbeitslose und letztlich – der Mensch.) Darauf folgen weitere Sätze, die überhaupt nur noch Nomen reihen, ohne prädikative Verklammerung: Nutzlosigkeit, mangelnde Widerstandskraft, Harmlosigkeit… Und so weiter, ich könnte jede Menge Beispiele bringen. Eine Anzahl von ungefähr gleichbedeutenden Eigenschaften wird wiederholt, um Nachdruck, Empörung, manchmal auch Mitgefühl zu erzielen. In weiterer Folge wiederholen sich dann auch die inhaltlichen Blöcke, die Aussageform wird tautologisch. Das Buch ist wenig strukturiert, nicht in Kapitel unterteilt; was schon zu Beginn vorgebracht wurde, findet man in Variationen auch in der Mitte und am Ende.
Leopold Federmair: Kleine Ökonomie der Geschmacksbildung, in: Neue Zürcher Zeitung, 24. 6. 2016; eine längere Fassung hier unter dem Titel "Warum ich keine Literaturkritik mehr schreibe". ↩