Rein­hard Marx: Das Ka­pi­tal

Reinhard Marx: Das Kapital

Rein­hard Marx: Das Ka­pi­tal

So manch ein Au­tor ent­deckt in die­sen Ta­gen des welt­öko­no­mi­schen Zu­sam­men­bruchs wie­der das »Pri­mat der Po­li­tik« und be­ginnt, Auf­ga­ben und Zie­le po­li­ti­schen Han­delns (neu) zu ent­wer­fen. Die­sen Vor­wurf des bil­li­gen Op­por­tu­nis­mus auf Rein­hard Marx, Erz­bi­schof von Mün­chen und Frei­sing, an­zu­wen­den, wä­re al­ler­dings falsch. Marx ist Vor­sit­zen­der der Kom­mis­si­on für gesell­schaftliche und so­zia­le Fra­gen der Deut­schen Bischofs­konferenz und seit Jah­ren ein glü­hen­der Ver­fechter der Ka­tho­li­schen So­zi­al­leh­re. An­fang des Jah­res war er kurz als Nach­fol­ger von Karl Kar­dinal Leh­mann für das Amt des Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bi­schofs­kon­fe­renz im Ge­spräch. Mit Bi­schof Ro­bert Zol­lit­sch wur­de dann je­mand ge­wählt, der in so­zi­al­ethi­schen Fra­gen mit Marx größ­ten­teils über­ein­stim­men dürf­te, in theo­lo­gi­schen Fra­gen (ins­be­son­de­re der Öku­me­ne, wie bspw. der Inter­zelebration) je­doch we­sent­lich of­fe­ner zu sein scheint als Marx.

Marx setzt sich in sei­nem Buch »Das Ka­pi­tal« (ein eher miss­glück­ter, weil zwang­haft ori­gi­nel­ler Ti­tel, der zu­dem miss­ver­ständ­lich ist) zu­nächst aus­führ­lich mit sei­nem Na­mens­vet­ter (ir­gend­wann nervt die­se For­mu­lie­rung) aus­ein­an­der (nicht nur we­gen der Na­mens­gleich­heit und schreibt ihm so­gar ei­nen Brief (statt ei­ner Ein­lei­tung). Marx treibt die Fra­ge um: Hat Karl Marx doch recht? Ist der Ka­pi­ta­lis­mus ein not­wen­di­ges Sta­di­um der Ge­schich­te, durch das die In­du­strie­ge­sell­schaft ge­hen muss, be­vor die Ak­ku­mu­la­ti­on des Ka­pi­tals und die Ent­frem­dung der Ar­bei­ter­schaft in dem Punkt kul­mi­nie­ren, an dem die Ent­wick­lung in die kom­mu­ni­sti­sche Re­vo­lu­ti­on um­schlägt?

Die von Karl Marx pro­gno­sti­zier­te »Ver­schlin­gung al­ler Völ­ker in das Netz des Welt­markts und da­mit der in­ter­na­tio­na­le Cha­rak­ter des ka­pi­ta­li­sti­schen Re­gimes« sieht Rein­hard Marx wohl im gren­zen- und vor al­lem re­gel­lo­sen Ka­pi­ta­lis­mus der heu­ti­gen Zeit min­destens als Ge­fahr am Ho­ri­zont (und zieht da­mit ei­ne Par­al­le­le zum 19. Jahr­hun­dert). Wird der Lauf der Ge­schich­te Ih­nen am En­de al­so doch Recht ge­ben, Herr Dr. Marx? Wird der Ka­pi­ta­lis­mus letzt­lich doch an sich selbst zu­grun­de gehen?...Ich hof­fe das nicht. Marx hält die kru­den ge­schichts­phi­lo­so­phi­schen The­sen in­klu­si­ve Re­vo­lu­ti­ons­dok­trin von Karl Marx wi­der­legt. Und das al­ter­na­ti­ve Mo­dell der Zen­tral­ver­wal­tungs­wirt­schaft im So­wjet­kom­mu­nis­mus je­den­falls ist voll­stän­dig ge­schei­tert und ha­be letzt­lich ver­heerend[e] Fol­gen für die ge­sam­te Mensch­heit ge­habt. Marx zi­tiert Jo­sef Ratz­in­ger aus dem Jahr 2000: Der »re­al exi­stie­ren­de« So­zia­lis­mus ha­be »ein trau­ri­ges Er­be zer­stör­ter Er­de und zer­stör­ter See­len« hin­ter­las­sen mit furchtbare[n] Aus­wir­kun­gen.

Re­form vs. Re­vo­lu­ti­on – So­li­da­ris­mus

Rein­hard Marx hält Karl Marx in sei­nem fik­ti­ven Brief Wil­helm Em­ma­nu­el von Ket­te­ler ent­ge­gen. Ket­te­ler, der 1850 Bi­schof von Mainz wur­de (man nann­te ihn Ar­bei­ter­bi­schof; Karl Marx hat­te ihn ab­wer­tend in sei­nen Schrif­ten er­wähnt), hat­te die so­zia­le Fra­ge zu sei­ner Sa­che ge­macht, die Grün­dung ei­ner christ­li­chen Ar­bei­ter­be­we­gung gefördert…Arbeiter zur Selbst­hil­fe er­mun­tert, hat ih­nen ge­ra­ten, sich zu Ge­werk­schaf­ten zusam­menzuschliessen…um…gerechte Lohn- und Ar­beits­be­din­gun­gen durch­set­zen zu kön­nen. Ket­te­ler wur­de Be­grün­der der Ka­tho­li­schen Ar­beit­neh­mer-Be­we­gung. Marx wirft Marx – ver­ein­fa­chend ge­sagt – vor, nur theo­re­ti­siert zu ha­ben, wäh­rend Ket­te­ler und ei­ni­ge an­de­re vor Ort und in den Be­trie­ben han­del­ten und kon­kre­te, so­zi­al­po­li­ti­sche Fort­schrit­te (bes­se­re Ar­beits­be­din­gun­gen; hö­he­re Löh­ne) er­reich­ten. Re­form ver­sus Re­vo­lu­ti­on, so­zu­sa­gen.

Durch das Vor­bild Ket­te­ler ist na­tür­lich Rein­hard Marx’ Dok­trin klar: Der sozial­reformerische An­satz, den Ka­pi­ta­lis­mus zu »zäh­men« und ihn durch ordnungs­politische Rah­men­set­zung zur So­zia­len Markt­wirt­schaft hin weiterzuent­wickeln, war der ein­zig rich­ti­ge Weg, und die­ser Weg ist auch heu­te oh­ne ver­nünf­ti­ge Al­ter­na­ti­ve. Am Schluss des Bu­ches gibt es ein fast eu­pho­ri­sches Be­kennt­nis zur Globale[n] Soziale[n] Marktwirt­schaft. Au­sser der dif­fu­sen For­mu­lie­rung vom »Drit­ten Weg«, So­li­da­ris­mus ge­nannt (zwi­schen ei­nem Ka­pi­ta­lis­mus in Rein­form [den es eh nie ge­ge­ben hat] und ei­nem Markt­so­zia­lis­mus [eben­so] – im Zwei­fel mit der Schlag­sei­te zum Li­be­ra­lis­mus), bleibt die­ses Be­kennt­nis schwam­mig.

Das so­zi­al­po­li­ti­sche En­ga­ge­ment von Leu­ten wie Ket­te­ler, nach dem Zwei­ten Welt­krieg dann von gro­ssen li­be­ra­len Öko­no­men wie Lud­wig Er­hard, Wal­ter Eucken, Franz Böhm, Alex­an­der Rü­strow, Wil­helm Röp­cke und Al­fred Mül­ler-Arm­ack (zu recht be­klagt Marx, dass au­sser Er­hard die­se Na­men selbst heu­ti­gen Wirt­schafts­stu­den­ten kaum noch ein Be­griff sind) sieht Marx als rich­tungs­wei­send an.

Ne­ben­bei räumt Marx mit dem dum­men Ge­schwätz vom so­ge­nann­ten »Neo­li­be­ra­lis­mus« auf, in dem er hi­sto­risch aus­führt, dass die »Neo­li­be­ra­len« ex­akt das Ge­gen­teil ei­nes gren­zen­lo­sen Ka­pi­ta­lis­mus pro­pa­gier­ten (leicht kann man jetzt die ah­nungs­lo­sen Pa­ro­len­dre­scher ent­lar­ven). Wäh­rend mit Os­wald von Nell-Breu­ning, dem Ne­stor der Ka­tho­li­schen So­zi­al­leh­re des 20. Jahr­hun­derts, ein Ahn­herr des Marx­schen Den­kens eher sel­ten er­wähnt wird (fast nur in Nell-Breu­nings Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Mar­xis­mus), kommt der pro­fi­lier­te So­zi­al­ethi­ker Fried­rich Hengs­bach (in ge­wis­sem Sin­ne ein In­ti­mus von Nell-Breu­ning) im Buch gar nicht vor. Ei­ne Di­stanz zum je­sui­ti­schen Den­ken des po­li­ti­schen Ka­tho­li­zis­mus ist da durch­aus spür­bar.

Glo­ba­li­sie­rung von un­ten

Wenn man »Das Ka­pi­tal« ge­nau liest stellt man fest, dass sich Rein­hard Marx von ger­ne ge­brauch­ten Feind­bil­dern der An­ti­ka­pi­ta­lis­mus­be­we­gung durch­aus ge­le­gent­lich ab­grenzt. Zwar em­pört er sich mit manch­mal kind­li­cher Nai­vi­tät über die Un­ge­rech­tig­kei­ten in der Welt – als sei­en die­se erst seit ge­stern be­kannt oder vi­ru­lent. Und die Spra­che, wenn es bei­spiels­wei­se um Ver­wer­fun­gen in der Fi­nanz­welt geht oder um die Ar­mut in­mit­ten un­se­rer Wohl­stand­ge­sell­schaft, ist manch­mal arg pla­ka­tiv.

Aber er ver­teu­felt den­noch nicht in Bausch und Bo­gen das, was man ge­mein­hin Glo­ba­li­sie­rung nennt. Die popuäre[n] Parole[n] der Glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­ker sei­en zu ein­fach kon­sta­tiert er rich­tig. Marx be­grüsst die Mög­lich­kei­ten welt­wei­ten Waren­austauschs aus­drück­lich. Er möch­te nur ein fai­res Ver­fah­ren se­hen, so­zu­sa­gen ei­ne Glo­balisierung von un­ten, in der der rei­che We­sten durch Sub­ven­tio­nen nicht nur sei­ne ei­ge­nen Märk­te schützt (und nur aus Ali­bi­grün­den Im­port­zöl­le senkt oder aus­setzt) und da­durch gleich­zei­tig die Märk­te in der so­ge­nann­ten Zwei­ten bzw. Drit­ten Welt rui­niert. Er be­ruft sich da­bei auf Jo­seph Stig­litz, der ei­ne »asymmetrisch[e]« Li­be­ra­li­sie­rung des Welt­han­dels ver­fech­tet.

Marx sieht hier die Po­li­ti­ker und In­tel­lek­tu­el­len Asi­ens, Afri­kas und Süd­ame­ri­kas in der Pflicht und pran­gert Kor­rup­ti­on und Des­po­tis­mus an. Au­sser ei­ner Po­li­tik der »Good Go­ver­nan­ce«, die ei­ne bes­se­re Ver­tei­lung bei­spiels­wei­se von Ent­wick­lungs­hil­fe gewähr­leisten soll, fällt ihm aber nicht viel ein. Da dies, um den Ein­druck ei­nes Neokolo­nialismus zu ver­mei­den, im Rah­men der Ver­ein­ten Na­tio­nen ge­sche­hen soll, bleibt er die Er­klä­rung schul­dig, wie bzw. war­um aus­ge­rech­net dort, wo die teil­wei­se kor­rup­ten und diktatori­schen Re­gime am Tisch sit­zen über Hil­fen an sie selbst ent­schie­den wer­den soll. Er be­lässt es letzt­lich beim La­men­to, dass die Staa­ten der G8 ih­rer Selbstver­pflichtungen im­mer noch nicht ent­spro­chen hät­ten und be­schwört ein Weltgemein­wohl, ver­drän­gend, wie schwie­rig so et­was auch nur auf Lo­kal­ebe­ne funk­tio­niert.

In ei­nem schö­nen Bild zeigt sich Marx’ em­pha­ti­sche Sicht auf den glo­ba­len Han­del, als er sum­miert Es geht nicht dar­um, ei­nen vor­han­de­nen Ku­chen zu tei­len, son­dern ei­nen grö­sse­ren Ku­chen zu backen. Wo­mit er dann al­ler­dings über ei­nen klei­nen Um­weg wie­der im or­di­nä­ren Wachs­tums­dis­kurs an­ge­kom­men ist.

Leer­stel­le Be­frei­ungs­theo­lo­gie

Und im­mer hebt Marx die päpst­li­chen En­zy­kli­ken, spe­zi­ell von Jo­han­nes Paul II. her­vor, prä­sen­tiert grif­fi­ge Zi­ta­te mit teil­wei­se ve­he­men­ter Ka­pi­ta­lis­mus­kri­tik, die das Un­recht auf der Welt an­pran­gern und sich für mehr Men­schen­wür­de ein­set­zen. Der Mensch sei Zweck an sich, meint Marx, der den Bo­gen von der Auf­klä­rung zum (auf­ge­klär­ten) Chri­sten­tum span­nen möch­te. Lei­der ver­stummt er, wenn es von den Sonn­tags­re­den in die Pra­xis kom­men soll. So er­wähnt Marx von der Be­frei­ungs­theo­lo­gie nichts (ein gro­sses The­ma in­ner­halb der Kir­che in den 70er und 80er Jah­ren). We­der fin­det man das Stich­wort noch ei­ne pro­mi­nen­te Per­son auch nur ein­mal er­wähnt. Die Leer­stel­le bei Marx hat wohl ideo­lo­gi­sche und theo­lo­gi­sche Grün­de, aber die Ver­su­che spe­zi­ell süd­ame­ri­ka­ni­scher Theo­lo­gen, sich kon­kret für die Ar­men ein­zu­set­zen, müss­te in ei­nem sol­chen Buch we­nig­stens be­spro­chen wer­den, um sich nicht dem Vor­wurf man­geln­der in­tel­lek­tu­el­ler Red­lich­keit aus­zu­set­zen.

Man ist ja schon dank­bar, dass mit den vie­len, in­zwi­schen so gän­gi­gen (meist wohl­fei­len Pa­ro­len) hier und da dann doch noch ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung vor­ge­nom­men wird. Et­wa wenn es – wie üb­lich – heisst, dass Kin­der von so­zi­al schwä­che­ren Schich­ten schlech­te­re Chan­cen in un­se­rem Bil­dungs­sy­stem hät­ten. Nach­dem er zu­nächst den Ge­mein­platz des Zu­sammenhangs zwi­schen materielle[r] Ar­mut und Bil­dungs­ar­mut de­kla­miert, stellt er dann ei­ne Sei­te wei­ter fest, dass nicht pri­mär das Ein­kom­men, son­dern das Bildungs­niveau der El­tern ent­schei­dend für den wei­te­ren Bil­dungs­weg der Kin­der sei. Ein El­tern­haus, in dem Bil­dung und Wis­sen kei­nen gro­ssen Stel­len­wert ge­niesst, dürf­te in der Re­gel für die Kin­der auch ein ent­spre­chen­des Vor­bild ab­ge­ben. Sei­ne Pro­gram­ma­tik, wie dies zu be­sei­ti­gen ist, bleibt je­doch eher be­schei­den, zu­mal er am Prin­zip der Erziehungs­kompetenz der El­tern nicht rüt­teln will und den Staat nur aus­nahms­wei­se in der Pflicht sieht. Marx ope­riert mit dem Schlag­wort der Hil­fe zur Selbst­hil­fe, wenn es dar­um geht, El­tern zu un­ter­stüt­zen, ih­ren ur­ei­gen­sten Auf­ga­ben ge­recht zu wer­den. Wie die­se kon­kret aus­se­hen soll, sagt er nicht.

Den Kern­punkt des men­schen­wür­di­gen Le­bens (die­ser Ter­mi­nus wird als ober­ste Ma­xi­me po­stu­liert) sieht Marx im Men­schen­recht auf Ar­beit, wel­ches er am lieb­sten im Grund­gesetz fest­ge­schrie­ben ha­ben möch­te. Sei­ne Dia­gno­se der prak­tisch seit Jahr­zehn­ten zunehmen­den Sockel­ar­beits­lo­sig­keit ist al­ler­dings un­ge­nau. Zwar stellt er rich­tig fest, dass die Hilfs­ar­bei­ter­tä­tig­kei­ten, die in den 50er und 60er Jah­ren auch wie es heu­te so schön heisst »bil­dungs­fer­nen« Schich­ten ein Aus­kom­men in ei­nem Un­ter­neh­men er­mög­lich­ten, prak­tisch ver­schwun­den sind. In­dem er je­doch arg pau­schal hier Glo­ba­li­sie­rungs­ef­fek­te ins Feld führt, greift er zu kurz. Der Haupt­grund liegt in der seit En­de der 60er Jah­re fort­schrei­ten­den Au­to­ma­ti­sie­rung, die letzt­lich al­le Be­rei­che des pro­du­zie­ren­den Ge­wer­bes er­reich­te und zu um­fas­sen­den Ar­beits­platz­ein­spa­run­gen führ­te. Erst in den 90er Jah­ren griff dann das, was als Glo­ba­li­sie­rung be­zeich­net wird und gro­sse Tei­le der noch not­wendigen und nicht au­to­ma­ti­sier­ba­ren Hand- und Hilfs­ar­bei­ten wur­den in Billig­lohnländer ver­la­gert. Die­ser Ef­fekt wird je­doch weit­ge­hend über­schätzt.

Bil­dung und Ar­beit

Vier Grün­de nennt Marx, war­um Bil­dung ein »Grund­nah­rungs­mit­tel« sei. Die­se Grün­de las­sen sich fast oh­ne Ab­stri­che auf sein so em­pha­tisch be­schwo­re­nes Recht auf Ar­beit trans­for­mie­ren. Bei­des dient der in­di­vi­du­el­len, re­li­giö­sen und – vor al­lem – so­zia­len Ent­fal­tung. Den fi­nan­zi­el­len Aspekt (die öko­no­mi­sche Ent­fal­tung) nennt er be­wusst erst an letz­ter Stel­le. Für ihn sind Bil­dung und Ar­beit vor al­lem so­zia­le Ak­te, in dem das ein­zel­ne In­di­vi­du­um sich selbst in ei­ne Ge­mein­schaft in­te­grie­ren kann, denn wir sind so­zia­le We­sen und brau­chen ein Ge­gen­über.

Das ist tat­säch­lich ein wich­ti­ger Aspekt, der häu­fig über­se­hen wird. Aber wie er das mit sei­ner recht bur­schi­ko­sen (frei­lich an [karl-]marxistischer Dik­ti­on ori­en­tier­ten) Ab­leh­nung jeg­li­cher Art von »Kol­lek­tiv« zu­sam­men­bringt, sagt er nicht. Statt­des­sen for­dert er ba­sie­rend auf das christ­li­che Men­schen­bild ei­ne Syn­the­se zwi­schen In­di­vi­dua­lis­mus und Ge­mein­schaft, denn der Mensch sei so­wohl ei­gen­ver­ant­wort­li­ches In­di­vi­du­um als auch mit sei­nen Mit­men­schen so­li­da­risch ver­bun­de­ner Teil der Ge­sell­schaft. Wie die­se Ab­gren­zung zwi­schen »Ge­mein­schaft« (ei­ner so­zia­len En­ti­tät) und »Kol­lek­tiv« (in dem er die Ab­kehr des frei­en In­di­vi­du­ums hin zu ei­ner amor­phen Mas­se sieht) funk­tio­nie­ren soll und wo es wel­cher Ein­grif­fe be­darf, führt Marx nicht schlüs­sig aus, was scha­de ist, denn wer hier kon­zi­se Kon­zep­te vor­le­gen kann, dürf­te den Schlüs­sel für die mo­der­ne Ge­sell­schafts­form des 21. Jahr­hun­derts in der Hand hal­ten.

Ein­drück­lich tritt Marx für ein Um­den­ken im Be­reich der staat­li­chen So­zi­al­po­li­tik ein und grenzt sich da­mit nicht nur durch die christ­li­che Prä­gung, die wie ein ro­ter Fa­den das Buch durch­zieht, von der Lin­ken deut­lich ab. Die lan­ge Zeit ge­pfleg­te Ver­en­gung des Ver­ständnisses von So­zi­al­po­li­tik auf Ver­tei­lungs­po­li­tik muss re­vi­diert wer­den. Laut Marx degra­diert ei­ne sich bloß auf Um­ver­tei­lung kon­zen­trie­ren­de So­zi­al­po­li­tik die Men­schen, de­nen ge­hol­fen wer­den muss, zu rein pas­si­ven Emp­fän­gern staat­li­cher Lei­stun­gen. Da­mit sieht Marx die Wür­de und die wirk­li­chen Be­dürf­nis­se der Men­schen nicht ge­nü­gend be­rück­sich­tigt. Sehr zu recht weist er dar­auf hin, dass Ar­beits­lo­se nicht nur an dem Ein­kom­mens­ver­lust lei­den, son­dern auch an dem Ver­lust ei­nes sinn­vol­len Tä­tig­seins und an dem Ver­lust so­zia­ler Kon­tak­te. Mit der blo­ssen Zah­lung des Ar­beits­lo­sen­gel­des sei dies nicht zu be­he­ben. Da­her steht er auch dem Grund­ein­kom­men »oh­ne Ar­beit« mehr als skep­tisch ge­gen­über.

Hüb­sche, un­ver­bind­li­che For­mu­lie­run­gen

Marx will die fi­nan­zi­el­len So­zi­al­lei­stun­gen kei­nes­falls ab­schaf­fen, aber er sieht die Rol­le des Staa­tes zu sehr hier­auf fo­kus­siert. Er nennt den Zu­stand des Ar­beits­lo­sen Un­frei­heit, was deut­li­cher wird, wenn man sei­ne vor­he­ri­gen Äu­sse­run­gen über die Frei­heit (wie­der­um stark christ­lich ge­prägt) be­rück­sich­tigt. Marx’ »Kon­zept« soll hier ex­em­pla­risch für die Harm­lo­sig­keit der Pro­blem­lö­sun­gen, wie sie in die­sem Buch ge­ge­ben wer­den, vor­ge­stellt wer­den. Er be­ruft sich auf die In­itia­ti­ve »Ak­ti­on Ar­beit« von Her­mann-Jo­sef Spi­tal, Marx’ Vor­gän­ger im Amt des Bi­schofs von Trier. Drei Punk­te wer­den aus dem Pa­pier von 1983 (!) im Buch skiz­ziert:

    1. Wo re­el­le Chan­cen be­stehen, steht auch nach un­se­rem Vor­schlag die Ver­mitt­lung in nicht ge­för­der­te Stel­len (Er­ster Ar­beits­markt) im Vor­der­grund. Wo kei­ne staat­li­che Ein­fluss­nah­me er­for­der­lich ist, soll­te sie auch nicht statt­fin­den.

    2. Bei Men­schen, die beim Über­gang von der Ar­beits­lo­sig­keit in ein re­gu­lä­res Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis Schwie­rig­kei­ten ha­ben, soll über ei­nen Zwei­ten Ar­beits­markt mit Ver­mitt­lungs- bzw. Qualifi­zierungsmaßnahmen, die Markt­fä­hig­keit kurz­fri­stig wiederher­gestellt wer­den.

    3. Lang­zeit­ar­beits­lo­se oh­ne ab­seh­ba­re Ver­mitt­lungs­aus­sich­ten sol­len nicht mehr aus dem Ar­beits­le­ben aus­ge­grenzt wer­den. Ih­nen ge­gen­über ist der Staat mo­ra­lisch ver­pflich­tet, durch ei­nen öf­fent­lich un­ter­stütz­ten Drit­ten Ar­beits­markt ei­ne dau­er­haf­te Teil­ha­be am Ar­beits­le­ben zu er­mög­li­chen.

Das sind hübsch for­mu­lier­te Be­kennt­nis­se – mehr je­doch lei­der nicht. Der Drit­te Ar­beits­markt ist wohl ei­ne Mi­schung zwi­schen Kom­bi­lohn­mo­dell und ei­nem staat­li­chen Ar­beits­platz­pro­gramm, wel­ches so­zu­sa­gen be­schäf­ti­gungs­the­ra­peu­tisch wir­ken soll und ver­mut­lich die gan­ze Spann­brei­te zwi­schen be­schüt­zen­den Werk­stät­ten und Übungs­firmen be­inhal­tet.

An an­de­rer Stel­le be­tont Marx die Wich­tig­keit der Er­run­gen­schaft der Ta­rif­au­to­no­mie, hat dann aber nichts da­ge­gen, auch für Min­dest­löh­ne zu sein, ob­wohl es an der Sub­stanz der Markt­wirt­schaft zeh­ren wür­de, wenn…der Staat Löh­ne fest­le­gen wür­de. Was denn nun?

Lob der Fa­mi­lie

Marx ist durch­aus ehr­gei­zig. Er möch­te so et­was wie ei­ne »neue So­zi­al­po­li­tik« kre­ieren. In die­sem Zu­sam­men­hang setzt er sich mit gro­sser Ver­ve für die Fa­mi­lie ein (Familien­gerechtigkeit). Er hält sie für ei­ne enorm wich­ti­ge Wer­te­ge­mein­schaft und kon­sta­tiert, dass al­le to­ta­li­tä­ren Ideo­lo­gien des 20. Jahrhunderts…sich ge­gen die Fa­mi­lie ge­wen­det ha­ben und an­de­re Ge­mein­schaf­ten, das Pro­le­ta­ri­at oder die Volksge­meinschaft, zur al­lei­ni­gen Grö­ße er­klär­ten (die Kir­chen sieht er hier in der Ge­gen­po­si­ti­on). Die Ar­gu­men­ta­ti­on ist da­hin­ge­hend in­ter­es­sant, weil Marx da­mit ei­nen Zu­sam­men­hang zwi­schen Fa­mi­li­en­po­li­tik und de­mo­kra­ti­scher Ge­sin­nung zu­min­dest sug­ge­riert.

We­sent­li­cher Be­stand­teil der Fa­mi­lie sind na­tür­lich Kin­der und hier stimmt Marx in das Lied der kin­der­feind­li­chen Ge­sell­schaft ein und macht sie als ent­schei­den­de Ur­sa­che für die schlech­te Ge­bur­ten­zahl in Deutsch­land aus. In dem er sei­ten­lang vor­her die fort­schreitende Öko­no­mi­sie­rung der Ge­sell­schaft an­ge­pran­gert hat (und sich en­er­gisch beispiels­weise für den frei­en Sonn­tag ein­setzt) und an­fangs schreibt, dass sich Familien­politik auch nicht als blo­ße Um­ver­tei­lungs­po­li­tik zei­gen darf, so plä­diert er am En­de des Ka­pi­tels dann doch da­für, in die Fa­mi­lie zu in­ve­stie­ren, den Gerechtigkeits­abgrund in der Be­nach­tei­li­gung von Fa­mi­li­en zu be­sei­ti­gen (oh­ne ge­nau zu sa­gen, wor­in die­ser be­stün­de) und so­mit für das ein­tritt, was al­le phan­ta­sie­ar­men So­zi­al­po­li­ti­ker im­mer zu­erst for­dern: mehr Geld bzw., freund­li­cher aus­ge­drückt (aber­mals), für Hil­fe zur Selbst­hil­fe denn Fa­mi­li­en­po­li­tik ist wie Bil­dungs­po­li­tik vor­aus­schau­en­de So­zi­al­po­li­tik (deut­li­che Par­al­le­len zu Di Fa­bio).

In An­be­tracht der Tat­sa­che, dass ei­ner­seits voll­ste Fle­xi­bi­li­tät von Ar­beit­neh­mern ver­langt wird und an­de­rer­seits das Gros der Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se in klei­nen und mitt­le­ren Un­ter­neh­men exi­stie­ren, die kaum Mög­lich­kei­ten für Kinderbetreuungs­einrichtungen oder an­de­re Fir­men­so­zi­al­lei­stun­gen an­bie­ten kön­nen, mu­ten sol­che alt­be­kann­ten Auf­ru­fe lau an. Da hilft es dann auch nichts, wenn Marx plötz­lich Paul Kirch­hoff als Kron­zeu­gen für ei­ne familiengerecht[ere] Ar­beits­welt her­vor­holt.

Cock­tail aus All­ge­mein­plät­zen

Klei­nig­kei­ten im Buch sind falsch oder ein­sei­tig. Et­wa, wenn er »Grun­dig« als Glo­ba­li­sie­rungs­op­fer dar­stellt. In Wirk­lich­keit wa­ren es gra­vie­ren­de un­ter­neh­me­ri­sche Fehl­ent­schei­dun­gen, die be­reits An­fang der 80er Jah­re das Tra­di­ti­ons­un­ter­neh­men in Pro­ble­me stürz­te. Ein an­der­mal ver­rech­net er sich, als es um die Ren­di­te ei­nes üb­len Schul­den­auf­kauf-Fonds geht. Und wenn er als Bei­spiel für die Macht des Ver­brau­chers der In­du­strie ge­gen­über geht, aus­ge­rech­net als Bei­spiel »Brent Spar« für die Ef­fi­zi­enz des me­dia­len Pranger[s] her­an­zu­zie­hen, zeugt von ei­ner ge­wis­sen Des­in­for­ma­ti­on. Über all dies könn­te man hin­weg­se­hen, wenn es nicht die gro­ssen Leer­stel­len gä­be.

Marx’ Buch hat in der Öf­fent­lich­keit gro­sse Zu­stim­mung ge­fun­den. Das liegt ver­mut­lich dar­an, dass er dia­gno­stisch das in­zwi­schen Main­stream ge­wor­de­ne Lied der pauscha­lisierten Ar­muts­re­pu­blik her­un­ter­lei­ert, da­bei fast al­le wohl­klin­gen­den sozialro­mantischen Wunsch­träu­me re­pe­tiert, die­se mit ei­ner klei­nen Pri­se christ­lich-je­­sui­ti­scher Prinzipien­strenge würzt und den Le­sern ei­nen ka­thar­ti­schen Cock­tail prä­sen­tiert, mit dem man wunder­bar auf je­der Ge­burts­tags­par­ty, Weih­nachts­fei­er oder so­gar Fern­seh­talk­show als sozial­politisches Ge­wis­sen re­üs­sie­ren kann und ganz schnell »everybody’s dar­ling« wird.

Na­tür­lich be­darf es ei­ner­seits ei­nes tief­grei­fen­den Be­wusst­seins­wan­dels in Po­li­tik und Wirt­schaft, aber auch der Ge­sell­schaft und an­de­rer­seits, par­al­lel, auch fi­nan­zi­el­ler Un­ter­stüt­zung in be­stimm­ten, ver­nach­läs­sig­ten Be­rei­chen. Das ist al­les mehr oder we­ni­ger be­kannt. Marx’ Ver­dienst ist es, nicht aus­schliess­lich mit den üb­li­chen Af­fek­ten zu argu­mentieren, son­dern oft­mals ei­ne di­ver­si­fi­zier­te Dia­gno­se ab­zu­ge­ben. Das war es aber dann auch schon.

Das Po­chen auf das Ge­bot der so­zia­len Ge­rech­tig­keit, ein Plä­doy­er für die Ra­di­ka­li­tät der Berg­pre­digt und de­ren zi­vi­li­sa­to­ri­sche Sub­stanz, das Be­schwö­ren der Ge­rech­tig­keits-Tra­di­ti­on der Kir­che, der Wunsch nach ei­nem neu­en Ge­sell­schafts­ver­trag, »Stakeholder«-Ansatz statt Share­hol­der Va­lue, Be­grif­fe wie Ge­mein­wohl­ge­rech­tig­keit, oder Vi­tal­po­li­tik oder so­li­da­ri­sche Markt­ord­nung – For­de­run­gen und For­mu­lie­run­gen von pos­sier­li­cher Harm­lo­sig­keit, ge­ra­de noch gut für das Poe­sie­al­bum des gu­ten Ge­wis­sens.

»Herz-Je­su-Mar­xist« nennt sich Marx sel­ber ein paar Mal selbst­iro­nisch. Da­bei will er doch zur Dis­kus­si­on an­re­gen und ei­ne Grund­satz­de­bat­te – um des Men­schens wil­len an­sto­ssen. Hier­für rei­chen aber die ver­ba­len Mus­kel­spie­le, die oft ge­nug be­sten­falls Ap­pell­cha­rak­ter ha­ben, bei wei­tem nicht aus. Und so lässt das Buch den kri­ti­schen Le­ser mür­risch und ver­ka­tert zu­rück.


Die kur­siv ge­druck­ten Pas­sa­gen sind Zi­ta­te aus dem be­spro­che­nen Buch.

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  1. Ein in­ter­es­san­tes Buch, un­längst gab es ein In­ter­view mit Herrn Marx im Spie­gel.

    Marx treibt die Fra­ge um: Hat Karl Marx doch recht? Ist der Ka­pi­ta­lis­mus ein not­wen­di­ges Sta­di­um der Ge­schich­te, durch das die In­du­strie­ge­sell­schaft ge­hen muss, be­vor die Ak­ku­mu­la­ti­on des Ka­pi­tals und die Ent­frem­dung der Ar­bei­ter­schaft in dem Punkt kul­mi­nie­ren, an dem die Ent­wick­lung in die kom­mu­ni­sti­sche Re­vo­lu­ti­on um­schlägt?
    ...
    Wird der Lauf der Ge­schich­te Ih­nen am En­de al­so doch Recht ge­ben, Herr Dr. Marx? Wird der Ka­pi­ta­lis­mus letzt­lich doch an sich selbst zu­grun­de gehen?...Ich hof­fe das nicht. Marx hält die kru­den ge­schichts­phi­lo­so­phi­schen The­sen in­klu­si­ve Re­vo­lu­ti­ons­dok­trin von Karl Marx wi­der­legt. Und das al­ter­na­ti­ve Mo­dell der Zen­tral­ver­wal­tungs­wirt­schaft im So­wjet­kom­mu­nis­mus je­den­falls ist voll­stän­dig ge­schei­tert und ha­be letzt­lich verheerend[e] Fol­gen für die ge­sam­te Mensch­heit ge­habt.

    Viel­leicht liegt der Grund­feh­ler al­ler (Karl-)Marxkritiker dar­in, dass sie zwei­er­lei glau­ben (ma­chen wol­len):

    • »Der Mar­xis­mus« wä­re ein mo­no­li­thi­scher Block von ideo­lo­gi­schen Lehr­sät­zen und
    • das Schei­tern al­ler so­zia­li­sti­schen Staa­ten wür­de ein Ur­teil über die wis­sen­schaft­li­che Ar­beit von Marx spre­chen.

    Ein paar zen­tra­le Aus­sa­gen von Marx sind aber mei­ner Mei­nung nach un­wi­der­legt:

    • Bei gleich­blei­ben­der Pro­duk­ti­on und stän­dig stei­gen­der Pro­duk­ti­vi­tät sinkt die Men­ge der be­nö­tig­ten Ar­beits­zeit.
    • Dem Zwang zur Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung kann sich das ein­zel­ne Un­ter­neh­men nicht ent­zie­hen, weil es sonst von der Kon­kur­renz über­flüs­sig ge­macht wird.

    Dar­aus hat Marx die Kon­zen­tra­ti­on des Ka­pi­tals und die Glo­ba­li­sie­rung ab­ge­lei­tet. Und dar­aus er­ge­ben sich zwin­gend ei­ni­ge wei­te­re Schluss­fol­ge­run­gen:

    • Wenn man die Teil­ha­be ei­nes Men­schen am Wohl­stand an sei­ne Er­werbs­ar­beit kop­pelt, dann ist stän­di­ges »Wirt­schafts­wachs­tum« un­be­dingt er­for­der­lich.
    • Wenn das nicht mehr mög­lich ist, ge­rät das ka­pi­ta­li­sti­sche (Wirtschafts)System in ei­ne Kri­se, weil ei­ne im­mer grö­ße­re Zahl von Men­schen oh­ne Ar­beit ali­men­tiert wer­den muss – und man das theo­re­tisch auch kann, weil ja die Pro­duk­ti­vi­tät stark und die Pro­duk­ti­ons­men­ge et­was we­ni­ger stark an­wächst. Ei­ne Ge­sell­schaft, die auf ei­nem gleich­blei­ben­den Ni­veau ver­harrt, ist so nicht mög­lich.

    Der Feh­ler von Marx be­stand dar­in, den am mei­sten be­nach­tei­lig­ten Men­schen im Ka­pi­ta­lis­mus (die »Ar­bei­ter­klas­se«) die Füh­rer­schaft bei den not­wen­di­gen Ver­än­de­run­gen zu­zu­schrei­ben. Aber die­ser Grup­pe fehlt u.U. die not­wen­di­ge Lö­sungs­kom­pe­tenz. Von den der­zei­ti­gen Pro­ble­men sind aber al­le Men­schen (mehr oder we­ni­ger) gleich be­trof­fen, denn es gibt nur ei­ne Er­de. Auch die Kon­struk­ti­on ei­nes Ge­gen­sat­zes zwi­schen »Plan­wirt­schaft« und »Markt­wirt­schaft« ist ab­surd, denn na­tür­lich sind ge­setz­li­che Vor­ga­ben durch die Po­li­tik Plan­wirt­schaft: Vor­schrif­ten für den Um­gang mit der Na­tur, mit den Ar­beit­neh­mern, mit der Kon­kur­renz. Und be­stimm­te wirt­schaft­li­che Tä­tig­kei­ten müs­sen so­gar ge­setz­lich ver­bo­ten wer­den, ob­wohl sie für das Ein­zel­un­ter­neh­men pro­fi­ta­bel wä­ren.

    Man ist ja schon dank­bar, dass mit den vie­len, in­zwi­schen so gän­gi­gen (meist wohl­fei­len Pa­ro­len) hier und da dann doch noch ei­ne Dif­fe­ren­zie­rung vor­ge­nom­men wird. Et­wa wenn es – wie üb­lich – heisst, dass Kin­der von so­zi­al schwä­che­ren Schich­ten schlech­te­re Chan­cen in un­se­rem Bil­dungs­sy­stem hät­ten. Nach­dem er zu­nächst den Ge­mein­platz des Zu­sam­men­hangs zwi­schen materielle[r] Ar­mut und Bil­dungs­ar­mut de­kla­miert, stellt er dann ei­ne Sei­te wei­ter fest, dass nicht pri­mär das Ein­kom­men, son­dern das Bil­dungs­ni­veau der El­tern ent­schei­dend für den wei­te­ren Bil­dungs­weg der Kin­der sei.

    Hier weiß ich nicht ge­nau, ob du dich nicht ver­schrie­ben hast. Wenn nein, dann: Es ist rich­tig, dass das Bil­dungs­ni­veau der El­tern auf den Bil­dungs­weg der Kin­der ei­nen grö­ße­ren Ein­fluss hat. Aber es si­cher auch rich­tig, dass das Ein­kom­men der El­tern ei­nen grö­ße­ren Ein­fluss auf das zu­künf­ti­ge Ein­kom­mens­ni­veau der Kin­der hat. Weil Bil­dung und Ein­kom­men nicht un­be­dingt mit­ein­an­der kor­re­lie­ren müs­sen, das ist nur ei­ne Wunsch­vor­stel­lung al­ler Auf­stei­ger aus dem Bil­dungs­bür­ger­tum.

    Laut Marx de­gra­diert ei­ne sich bloß auf Um­ver­tei­lung kon­zen­trie­ren­de So­zi­al­po­li­tik die Men­schen, de­nen ge­hol­fen wer­den muss, zu rein pas­si­ven Emp­fän­gern staat­li­cher Lei­stun­gen. Da­mit sieht Marx die Wür­de und die wirk­li­chen Be­dürf­nis­se der Men­schen nicht ge­nü­gend be­rück­sich­tigt. Sehr zu recht weist er dar­auf hin, dass Ar­beits­lo­se nicht nur an dem Ein­kom­mens­ver­lust lei­den, son­dern auch an dem Ver­lust ei­nes sinn­vol­len Tä­tig­seins und an dem Ver­lust so­zia­ler Kon­tak­te. Mit der blo­ssen Zah­lung des Ar­beits­lo­sen­gel­des sei dies nicht zu be­he­ben. Da­her steht er auch dem Grund­ein­kom­men »oh­ne Ar­beit« mehr als skep­tisch ge­gen­über.

    Das wohl zen­tra­le Miss­ver­ständ­nis al­ler Kri­ti­ker des Grund­ein­kom­mens be­steht wohl dar­in, un­ter Ar­beit stets nur be­zahl­te Er­werbs­ar­beit zu ver­ste­hen. Sie kön­nen sich schlicht nicht vor­stel­len, dass ein sol­ches Grund­ein­kom­men die in­di­vi­du­el­le Frei­heit ei­nes Men­schen ver­grö­ßern wür­de, selbst zu ent­schei­den, was und für wen er ar­bei­ten will. Die jet­zi­ge Form der Kopp­lung von So­zi­al­lei­stun­gen an Ar­beits­un­fä­hig­keit be­deu­tet ja im Um­kehr­schluss den Ar­beits­zwang, die Zwangs­ar­beit, für al­le an­de­ren. Die ei­nen se­hen die Wür­de des Men­schen ver­letzt, der kei­ne Ar­beit an­ge­bo­ten be­kommt, die an­de­ren, wenn er je­de Ar­beit an­neh­men muss.

    Marx ist durch­aus ehr­gei­zig. Er möch­te so et­was wie ei­ne »neue So­zi­al­po­li­tik« kre­ieren. In die­sem Zu­sam­men­hang setzt er sich mit gro­sser Ver­ve für die Fa­mi­lie ein (Fa­mi­li­en­ge­rech­tig­keit). Er hält sie für ei­ne enorm wich­ti­ge Wer­te­ge­mein­schaft und kon­sta­tiert, dass al­le to­ta­li­tä­ren Ideo­lo­gien des 20. Jahrhunderts…sich ge­gen die Fa­mi­lie ge­wen­det ha­ben und an­de­re Ge­mein­schaf­ten, das Pro­le­ta­ri­at oder die Volks­ge­mein­schaft, zur al­lei­ni­gen Grö­ße er­klär­ten (die Kir­chen sieht er hier in der Ge­gen­po­si­ti­on). Die Ar­gu­men­ta­ti­on ist da­hin­ge­hend in­ter­es­sant, weil Marx da­mit ei­nen Zu­sam­men­hang zwi­schen Fa­mi­li­en­po­li­tik und de­mo­kra­ti­scher Ge­sin­nung zu­min­dest sug­ge­riert.

    Was mich an sol­chen Stel­len im­mer wie­der be­lu­stigt, ist die Tat­sa­che, dass das Ho­he­lied der Fa­mi­lie am lau­te­sten von zö­li­ba­t­är le­ben­den Men­schen ge­sun­gen wird – die den All­tag von Fa­mi­li­en nur vom Hö­ren­sa­gen ken­nen und selbst nicht prak­tisch le­ben (müs­sen).

    »Herz-Je­su-Mar­xist« nennt sich Marx sel­ber ein paar Mal selbst­iro­nisch. Da­bei will er doch zur Dis­kus­si­on an­re­gen und ei­ne Grund­satz­de­bat­te – um des Men­schens wil­len an­sto­ssen. Hier­für rei­chen aber die ver­ba­len Mus­kel­spie­le, die oft ge­nug be­sten­falls Ap­pell­cha­rak­ter ha­ben, bei wei­tem nicht aus. Und so lässt das Buch den kri­ti­schen Le­ser mür­risch und ver­ka­tert zu­rück.

    Was ich den Herz-Je­su-Mar­xi­sten zu­gu­te hal­te, ist, dass sie sich nicht den Neo­li­be­ra­len (in der ne­ga­ti­ven In­ter­pre­ta­ti­on die­ses Wor­tes) un­ter­wer­fen. Ein paar Men­schen, die in Jahr­hun­der­ten den­ken und nicht in Mil­li­ar­den Eu­ro oder Mil­lio­nen Wäh­ler­stim­men, braucht un­se­re Ge­sell­schaft schon.

  2. Dan­ke für die Mü­he
    Karl Marx
    Rein­hard fragt mit Recht, war­um denn die von Karl pro­gno­sti­zier­te Re­vo­lu­ti­on nicht in den in­du­stri­ell weit fort­ge­schrit­te­nen Län­dern (wie Eng­land bzw. Gross­bri­tan­nen) statt­fand, son­dern im eher agra­risch struk­tu­rier­ten Russ­land. Die Ant­wort, die R. gibt, ist ein­fach: Die Re­vo­lu­ti­on wur­de – das ist mein Wort – ok­troy­iert. Und das steht mit Karls ge­schichts­phi­lo­so­phi­schen The­sen im Wi­der­spruch.

    Ich ken­ne Karl Marx’ Schrif­ten nur sehr ober­fläch­lich. Mag sein, dass sein Wirt­schafts­sy­stem im »Mar­xis­mus« bzw. »So­zia­lis­mus« per­ver­tiert wur­de bzw. gar nicht vor­han­den war, da es, wie Du schreibst, kein kon­zi­ses Bild gibt. Das wä­re dann wie in der Phi­lo­so­phie bei Nietz­sche, des­sen Apho­ris­men man auch für Al­les als Be­leg neh­men kann.

    Un­ser Dis­sens ist, dass Du das ak­tu­el­le Wirt­schafts­sy­stem auch als ei­ne Art »Plan­wirt­schaft« be­greifst. Das ist es je­doch nicht, denn es gibt kei­ne Vor­ga­ben, was zu er­rei­chen ist. Dar­aus fol­gert, dass na­he­zu al­le Pro­duk­te für uns vor­han­den sind – und nur der Preis (d. h. un­se­re Mög­lich­keit, den Preis zu be­zah­len) dar­über ent­schei­det, ob wir das Pro­dukt kau­fen kön­nen oder nicht. In der DDR spiel­te aber das Geld gar kei­ne Rol­le; die »Zu­tei­lung« er­folg­te hier über an­de­re Kri­te­ri­en (ich sa­ge zu­nächst gar nicht, ob die­se bes­ser oder schlech­ter sind).

    Na­tür­lich ist der Ka­pi­ta­lis­mus auf Wachs­tum an­ge­wi­sen wie mei­ne Lun­gen auf Luft. Die Fra­ge ist nur, wie die­ses Wachs­tum er­zielt wird. Ziel muss al­so ei­ne Art »Plan­wirt­schaft« im Ka­pi­ta­lis­mus sein. Das könn­te man mit neu­er Markt­wirt­schaft um­schrei­ben. Die­se Maß­nah­men müss­ten je­doch ra­di­kal und streng an Zie­len ori­en­tiert sein. Da­von sind wir Jahr­hun­der­te ent­fernt.

    Bil­dung
    Hier weiß ich nicht ge­nau, ob du dich nicht ver­schrie­ben hast. Wenn nein, dann: Es ist rich­tig, dass das Bil­dungs­ni­veau der El­tern auf den Bil­dungs­weg der Kin­der ei­nen grö­ße­ren Ein­fluss hat. Aber es si­cher auch rich­tig, dass das Ein­kom­men der El­tern ei­nen grö­ße­ren Ein­fluss auf das zu­künf­ti­ge Ein­kom­mens­ni­veau der Kin­der hat. Weil Bil­dung und Ein­kom­men nicht un­be­dingt mit­ein­an­der kor­re­lie­ren müs­sen, das ist nur ei­ne Wunsch­vor­stel­lung al­ler Auf­stei­ger aus dem Bil­dungs­bür­ger­tum.
    Das Ein­kom­men der Kin­der hat mit dem Be­ruf zu tun, den sie er­wer­ben. Der Be­ruf hat mir der Bil­dung bzw. Aus­bil­dung zu tun. Ich ken­ne Leu­te, die heu­te noch sa­gen, mein Sohn soll Bäcker oder Metz­ger wer­den – der braucht kein Ab­itur. »Das ha­be ich auch nicht.« Was das für Fol­gen ha­ben kann, brau­che ich Dir wohl nicht zu sa­gen.

    Um­ge­kehrt ken­ne ich Ar­bei­ter­fa­mi­li­en, de­ren Kin­der aufs Gym­na­si­um ge­hen. Die Kin­der wis­sen mit der 8. oder 9. Klas­se schon mehr als ih­re El­tern. Die emp­fin­den das be­le­bend und ha­ben die Mög­lich­kei­ten, die ih­nen (aus un­ter­schied­li­chen Grün­den) nicht zur Ver­fü­gung stan­den, für ih­re Kin­der er­grif­fen. Dort dien­te das Buch von frü­he­ster Zeit zu mehr als nur als Pa­pier­be­schwe­rer oder Flie­gen­tö­ter.

    Grund­ein­kom­men
    Sie kön­nen sich schlicht nicht vor­stel­len, dass ein sol­ches Grund­ein­kom­men die in­di­vi­du­el­le Frei­heit ei­nes Men­schen ver­grö­ßern wür­de, selbst zu ent­schei­den, was und für wen er ar­bei­ten will. Die jet­zi­ge Form der Kopp­lung von So­zi­al­lei­stun­gen an Ar­beits­un­fä­hig­keit be­deu­tet ja im Um­kehr­schluss den Ar­beits­zwang, die Zwangs­ar­beit, für al­le an­de­ren.
    Auf dem Pa­pier hast Du recht. In der Pra­xis wird das schei­tern. Die Leu­te wis­sen schon heu­te nichts sinn­vol­les mit ih­rer frei­en Zeit an­zu­fan­gen (ich weiss, das ist arg pau­schal – aber las­sen wir das jetzt mal so). Die Brue­gel­schen Zu­stän­de wür­den gro­sse Tei­le völ­lig über­for­dern. Hier mit Ar­beits­zwang zu ar­gu­men­tie­ren, hal­te ich für voll­kom­men ab­we­gig.

    Fa­mi­lie
    Das Marx hier von et­was spricht, was er nicht tun darf – dar­an hat­te ich gar nicht mehr ge­dacht. Er nä­hert sich aber hier stark den The­sen von Di Fa­bio an (den er ein­mal in an­de­rem Zu­sam­men­hang er­wähnt). Hier wird na­tür­lich auch an das »Seid frucht­bar und meh­ret Euch...« ap­pel­liert...

    Herz-Je­su-Mar­xist
    Ein­ver­stan­den. Aber die ne­ga­ti­ve Kon­no­ta­ti­on kommt na­tür­lich da­her, weil man den so apo­stro­phier­ten un­ter an­de­rem ei­ne zu gro­sse Theo­rie­la­stig­keit be­schei­nigt. Sie ver­ges­sen näm­lich meist den ent­schei­den­den Fak­tor: Das WIE.

    So galt ja Blüm als »Herz-Je­su-So­zia­list« in der Re­gie­rung Kohl. Sein Cre­do war das alt­be­kann­te »die Ren­ten sind si­cher« und spä­ter wur­de noch die Pfle­ge­ver­si­che­rung ge­schaf­fen. Um tat­säch­lich nach­hal­ti­ge Po­li­tik ist es ihm nicht ge­gan­gen – sonst hät­te er ei­ne an­de­re Po­li­tik ge­macht.

    »Herz-Je­su-Mar­xist« be­deu­tet für mich – neu­deutsch über­setzt: Ein Cha­ri­ty-Ak­tio­nist. Dau­er­haf­te Pro­blem­lö­sun­gen und »Vi­sio­nen« ha­be ich von die­sen Leu­ten nie ge­hört. Nur war­me Sprü­che.

  3. Marx nahm an, dass die »Re­vo­lu­ti­on« in den ent­wickel­ten ka­pi­ta­li­sti­schen Staa­ten statt­fin­den wür­de, weil dort die »Wi­der­sprü­che« des Ka­pi­ta­lis­mus am wei­te­sten ge­die­hen sind und die »Ar­bei­ter­klas­se« am zah­len­mä­ßig stärk­sten und or­ga­ni­sier­te­sten. Le­nin hat dann die­se Theo­rie in­so­fern für Russ­land mo­di­fi­ziert, als er die »füh­ren­de Rol­le der Ar­bei­ter­klas­se« durch die »füh­ren­de Rol­le der Par­tei« er­setzt hat und den Ka­pi­ta­lis­mus »in sei­nem schwäch­sten Glied be­sie­gen« woll­te. Bei­de hat­ten fal­sche Vor­stel­lun­gen von den Wün­schen der Ar­bei­ter (und al­ler Men­schen). Die Mehr­heit will kein theo­re­ti­sches Ide­al­mo­dell rea­li­sie­ren, schon gar nicht für das Wohl zu­künf­ti­ger Ge­ne­ra­tio­nen Op­fer brin­gen, son­dern selbst an­stän­dig le­ben. Das ha­ben Ge­werk­schaf­ten und SPD er­reicht, mehr als Marx er­träumt hat. Die Kom­mu­ni­sten wa­ren aber trotz­dem ganz nütz­lich, weil sie al­len ge­zeigt ha­ben, dass es ganz schnell ganz bö­se aus­ge­hen kann, wenn man nicht zu Kon­zes­sio­nen be­reit ist.

    Ich glau­be nicht, dass wir bzgl. Plan- und Markt­wirt­schaft ei­nen gro­ßen Dis­sens ha­ben. Ich woll­te nur dar­auf hin­wei­sen, dass sich be­stimm­te Zie­le nicht er­rei­chen las­sen, wenn man al­lein auf den Markt ver­traut. Die CO2-Re­duk­ti­ons­zie­le kann man nicht der Kon­kur­renz der Au­to­mo­bil­kon­zer­ne über­las­sen, hier braucht man ei­nen Plan der Po­li­tik, der den Un­ter­neh­men vor­schreibt, wie­viel Re­duk­ti­on bis wann zu er­rei­chen ist. Der Markt be­ginnt erst dann, dass man sie dar­um kämp­fen lässt, wer da­bei Plei­te geht. Ge­nau­so wer­den För­der­men­gen von Roh­stof­fen (Erd­öl) , Zins­sät­ze etc. po­li­tisch vor­ge­ge­ben. Und Kon­zer­ne pla­nen selbst auch. Die so­zia­li­sti­sche Plan­wirt­schaft ist ge­schei­tert, weil in den Plä­nen we­der die Be­dürf­nis­se der Men­schen noch die Mög­lich­kei­ten der Be­trie­be be­rück­sich­tigt wur­den – weil die Pla­ner selbst kei­ne Ah­nung hat­ten und von den Fol­gen ih­rer Ent­schei­dun­gen kaum per­sön­lich be­trof­fen wa­ren.

    Was das Grund­ein­kom­men be­trifft, in­ter­es­san­tes Do­ku­ment.

    Zi­tat gleich vom An­fang:

    In ih­rem Pi­lot­buch zur deut­schen Glo­ba­li­sie­rungs­de­bat­te be­rich­ten die bei­den SPIE­GEL-Re­dak­teu­re Hans-Pe­ter Mar­tin und Ha­rald Schu­mann als Au­gen­zeu­gen von ei­nem Ge­spräch mo­der­ner Wel­ten­len­ker. 500 Po­li­ti­ker, Wirt­schafts­füh­rer und Wis­sen­schaft­ler ver­sam­mel­ten sich auf Ein­la­dung Mi­chail Gor­bat­schows zu ei­ner Kon­fe­renz in San Fran­cis­co. Da­vid Packard, Mit­be­grün­der von Hew­lett-Packard, stell­te John Ga­ge, Top­ma­na­ger der US-Com­pu­ter­fir­ma Sun Mi­cro­sy­stems, der sich so­eben noch ge­rühmt hat­te, die „Cle­ver­sten“ Mit­ar­bei­ter zu en­ga­gie­ren, die Schlüs­sel-Fra­ge: „Wie vie­le An­ge­stell­te brauchst du wirk­lich, John?“. „Sechs, viel­leicht acht (...), oh­ne sie wä­ren wir auf­ge­schmis­sen.“ „Und wie vie­le Leu­te ar­bei­ten der­zeit für Sun Sy­stems?“ Ga­ge: „16000. Sie sind bis auf ei­ne klei­ne Min­der­heit Ra­tio­na­li­sie­rungs­re­ser­ve.“

    Das be­deu­tet nicht, dass Sun heu­te 16000 Leu­te aus so­zia­lem Mit­leid durch­füt­tert, aber es be­deu­tet, dass nach ei­ner voll­stän­di­gen Au­to­ma­ti­sie­rung in der (fer­nen) Zu­kunft 8 un­ver­zicht­ba­re Ent­wick­ler 16000 Nur-Kon­su­men­ten ge­gen­über­ste­hen. De­ren Ar­beit ist für ih­ren ei­ge­nen Le­bens­un­ter­halt nicht mehr not­wen­dig. Das be­deu­tet nicht, dass es für sie nichts mehr Sinn­vol­les zu tun ge­ben muss. Die Be­zie­hung des Ein­zel­nen zur heu­ti­gen ZwangsAr­beit än­dert sich aber fun­da­men­tal.

    Noch­mals: Es geht mir nur dar­um auf­zu­zei­gen, dass die be­zahl­te Er­werbs­ar­beit, die als Not­wen­dig­keit zum Le­bens­un­ter­halt dient, ein Aus­lauf­mo­dell ist. Wenn man das erst­mal ak­zep­tiert, kann man über­le­gen, wie man mit den Kon­se­quen­zen fer­tig wird. Weil die Al­ter­na­ti­ve, die Auf­recht­erhal­tung ei­nes Wirt­schafts­wachs­tums in Hö­he des Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schritts die Ur­sa­che vie­ler heu­ti­ger Pro­ble­me ist, u.a. in der Um­welt, und nicht auf al­le Zei­ten fort­ge­setzt wer­den kann. Der Pro­duk­ti­vi­täts­fort­schritt wird sich aber wahr­schein­lich wäh­rend der ge­sam­ten zu­künf­ti­gen Exi­stenz der Mensch­heit un­ver­än­dert fort­set­zen, viel­leicht so­gar noch be­schleu­ni­gen, wenn in­tel­li­gen­te Ma­schi­nen selbst Fort­schritt ge­ne­rie­ren.

  4. @Gregor
    Schö­ne Be­spre­chung (wie im­mer)!

    @Köppnick
    Der Feh­ler von Marx ist an ganz an­de­rer Stel­le zu su­chen (sie­he Pop­pers Kri­tik): Da­durch, dass Marx ei­ne Not­wen­dig­keit kon­stru­ier­te, und sie »be­wies«, hat er Ter­ror, Mord und Ge­walt von vorn­her­ein Ab­so­lu­ti­on er­teilt; man konn­te sich im­mer dar­auf be­ru­fen, dass man den End­zu­stand, der oh­ne­hin ein­tre­ten muss, be­gün­stigt, und da­durch not­wen­di­ges Leid so­gar mi­ni­miert.

    In der Dis­kus­si­on um die Er­werbs­ar­beit soll­te man nicht ver­ges­sen, dass ei­ne (zum größ­ten Teil) nicht aus ei­ge­ner Kraft ge­si­cher­te Exi­stenz, Ver­ant­wort­lich­keit und Per­sön­lich­keit an­greift bzw. un­ter­gräbt. Je­den­falls ken­ne ich nie­man­den, der sich auf ewig von sei­nen El­tern ver­sor­gen las­sen möch­te. Und war­um soll­te uns das glück­li­cher ma­chen, wenn das nun der Staat tut? Die Not­wen­dig­keit, dass das so kom­men muss, se­he ich nicht.

  5. @Metepsilonema
    Durch­den­ke fol­gen­des, sehr ver­ein­fach­tes Mo­dell:
    Es gibt 1000 Bür­ger. Für die Be­auf­sich­ti­gung der Gü­ter­pro­duk­ti­on wer­den 10 be­nö­tigt, die so wie heu­te be­zahlt wer­den könn­ten. Für die an­de­ren 990 gibt es kei­ne Ar­beit, die man be­zah­len müss­te. Die­ses Mo­dell ist kei­nes­falls ab­surd, es ist die ein­fa­che Fort­schrei­bung jet­zi­ger Ver­hält­nis­se in der Land­wirt­schaft auf die In­du­strie. Es wird so kom­men.

    Man kann die­ses Mo­dell der Gü­ter­pro­duk­ti­on völ­lig un­ter­schied­lich er­gän­zen, es kom­men sehr un­ter­schied­li­che Zu­kunfts­sze­na­ri­en her­aus. Mei­nes ist das mit dem Grund­ein­kom­men: Den Men­schen wer­den die zum Le­ben be­nö­tig­ten ma­te­ri­el­len Gü­ter zur Ver­fü­gung ge­stellt. Wie sie ih­re im­ma­te­ri­el­len Ver­hält­nis­se un­ter­ein­an­der re­geln, wird ih­nen (Frei­heit! Frei­heit!) weit­ge­hend selbst über­las­sen: Dienst­lei­stun­gen, Wis­sen­schaft, Rei­sen, Nichts­tun. Das ist das Mo­dell ei­ner sehr(!) fer­nen Zu­kunft.

    Mit den heu­te le­ben­den Men­schen geht das in ih­rer Mehr­heit nicht, und zwar nicht, weil es die mensch­li­che Na­tur nicht her­gibt, son­dern weil der Cha­rak­ter der Ge­sell­schaft und die Ge­stal­tung heu­ti­ger Ar­beit sie ver­korkst hat. Ar­beit wird als ein lä­sti­ger Zwang emp­fun­den. Wird sie nicht aus­rei­chend be­zahlt und stän­dig kon­trol­liert, las­sen die mei­sten den Ham­mer so­fort aus der Hand fal­len. Die­se Ar­beit mit dem Ham­mer gibt es aber in der Zu­kunft so­wie­so nicht mehr.

    Zu Pop­pers Kri­tik an Marx: Da stim­me ich mit dir (oder mit Pop­per ;-) ) ja über­ein. Marx hat sich auch auf sei­nem Spe­zi­al­ge­biet in De­tails ge­irrt. Aber aus den Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­run­gen be­reits Mit­te des 19. Jahr­hun­derts die Kon­se­quen­zen für den Wan­del des Cha­rak­ters mensch­li­cher Ar­beit zu schlie­ßen, das macht ihn für al­le Zei­ten zu ei­nem Ge­nie und be­för­dert ihn für im­mer in die er­ste Rei­he von gei­sti­gen Ti­ta­nen der Mensch­heit, so wie Freud und Ein­stein.

  6. Das mag schon stim­men, al­ler­dings bleibt hier­bei voll­kom­men un­be­rück­sich­tigt, in wel­chem Wirt­schafts­sek­tor der größ­te Teil des BIP er­wirt­schaf­tet wird, und wel­cher am per­so­nal­in­ten­siv­sten ist (Zah­len für Öster­reich), näm­lich der ter­tiä­re. Ich wüss­te nicht war­um hier auf mitt­le­re Sicht kein Be­darf an mensch­li­cher Ar­beits­kraft be­stehen soll­te, und zwar für Ar­beit, die ge­lei­stet wer­den muss (Was ma­chen wir denn mit Kran­ken und Al­ten; mit Men­schen die rei­sen wol­len; sind Schu­len und Uni­ver­si­tä­ten dann ob­so­let? ... ). Im Ge­gen­teil, wenn tat­säch­lich das Schla­raf­fen­land über uns her­ein­bricht, wer­den wir rie­si­ge Pro­ble­me be­kom­men, weil kei­ne Not­wen­dig­keit mehr be­steht, die­se An­ge­le­gen­hei­ten zu re­geln. Und ich glau­be nicht, dass das durch ei­nen »neu­en Men­schen« (der mich im­mer wie­der er­schau­ern lässt) wie Du ihn for­derst, be­ho­ben wer­den wird. Wenn der exi­sten­zi­el­le Grund für Ar­beit weg­fällt, wird sich nie­mand mehr mit der­sel­ben In­ten­si­tät ein­set­zen: War­um soll­te die Kran­ken­schwe­ster das auch tun, denn dann hät­te sie von ih­rem neu­en, un­be­schwer­ten Da­sein gar nichts, sein Mehr­wert geht ver­lo­ren, weil kei­ne Zeit bleibt.

    Aber ich ver­ste­he noch et­was an­de­res nicht: War­um »müs­sen« wir hier ein Kon­zept (Grund­ein­kom­men) ei­ner sehr(!) fer­nen Zu­kunft dis­ku­tie­ren (»ent­wer­fen«), wä­re es nicht klü­ger sich um die un­mit­tel­bar be­vor­ste­hen­de zu küm­mern?

  7. Äh, ich glau­be du hast ei­ni­ge Tei­le mei­nes Kom­men­tars über­le­sen, denn nichts an­de­res als du ha­be ich ge­schrie­ben. Ehe ich mich wie­der­ho­le, noch­mals die we­sent­li­chen Stich­wor­te: Gü­ter­pro­duk­ti­on, Dienst­lei­stun­gen, Wis­sen­schaft. Ich ha­be auch nicht den neu­en Men­schen ge­for­dert, son­dern er­war­te ei­ne Ver­än­de­rung des Cha­rak­ters der Ar­beit. Der Mensch muss al­so nicht um­er­zo­gen wer­den (wo denn, in La­gern?), son­dern er ver­än­dert sich durch die Ver­än­de­rung des Cha­rak­ters sei­ner Ar­beit.

    Die mei­sten miss­ver­ste­hen das Kon­zept des Grund­ein­kom­mens of­fen­bar voll­kom­men. Die Grund­idee be­steht dar­in, dass die mei­sten Trans­fer­lei­stun­gen (von de­nen heu­te be­reits 6 von 10 Men­schen in Deutsch­land le­ben) ver­ein­heit­licht wer­den: Ren­te, Kran­ken­geld, Ar­beits­lo­sen­geld, So­zi­al­hil­fe, Un­ter­stüt­zung für Kin­der. Rech­net man noch die steu­er­frei­en An­tei­le des Ar­beits­ein­kom­mens hin­zu, dann sind auch die rest­li­chen 4 von 10 be­reits heu­te in die­se staat­li­chen Trans­fers ein­be­zo­gen.

    Was än­dert sich dann im Ver­gleich zu heu­te? Da im Un­ter­schied zu heu­te die­se Trans­fers be­din­gungs­los er­fol­gen, be­steht für die mi­se­ra­blen bzw. schlecht be­zahl­ten Jobs in un­se­rer Ge­sell­schaft ein ge­rin­ge­rer An­reiz. Denn die sind heu­te tat­säch­lich Zwangsar­beit, denn die Be­trof­fe­nen sind ge­zwun­gen sie zu ma­chen, um nicht zu ver­hun­gern. Wo bit­te ist denn da die Frei­heit und die Wür­de?

    Die Ein­füh­rung des Grund­ein­kom­mens be­deu­tet al­so, dass die­se Tä­tig­kei­ten in Zu­kunft bes­ser als heu­te be­zahlt wer­den müs­sen, z.B. Müll­ab­fuhr, al­le So­zi­al­be­ru­fe, etc. Die zwei­te gro­ße Ge­win­ner­grup­pe sind Kin­der bzw. Fa­mi­li­en mit Kin­dern, weil de­ren Wohl­erge­hen nicht mehr nur vom Ein­kom­men der El­tern ab­hängt, son­dern sie ein da­von un­ab­hän­gi­ges Recht auf Ver­sor­gung er­hal­ten. Da in der Sum­me aber nicht mehr ver­teilt wer­den kann als er­ar­bei­tet wird, gibt es na­tür­lich auch Ver­lie­rer. Das sind die Ver­mö­gen­de­ren.

    Der theo­re­ti­sche An­satz des Grund­ein­kom­mens ist mög­lich, weil die Gü­ter­pro­duk­ti­on erst­mals in der Ge­schich­te der Mensch­heit aus­reicht, um (bei uns) al­le Men­schen nicht hun­gern zu las­sen. Bis da­to war es näm­lich so, dass das Nicht­hun­gern der Mehr­heit mit dem Ver­hun­gern ei­ner Min­der­heit er­kauft wer­den muss­te, weil es zum Nicht­hun­gern von al­len nicht ge­reicht hat. Das be­deu­tet aber für die Zu­kunft kei­nes­falls, dass es kei­ne so­zia­len Un­ter­schie­de mehr ge­ben wird und das nicht bes­se­re Lei­stun­gen bes­ser ho­no­riert wer­den. Das ist für Mo­ti­va­ti­on und Fort­schritt wei­ter­hin not­wen­dig. Aber die Mess­lat­te des Zu­mut­ba­ren für die Ver­lie­rer wird et­was hö­her ge­legt.

  8. Ich glau­be un­se­re Stand­punk­te un­ter­schei­den sich an ei­ner ent­schei­den­den Stel­le; ich ver­su­che es noch­mal her­aus­zu­stel­len.

    Es ist si­cher rea­li­stisch, dass die für die Gü­ter­pro­duk­ti­on be­nö­tig­te mensch­li­che Ar­beits­kraft wei­ter sin­ken wird (wie weit ist um­strit­ten, aber las­sen wir es mal bei­sei­te). Ge­hen wir – dei­nem Sze­na­rio fol­gend – da­von aus, dass al­le Men­schen ver­sorgt wer­den kön­nen, und zwar auf ei­nem gu­ten Ni­veau.

    Dar­aus kann man un­ter­schied­li­che Schlüs­se zie­hen:

    a) Dei­ne: Wie sie ih­re im­ma­te­ri­el­len Ver­hält­nis­se un­ter­ein­an­der re­geln, wird ih­nen (Frei­heit! Frei­heit!) weit­ge­hend selbst über­las­sen: Dienst­lei­stun­gen, Wis­sen­schaft, Rei­sen, Nichts­tun.

    b) Mei­ne: Das wird des­we­gen nicht funk­tio­nie­ren, weil es Dienst­lei­stun­gen gibt, die nach wie vor durch­ge­führt wer­den müs­sen, und die man nicht ein­fach dem »gu­ten Wil­len über­las­sen kann«. Was ich mei­ne: Wenn ich Fä­hig­keit be­sit­ze, Al­te und Kran­ke zu pfle­gen und für mei­nen Le­bens­un­ter­halt Sor­ge tra­gen muss, dann wer­de ich mei­nen Be­ruf ent­spre­chend wäh­len (die­se Be­trach­tung ist et­was idea­li­siert, zu­ge­ge­ben). Wenn mein Le­bens­un­ter­halt nicht mehr ge­si­chert wer­den muss, dann kann ich mich zwar nach wie vor um Al­te und Kran­ke küm­mern, aber ich muss das nicht mehr; und vor al­lem: Es hängt letzt­lich von mei­nem Gut­dün­ken ab (und von dem Kon­flikt, ob ich mei­ne Zeit nicht »bes­ser« ver­brin­gen kann). Und war­um ich die Pro­ble­ma­tik des »neu­en Men­schen« se­he: Heu­te wird ger­ne (und teil­wei­se auch ge­recht­fer­tigt) die star­ke In­di­vi­dua­li­sie­rung un­ser Ge­sell­schaft be­klagt; war­um soll­te das bei »un­be­schränk­ter« Ver­füg­bar­keit von Gü­tern nicht noch stär­ker zu­neh­men (der letz­te Kitt un­se­rer Ge­sell­schaft, die so­zia­le Be­dürf­tig­keit fie­le weg). Da ist mir die blo­ße Hoff­nung auf ei­nen bes­se­ren Men­schen und der Ver­weis auf die Ver­korks­ung durch die heu­ti­ge Form der Ar­beit – weil nicht wei­ter be­grün­det – zu we­nig (War­um soll­te ei­ne ge­si­cher­te ma­te­ri­el­le Ba­sis nicht eben­so ver­kork­sen?).

    Ich ha­be selbst ei­ne et­wa halb­jäh­ri­ge Pha­se er­lebt, in der ich »nichts« zu tun hat­te. Ich wür­de Ar­beit, der ich mich ger­ne und »maß­voll« wid­me, und die ei­ner Not­wen­dig­keit ent­springt, je­der­zeit vor­zie­hen.

    Ich bin auch nicht grund­sätz­lich ge­gen je­de Form des Grund­ein­kom­mens, ich se­he nur Pro­ble­me, wenn es tat­säch­lich ei­ne Ver­sor­gungs­ba­sis gibt, die un­ab­hän­gig von dem was man selbst tut, zur Ver­fü­gung steht. In er­ster Li­nie des­halb, weil ich die Er­fül­lung von exi­sten­zi­el­len Be­dürf­nis­sen aus ei­ge­ner Kraft, und durch ei­ne Tä­tig­keit mit der man sich iden­ti­fi­ziert, als ei­ne Mög­lich­keit ei­nes ge­lun­ge­nen Le­bens se­he. Ich will in kei­ner Art und Wei­se Aus­nut­zung und pre­kä­re Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se recht­fer­ti­gen.

  9. Ich glau­be eben nicht, dass das be­zahl­te Er­werbs­ar­beit ein Aus­lauf­mo­dell ist, denn auch das Geld für das Grund­ein­kom­men muss er­wirt­schaf­tet wer­den, d. h. das Ab­strak­ti­ons­mit­tel Geld muss »ver­dient« wer­den, da­mit es an­de­ren zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den kann – es sei denn, wir ge­hen zu­rück zur Tausch­wirt­schaft.

    Wenn das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men (bGEK) schlecht be­zahl­te Jobs über­flüs­sig macht (sie sind es im üb­ri­gen heu­te schon) – war­um soll­te man sich dann noch mit Bil­dung ab­quä­len, wenn ei­nem das bGEK eh schon »si­cher« ist? Und Me­tep­si­lo­n­e­ma hat recht: War­um soll­te die Kran­ken­schwe­ster, der Al­ten­pfle­ger, der Po­li­zist, der Feu­er­wehr­mann, der Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor oder der In­ge­nieur sich wei­ter­hin ab­rackern?

    Was über­se­hen wird, ist das, was R. Marx schreibt: Die in­di­vi­du­el­le und auch so­zia­le »Ver­wirk­li­chung« (klingt ein biss­chen 70er-Jah­re ge­mäss) des In­di­vi­du­ums im Pro­zess des­sen, was man Ar­beit nennt. Dass al­le Leu­te un­lu­stig zur Ar­beit ge­hen, ist ein Mär­chen – aber wenn sie das Geld so­wie­so be­kom­men, wer­den sie sich ei­nem ge­re­gel­ten, pro­zes­sua­len Ab­lauf ver­su­chen zu ent­zie­hen. Die Kran­ken­schwe­ster wird »ne­ben­bei« hel­fen; der Al­ten­pfle­ger die Nach­ba­rin ge­gen ein klei­nes Zu­brot ver­sor­gen, der Pro­fes­sor Pri­vat­stun­den ge­ben, etc.

    Statt die schlecht qua­li­fi­zier­ten Leu­te von den Trans­fer­lei­stun­gen her­un­ter­zu­brin­gen (wie auch im­mer), plä­die­ren die Be­für­wor­ter des bGEK für ei­ne 100%-Dichte. Dass be­reits jetzt je­der Vier­te mehr oder we­ni­ger von Trans­fer­lei­stun­gen ab­hän­gig ist, wird zur Ba­sis da­für, dass es al­le wer­den. Üb­ri­gens oh­ne die Im­pli­ka­tio­nen für die Ge­samt­wirt­schaft zu be­rück­sich­ti­gen (sie­he oben) und auch das Aus­land ein­zu­be­zie­hen. Da ist dann wie­der das Mau­er­den­ken prä­sent: Wir ba­steln uns un­ser ei­ge­nes Sy­stem – egal, wel­che Fol­gen das hat.

    Das bGEK ist letzt­lich ei­ne Re­vi­ta­li­sie­rung des So­zia­lis­mus, der zwar nicht für al­le ge­nug zu tun hat­te, aber je­dem ei­ne ge­wis­se Grund­ver­sor­gung zu­ge­stand (die mit ei­ner ge­wis­sen po­li­ti­schen und sy­ste­mi­schen Op­por­tu­ni­tät er­kauft wur­de). Ab­ge­schwächt ha­ben wir das üb­ri­gens mit ALG II schon (die ein­zi­ge »Be­din­gung« ist eben die Be­dürf­tig­keit).

    Die Gü­ter­pro­duk­ti­on wird üb­ri­gens nicht mehr die Her­aus­for­de­rung auf dem Ar­beits­markt sein – im Prin­zip gibt es heu­te be­reits viel zu viel über­flüs­si­ges Zeugs. Und wenn tat­säch­lich ir­gend­wann auch je­der Afri­ka­ner ein Au­to, ei­nen Fern­se­her und ei­ne Wasch­ma­schi­ne hat, ist die Er­de ver­mut­lich öko­lo­gisch kol­la­biert.

    Der Hun­ger ist theo­re­tisch schon seit Jahr­hun­der­ten be­siegt – nur ei­ne fal­sche Ver­la­ge­rung von Res­sour­cen so­wie un­fä­hi­ge po­li­ti­sche und so­zia­le Sy­ste­me in an­de­ren Län­dern hal­ten die Un­ge­rech­tig­kei­ten auf­recht.

    @Köppnick
    Die Kom­mu­ni­sten wa­ren aber trotz­dem ganz nütz­lich...
    Ob das die schät­zungs­wei­se 100 Mil­lio­nen To­ten des Kom­mu­nis­mus ähn­lich se­hen? Ich wa­ge das mal zu be­zwei­feln. (Ich weiss na­tür­lich, was Du meinst, aber mit ähn­li­chem fast he­ge­lia­ni­schen Ge­schichts-Zy­nis­mus könn­te man auch den Zwei­ten Welt­krieg be­trach­ten.)

  10. #8
    Da sind wir uns doch fast 100%ig ei­nig! Es ist doch klar, dass ein sol­cher An­satz wie der mit dem Grund­ein­kom­men nicht von ei­nem Tag auf den an­de­ren ein­ge­führt wer­den kann, ge­nau­so wie die von Götz Wer­ner par­al­lel vor­ge­schla­ge­ne ra­di­ka­le Än­de­rung des Steu­er­sy­stems. Man kann das nur in mi­kro­sko­pi­schen Schrit­ten pro­bie­ren und nach je­dem Schritt sich ge­nau an­se­hen, wel­che tat­säch­li­chen Aus­wir­kun­gen es hat.

    Das, was wir jetzt ma­chen, ist je­den­falls nicht zu­kunfts­fä­hig. Die al­te Bun­des­re­pu­blik hat­te noch in den 80er Jah­ren ein funk­tio­nie­ren­des So­zi­al­sy­stem mit ge­wis­sen Un­ter­schie­den zwi­schen Arm und Reich. Wäh­rend die Pro­duk­ti­vi­tät und auch die zur Ver­fü­gung ste­hen­de Wa­ren­men­ge seit­her stän­dig ge­stie­gen ist, gilt auf ein­mal das So­zi­al­sy­stem als nicht mehr fi­nan­zier­bar. Als Be­grün­dung dient die Glo­ba­li­sie­rung. Um das zu wi­der­le­gen, braucht man nicht mal Ab­itur.

    Deutsch­land pro­fi­tiert von der Glo­ba­li­sie­rung, die Sum­me der Ver­mö­gen al­ler Deut­schen ist ge­stie­gen. Aber die Sche­re zwi­schen Arm und Reich ist aus­ein­an­der ge­gan­gen. D.h. durch die Glo­ba­li­sie­rung sind die Deut­schen nicht är­mer ge­wor­den, son­dern le­dig­lich die Ver­tei­lung ist noch un­glei­cher ge­wor­den. Die durch das Grund­ein­kom­men in Gang ge­setz­ten Me­cha­nis­men wür­den dem ent­ge­gen­wir­ken. Und sie wür­den das auf ei­ne sanf­te und zu­kunfts­fä­hi­ge Wei­se tun und nicht durch Ge­walt.

    Du hast das So­zi­al­sy­stem an­ge­spro­chen, ich ken­ne ei­ni­ge Leu­te, die ha­ben we­gen der Pfle­ge von An­ge­hö­ri­gen ih­ren Be­ruf auf­ge­ge­ben. Und vie­le von uns füh­len sich zu ih­rem Be­ruf hin­ge­zo­gen. In bei­den Fäl­len sind die At­trak­to­ren si­cher­lich nicht nur ge­ne­ti­sche Ver­bun­den­heit oder der Drang zum Geld­ver­die­nen. War­um soll­te ei­ne Ge­sell­schaft nicht funk­tio­nie­ren, in dem man (in ei­nem lan­gen Pro­zess) aus je­dem Men­schen po­si­ti­ve Ei­gen­schaf­ten her­aus­kit­zelt? (Und wenn die Pro­duk­ti­vi­tät noch grö­ßer ge­wor­den ist, kommt un­se­re Ge­sell­schaft si­cher auch mit ei­nem ge­wis­sen Pro­zent­satz Leu­ten klar, die sich die­sem mo­ra­li­schen An­spruch und der Ver­ant­wor­tung ge­gen­über der Ge­mein­schaft ent­zie­hen.)

  11. Ich mein­te da­mit le­dig­lich, dass die ver­gleichs­wei­se gu­ten so­zia­len Be­din­gun­gen in der al­ten Bun­des­re­pu­blik (auch im Ver­gleich zu GB und den USA) auf die Exi­stenz ei­nes zwei­ten deut­schen Staa­tes zu­rück­zu­füh­ren wa­ren.

    Zum Grund­ein­kom­men ha­be ich für die­ses Mal ge­nug ge­schrie­ben, Fla­sche leer so­zu­sa­gen.

  12. hier­mit ei­ne ganz gu­te karl-mar­xi­sti­sche ana­ly­se
    hier­mit ei­ne ganz gu­te karl-mar­xi­sti­sche ana­ly­se des ka­puts des ka­pi­ta­lis­mus:

    http://www.wsws.org/articles/2008/dec2008/nbe4-d23.shtml

    und auch ein vom no­bel preis trae­ger al­fred stieg­litz:

    al­so fro­he weih­nach­ten fei­ern wohl nur die gro­ssen wall street bon­zen die von der ei­ge­nen re­gie­rung ge­ret­te­ted wur­den mit bis jetzt un­ge­fair min­de­sten ei­ner tril­li­on.... da ihr sy­stem an­geb­lich fuer den er­halt der gan­zen kla­mau­ke wich­tig. dass ich nicht la­che wie die es tun!

  13. vom schö­nen Bild
    Wie­der ei­ne schö­ne Buch­be­spre­chung. Das schät­ze ich an Dei­nem Blog. Auch wenn man in den Wer­tun­gen ein­zel­ner Pas­sa­gen mehr über Dei­ne po­li­ti­sche Ein­stel­lung er­fährt als über das Buch.

    „In ei­nem schö­nen Bild zeigt sich Marx’ em­pha­ti­sche Sicht auf den glo­ba­len Han­del, als er sum­miert Es geht nicht dar­um, ei­nen vor­han­de­nen Ku­chen zu tei­len, son­dern ei­nen grö­ße­ren Ku­chen zu backen.“

    Man muss die­se Sicht auf den glo­ba­len Han­del nicht mit Em­pa­thie er­klä­ren, man könn­te auch ver­mu­ten, dass Marx sich mit den Grund­la­gen der Au­ßen­wirt­schafts­theo­rie (Ri­car­dos Theo­rie der kom­pa­ra­ti­ven Ko­sten­vor­tei­le) be­schäf­tigt hat. Das schö­ne Bild mit dem Ku­chen hat al­ler­dings Er­hard er­fun­den:

    „Es ist sehr viel leich­ter, je­dem ein­zel­nen aus ei­nem im­mer grö­ßer wer­den­den Ku­chen ein grö­ße­res Stück zu ge­wäh­ren als ei­nen Ge­winn aus ei­ner Aus­ein­an­der­set­zung um die Ver­tei­lung ei­nes klei­nen Ku­chens zie­hen zu wol­len, weil auf sol­che Wei­se je­der Vor­teil mit ei­nem Nach­teil be­zahlt wer­den muß.“

    Um wie viel ist das Stück­chen in den letz­ten fünf Jah­ren grö­ßer ge­wor­den? 7,5%. Pro Jahr. Für das Ka­pi­tal – nicht für je­den ein­zel­nen.