Inzwischen kommt kaum noch eine Diskussion über den Euro und die entsprechenden (sogenannten) Stabilisierungsmaßnahmen ohne warnende Hinweise aus. Bereits vor einigen Monaten beschwor der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker (der auch gleichzeitig Ministerpräsident einer europäischen Steueroase ist), wenn der Euro scheitere, würde Europa wieder drohen, in die Barbarei des Krieges zurückzufallen (»Ein Tag Krieg in Europa ist teurer als uns die ganze Euro-Rettungsaktion jemals kosten wird«). Als hätte man bis 2000 im Kriegszustand mit Frankreich gelebt und aktuell deutsche Truppen an den dänischen und schweizer (Nicht-EU!) Grenzen stehen würden. Diese Drohung wird in unterschiedlichen Nuancen artikuliert. Wenn der Euro scheitere, so die noch harmloseste Variante, scheitere die europäische Integration. Darf man daran erinnern, dass die Gründer der EWG eine gemeinsame Währung gar nicht intendierten?
Man muß davon ausgehen, dass das wahre Ausmaß der Schwierigkeiten dem »normalen« Bürger nicht bekannt ist. Das Indiz dafür ist diese fast obszöne Durchhalterhetorik, die sofort denunziatorisch daherkommt: Wer gegen die in EU-Runde beschlossenen Maßnahmen sei, sei im Kern ein Anti-Europäer. Wie immer ist derjenige, der nicht mit dem Rudel läuft, immer auch der Verräter. Wer eine abweichende Meinung vertritt, macht sich sofort der Apostasie schuldig. In diesen Tagen beginnt man zu ahnen, wie Diktaturen funktionieren. Dagegen waren die griechischen Nazi-Karikaturen über Deutschland und Merkel aus dem Jahr 2010 fast niedlich.
Die deutsche Bundesregierung ist gleich mehrfach eine Getriebene. Einerseits wird sie als Vertreter der (noch) größten und (noch) potentesten Wirtschaftmacht Europas hoffiert – andererseits kann sie inzwischen längst in den Gremien der EZB überstimmt werden. Hinzu kommt, dass insbesondere die Abgeordneten des Europäischen Parlaments in einer seltsamen Symbiose mit einigen Journalisten der Kanzlerin zu wenig Pathos für Europa unterstellten. Man kann nicht verstehen, warum die Kanzlerin keine Freude dabei empfindet, ständig erpresst zu werden.
Während sich der EZB-Notenbankpräsident Trichet mit diversen Orden behängen lässt, bricht er durch den Zukauf von Staatspapieren angeschlagener Länder die Statuten seines Instituts. Die EP-Abgeordneten ficht das nicht an – sie stehen zu Trichet. Rechtsbrüche sind bei ihnen durch die Gesinnung geadelt. Wer glaubt, in Berlin existieren Parallelwelten zwischen türkisch dominierten und deutschen Stadtteilen, muss in punkto EU-Parlament und ökonomischer Realität von Paralleluniversen reden. Die Treibhäuser stehen in Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Dafür muss man nicht Enzensberger lesen. Exemplarisch: Fast hätte man bei der Anhörung Trichet auf den Schultern aus dem Europäischen Parlament getragen.
Zur Realität gehört auch: Der Euro war in Deutschland nie beliebt. Das lag nur zum Teil daran, dass er keine basisdemokratische Legitimation in Deutschland hatte. Die Deutsche Mark war zu sehr Ersatzsymbol einer Nation, der ein »normaler« Patriotismus in Anbetracht der Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges ausgetrieben wurde. Kohl hatte keine andere Wahl – er ahnte, dass er die Konsequenzen aus seinem Eurotum nicht mehr zu tragen hat. Die Indoktrination, die nachweisen sollte, dass der Euro kein »Teuro« ist, verfing nicht. Zu durchsichtig waren die Manipulationen. Trotz Wohlstand ist die Reallohnentwicklung in Deutschland seit Einführung des Euro rückläufig. So konnte keine Liebe aufkommen. Die Finanzkrise 2008 hatten wir, so die Politik, aufgrund des Euro so gut überstanden. Kurz schien eine Annäherung möglich. Aber dann kam Griechenland.
Überall schallt es: Deutschland als Exportnation profitiert vom Euro. Als hätte Deutschland vorher nichts exportiert. Vergessen wird dabei auch, dass die Produkte nicht wegen des Euro gekauft werden, sondern vermutlich wegen ihrer Qualität. Mehr als 60% der deutschen Exporte gehen in EU-Länder, deren Wechselkurse vor dem Euro bereits ziemlich stabil waren. Im übrigen ist der seit fast drei Jahren starke Euro (im Verhältnis zur Weltleitwährung US-Dollar) eher eine Exportbremse gewesen.
Der Euro wird mit schein-pathetischem Gerede zur Schicksalsfrage über Krieg und Frieden stilisiert und damit abermals in politische Geiselhaft genommen. Die Moralisierung des Euro wirkt überraschend verzweifelt. Schon die Maastricht-Verträge waren politische Kontrakte, die essentielle ökonomische Details nonchalant ausblendeten. Als der damalige Bundesbankpräsident Pöhl gegenüber Kohl Einwände formulierte, bürstete dieser ihn ab. Dies sei seine Aufgabe. Pöhl trat zurück; wie aktuell Weber und Stark. Damals wie heute waren Bedenkenträger unerwünscht. Jeder Zweifler ist »uneuropäisch« (Juncker).
Das System hat gerade einmal zehn Jahre funktioniert. Jetzt bricht sich eine entfesselte Realökonomie Bahn; eine Verschleierung der Probleme ist nicht mehr möglich. Man kann keine Währungsunion haben und gleichzeitig betreiben 17 Volkswirtschaften eine eigene Politik. Der Euro scheitert im Zweifel nicht an zu viel sondern an zu wenig Europa. Wenn man allerdings das aktuelle politische Personal Europas betrachtet, weiss man nicht so recht, ob man damit mehr Europa haben möchte.
Die Erhaltung des unhaltbaren Status quo zwingt schon zu Vertragsbrüchen. Andere Vertragsbrüche werden mit dem Argument abgewehrt, dass es sich um Vertragsbrüche handele. Um buchstäblich jeden Preis werden die politischen Wolkenkuckucksheime mit der Implementierung neuer bürokratischer Institutionen weiter gepflegt und die Durchhalteparolen mit bösartigen Endzeitszenarien garniert.
Tatsächlich werden ja längst nicht die Staaten gerettet. Die Demonstranten in Griechenland spüren das. Sie sind mitnichten Anti-Europäer. Sie haben nur keine Lust, für die Versäumnisse der politischen Klase ihres Landes und Griechenlands alleine zu haften. Dabei geht schon längst nicht mehr um Griechenland. Es geht um die Banken, die mit griechischen Anleihen (und auch anderen EWWU-Anleihen) spekuliert haben. Die politische Kraft, Banken zu zähmen (mittels neuer Eigenkapitalregeln), sie aufzuteilen (in autarke Geschäfts- und Investmentbanken), fehlt. In allen Rollenspielen geht es immer auch um die Frage, wie man die Banken rettet. Dass diese genuin private Unternehmen sind, scheint nur für die Gewinne zu gelten; Verluste werden wie selbstverständlich als soziale Aufgabenstellung betrachtet.
Die Methoden, die man aktuell zur »Sanierung« Griechenlands anwendet, sind schon in den 1990er Jahren in Jugoslawien gescheitert. Es wurde versucht zu sparen – mit dem Ergebnis, dass die Volkswirtschaft vollständig kollabierte. Dann brachen dort die Kriege aus – nicht zuletzt weil die vergleichsweise wohlhabenden Länder nicht mehr für die maroden einstehen wollten.
Die Entscheidung über den EFSM-Rettungsschirm sei keine »Gewissensentscheidung« poltert der CDU-Fraktionsvorsitzende Kauder in seine Fraktion. Will sagen: Ihr habt abzustimmen wie eine Viehherde – einheitlich. Das Grundgesetz wird – wieder einmal – sanft, aber bestimmt außer Kraft gesetzt. Was Gewissensentscheidung ist, bestimmen wir. Prinzip Nordkorea, sozusagen. Wieso wundert man sich eigentlich noch über eine sinkende Wahlbeteiligung?
Ende September stellt die Kanzlerin vielleicht sogar noch die Vertrauensfrage. Letztes Aufbäumen um die Unvernunft doch noch zum Pyrrhussieg zu verhelfen. Diejenigen, die heute am lautesten »Europa« rufen könnten am Ende als diejenigen identifiziert werden, die es ungewollt zerstört haben. Es ist ja selten, dass der gute Wille immer mit gutem Handeln in Zusammenhang steht.
Man sollte vielleicht wieder einmal Doris Lessings »Memoiren einer Überlebenden« lesen.
Das oben beschriebene Unbehagen, die Verärgerung, ja, die sich mehr und mehr bahnbrechende Wut über die groteske Hilflosigkeit der politisch Verantwortlichen, ist ja mittlerweile mehr als verständlich. Wir, also die gemeinen Bürger, haben von den finanz- und wirtschaftspolitischen Zusammenhängen keine Ahnung und stellen nun fest, dass diejenigen, auf die wir uns verlassen haben, deren „Vertraue mir!“- Rhetorik wir mangels besseren Wissens, skeptisch zwar, aber dennoch vertrauten, im besten Falle genauso unbedarfte Laien sind. Im besten Fall, denn ganz sicher gibt es unter den „Volksvertretern“ eine erkleckliche Anzahl, die als Diener bestimmter Herren ausgesandt wurden, die pekuniären Interessen Letzterer zu wahren. Denen ist keine Lüge zu blöd, kein Kriegs- und Horrorszenario zu absurd, wenn nur die Angst die Bereitschaft fördert, Steuermilliarden in private Taschen umzuleiten.
Bei Tagesschau.de findet man heute eine Beschreibung der Eventualitäten im Falle einer Griechenland-Pleite. Die ist ja, glaubt man den meisten „Fachleuten“, nicht mehr abzuwenden. Na dann, viel Spaß.
Wenn es nicht eine Plattitüde wäre könnte man sagen, die Politik verhalte sich wie der berühmte Zauberlehrling:
Nein, nicht länger
kann ichs lassen;
will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!
O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
doch schon Pleiteströme laufen.
Das Ende ist dann durch den »alten Meister« versöhnlich:
“In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen.
Denn als Geister
ruft euch nur, zu diesem Zwecke,
erst hervor der alte Meister.”
Plattitüde? Nein, absolut passend. Nur auf das versöhnliche Ende mag ich kaum noch hoffen.
»Die politische Kraft, Banken zu zähmen (mittels neuer Eigenkapitalregeln), sie aufzuteilen (in autarke Geschäfts- und Investmentbanken), fehlt. In allen Rollenspielen geht es immer auch um die Frage, wie man die Banken rettet. Dass diese genuin private Unternehmen sind, scheint nur für die Gewinne zu gelten; Verluste werden wie selbstverständlich als soziale Aufgabenstellung betrachtet.« (Gregor Keuschnig)
Dieses. Wenn es nach mir ginge, kann über eine Verstaatlichung von Banken als reine Guthaben- und Kreditverwaltungen mit geringen, aber sicheren Profiten nachgedacht werden. So gilt leider das Marxsche Wort von den Kapitalisten, die sich ganz zuletzt wechselseitig den Strick verkaufen werden, an dem sie sich aufhängen. Nicht ohne zuvor alles veräußert und im Marktwert verschlissen zu haben: Mensch, Tier, Boden. Arbeitskraft und Produkt.
Es schaut wirklich nicht gut aus. Der (Bürger-)Krieg in einem verarmten Europa und die Zunahme der seit 2001 staatlich geförderten Autokratie im Gewand des Überwachungs- und »Präventivstaates« – durchaus auch auf gesamteuropäischer Ebene – sind keine Schreckensszenarien – es sind mittelfristige Konsequenzen. Sogar kurzfristige, da schnelle Systeme schnell kollabieren.
Schonungslose, gute Analyse, Herr Keuschnig.
Ein wenig verblüfft mich doch der blinde Fleck, was die Bewertung der Wirtschaftskraft Deutschlands betrifft. Im Jahr 2010 exportierte Deutschland Waren und Dienstleistungen im Wert von knapp einer Billion Euro bei einem Bruttoinlandsprodukt (nominal) von knapp 2,5 Billionen Euro. Die Exportquote betrug fast 40%. Dabei ergab sich ein Überschuss der Exporte über die Importe von gut 153 Millarden Euro. Im Vorkrisenjahr 2007 waren es mehr als 195 Millarden Euro (alle Zahlen aus Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden – 2010 betreffend: vorläufig) Zum Vergleich: das BIP Griechenlands wurde im Jahr 2007 mit rund 227 Millarden Euro bewertet und 2010 mit 230 Millarden (Quelle: Eurostat) Was des einen Überschuss, sind der anderen Schulden, das sollte nicht übersehen werden. Daran ließen sich noch einige weitere unbequeme Schlussfolgerungen knüpfen.
Würden die »Olivenstaaten« aus der Währungsunion austreten, bedeutete das ein ersehntes Ende der Stützungen durch die verbleibenden Euroländer. Denn diese Staaten könnten sich dann mit Abwertungen der eigenen Währungen und Umschuldungen aus eigener Kraft sanieren. Die eigene Währung ist übrigens eine unscheinbare Zugangsvoraussetzung für Gespräche im »Club de Paris« und in dessen Banken-Pendant, dem »Club of London«. Mit einer Gemeinschaftswährung ist das schlicht unmöglich.
Würde hingegen Deutschland aus der Währungsunion austreten, wäre das eine Wohltat für die Exportwirtschaft aller übrigen Eurostaaten. Denn eine wiedereingeführte Deutsche Mark wäre mit einem Aufwertungsdruck von geschätzt wenigstens 50% gegenüber dem Euro konfrontiert und würde Importe aus Deutschland demzufolge empfindlich verteuern. Genau darin nämlich liegt der Vorteil des Euro für Deutschland: er verleiht dem Wolf den sprichwörtlichen Schafspelz.
Beide Vorgänge übrigens, der Austritt der »Olivenstaaten«, wie jener Deutschlands aus der Währungsunion würde den verbleibenden Euroraum nachhaltig stabilisieren.
Ein prominenter Vertreter der »Nord/Süd«-Teilung des Euroraums ist Hans-Olaf Henkel.
Die Reallohnverluste in Deutschland dem Euro anlasten zu wollen, ist meines Erachtens haltlos. Denn diese Entwicklung ist wirtschaftlich (in der starren Folge politisch) so gewollt und von ängstlichen Arbeitnehmern fast widerstandslos hingenommen. Diese Randnotiz sei mir gestattet.
Dass im Beitrag von Realökonomie gesprochen wird, die sich entfesselt Bahn breche, halte ich indes für einen Schreibfehler. Tatsächlich ist es die Finanzökonomie, die sich zügellos verhält – weshalb, ist sattsam bekannt (man denke an die ungeregelten Finanzplätze außerhalb des EU-Raums, welche mit einem mickrigen Ruderboot erreicht werden könnten). Während in der Realwirtschaft greifbare Waren und Dienstleistungen erzeugt und bewegt werden, handelt die Finanzwirtschaft, z.B. Investmentbanken, ausschließlich mit Phantasien. Letztere sind’s auch, die fälschlicherweise für »systemrelevant« gehalten und deshalb wegen ihrer Engagements in griechischen Staatsanleihen (mit Renditeerwartungen von 18%, man lasse sich das auf der Zunge zergehen) gestützt werden. Von diesen Phantasien sind die Hirne führender Politiker und Eliten schlechthin durchsetzt, was auch als krankheitswertig beurteilt werden könnte. Aus diesem Umstand einerseits erklärt sich mir das schwülstige Politikergeschwafel in Bezug auf die Unverzichtbarkeit des Euro für die Europäische Integration (da sind noch neun andere EU-Staaten, die immer noch ihre eigenen Währungen haben – das nur zur Erinnerung). Andererseits trägt zur tragischen Entwicklung bei, dass kaum jemand mehr willens ist, selbständig zu denken. Denn wir Mittelschichtler haben ja auch so unsere Erwartungen an Zukunftsvorsorge, Lebensstandardsicherung im Alter, mit Lebensversicherungen als Tilgungsträger unterlegte Fremdwährungskredite, nicht wahr?
In Griechenland, aber ganz gewiss nicht dort allein (siehe Spanien, Portugal und Irland) erwacht diese kritische Denkfähigkeit. Darauf weisen Sie völlig zutreffend hin. Deren Kritikfähigkeit trifft aber auch Deutschland. Schmerzhaft. Das sollte in diesem Zusammenhang nicht so einfach übergangen werden.
@Michael Plattner #4
Hinter dem Gedanken der Verstaatlichung von Banken steckt die Prämisse, dass staatliche »Unternehmen« per se besser wirtschaften. Dieser Beweis ist in dieser Konsequenz bisher nicht erbracht worden (auch wenn Frau Wagenknecht dies anders sieht). Ich halte es im Falle der Banken auch für nicht wünschenswert.
Ein wichtiger Schritt wäre es, wenn Banken gezwungen wären, sich entweder als »normale« Geschäftsbanken »aufzustellen« oder Investmentbanking zu betreiben. In den USA war das seit den 1930er Jahren per Gesetz getrennt (Glass-Steagall-Act). Clinton hatte das Ende der 90er Jahre aufgehoben (die Konsequenzen hieraus erkennt er nicht). Beachten Sie, dass inzwischend ie Deutsche Bank bis zu 90% ihres Gewinns der Investmentsparte verdankt. Gibt es hier Einbrüche oder gar andere Bewertungsgrundlagen reisst es die gesamte Deutsche Bank – also auch das Spar- und Kreditgeschäft – in den Orkus. Das macht Banken ganz schnell »systemrelevant« und somit quasi sakrosankt. Gäbe es getrennte Häuser (die nicht mit irgendwelchen Holding-Tricks miteinander verbunden sind), wäre der Absturz der Investmentbank irrelevant für die Sparguthaben der Bürger und Kreditverträge der Unternehmen. Verluste könnten endlich privatisiert werden. (Lehman ließ man von seiten der US-Regierung pleite gehen, weil es sich um eine fast »reine« Investmentbank handelte. Es war mehr als Fanal gedacht, wobei man schon beim Versicherungskonzern AIG einknickte.)
@Kienspan #5
Vielen Dank für diese Erläuterungen.
Zwei Klarstellungen: Wenn ich von »Realökonomie« spreche, die sich entfesselt Bahn bricht, so rede ich von der generell globalisierten Ökonomie, die sich zum Teil nicht so entwickelt, wie man sich das durch die Deregulierungen erhoffte. Statt »Realökonomie« hätte vielleicht besser »Realität« geschrieben, um dies zu verdeutlichen.
Natürlich laste ich dem Euro nicht an, dass in Deutschland die Reallohneinkommen nicht gestiegen sind. Aber es haben sich eben die vollmundigen Versprechungen, die man mit der Euro-Einführung den Leuten machte, nicht erfüllt. Eher im Gegenteil: Gefühlt wurde der Euro zum »Teuro« (und manchmal ist das nicht für »gefühlt« sondern Realität und wird nur mit allerlei Statistiktricks nivelliert). Eine Liebe konnte so nicht aufkommen. Praktisch von Anfang an wurde den Verbrauchern suggeriert, wie toll und wie unverzichtbar wichtig der Euro sei – an der Lebenswirklichkeit hat sich jedoch nichts verändert, außer dass man beim urlaub nach Spanien, Italien oder Österreich kein Geld mehr tauschen musste (und sich wunderte, wie teuer diese Länder geworden waren).
Dass der Euro die deutschen Exporte verbilligt bzw. ein Ausscheren Deutschlands aus der Eurozone die anderen Exportwirtschaften aufatmen ließe, glaube ich so nicht. Italien exportiert nun einmal andere Produkte als Deutschland. Deutsche Produkte werden in der Regel nicht aus Preis- sondern aus Qualitätsgründen gekauft. Natürlich kommt immer das Argument mit der Automobilindustrie – einer der wenigen Industriezweige, in dem die deutsche Exportwirtschaft massivem Wettbewerb ausgesetzt ist (die Chemieindustrie wäre eine andere Branche – aber hier ist die Fertigung auch dank der EU-Gesetzgebung schon sehr stark in Drittländer gewandert). Aber hier dürfte ein verschärfter Wettbewerb um umweltverträglichere Produkte nicht schaden.
Ihr abschließender Hinweis auf die Zukunftsvorsorge wirft bei mir die Frage auf, ob man gerade deshalb nicht in andere Richtungen denken sollte. gerade darum geht es doch zur Zeit überhaupt nicht. Zukunftsvorsorge wäre, dem leckende Dach nicht dadurch zu begegnen größere Eimer zu kaufen, damit das Regenwasser länger aufgefangen werden kann, sondern von erfahrenen Dachdeckern Angebote einzuholen, wie man das Dach dauerhaft reparieren könnte, ohne dass beim nächsten Sturm die Ziegel erneut abgetragen werden.
Und man fühlt sich nur noch hilflos angesichts der nicht erfüllten Versprechen. Und für mich ist der Teuro auch nicht nur gefühlt, sondern real erlebbar. Beispielsweise was die Gastronomie, insbesondere Getränke, betrifft – kann sich jemand erinnern, in einem 08–15 Lokal für eine große Apfelschorle 8 DM bezahlt zu haben? Ich denke nicht. Man darf also gespannt sein...
Glaubensfragen wollte ich ganz bestimmt nicht zur Diskussion gestellt haben. Ich rege also ergänzend an, folgendes zu überlegen: zum Zeitpunkt der Euroausgabe vor zehn Jahren waren die Wechselkurse so, dass
1 CHF = 1,21 DEM = 0,66 EUR
1 EUR = 1,96 DEM
Heute gilt
1 CHF = 0,83 EUR
Da wir vor der Währungsunion praktisch stabile Wechselkurse zwischen den Hartwährungsländern kannten, die ohne jegliche vertragliche Verpflichtung eingehalten wurden, stellt sich nun die Frage, wieviel DEM ein EUR heute kaufen könnte. Es wären nur mehr 1,46. In der Ecke wartet jener Aufwertungsdruck, von dem ich sprach, denn schon allein wegen dieses einfachen Zusammenhangs wären heute deutsche Exporte um 34% teurer. Dass die Exporte anderer Volkswirtschaften dadurch sprunghaft an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen würden, liegt auf der Hand – Ihr Qualitätsargument in Ehren.
Man führe sich weiters Deutschlands seit dem Jahr 2000 beinahe stetig steigende Außenbeitragsqoute (das ist der Leistungsbilanzüberschuss gemessen am BIP) vor Augen, welche im Vorkrisenjahr 2007 stolze 8% betrug, und bedenke, dass andere Volkswirtschaften damit immer intensiver an der Finanzierung des eigenen Haushalts beteiligt werden. Zu dieser Tatsache halte man die Entwicklung der Einkommens- und Vermögensverteilung in Deutschland hinzu, betrachte das Ganze vor dem Hintergrund stagnierender Inlandsnachfrage und man bekommt einen recht guten Eindruck davon, wo das Geld insgesamt abbleibt. Welch verheerende Folgen das für das Gemeinwesen haben wird, ist nicht mehr unabsehbar, weil in Teilen Europas bereits dauerhaft beobachtbar. Das hat aber mit Währung nichts zu tun, sondern mit dem mathematischen Kamineffekt von Kapital, welches vermittels Zinsen und der damit notwendigerweise einhergehenden Inflation Kaufkraft aus der Allgemeinheit absaugt – und natürlich mangelndem politischen Gestaltungswillen, das hatten Sie ja vermerkt. Insofern nehme ich meine Äußerung zurück, dass ein verbleibender Euroraum nachhaltig stabilisiert werden könnte. Das ist ohne weitere Maßnahmen, ein anderer Kommentator deutete hier die Möglichkeit der Verstaatlichung von Banken an, schlicht Unsinn.
Es ist das Geldsystem als solches, das in Frage gestellt werden müsste, nicht bloß die Währungsunion wegen der uneinheitlichen Volkswirtschaften (dennoch haben Sie damit vollkommen recht). Die Entwicklung geht nämlich dahin, dass der Kapitalismus die Menschen am Ende bezahlen muss, damit diese konsumieren können – womit wir letztlich auf kurios anmutendem Umweg bei der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ankommen würden. Das wäre durchaus eine spannende Möglichkeit neben anderen, das undichte Dach dauerhaft repariert zu bekommen.
(ich hoffe, dass meine Anmerkungen nicht als Kritik am Beitrag daher kommen, sondern vielmehr als denkbare Erweiterung)
@Kienspan
Glaubensfragen spielen auch (oder gerade?) in Demokratien eine wichtige Rolle. Tatsächlich sind ja die positiven Auswirkungen des Euro auf die deutsche Exportwirtschaft nicht direkt spürbar und werden allzu leicht als Selbstverständlichkeit hingenommen.
Dass der Euro seit seiner Einführung derart an Wert zugenommen hat, ist allerdings nicht zuletzt der Schwäche eines fast siechenden US-Dollar zu verdanken. Bedenken Sie, dass die Exportwirtschaft nicht wegen sondern trotz des starken EUR (Wechselkurs teilweise bei > 1,50) fast unverändert weiterboomte. Zumal die sogenannten Hochtechnologie-Exporte Deutschlands auch weiterhin funktionierten.
Was jetzt passieren soll ist ja nichts anderes als eine Art Subventionierung eines Status quo ante. Die Bürgschaften für Banken, die in Griechenland (Irland, Italien...) »investiert« haben (also Kredite vergeben haben) sollte man in die Rechnung des Wirtschaftswunderlands Deutschlands mit einfliessen lassen – schon sähe die Bilanz nicht mehr so rosig aus. Wenn Prof. Hickel neulich den Satz »Wer bürgt, wird gewürgt« als provinziell bezeichnete (obwohl er oft zutreffend eine Situation beschreibt), zeigt dies das Ausmaß der Realitätsverweigerung deutlich an. Dabei müsste er wissen, dass jeder ordentliche Buchhalter die Risiken in seiner Bilanz nach den aktuellen Gegebenheiten zu bewerten hat. De facto haben wir mit der Transferunion also eine Subventionierung der deutschen Exporte vorliegen. Ich bin gespannt, wann dies mal richtig durchgerechnet wird, d. h. wann sich die Erkenntnis durchsetzt, dass etlicher dieser Exporte auf Sand gebaut sind (was ihre Finanzierbarkeit durch den Kunden angeht). Dass der Staat immer schon mittels Kreditausfallbürgschaften unterstützend tätig war, ist klar. Aber das Länderrisiko spielte dabei zumeist eine untergeordnete Rolle. Hier ist es dominant.
Diese Überlegung streift die Aussage, dass der Kapitalismus die Menschen für ihren eigenen Konsum bezahlen lässt. Das bedingungslose Grundeinkommen würde daran nichts ändern – letztlich muss das Geld bzw. der Wert, den das Geld darstellen soll, erwirtschaftet werden.
Banken zu verstaatlichen halte ich nicht für den Ausweg, weil die Politik, die dann das »Management« der Banken betreiben müsste, den gerissenen Bankern hoffnungslos unterlegen wäre. Der Staat ist nicht unbedingt der bessere Unternehmer; er neigt zur Verkrustung und zur Innovationsfeindlichkeit. Zudem wäre es für ein staatliches Bankenwesen verführerisch in unternehmerische Entscheidungen einzugreifen, in dem Investitionen nach Gutsherrenart vergeben würden. Eine Ökodiktatur wäre dann beispielsweise über die Geld- und Investitionspolitik möglich. Es drohte, die eine Diktatur durch die andere zu ersetzen.
Man muss Banken verpflichten entweder als Investmentbanken oder als Geschäftsbanken für die »Realwirtschaft« tätig zu sein. Die Geldkreisläufe müssen getrennt werden – wie bei autarken Stromsystemen. Wenn ein System ausfällt, liefert das andere weiter Strom. Die Spareinlagen und Kreditvergabe wäre gesichert, selbst wenn eine Investmentbank zusammenkracht. Verquickungen müssten untersagt werden. Für den Anleger wäre es leicht, seine Risiken selber zu bestimmen. Aktien werden bei einer Investmentbank gekauft. Sparbriefe bei der »normalen« Bank. Das ist natürlich nur ein Aspekt, aber einer, der nichts kostet, außer ein gewisser Mut, sich der Bankenmacht entgegen zu stemmen. Ob eine Physikerin diesen Mut aufbringt, ist sehr fraglich.
Pingback: Somnios – Das Traumtagebuch » Der Lack ist ab
Man könnte eine Wette starten: Was bricht eher auseinander, die Bundesregierung oder die Währungsunion? (Diese Form der Fragestellung impliziert übrigens, dass der Fragesteller von beidem ausgeht. ;-) ).
Dass die Griechenlandrettung unter den jetzt geltenden Bedingungen nicht funktionieren kann, zeigt einem schon die folgende einfache Logik: Die Griechen können ihre Schulden nicht bezahlen, weil der geforderten Geldmenge keine Waren oder Dienstleistungen gegenüberstehen. Das ist ein generelles Problem, weil das Wachstum der Geldmengen über lange Zeit größer als das der Realwirtschaft war. Eine Lösung ala »wir drucken neues Geld« vergrößert die Geldmenge.
Vielleicht kämen dadurch jetzt die Griechen davon – aber die vergrößerte Geldmenge schafft niemand mehr folgenlos aus der Welt. Das Einzige, das funktioniert, ist das Eingeständnis, dass einem großen Teil des Geldes keine Werte gegenüberstehen. Folglich ist die einzig nachhaltige Lösung die Streichung von Forderungen – und das fast ohne Bedinungen. Das verringert die Geldmenge und ist das genaue Gegenteil der jetzigen Aktivitäten.