Mi­cha­el Klee­berg: Däm­me­rung

Michael Kleeberg: Dämmerung

Mi­cha­el Klee­berg:
Däm­me­rung

Nach Karl­mann (2007) und Va­ter­jah­re (2014) legt Mi­cha­el Klee­berg nun mit Däm­me­rung den drit­ten (und letz­ten) Band der fik­ti­ven Bio­gra­phie von Karl­mann Renn, ge­nannt Char­ly, vor. Char­ly, Jahr­gang 1959, er­leb­te in Karl­mann die Zeit zwi­schen 1985 (es be­ginnt mit Bo­ris Beckers er­stem Wim­ble­don-Sieg) und Sep­tem­ber 1989. Va­ter­jah­re spielt zwar nur an zwei Ta­gen (10.9.–11.9.2001), fasst aber in Rück­blen­den die Er­eig­nis­se der lan­gen Neun­zi­ger Jah­re zu­sam­men. Char­ly hat­te sich von sei­ner er­sten Frau schei­den las­sen, blieb je­doch nicht lan­ge al­lei­ne. Mit der aus Ost­deutsch­land kom­men­den Ärz­tin Hei­ke hat er zwei Kin­der, Lui­sa (1995) und Max (1998). Das Buch en­det mit zwei Ka­ta­stro­phen: Zum ei­nen für die Welt (die ter­ro­ri­sti­schen An­grif­fe auf die USA) und zum an­de­ren für die klei­ne Lui­sa (der un­aus­weich­li­che Krebs­tod der ge­lieb­ten Hün­din).

Und nun, in Däm­me­rung, fei­ert Char­ly 2019 sei­nen 60. Ge­burts­tag in sei­nem Golf­club in Ham­burg, mit 80 Gä­sten. Zu­nächst stellt er ein­mal fest, wer ab­we­send ist: sei­ne er­ste Frau Chri­sti­ne et­wa, aber auch Hei­ke, von der er seit ei­ni­gen Jah­ren ge­trennt in gu­tem Ein­ver­neh­men lebt (ge­schie­den sind sie nicht). Die bei­den Kin­der feh­len eben­falls. Mit Lui­sa ist er seit vie­len Jah­ren ver­kracht; sie, bes­ser: ih­re pu­ber­tä­ren Al­lü­ren und die Un­be­herrscht­hei­ten Char­lys dar­auf, wa­ren, wie sich spä­ter her­aus­stellt, die ent­schei­den­den Grün­de für die Tren­nung. Und Max, der Sohn, ist ge­ra­de be­ruf­lich un­ab­kömm­lich in Van­cou­ver.

[…]

Char­ly Renn ist zwar we­der Psy­cho- noch So­zio­path, aber ei­ne sym­pa­thi­sche Fi­gur, wie sie dem Le­ser zeit­ge­nös­si­scher Ro­ma­nen all­zu ger­ne prä­sen­tiert wird, weil sie so leicht Iden­ti­fi­ka­ti­ons­po­ten­zi­al bie­ten, ist die­ser Mann nicht. Er ist auch kein In­tel­lek­tu­el­ler und hat da­zu sei­ne gut ge­hü­te­ten Vor­ur­tei­le (im­mer­hin passt er sich für kur­ze Zeit ei­ner Ge­lieb­ten dies­be­züg­lich an, geht mit ihr ins Thea­ter und in Mu­se­en – so häu­fig wie nie zu­vor in sei­nem Le­ben). Sei­ne er­ste Ehe nennt er wahl­wei­se »un­ern­ste Kin­de­rei« oder ver­gleicht sie mit ei­ner über­stan­de­nen Krank­heit. Für die Ver­gan­gen­heit hat er ei­ne »see­li­sche Bad-Bank« er­fun­den und »Tech­ni­ken zur Re­gu­lie­rung des Her­zens« ent­wickelt, die ihm hel­fen, das »ent­gei­ster­te Nach­sin­nen über die Wucht der ein­sti­gen Emo­tio­nen« nicht nur zu re­gu­lie­ren, son­dern bei Be­darf aus­zu­blen­den, vor al­lem, wenn es schmerz­haft zu wer­den droht. Rück­schau­en sind für ihn wie »ab­ge­leg­te Schlangenhaut…am Weg­rand der Ver­gan­gen­heit«, be­sten­falls Ba­sis da­für, nicht mehr un­be­darft in all­zu ho­he »Ge­fühls­in­ve­sti­tio­nen« zu ver­fal­len.

Den voll­stän­di­gen Text »Ab­ge­sang auf ei­ne Epo­che« bei Glanz und Elend wei­ter­le­sen.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. In­spi­rie­ren­de Re­zen­si­on! Ha­be den Ein­druck, Sie ha­ben aus dem Buch al­les raus­ge­holt was geht... Man wird Sie noch re­gress­pflich­tig ma­chen, wenn erst ein­n­mal ein De­likt des Leer-Le­sens ein­ge­führt wor­den ist. Ich kann ziem­lich viel nach­voll­zie­hen. Es fehlt na­tür­lich ei­ne exi­sten­zi­el­le Di­men­si­on, platt: Tie­fe. Das Mi­lieu wird viel­leicht von den Zeit­läuf­ten über­holt, aber es gibt auch ein lang­fri­sti­ges haus­ge­mach­tes Pro­blem der »Lieb­lo­sig­keit« und der Über­trei­bung, die sich kom­plett auf al­le Fi­gu­ren ver­teilt. DIe Leu­te ha­ben wohl kei­nen Maß­stab mehr für Er­folg, aber auf der an­de­ren Sei­te bleibt auch we­nig üb­rig, wenn man bei ei­ner ge­konn­ten Ge­fühls­re­gu­la­ti­on an­ge­kom­men ist. – Ist der spät­mo­der­ne Mensch zu groß ge­wor­den, oder nur zu »hohl« ge­ra­ten?! – Ich ken­ne nur zwei Po­le in der Epik, das trau­ri­ge Schei­tern und den Tri­umph der Iro­nie. Wie­der ein­mal sucht ein Au­tor nach dem »Drit­ten Weg«, und über­zeugt nicht, oder?! Ich weiß nicht, ob das noch ei­ne Fra­ge des Stils ist, oder schon ein Fall von Post-Li­te­ra­tur. Zu­nächst mal oh­ne Wer­tung, aber schon mit sehr viel Zwei­fel... Je­de Far­ce kreist um ei­ne nicht iden­ti­fi­zier­ba­re Null­stel­le.

  2. Die Tie­fe in die­ser Tri­lo­gie liegt in im epi­schen Zu­rück­schau­en des Le­sers auf die Fi­gur, die ver­meind­li­chen Bruch­stel­len und/oder Wen­de­punk­te. Hier gibt der Au­tor nur ei­nen An­stoss, die »Ar­beit« muss der Le­ser ma­chen.

    Ich ge­be zu, dass ich viel­leicht ein biss­chen zu nah dran bin. Ich war nie ein In­tel­lek­tu­el­ler, ha­be mein Geld als An­ge­stell­ter ver­dient (wenn auch nicht als Ge­schäfts­füh­rer) und ken­ne die Welt, die dort be­schrie­ben wird, ein biss­chen. (Sie stirbt üb­ri­gens tat­säch­lich aus.)

    Am En­de stellt sich her­aus, dass man nichts mehr aus sei­nem Le­ben ge­macht hat, als mit sei­nen be­schei­de­nen Fä­hig­kei­ten ein Aus­kom­men ge­si­chert zu ha­ben, was, wenn man Glück hat, bis zum Schluß hält. Bei Karl­mann blei­ben im­mer­hin noch die Kin­der. Aber ei­gent­lich gibt es kei­nen Trost. (Und das soll nicht weh­lei­dig klin­gen.)

  3. #kal­te So­phie:
    Sie ha­ben den Ein­druck – ich neh­me an, oh­ne es ge­le­sen zu ha­ben – Herr Struck ha­be in sei­ner aus­ge­zeich­ne­ten Re­zen­si­on mei­nes Bu­ches al­les »raus­ge­holt, was geht.« Nur zu Ih­rer In­for­ma­ti­on: Die üb­li­che Re­zen­si­on mei­ner Bü­cher, sei es in Zeit, SZ, Faz o.ä., holt im Schnitt, von dem, was an li­te­ra­ri­schen und Le­bens­re­fe­ren­zen, an Spra­che, an Ar­chi­tek­tur, an Re­fle­xi­on, an Stil etc dar­in ist, zwi­schen 5 und 10% »raus«. Was für den Au­tor manch­mal et­was fru­strie­rend ist (#Per­len vor die Säue). Herr Struck, ei­ner der ge­naue­sten Le­ser und ge­bil­det­sten Re­zi­pi­en­ten von Li­te­ra­tur in Deutsch­land (und viel­leicht ge­ra­de des­halb NICHT beim Groß­feuil­le­ton be­schäf­tigt), liegt mei­ner per­sön­li­chen Ein­schät­zung nach bei 30% plus, viel­leicht bei 40%. Und ich glau­be, er selbst wür­de nie be­haup­ten, auf we­ni­gen Sei­ten ein sol­ches Buch völ­lig aus­schöp­fen zu kön­nen (was auch nicht nö­tig ist, das bleibt der zu­künf­ti­gen Ger­ma­ni­stik über­las­sen, so sie denn In­ter­es­se zeigt). Mich stört ein we­nig Ih­re Re­spekt­lo­sig­keit, bzw die selbst­ver­ständ­li­che An­nah­me, oh­ne die Mü­he der Lek­tü­re und auf der Ba­sis von Re­zen­sio­nen, so ei­ne apo­dik­ti­sche Ein­schät­zung »raus­hau­en« zu dür­fen.
    Grü­ße vom Au­tor M.Kleeberg

  4. sa­loen­chen
    Nein, »her­aus­ge­hau­en« ha­be ich si­cher nicht al­les. aber die Re­zen­si­on von Lo­thar Struck öff­ne­te mir noch man­che Per­spek­ti­ve.
    Mich hat « Däm­me­rung« fas­zi­niert, in­halt­lich, psy­cho­lo­gisch, so­zio­lo­gisch und be­son­ders sprach­lich ( trotz oder we­gen der Kas­ka­den!). Letzt­lich be­trach­te ich den Ro­man im Sinn von Proust als op­ti­sches In­stru­ment nicht nur auf die ge­schil­der­te Zeit.
    »Die Ar­beit muss der Le­ser ma­chen« – hier mit Ver­gnü­gen!

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