Lau­ter Über­ra­schun­gen

»Al­les Lü­ge oder was?« lau­te­te der fe­sche Ti­tel der ARD-Do­ku­men­ta­ti­on, die zei­gen soll­te, »wenn Nach­rich­ten zur Waf­fe wer­den«. Klaus Sche­rer blieb da­für nicht im Lan­de bei den Re­dak­tio­nen, un­ter­such­te nicht zum Bei­spiel de­ren Be­richt­erstat­tung zum Irak­krieg 1990/91 (die Brut­ka­sten­lü­ge kam erst ganz zum Schluss für we­ni­ge Se­kun­den) oder den Ju­go­sla­wi­en­krie­gen von Mit­te bis En­de der 1990er Jah­re, be­frag­te nicht die von vie­len als ein­sei­tig wahr­ge­nom­me­ne Russ­lan­d/Ukrai­ne-Be­richt­erstat­tung oder nahm Stel­lung zum be­rühmt ge­wor­de­nen Fo­to vom Char­lie-Heb­do-Trau­er­marsch der Re­gie­ren­den. Letz­te­res dien­te nur da­zu ei­ne jü­disch-or­tho­do­xe Zei­tung in Is­ra­el an­zu­kla­gen, die aus re­li­giö­sen Mo­ti­ven An­ge­la Mer­kel auf dem Fo­to weg­re­ou­chiert hat­te.

Selbst­kri­tik? In ho­möo­pa­thi­schen Do­sen. Lä­cher­lich wie Kai Gniff­ke ein feh­len­der Kon­junk­tiv vor­ge­hal­ten wur­de und die­ser den Feh­ler ein biss­chen zer­knirscht ein­ge­stand. An­son­sten ist aber klar: Fäl­schen tun im­mer die an­de­ren.

Klaus Sche­rer jet­tet um die Welt und ent­deckt lau­ter Über­ra­schun­gen wie bei­spiels­wei­se ge­fälsch­te ISIS-Vi­de­os. Er be­such­te den BND und die Re­cher­che­teams von BBC und France 24, die den Pro­pa­gan­da­krieg der IS se­ri­ös un­ter­su­chen und de­kon­stru­ie­ren. Er fuhr in die Ukrai­ne um mit Fake-Be­ob­ach­tern dort die rus­si­schen Trol­le auf Face­book zu be­ob­ach­ten. 80 zu 1 sei das Ver­hält­nis zwi­schen rus­si­schen und ukrai­ni­schen Lü­gen, so ei­ne Be­ob­ach­te­rin. Dass auch hier Pro­pa­gan­da im Spiel sein könn­te – kein Wort hier­über. Sche­rer be­sucht so­gar Is­ra­el – war­um, weiss man am En­de nicht so ge­nau.

Na­tür­lich ist es schnell das In­ter­net, das pau­schal für die Nach­rich­ten­ver­wir­rung ver­ant­wort­lich ge­macht wird. Es ist vor al­lem ein Ver­dienst von Frank Ses­no, dem ehe­ma­li­gen CNN-Re­por­ter und jet­zi­gen Di­rek­tor der »School of Me­dia and Pu­blic Af­fairs« an der Ge­or­ge Wa­shing­ton Uni­ver­si­ty, dass dann im letz­ten Vier­tel des Bei­trags noch ein et­was dif­fe­ren­zier­te­res Bild ent­steht. Ses­nos Dia­gno­se: Es feh­le der »Schleu­sen­wär­ter«, der die »In­fo­flut« bis­her sor­tiert ha­be. Das er­klärt nicht die Miss­grif­fe der Vor-In­ter­net-Zeit. Aber war­um feh­len die­se »Schleu­sen­wär­ter«? War­um wer­den Re­cher­che­teams wie in Lon­don oder Pa­ris im­mer sel­te­ner? Tat dies nur da­mit zu tun, dass der Kon­su­ment lie­ber sel­ber aus der Fül­le der Nach­rich­ten sich das her­aus­sucht, was ihm in sein po­li­ti­sches Welt­bild passt?

Hier liegt die Crux in Sche­rers Bei­trag: Er klagt die Pro­pa­gan­di­sten an, statt die ent­spre­chen­den Stan­dards in den Re­dak­tio­nen ab­zu­for­dern und zu fra­gen, war­um so we­nig Wert auf die Kon­trol­le ge­legt wird. Ein­lei­tend er­zählt ihm ein BBC-Re­cher­cheur, wie schwie­rig man sich tue, Vi­de­os, de­ren Au­then­ti­zi­tät man nicht si­cher be­stä­ti­gen kann, nicht zu zei­gen, ob­wohl dies schon an­de­re Me­di­en ge­tan hät­ten. Ba­sie­rend hier­auf hät­te man sich ei­nen Bei­trag ge­wünscht, der die im­mer noch üp­pig aus­ge­stat­te­ten Re­dak­tio­nen der deut­schen öf­fent­lich-recht­li­chen Me­di­en kri­tisch ob ih­rer Be­richt­erstat­tun­gen in Kri­sen- bzw. Kriegs­si­tua­tio­nen be­fragt hät­te. Da­bei geht es nicht dar­um, Jour­na­li­sten an den Pran­ger zu stel­len, aber man müss­te schon ein­mal fra­gen, ob die Nei­gung, nur noch sein ei­ge­nes Welt­bild zur Kennt­nis zu neh­men, nicht nur bei den Re­zi­pi­en­ten aus­ge­präg­ter wird, son­dern auch in Jour­na­li­sten­krei­sen fröh­li­che Ur­ständ fei­ert.

War­um der Bei­trag in der ARD-Me­dia­thek nur nach 20 Uhr er­scheint (ob­wohl al­le bru­ta­len Bil­der ge­pi­xelt sind), er­schliesst sich mir nicht. Da­nach lief üb­ri­gens noch ei­ne Do­ku­men­ta­ti­on über un­ge­fähr 40 Na­zi-Fil­me (»Ver­bo­te­ne Fil­me«), die in den Film­ar­chi­ven im­mer noch un­ter Ver­schluss sind, un­ter an­de­rem der an­ti­se­mi­ti­sche Hetz­film »Jud Süss«. Die Ten­denz der mei­sten Ex­per­ten im Film geht da­hin, die­se Fil­me frei­zu­ge­ben. Die­se Do­ku­men­ta­ti­on – mit aus­gie­bi­gen Sze­nen­aus­schnit­ten aus den in­kri­mi­nier­ten Fil­men – ist oh­ne zeit­li­che Be­gren­zung in der Me­dia­thek ab­ruf­bar.