Düs­sel­dor­fer Ver­klä­rung

Nach die­ser und je­ner hier gibt ei­ne wei­te­re »Düs­sel­dor­fer Er­klä­rung«. Klein­ver­la­ge be­kla­gen dar­in den Nie­der­gang der Buch- bzw. Le­se­kul­tur. Der Feind ist na­tür­lich aus­ge­macht: Die Di­gi­ta­li­sie­rung. Und die Mo­no­po­li­sie­rung, d. h. die bö­sen Groß­ver­la­ge, die Kon­zer­ne ge­wor­den sind. Die Ab­hil­fe des dro­hen­den li­te­ra­ri­schen Su­per-GAUs, der Ver­dum­mung der »jun­gen Ge­ne­ra­ti­on«, ist die Im­ple­men­tie­rung ei­nes Prei­ses für die klei­nen Ver­la­ge.

So ge­nau de­fi­niert man zwar nicht, was ein »Klein­ver­lag« ist. Da­her ma­chen auch vie­le da­bei mit, die ei­gent­lich ganz gut in den Sor­ti­men­ten und im Feuil­le­ton ver­tre­ten sind. Die Prei­se ein­ge­heimst ha­ben mit ih­ren Bü­chern (zu Recht). Und die be­kannt sind.

Wel­che Ver­la­ge in De­tail mit­ge­macht ha­ben, konn­te ich nicht fin­den. Es sol­len 60 sein, aber nach ei­ner Li­ste forsch­te ich ver­ge­bens. Dass je­mand vom Mai­risch-Ver­lag bei der »Sicht­bar­keits­kam­pa­gne« im März da­bei ist, ist na­tür­lich selbst­ver­ständ­lich. Des­sen ak­tu­ell­ste Neu­erschei­nung be­ar­bei­tet die Phi­lo­so­phie des Ko­chens. In­tel­lek­tu­el­le wie Eck­art Wit­zig­mann steu­ern lo­ben­de Wor­te bei. Und mit Mi­cha­el Nau­mann konn­te man ei­nen Für­spre­cher ge­win­nen, der sich zeit sei­nes Le­bens im­mer für klei­ne und klein­ste Ver­la­ge (Ro­wohlt bei­spiels­wei­se) ein­ge­setzt hat. Der weiß ge­nau, wo der Schuh drückt.

Na­tur­ge­mäß führt ein sol­cher Preis da­zu, dass viel mehr Leu­te le­sen wer­den. Sie ha­ben näm­lich da­durch viel mehr Zeit und In­ter­es­se. Und end­lich ler­nen dann Buch­händ­ler die Li­ste der lie­fer­ba­ren Bü­cher zu le­sen. Wenn erst ein­mal 30 oder 40 Jah­re ver­gan­gen sind und et­li­che Ver­la­ge den Preis er­hal­ten ha­ben, dann geht’s rich­tig wei­ter. Die Li­te­ra­tur kann auf­at­men. Die Ret­tung naht.

Aber es gibt noch Stei­ge­rungs­po­ten­ti­al. Wie wä­re es mit ei­nem Auf­ruf, den Le­ser, die Le­se­rin mit ei­nem ad­äqua­ten Preis staat­lich zu un­ter­stüt­zen? Die Kri­te­ri­en für die Preis­ver­ga­be sind leicht zu eru­ie­ren: Der preis­wür­di­ge Le­ser, die preis­wür­di­ge Le­se­rin, muss min­de­stens 50 Bü­cher im Jahr le­sen (3 da­von Ly­rik und min­de­stens 20% von so­ge­nann­ten un­ab­hän­gi­gen Ver­la­gen). Er/Sie ver­steht sein Tun als künst­le­ri­sche Lei­stung. Ein Dienst an der Li­te­ra­tur. Le­se­rIn­nen be­wah­ren das kul­tu­rel­le Ge­dächt­nis (man den­ke an »Fah­ren­heit 451«). Sie in­iti­ie­ren in Blogs in­tel­lek­tu­el­le De­bat­ten (ver­linkt wer­den sie na­tür­lich wei­ter­hin nicht; auch der Per­len­tau­cher fischt im­mer mehr im Trü­ben). Sie sind ent­deckungs­freu­dig und le­sen durch­aus auch schon mal Bü­cher, von de­nen nur 300 Stück ver­kauft wer­den.

Die­se Lei­stung muss end­lich ho­no­riert wer­den. Der Le­ser­preis muss her. Geld, Geld, Geld. Scha­de, nur dass ich auch in Düs­sel­dorf woh­ne. Viel­leicht nen­ne ich es ein­fach »Düs­sel­dor­fer Ver­klä­rung«.

8 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Wie­der ein­mal gilt es fest­zu­stel­len: Ich kann kei­ne Iro­nie. – Na­tür­lich soll­te das ei­ne iro­ni­sche oder von mir aus sar­ka­sti­sche Zu­spit­zung sein. Na­ja.

    Dan­ke für die Li­ste. Es zeigt sich, dass es we­ni­ger als 60 Ver­la­ge sind, weil es dop­pel­te Un­ter­schrif­ten gibt.

  2. Nein nein, die Iro­nie war na­tür­lich schon ver­stan­den. Aber soll man mit so ei­ner schwa­chen Sa­che, die von sich aus nicht le­bens­fä­hig ist, noch sym­pa­thi­sie­ren? Und wie­so soll heu­te je­der Min­der­hei­ten­sa­che Be­stand­schutz ge­währt sein? Dann doch lie­ber das ‘vor­au­set­zungs­lo­se Grund­ein­kom­men’ – auch für Schrei­ber­lin­ge.
     
    (Bei ‘Tym­pan’, der klei­nen Uni-Li­te­ra­tur­zei­tung in un­se­rem Dü-dörf­chen, gab’s mal ei­ne Glos­se un­ter dem Na­men »M.R.R.« ei­ne For­de­rung nach Li­te­ra­tur­prei­se für je­den – so­bald er den Grif­fel hal­ten kann. Das wur­de da­mals noch ver­stan­den.)
     

  3. Man könn­te si­cher­lich für klei­ne Ver­la­ge Bes­se­res tun als ei­nen Preis aus­lo­ben. Viel­leicht et­was mit der Ge­mein­nüt­zig­keit. Dann kä­men Buch­preis­ge­win­ner na­tür­lich nicht mehr im Vor­teil. Aber wä­re das so schlimm? Im üb­ri­gen ist es ja ein Mär­chen, dass die Li­te­ra­tur nicht ge­för­dert wird. Na­tür­lich nicht so wie das Thea­ter oder der Film.

    Was ich kon­tra­pro­duk­tiv an der Er­klä­rung fin­de ist die Selbst­in­thro­ni­sie­rung als Kul­tur­trä­ger bei gleich­zei­ti­gem Alar­mis­mus. Als gä­be es kein E‑Book, kei­ne Blogs, die sich mit Li­te­ra­tur be­schäf­ti­gen oder Li­te­ra­tur sind. Und al­les muss ei­ne Aus­beu­te brin­gen, kom­mer­zi­ell »ge­wür­digt« bzw. ho­no­riert wer­den. Das er­in­nert man an die Idee, Haus­ar­beit zu be­zah­len (ur­altes Pro­jekt der Lin­ken, wel­ches jetzt in das be­din­gungs­lo­se Grund­ein­kom­men über­führt wird – was na­tür­lich ein Eti­ket­ten­schwin­del ist, weil ver­schwie­gen wird, wo das Geld her­kom­men soll).

  4. Kul­tur? War­um im­mer ich?
     
    Über die­se Stif­tungs- und Be­hör­den­kul­tur bzw. die Ein­falls­lo­sig­keit ih­rer »In­stru­men­te« brau­chen wir nicht re­den, die ar­bei­ten ja zu­erst im­mer auch für sich.
     
    Mich stört, wie im­mer mehr Au­ßen­mo­del­le auf so ein fra­gi­les Pflänz­chen wie Li­te­ra­tur über­tra­gen wer­den. Eli­ten­för­de­rung (Oper) bei ge­sell­schaft­li­cher Ir­rele­vanz, Min­der­hei­ten­be­stand­schutz wie bei Tier­ar­ten und sel­te­nen Grä­sern, de­ren na­tür­li­che Ha­bi­ta­te volks­wirt­schaft­lich um­funk­tio­niert wur­den: Die Per­ver­si­on der Ver­hält­nis­se färbt un­ver­meid­lich auf ih­re Ge­gen­stän­de ab wäh­rend das Pla­stik längst als Na­no­par­ti­kel wie­der auf den Tel­ler kommt. Ist nach Ver­ur­sa­cher­prin­zip ja auch ge­recht. Aber ist es gut für’s Über­le­ben?
     
    Sie­he aber auch das zu­neh­men­de Un­be­ha­gen beim ÖRR oder die For­de­run­gen der lob­by-mä­ßig po­ten­te­ren Zei­tungs­wirt­schaft – die Le­gi­ti­ma­tio­nen wer­den von au­ßen ge­holt, von sonst wo­her ab­ge­lei­tet. Da­zu der min­der­jäh­ri­ge Ex­plo­rer-Flücht­ling der Un­sum­men an För­de­run­gen ko­stet, wäh­rend die Ob­dach­lo­sig­keit zu­nimmt, 70jährige zwei Jobs ma­chen und die Fla­schen­samm­ler Re­vier­kämp­fe aus­tra­gen – die (ge­sell­schaft­li­chen) Pro­por­tio­nen stim­men längst nicht mehr. Und die öko­no­mi­sche Sei­te von al­le­dem wird an­ge­sichts der Über­schüs­se-Ver­blen­dun­gen – und weil an­schei­nend über­haupt die mei­sten öf­fent­li­chen Zah­len im­mer öf­ter au­ßer Re­la­ti­on sind – im­mer öf­ter igno­riert: Der Tril­lio­nen-Trump, ein Quänt­chen Irr­witz ist da auch in uns.
     
    Und ist es al­so gut, wenn die wirt­schaft­li­che Exi­stenz­be­haup­tung auf­ge­ho­ben wird zu­gun­sten ei­ner lau­ni­schen Eva­lu­ie­rung als Kunst? Si­cher, kein Markt ist je ge­recht, und ob­wohl mir sol­che dar­wi­ni­sti­schen Hal­tun­gen sonst su­spekt sind, fra­ge ich mich doch im­mer öf­ter, ob sämt­li­che ein­mal her­aus ge­men­del­ten Funk­ti­ons­sy­ste­me, die von sich aus nicht über­le­ben kön­nen, dau­er­haft hilfs­be­dürf­tig ge­hal­ten wer­den sol­len.
     
    Oder eben an­ders­rum: Wenn wir al­le längst (Lebens-)Künstler ge­wor­den sind, und die Al­go­rith­men es dem­nächst eh bes­ser kön­nen – sie­he ak­tu­ell Setz – ga­ran­tiert uns das Grund­ein­kom­men we­nig­stens Spiel­platz-Nar­ren­frei­heit. Aber wenn de­ren Wer­ke dann was gel­ten sol­len, braucht es eben­falls neue Wer­tun­gen.
     
     

  5. Staat­li­che Un­ter­stüt­zung von was auch im­mer wird stets mit der Fra­ge der Le­gi­ti­ma­ti­on kon­fron­tiert wer­den. Das gilt für Thea­ter- und Film­för­de­rung wie auch für all die an­de­ren Kul­tur­sub­ven­tio­nen. Ich fra­ge mich bei­spiels­wei­se nicht nur ob die Sub­ven­tio­nie­rung der di­ver­sen Stadt­thea­ter mit ih­ren In­sze­nie­rungs­exzes­sen, die weit an jeg­li­ches Pu­bli­kum vor­bei­ge­hen son­dern auch sol­che Groß­pro­jek­te wie Elb­phil­har­mo­nie ih­re Exi­stenz­be­rech­ti­gung ha­ben. Par­al­lel da­zu wer­den Stadt­teil­bi­blio­the­ken ge­schlos­sen und es fehlt an Geld um Neu­erschei­nun­gen auf­neh­men zu kön­nen.

    Be­son­ders deut­lich wird dies am ÖRR buch­sta­biert: Wo es kei­ne Mög­lich­keit gibt, sich mehr zu ent­zie­hen (wo bleibt das Recht auf Des­in­for­ma­ti­on?), ist es nicht un­be­dingt un­sin­nig, wenn die gro­ßen Ver­la­ge eben­falls nach ei­ner »Zwangs­ab­ga­be« ru­fen. Sie wis­sen na­tür­lich, dass es da­zu nie­mals kom­men wird, aber das Ge­re­de wird zwangs­läu­fig zur De­le­gi­ti­ma­ti­on des ÖRR füh­ren. Das ist nur ei­ne Fra­ge der Zeit.

    Die­ses ÖRR-Sy­stem zeigt auch wie un­ter ei­nem Mi­kro­skop, wie schlecht ei­ne staat­li­che För­de­rung funk­tio­niert, die si­che­re Ein­nah­men ga­ran­tiert. Wenn In­ten­dan­ten mehr Geld ver­die­nen wie die Bun­des­kanz­le­rin so ist das min­de­stens frag­wür­dig.

    Na­tür­lich stim­men die Pro­por­tio­nen in der Ge­sell­schaft nicht mehr. Sie ha­ben – so­weit mei­ne Be­haup­tung – noch nie ge­stimmt. Aber die Dis­kre­pan­zen wer­den jetzt deut­li­cher. Wie­der fällt mir da die Elb­phil­har­mo­nie ein, die einst ein Lan­des­herr zu sei­nem Nach­ruhm hin er­bau­en ließ. Der Mensch ist in­zwi­schen längst in Pen­si­on und ge­nießt die­se (na­tür­lich von Steu­er­gel­dern auf­ge­bracht). Für die ex­plo­die­ren­den Ko­sten wur­de er nie zur Re­chen­schaft ge­zo­gen. Fir­men­ma­na­ger, die ih­re Un­ter­neh­men in den Bank­rott füh­ren, will man jetzt haft­bar ma­chen. Gut so. Aber Po­li­ti­ker dürf­ten wei­ter­ma­chen.

    Dies vor Au­gen ha­bend könn­te man dann schon wie­der »pro« die­ser Er­klä­rung sein. Was ma­chen da 20.000 Eu­ro aus? Nichts. Aber ich er­in­ne­re mich an ei­ne öf­fent­li­che Dis­kus­si­on vor ei­ni­gen Jah­ren, in der ein Freund von mir et­was pro­vo­ka­tiv frag­te wo es ei­gent­lich ver­brieft sei, dass je­der Schrift­stel­ler von sei­nen Bü­chern le­ben kön­nen muss (sinn­ge­mäss wie­der­ge­ge­ben). Die Ent­rü­stung im Netz war groß: Wie selbst­ver­ständ­lich geht man da­von aus, dass dies zu sein hat. Zu­mal wenn man noch das Schrei­ben »stu­diert« hat.

  6. @Gregor Keu­sch­nig,
    dan­ke für den Ar­ti­kel.
    Sie schrei­ben: „Aber ich er­in­ne­re mich an ei­ne öf­fent­li­che Dis­kus­si­on vor ei­ni­gen Jah­ren, in der ein Freund von mir et­was pro­vo­ka­tiv frag­te wo es ei­gent­lich ver­brieft sei, dass je­der Schrift­stel­ler von sei­nen Bü­chern le­ben kön­nen muss (sinn­ge­mäss wie­der­ge­ge­ben). Die Ent­rü­stung im Netz war groß… “ – Das ist wohl ein sehr wich­ti­ger Punkt. Die Kunst ist zum Glück frei in al­len ih­ren For­men. Das bie­tet aber ei­nen sehr wei­ten Spiel­raum für ali­men­tier­te Selbst­er­mäch­ti­gung und För­de­rungs­an­spruch. Sehr viel un­se­rer klas­sisch mo­der­nen Li­te­ra­tur ist so nicht ent­stan­den. Kaf­ka war Ver­si­che­rungs­kauf­mann, Benn be­trieb hier um die Ecke im Bay­ri­schen Vier­tel in Ber­lin ei­ne Haut­arzt­pra­xis. Ich will auch das nicht nor­ma­tiv ma­chen, aber dar­an zu er­in­nern ist manch­mal viel­leicht pas­send.
    Was mich mehr stört als der Ge­dan­ke der Sub­ven­ti­on ist die­se schwam­mi­ge Selbst­er­mäch­ti­gungs­nar­ra­tiv. Was sagt schon „klein“? Künst­le­risch wert­voll? Man­geln­der Un­ter­neh­mens­geist? Am Be­darf vor­bei? An wel­chem Be­darf? Kul­tu­rell wert­voll hie­ße: nor­ma­ti­ver Be­darf. Auch die­sen will ich nicht grund­sätz­lich leug­nen, aber in der Selbst­de­fi­ni­ti­on der Ver­la­ge al­lein kann die­ser un­mög­lich lie­gen. Und in ih­rer Grö­ße schon mal gar nicht. Das han­delt man sich mit die­ser For­de­rung aber au­to­ma­tisch ein: ei­ne Fremd­be­ur­tei­lung nach zu be­stim­men­den, noch fest­zu­le­gen­den Kri­te­ri­en. War­um Ver­la­ge un­ter­stüt­zen und nicht Pro­jek­te? Edi­tio­nen? Über­set­zun­gen? Was es im Üb­ri­gen längst gibt. Ei­nen „Deut­schen Klas­si­ker­ver­lag“ oder ei­nen „Ver­lag der Re­li­gio­nen“ bei Suhr­kamp gä­be es oh­ne Spon­so­ren und staat­li­che Un­ter­stüt­zung wohl nicht.
    Der Staat braucht aber Kri­te­ri­en, die er bü­ro­kra­tisch ope­ra­tio­na­li­sie­ren kann und die zu­min­dest so viel Le­gi­ti­mi­tät ha­ben, dass ge­gen sie nicht pro­te­stiert wird. In­so­fern gibt es Kul­tur­be­rei­che, die an staat­li­cher För­de­rung hän­gen: et­wa das wie ich fin­de gran­dio­se Sy­stem der Stadt­thea­ter, das ja auch ge­ra­de ge­schleift wird. Oper, Bal­lett und Tanz, Schau­spiel wer­den sich in ei­ner sol­chen Brei­te und Qua­li­tät nicht pri­vat fi­nan­zie­ren. Und dass die Thea­ter leer sind, stimmt nicht. Das ist ei­ne Mär. In Ber­lin sind üb­ri­gens drei! Opern ziem­lich gut be­sucht. Be­rück­sich­ti­gen soll­te man al­so, dass wer pri­va­te Fi­nan­zie­rung for­dert, sie ab­schafft. Man kann das na­tür­lich for­dern, man soll­te es nur be­den­ken.
    Ich ha­be auch nichts ge­gen die Elb­phil­har­mo­nie, sehr wohl aber ge­gen das seit lan­gem ein­ge­ris­se­ne Kud­del­mud­del aus pri­va­ten und öf­fent­li­chen In­ter­es­sen, ge­gen ei­nen Pri­va­te-Pu­blik-Selbst­be­die­nungs­la­den und ge­gen die von Be­ginn an un­rea­li­sti­sche Pla­nung, die of­fen­sicht­lich für nö­tig ge­hal­ten wird, um die Pro­jek­te zu rea­li­sie­ren. Aber das Pro­jekt selbst wür­de ich mit die­sen po­li­ti­schen und pri­vat­in­ter­es­sier­ten Ver­zer­run­gen und Ver­ir­run­gen un­gern gleich­set­zen.
    Noch ein­mal zum ÖRR: auch hier sind ein Schwer­punkt des Pro­blems die Pen­sio­nen, das ist kei­ne Fra­ge. Aber auch hier will mir nicht ein­leuch­ten, war­um man die Fi­nan­zie­rung und ih­re teils zur Selbst­be­die­nung ein­la­den­de Struk­tur mit dem Sy­stem selbst in eins setzt. Wer das tut, singt ei­gent­lich schon Döpf­ners Lied.
    Ich wür­de üb­ri­gens streng un­ter­schie­den zwi­schen Kul­tur­for­men, die ei­nen gro­ßen Mit­tel­ein­satz be­nö­ti­gen wie Thea­ter und noch mehr Film, und Tä­tig­kei­ten, die die­sen Ka­pi­tal­ein­satz gar nicht brau­chen wie Li­te­ra­tur und Ma­le­rei. Dass der Film bei uns kei­ne in­du­stri­el­le Di­men­si­on mehr hat, hat auch hi­sto­ri­sche Grün­de. Aber eben­so sehr ge­gen­wär­ti­ge: es gibt ein­fach in die­sem Be­reich kaum in­no­va­ti­ves Un­ter­neh­mer­tum und nur we­nig Men­schen, die ihr Geld dort in­ve­stie­ren wol­len.
    Als ich letz­tens hör­te – ich glau­be, es be­traf Ber­lin – , dass Gros­si­sten nur noch je­den zwei­ten Tag an die Buch­händ­ler lie­fern wol­len, dach­te ich so­fort: das sind die näch­sten, die Kul­tur! Kul­tur! ru­fen wer­den. Und bei al­ler be­rech­tig­ten Kri­tik an Ama­zon im De­tail, kann ich mir kaum vor­stel­len, dass Jeff Be­zos sich ei­nen sol­chen Feh­ler er­lau­ben wür­de.
    Zu­dem soll­te man nie ver­ges­sen, dass Kul­tur­etats in öf­fent­li­chen Haus­hal­ten quan­ti­ta­tiv so gut wie kei­ne Rol­le spie­len. Das ist in vie­len Fäl­len ge­mes­sen an an­de­ren Aus­ga­ben Pil­le­pal­le.
    Noch als klei­ne freund­li­che, im Kern aber dank­ba­re Spit­ze: das Recht auf Des­in­for­ma­ti­on ist üb­ri­gens schon pri­va­ti­siert, vor al­lem via Aus­knopf, Wahl be­stimm­ter Sen­der­an­ge­bo­te und Ein­mau­ern in der per­sön­li­chen Ni­sche via In­ter­net und Freun­des­kreis. Das müs­sen wir nicht mit der Ab­schaf­fung des ÖRR wie­der ver­staat­li­chen.

  7. @ Ju­mid
    Dan­ke für Ih­ren Kom­men­tar.

    Es ist im­mer noch ein To­pos, dass »klein« und/oder »nied­ri­ge Auf­la­ge« zu­wei­len als Qua­li­täts­kri­te­ri­um gilt. Da ist die Ab­gren­zung zum »Best­sel­ler« ge­meint, der nur noch na­se­rümp­fend be­trach­tet wird. Das ist ja oft ge­nug rich­tig, aber eben nicht au­to­ma­tisch so. Ein gut ver­kauf­tes Buch kann auch künst­le­risch wert­voll sein. Und der 200-Stück-Ver­kauf des Ly­rik­bänd­chens ist nicht Kri­te­ri­um für des­sen sin­gu­lä­re Qua­li­tät. Da aber in der Kunst schwer­lich Kri­te­ri­en für Qua­li­tät zu ent­wickeln sind bzw. kaum ein ein­heit­li­cher Kon­sens dar­über be­steht (be­stehen kann), ist man im post­post­mo­der­nen Kunst­dis­kurs da­zu über­ge­gan­gen al­les als Kunst zu be­zeich­nen, was von den je­wei­li­gen Er­schaf­fern als sol­che be­nannt wird. Das gilt eben auch für die Li­te­ra­tur. Ich will nicht wie­der das Fass über den Kunst­be­griff auf­ma­chen, aber es ist ein­fach nicht ein­deu­tig zu er­klä­ren, war­um das Buch X gro­ße Li­te­ra­tur ist, das Buch Y hin­ge­gen eher nicht. Die Gren­zen sind ja auch flie­ßend. (Für mich ha­be in Be­zug auf die Li­te­ra­tur die­se Fra­ge zwar be­ant­wor­tet, aber sie nicht all­ge­mein kon­sens­fä­hig.)

    Die ÖRR müs­sen sich sehr wohl kri­ti­sie­ren las­sen. We­ni­ger we­gen der Ge­häl­ter ih­rer Fest­an­ge­stell­ten, son­dern eher auf­grund der An­ge­passt­heit an ei­nen Mas­sen­ge­schmack, der ex­pe­ri­men­tel­le und/oder auf­klä­re­ri­sche In­hal­te der­art schlecht in Pro­gram­men un­ter­bringt, dass sie qua­si au­to­ma­tisch zu Min­der­hei­ten­pro­gram­men wer­den. Un­längst gab es bei­spiels­wei­se ei­nen sehr in­ter­es­san­ten und aus­ge­wo­ge­nen Be­richt über Nord­ko­rea, der un­ter­schied­li­che Mei­nun­gen über die Fort­schrit­te der Rü­stung des Re­gimes auf­fä­cher­te. Er kam ge­gen 22.45 Uhr – wenn die ar­bei­ten­de Be­völ­ke­rung sich auf die Nacht vor­be­rei­tet.

    Auch hier gilt na­tür­lich. dass das Thea­ter­stück mit Pro­gramm­an­teil von 0,5% nicht des­halb au­to­ma­tisch wert­vol­ler und wich­ti­ger ist als die Un­ter­hal­tungs­show mit 20%. Aber bei­des muss mög­lich sein – und zwar zu ver­nünf­ti­gen Zu­gangs­zei­ten.

    Zum Recht auf Des­in­for­ma­ti­on wür­de ge­hö­ren, sich von den Zah­lun­gen der ÖRR be­frei­en las­sen zu kön­nen bzw. die­se zu re­du­zie­ren. Dass man Live­streams und son­sti­ges im In­ter­net sen­det, ist ja kein Na­tur­ge­setz. Mei­ne Schwie­ger­mut­ter hat die­ses An­ge­bot nie ge­nutzt – es in­ter­es­sier­te sie nicht. Es wä­re ein Leich­tes, die Netz­zu­gän­ge der ÖRR an die Zah­lun­gen der Ge­büh­ren zu kop­peln und die an­de­ren Leu­te da­mit in Ru­he zu las­sen. Na­tür­lich »zahlt« der Steu­er­zah­ler auch bei Thea­ter­kar­ten, Mu­se­ums­bau­ten und son­sti­gen Kul­tur­ein­rich­tun­gen un­ge­wollt mit. Steu­ern kön­nen nun ein­mal nicht zweck­ge­rich­tet ein­ge­setzt wer­den. Ab­ga­ben al­ler­dings schon. Es ist mir ein Rät­sel, wie das BVerfG das je­des­mal ab­leh­nen konn­te.