»Der Primus« lautete der Titel der Dokumentation von Erica von Moeller, die gestern in der ARD zu später Stunde (22.50 Uhr) lief. Gezeigt werden sollte das private und politische Leben von Franz Josef Strauß, dessen 100. Geburtstag im September ansteht.
Die Klammer des Films bildete der Wahlkampf Strauß’ als Kanzlerkandidat 1980. Darum herum wurde das Leben von den 1920er Jahren an chronologisch behandelt. Der lateinkundige Ministrant, der antinazistische Vater, der schweren Herzens dem Gymnasium für seinen Sohn zustimmte, schließlich der Musterschüler Franz Josef, der als Oberleutnant der Wehrmacht in den letzten Tagen kleine und größere Heldentaten vollbrachte. Schließlich der bayrische Politiker, der bereits 1949 bei der legendären Einladung Adenauers in Rhöndorf dabei war. Zur Sicherheit und um den Zuschauer nicht zu überfordern wurden etliche Szenen nachgespielt; teilweise wurde das Material aus dem Film »Konrad Adenauer – Stunden der Entscheidung« von 2012 verwendet. Strauß ist im politischen Bonn ein Karrierist. Adenauer bremst ihn zunächst, macht ihn dann aber doch zum Verteidigungsminister. In der »Spiegel«-Affäre lässt der Alte ihn fallen. Verblüffend dabei, dass Strauß loyal blieb, d. h. die Rückversicherung Adenauers für seine umstrittene Verhaftungsaktion zu Conrad Ahlers in Spanien hat Strauß öffentlich nie erwähnt.
Wolfram Bickerich, ehemaliger »Spiegel«-Redakteur, und Augstein-Biograph Peter Merseburger kommen zu Wort und analysieren Augsteins fast obsessiv-pathologischen Hass auf (den politischen) Strauß, der zuweilen mit Journalismus nichts mehr zu tun hatte. Zu Wort kommen Franz-Georg Strauß und Monika Hohlmeier, zwei von drei Strauß-Kindern und Edmund Stoiber. Politische Gegner wie auch der in solchen Filmen zumeist übliche Historiker fehlen. Strauß’ Wahlkampf von 1980 wird als teilweise Hasskampagne gegen ihn interpretiert, wenn er Störer als »Gehirnprothesenträger« bezeichnet, heißt es im Film, er habe schlagfertig und witzig reagiert und nicht verbissen. Zur Sicherheit fehlt dann aber das schweißnasse Strauß-Redegesicht dann doch nicht.
Warum Augstein Strauß als »gefährlich« einschätzte, bleibt erstaunlicherweise unerwähnt. Strauß war in seiner Eigenschaft als »Atomminister« nämlich mitnichten alleine für die friedliche Nutzung der damals als Segen gepriesenen Kernenergie befasst. Er interpretierte sein Amt auch militär-strategisch dahingehend die frisch gegründete Bundeswehr atomar zu bewaffnen. Für Augstein et al. war die Vorstellung eines Deutschlands mit Atomwaffen ein Alptraum, den es unter allen Umständen zu verhindern galt.
1980 stand dieses Thema allerdings nicht mehr an, aber der »Spiegel« blieb sich natürlich treu. Kein Wort in der sogenannten Dokumentation über Strauß’ Angstszenario Deutschland würde durch die Sozialdemokratie in den Kommunismus getrieben. Zwar wurde der Wahlkampfspruch von Kohl aus dem Jahr 1976 (»Freiheit statt Sozialismus«) nicht mehr aufgenommen, aber die Tendenz der Dämonisierung der Sozialdemokratie (nebst Strauß’ Abscheu vor der FDP, die diesen Kurs mitmachte), war unverkennbar. Geschickt wurde dabei das von den Nazis geschürte und von der Adenauer CDU in den 1950er Jahren aufgewärmte Ressentiment der Sowjetunion verwendet. Augstein fürchtete, die 68er Revolution würde unter Strauß in einer Restauration verschwinden (es ist der gleiche Grund, weshalb er nach Kohls Kanzlerschaft dessen »geistig-moralische Wende« bekämpfte). In »Kopfgeburten oder Die Deutschen sterben aus« ließ Günter Grass 1980 seine Protagonisten überlegen, ob sie sich in Anbetracht der drohenden Kanzlerschaft von Strauß den Kinderwunsch nicht besser versagen sollten. Strauß’ Panik wurde sozusagen auf der anderen Seite des politischen Spektrums erwidert. Der Hinweis in der Dokumentation, die von dem Strauß-Hasser Bernt Engelmann seinerzeit verwendeten Diffamierungen seien aus DDR-Quellen gespeist, ist richtig. Aber dieser Hinweis alleine genügt nicht, die Aufregungen um Strauß als politische Person zu erklären. Hier ist der Film kläglich gescheitert.
Und auch was das Verhältnis zur CDU in den 1980er Jahren angeht, besticht »Der Primus« durch Auslassungen und unzulässige Vereinfachungen. Weder Strauß’ Kokettieren mit der »4. Partei« (1976), also den Plänen, die CSU bundesweit zu etablieren, noch sein Dauerstörfeuer gegenüber Helmut Kohl (bis in dessen Kanzlerschaft hinein), den er als ‘ewigen Kanzlerkandidaten’ bezeichnet hatte, werden mit keinem Wort ausgeführt (lediglich in einer Zuspielung aus einer Diskussion mit Schmidt 1980 erfährt der Zuschauer von den Plänen einer »4. Partei«). Der Kredit, den Strauß mit der DDR einfädelte, wird als ein »Vergnügen« von Strauß dargestellt. In Wirklichkeit wollte er damit natürlich seinen Status als Graue Eminenz und seine informelle Macht untermauern.
Es gibt sogar veritable Fehler, etwa wenn Monika Hohlmeier unwidersprochen sagen darf, Strauß habe 1980 mit 44,5% ein Ergebnis erreicht, dass es nie mehr für die Union gegeben habe, auch nicht unter Helmut Kohl. Das ist schlichtweg falsch und gehört nicht in einen solchen Film (Kohl erreichte 1983 48,8%). Das passt zu diesem Film, der in öder Belanglosigkeit daherplätschert. Auch wenn man wie ich Strauß damals schrecklich fand: Einen solch müden Aufguss hat er nicht verdient. Ein Dokumentarfilm ist das nicht; maximal Infotainment. Sogar der Wikipedia-Artikel über Franz Josef Strauß ist informativer und instruktiver.
»Es war eine scheene Zeit, die guade olte Zeit...«. In Bayern gleich gar, wo ich aufgewachsen bin. Vielleicht hat mich das für immer für die Demokratie versaut, wer weiß. Aber echt überzeugende Realformen hab’ ich auch nirgends gefunden.
War so: es gab, die regierten. Die haben erklärt, was sie vorhaben, was gemacht haben, und das alles im wesentlichen so bleibt. Und es gab, die was dagegen vorbrachten, gegen das was die anderen gemacht haben, was sie vorhaben, etc. Von Anfang an war da diese Asymmetrie: die einen kamen sehr gut allein klar, die anderen waren auf ihr Gegenüber fixiert wie ein Alkoholiker auf das Whiskey-Glas. Das fand ich immer schon schwach. Politik als Mundraub.
Heute redet man ja viel von der Konsolidierung der Mitte, dem Ein-Parteien-System, etc. Aber bei mir hat sich die Prägung aus Bayern erhalten: ich unterscheide noch immer zwischen den Machern und den Mitmachern, welche wohl zumeist jetzt in der Mitte zu finden sind. Leider gibt’s die Macher in der Politik so gut wie überhaupt nicht mehr... Naja. Falsche Erwartungen.