Grie­chen­land

Wenn ich mir die vor­über­ge­hen­de Ei­ni­gung, die in bei­der­sei­ti­gem In­ter­es­se liegt, vor Au­gen füh­re und die (noch an­dau­ern­den) Dis­kus­sio­nen be­den­ke, dann wirft die Kri­se zwi­schen Grie­chen­land, den eu­ro­päi­schen In­sti­tu­tio­nen und üb­ri­gen Staa­ten bzw. de­ren Ver­tre­tern als ein Kul­mi­na­ti­ons­punkt gleich­sam, ei­ni­ge grund­le­gen­de Fra­gen auf, de­nen man sich wid­men soll­te; die­se Fra­gen sind emi­nent po­li­ti­scher Na­tur und be­tref­fen die Eu­ro­päi­sche Uni­on und ih­re Zu­kunft; mir scheint ei­ne Klä­rung wich­tig wie schwie­rig, bin mir im sel­ben Mo­ment aber wie­der über ih­re Be­deu­tung un­si­cher, weil ich da­zu bis­lang (mit ei­ner ver­link­ten Aus­nah­me) gar nichts ge­le­sen ha­be:

  • Was kön­nen Ge­mein­sam­keit, Ge­gen­sei­tig­keit, Ge­mein­schaft und fak­ti­sche (wirt­schaft­li­che) He­ge­mo­nie be­deu­ten, im kon­kre­ten wie all­ge­mei­nen Sinn (sie­he auch dort)? Wie soll man da­mit um­ge­hen?
  • Was be­deu­tet Gleich­be­rech­ti­gung? Wie kön­nen Aus­nah­men be­grün­det wer­den?
  • Wie wich­tig ist die Ein­hal­tung von Re­geln und Ver­trä­gen für den Zu­sam­men­halt der Uni­on, da sie ähn­lich wie na­tio­na­le Ge­set­ze ei­nen für al­le ver­bind­li­chen Rah­men fest­set­zen; wel­ches Pro­ze­de­re lässt sich ent­wickeln, um die­se Ver­trä­ge ab­zu­än­dern, wenn man sach­lich falsch ge­han­delt hat (oder dies not­wen­dig ist, wo­bei die Not­wen­dig­keit zu de­fi­nie­ren wä­re und letzt­lich wahr­schein­lich als Un­ge­rech­tig­keit, Aus­nah­me­re­ge­lung u.ä. emp­fun­den wer­den wird und ei­ne Art Prä­ze­denz­fall dar­stellt)?
  • In wel­chem Ver­hält­nis ste­hen na­tio­na­le und ge­mein­schaft­li­che In­ter­es­sen und Wahl­er­geb­nis­se? Bis­lang wur­de auf eu­ro­päi­scher Ebe­ne ger­ne von na­tio­na­len Ego­is­men ge­spro­chen, im Fall Grie­chen­lands le­gi­ti­miert ein na­tio­na­les Wahl­er­geb­nis für man­che die ein­sei­ti­ge Auf­kün­di­gung ei­nes be­reits ab­ge­schlos­se­nen Ver­trags.
  • Wie sind de­mo­kra­tie­po­li­ti­sche De­fi­zi­te – u.a. Stich­wort »Troi­ka« – zu be­wer­ten und wie will man da­mit in Zu­kunft um­ge­hen?
  • Wie geht man mit be­wuss­ter Täu­schung und Re­gel­brü­chen um, ge­ra­de hin­sicht­lich der Fra­gen nach Gleich­heit und Ge­rech­tig­keit?
  • Wel­che Kri­te­ri­en sind maß­geb­lich für zu­künf­ti­ge Er­wei­te­run­gen des Eu­ro­raums? Öko­no­mi­sche oder po­li­ti­sche? Wie be­han­delt man un­ter­schied­li­che wirt­schaft­li­che Ge­wich­tun­gen (Lei­stungs­bi­lan­zen und wirt­schaft­li­che Bei­trä­ge ein­zel­ner Staa­ten zum Eu­ro­raum)?
  • Was kann die Eu­ro­päi­sche Uni­on jen­seits der Öko­no­mie und ei­ner öko­no­mi­schen Ei­ni­gung be­deu­ten (ein­mal ab­ge­se­hen da­von, wie die­se aus­se­hen soll)?

6 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Vie­len Dank für die Bün­de­lung der Fra­gen, um die es letzt­lich geht, aber die nie­mand stellt und dem­zu­fol­ge auch nie­mand be­ant­wor­tet. Sie wer­den, wenn über­haupt, nur von Fall zu Fall be­ant­wor­tet.

    Das Di­lem­ma der EU be­steht dar­in, dass sie sich nicht ent­schei­den kann, ob sie ein Staa­ten­bund oder ein Bun­des­staat sein soll. Letz­te­res müss­te von den je­wei­li­gen Na­tio­nen le­gi­ti­miert wer­den. In der der­zei­ti­gen Ver­fas­sung der EU wür­de dies au­ßer Lu­xem­burg kein Land wol­len. Ich nei­ge seit ei­ni­ger Zeit da­zu, die bri­ti­sche Va­ri­an­te als die prag­ma­tisch­ste zu hal­ten: Die EU soll ei­ne Wirt­schafts- und Zoll­uni­on sein und blei­ben, aber eher kei­ne Fis­kal- oder gar po­li­ti­sche Uni­on. Wenn sich Men­schen zu ei­ner Le­bens­ge­mein­schaft zu­sam­men­schlie­ßen, ist so ziem­lich der letz­te Punkt, den sie be­schlie­ßen, dass sie ei­nen ge­mein­sa­men Haus­halt auf­bau­en. Hier wur­de es zum er­sten Punkt ge­macht. Der Haupt­grund ist be­kannt: Frank­reich deal­te mit Deutsch­land um die Zu­stim­mung zur Ein­heit – da­her wur­de der Eu­ro be­schlos­sen. Der Vor­tei­le für Deutsch­land ist be­kannt: Ex­port­über­schuss über­all. Der Nach­teil: Es ist zu ei­ner Haf­tungs­uni­on ge­wor­den, die ir­gend­wann ih­re Rech­nung prä­sen­tie­ren wird. Spä­te­stens in zwei Jah­ren wird Frank­reich in Tur­bu­len­zen kom­men, dann bricht der Eu­ro aus­ein­an­der. Nicht zu­letzt des­halb, weil be­stimm­te Krei­se dies wün­schen.

    Das He­ge­mon-Ge­re­de über Deutsch­land ist m. E. un­sin­nig. Wenn Deutsch­land ei­ne Po­si­ti­on ver­fech­tet, legt man es so­fort als Ar­ro­ganz aus. Wenn es nichts tut, dann pran­gert man ge­ra­de das an. Als Net­to­zah­ler ist Deutsch­land will­kom­men, als Schritt­ma­cher eher nicht.

    Grie­chen­lands Po­si­ti­on ist ver­ständ­lich, weil sie mit ei­ner Wachs­tums­ideo­lo­gie ver­knüpft ist: In Zei­ten von Schul­den macht man mehr Schul­den, um ein Wachs­tum an­zu­kur­beln. Bei den ak­tu­ell nied­ri­gen Zin­sen ist das ver­lockend und höchst ak­tu­ell. Wo­hin das führt, wird ger­ne aus­ge­blen­det, weil es nicht ins Kon­zept passt. Tat­säch­lich hat ei­ne ähn­li­che Po­li­tik, wie man sie in Grie­chen­land exe­ku­tiert, Mit­te der 90er Jah­re zum öko­no­mi­schen De­sa­ster in Ju­go­sla­wi­en ge­führt.

    Wie ver­fah­ren die Si­tua­ti­on ist, zeigt sich dar­in, wie ge­han­delt wird. Die »Troi­ka«, ei­ne Art Con­trol­ling über die be­schlos­se­nen Maß­nah­men, wird als er­nied­ri­gend emp­fun­den und da­her um­be­nannt in »die In­sti­tu­tio­nen«. Gleich­zei­tig regt man dar­über auf, dass die EU nicht ge­nug auf das so­zia­le Ge­fäl­le ge­ach­tet hat. Hät­te man dies ge­tan, hät­te man Sou­ve­rä­ni­täts­rech­te ab­ge­ben müs­sen. Aber Haupt­sa­che, man konn­te noch deut­sche Pan­zer or­dern. Um das NA­TO-Mit­glied Tür­kei zu be­ein­drucken.

  2. Wich­ti­ge Fra­gen, die Po­li­ti­ker nicht mehr stel­len. Al­so wo­hin da­mit?! Die Schwä­che der Bür­ger­li­chen in Eu­ro­pa lässt Bö­ses ah­nen. Pro­gno­se: der Eu­ro-Raum wird »fle­xi­bel« ver­klei­nert, ei­ne De­mo­kra­ti­sie­rung, gar ei­nen Ver­fas­sungs-Bund wird es nicht mehr ge­ben. Ei­ne Wirt­schafts­uni­on wird üb­rig blei­ben, ver­mut­lich. Gro­ße Ge­schich­te kann im­mer in die Ho­se ge­hen, so ist es lei­der auch in die­sem Fall.
    Ich war von An­fang an ge­gen die au­steri­tä­re Schrau­be bei ei­nem Land mit der­art ekla­tan­ten struk­tu­rel­len De­fi­zi­ten. Im Rück­blick (zu Grün­der­zei­ten war ich noch nicht schlau ge­nug!) war der Eu­ro-Raum der Kar­di­nals­feh­ler. Trotz­dem hat die Er­fah­rung ei­ne »hi­sto­ri­sche Di­men­si­on«, da die Völ­ker ge­lernt ha­ben, dass Wäh­run­gen ei­nen ord­nungs­po­li­ti­schen Raum de­fi­nie­ren. Da, wo sie gel­ten, muss man über­le­gen, was »für al­le« das Be­ste ist. Üb­ri­gens ein Schlag für die Lin­ken, die ih­re Kol­lek­tiv-De­fi­ni­tio­nen so rein gar nicht mehr an den Mann/die Frau brin­gen konn­ten. Wäh­rungs­räu­me ha­ben »har­te Gren­zen«, de­nen man mit dem Vo­ka­bu­lar der uni­ver­sel­len Ge­rech­tig­keit nicht bei­kom­men kann.
    Ich muss ehr­lich sa­gen, dass es mir »stinkt«, die­se Hi­sto­rie von den äl­te­ren Ge­ne­ra­tio­nen auf­ge­brummt zu be­kom­men. Das be­rührt auch die Fra­ge von @mete nach der Ver­trags­treue in der De­mo­kra­tie. Die in­ne­re Fra­ge, so­zu­sa­gen! Ich seh’ das in­zwi­schen prag­ma­tisch: es wird im­mer wei­ter ver­han­delt wer­den, auch in Zu­kunft. Aber ich hät­te mir ver­dammt-noch-eins ei­ne an­de­re Ge­gen­wart ge­wünscht.

  3. Wirt­schaft und Haus­halt wa­ren viel­leicht das Un­ver­fäng­lich­ste, ge­ra­de nach dem Krieg, ein ge­mein­sa­mer Nen­ner. Ist die EU bzw. ih­re Staa­ten zu un­ent­schlos­sen ei­ne Rich­tung ein­zu­schla­gen? Dass vie­les im­mer wie­der von Fall zu Fall ge­re­gelt wird, se­he ich auch so (in­klu­si­ve der da­mit ver­bun­de­nen Schwie­rig­kei­ten). — Be­stimm­te Krei­se?

    He­ge­mo­nie hin oder her, im Lauf der Ukrai­ne­kri­se hat sich et­wa Po­len mehr mi­li­tä­ri­sches En­ga­ge­ment von Deutsch­land ge­wünscht, aber im Gro­ßen und Gan­zen hast Du schon recht ei­ne ent­spre­chen­de Füh­rungs­rol­le wird meist kri­tisch ge­se­hen. Auf der an­de­ren Sei­te ent­spricht es nicht dem Ge­wicht, das Deutsch­land be­sitzt, wirt­schaft­lich wie po­li­tisch; und selbst scheint es sei­ner Rol­le oder sei­nem An­teil nicht si­cher zu sein, ganz un­be­rech­tigt sind Fra­gen in die­ser Rich­tung nicht.

    In­ter­es­sant ist die­ses In­ter­view über die hi­sto­ri­schen Aspek­te des grie­chi­schen Kli­en­tel­sy­stems; die Schluss­fol­ge­rung dort ist, dass nie­mand be­merkt hat, dass das po­li­ti­sche Sy­stem Grie­chen­lands (und an­de­rer Staa­ten) kein west­li­ches bzw. eu­ro­päi­sches Par­tei­en­sy­stem ist.

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  5. Das was dort über die grie­chi­schen Kli­en­tel­par­tei­en ge­sagt wird, trifft ganz si­cher auch auf an­de­re (west­li­che) Län­der zu. Es macht we­nig Sinn, bis ins 19. Jahr­hun­dert zu­rück zu ge­hen. Tat­sa­che war: Grie­chen­land wur­de in den Eu­ro auf­ge­nom­men – und die not­wen­di­gen Prü­fungs­me­cha­nis­men ha­ben of­fen­sicht­lich ver­sagt. Ähn­li­che Me­cha­nis­men setz­ten sich auch in der Auf­nah­me von Ru­mä­ni­en und Bul­ga­ri­en in die EU fort: Es ging um po­li­ti­sche bzw. im­pe­ria­le Aspek­te. Die heh­ren Wor­te vom ver­ei­nig­ten Eu­ro­pa in Frei­heit ha­ben ver­mut­lich nur die Grün­der wirk­lich ge­glaubt. Und das hat Aus­wir­kun­gen auf das Ver­ständ­nis der Eu­ro­päi­schen Uni­on in­ner­halb der ein­zel­nen Na­tio­nen.

  6. Und ruft den Wi­der­stand auf den Plan (was die eta­blier­ten Kräf­te auch noch zu ver­wun­dern scheint).

    Ich muss­te wäh­rend des Hö­rens an Öster­reich den­ken (aber bei uns sind die Pro­ble­me an­ders or­ga­ni­siert). In­wie­weit die Kor­rup­ti­ons­pro­ble­me in an­de­ren west­li­chen Län­dern struk­tu­rell ver­gleich­bar sind, kann ich nicht sa­gen (die hi­sto­ri­schen Er­klä­run­gen fand ich schon in­ter­es­sant; für die Ge­gen­wart eher we­ni­ger wich­tig). Ich ha­be un­längst den grie­chi­schen Au­ßen­mi­ni­ster der vor­her­ge­hen­den Re­gie­rung auf ei­ner Po­di­ums­dis­kus­si­on ge­hört; er hat das Kor­rup­ti­ons­pro­blem struk­tu­rell ein we­nig an­ders er­klärt, aber als kenn­zeich­nend, drän­gend und über­mä­ßig be­schrie­ben (es gä­be, er hat das an­ek­do­ten­haft be­schrie­ben, lei­der ei­ne Art Dank­bar­keits­ver­pflich­tung ge­gen­über sol­chen Ge­fäl­lig­kei­ten wi­der bes­se­ren Wis­sens).