Eine kleine Erholung vom urplötzlich entfachten Simenon-Fieber? »Sommer ohne Abschied« steht auf dem Cover, ein Sonnenblumenfeld mit Gewitterwolken. Walter Grond hat diesen Roman geschrieben, kaum 120 Seiten. Vorangestellt ein Motto von Heinrich von Kleist, aus einem seiner Briefe an seine Schwester: »Und doch, wer wendet sein Herz nicht gern der Zukunft zu, wie die Blumen ihre Kelche der Sonne?« Die Erwartung ist geweckt.
Alex, der sich selbst als »unbestechlicher Journalist« bezeichnet, ist mit seiner Frau und den beiden Kindern von Wien aufs Land gezogen. Der Grund bleibt unklar, weil er schon bald alles vermisst, was ihm gefällt: Der Caféhausklatsch, das Wimmelwesen, die Anonymität, die festen Abläufe. Auf dem Land kümmert man sich vor allem um die Kinder und sitzt alleine vor seinem Laptop ohne Austausch mit Kollegen. Seine Frau geht einer Tätigkeit als Übersetzerin nach; später wird sie sich in der Flüchtlingshilfe engagieren.
Vor allem jedoch stört die überall spürbare feindselige Aufnahme im Dorf, die Ressentiments der Bewohner gegenüber den Städtern, die allgegenwärtige soziale Kontrolle, die Männlichkeit der Dörfler, die er als Minderwertigkeitsgefühle einordnet, diese Gesetze einer »geschlossenen Welt«. Und Ressentiments haben ja immer nur die anderen. Alle Klischees werden ausgebreitet und erlitten. Zwischenzeitlich hat man das Gefühl, die Dorfbewohner befinden sich für Alex auf der Stufe eines indigenen Volksstamms aus Neuguinea oder Westindonesien, der mit der Moderne schockartig konfrontiert wird.
Freundschaften gelingen kaum. Die Ausnahme ist Roland, ein erfolgreicher Unternehmer, mit dem es Gespräche gibt (die von der Dorfgemeinschaft argwöhnisch betrachtet werden). Roland ist für Alex allerdings irgendwie nicht greifbar, er weiss viel zu erzählen, von anderen Kulturen, kennt sich mit allen gängigen Businessgepflogenheiten aus, die Alex per se schon kritisch sieht. Rolands Frau Therese geht in der Mutterrolle auf wenn sie nicht gegen den Moloch Wien wettert. Als Alex eines Tages Rolands Unternehmen besucht, zeigt sich ihm ein Gebäude mit allen Annehmlichkeiten und Großzügigkeiten für die Mitarbeiter, ein Wohlfühl-Biotop, in dem wie nebenbei auch noch gearbeitet wird.
Bereits zu Beginn wird versucht eine Spannung aufzubauen, in dem nebulös auf ein kommendes Ereignis hingewiesen wird, dass, so die Verheissung, alles ändern werde. Also irgendeine Katastrophe, ein Unfall. Der Leser bleibt dabei, lässt all die geschilderten paranoiden Larmoyanzen von Alex über sich ergehen. Irgendwann ändert sich das Verhalten von Roland. Alex, der Journalist, bemerkt bei ihm das Wort »Ethnipluralismus«, welches von der Identitären Bewegung geprägt worden sei. Es ist die Zeit der Flüchtlingskrise (Sommer/Herbst 2015) und Alex möchte mehr Emphase von Roland (man nennt das heute »Haltung«), der die politische Situation nicht kommentiert, sich heraushält. Dass die Dorfbewohner Gerüchte streuen, grundlos Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen anmelden ohne etwas zu wissen, passt für ihn ins Bild. Aber Roland? Eines Tage konfrontiert er ihn per Telefon mit seinen Vorwürfen. Roland ist entrüstet; die Freundschaft bekommt kleine Risse.
Verstärkt werden die Risse durch Rolands Freund Guido, der an einem Fronleichnamstag die hübsche bosnische Aushilfskellnerin mit nach Hause genommen und dort erotische Fotos gemacht hatte. Roland war auch dabei, soll aber die Sache vor der Eskalation irgendwann beendet und die junge Frau ins Nachbardorf gefahren habe. Von Übergriffen ist nie etwas bekannt geworden. Egal: Das Gerede bleibt und der Journalist Alex, der die Gerüchte der Dörfler verdammt, sitzt ihnen nun gerne selber auf, weil sie so schön ins Bild passen würden.
Nach einiger Zeit scheint Alex kurz versöhnt mit seiner selbstgewählten Landexistenz. Auf einem Feuerwehrfest (er schätzt diese Trinkorgien inzwischen) begegnet er der Verkäuferin im Lebensmittelgeschäft und fasst bewunderungsvoll deren Lebkuchenherz an, welches direkt über ihrem Dekolleté baumelt. Ein kurzer Moment des Einvernehmens, den alle sehen. Die Frau lacht. Eine Initiation. Der schönste Moment im Buch.
Es folgt noch eine Standpauke über mehrere Seiten von Alex’ Frau (die, sehr merkwürdig, namenlos bleibt), die Schilderung von Rolands Kindheitstrauma (er wurde als Kind Augenzeuge eines furchtbaren Verkehrsunfalls) und dann, endlich, tatsächlich noch ein Ereignis von fast apokalyptischen Ausmaßes, dass…naja: zu nichts führt, außer zum inzwischen herbei gesehnten Ende dieses Buches.
Gronds Ankündigungsprosa zündet an keiner Stelle. Es ist wie bei einem Jongleur, der mit fünf Bällen das Publikum anlockt und dann müde einen Ball zwischen den Händen hin- und herwirft. Tatsächlich ist nichts an diesem Roman auch nur ansatzweise reizvoll. Der Erzähler ist selbstgerecht und bigott (gebrochen wird das nicht – es bleibt nur der Ärger des Lesers). Die anderen Figuren sind Pappkameraden und –kameradinnen. Sogar Roland bleibt blass. Man würde sich gerne für ihn interessieren, bekommt aber keine Gelegenheit dazu, weil Alex’ an den Haaren herbeigezogene Indizien (u. a. dauernde Beschäftigung mit dem Smartphone) für einen »Menschenverachter« Roland sucht (immerhin: der Großvater war Nazi), die sich alle in der Bedeutungslosigkeit verlieren. Natürlich ist Rolands Kindheitserlebnis schrecklich, aber was es mit dessen womöglich identitärer Gesinnung zu tun haben soll, erschließt sich nicht. Und warum Alex’ Frau ihren Mann in einem schwulen Verhältnis zu Roland sieht, bleibt unklar und – wie nahezu alles in diesem Buch – nur Behauptung.
Offensichtlich ist in Österreich immer noch ein grosses soziales und kulturelles Gefälle zwischen Dorf und Land auszumachen, und wer beispielsweise Reinhard Kaiser-Mühlecker liest, wird darüber auch einiges erfahren. In diesem Buch aber bleibt alles auf Illustriertenniveau, bestenfalls Lesefutter für einen feixenden linksintellektuellen Mainstream. Ja, »Sommer ohne Abschied« ist ein gänzlich misslungener Roman. Aber vielleicht bin ich auch nur durch die Simenon-Lektüre verwöhnt.
Noch ein schreckliches Buch. Bereits die Erzählung von Jan Drees war ja furchtbar in die Hose gegangen. Bei Walter Grond nun der Versuch, paranoide Weinerlichkeit in ein Sittenbild zu verwandeln.
Allmählich glaube ich, nur noch der »Hass« kann uns retten... Ein guter ehrlicher tief empfundener Hass. Wenn man die Dörfler schon nicht leiden kann, dann nützt es nichts herumzueiern. Dann muss man sie zu Karikaturen runterschreiben. Das macht wenigstens noch Spaß.
Ich kann mir den Kampf des Autors mit dem eigenen Stolz lebhaft vorstellen... Man ist sich zu schade für den Hass, aber für eine ordentliche Portion Arroganz reicht das Selbstbewusstsein nicht, und die Liebe hat man ja schon lange aufgegeben. Es gibt kein einziges großes Gefühl mehr. Man sehnt sich nach einer Katastrophe!
Als Rezensent ein Buch zu kritisieren und ihm den literarischen Rang abzusprechen, ist keine einfache Sache – oder sollte es jedenfalls nicht sein. Und es ist ganz sicher nicht ausgemacht, dass die Mehrheit auch die Wahrheit auf ihrer Seite hat. Aber es tut doch gut, wenn man dann bei anderen Rezensenten sieht, dass man nicht ganz falsch gelegen haben kann mit seinen Befundungen des Ungenügens. – Ich danke für diese sehr umsichtige Rezension, die sich ganz mit meinen eigenen Leseerfahrungen deckt.