
Die Kandidatin
Irgendwann, in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft, in Deutschland: Eine muslimische Kandidatin der »Ökologischen Partei« hat große Chancen, Bundeskanzlerin zu werden. Es ist Wahlabend. Sie will zu ihren Anhängern sprechen. Die skandieren ihren Wunsch nach der »totalen Diversität«. Und dann werden die letzten drei Monate rekapituliert.
Natürlich fällt einem rasch Michel Houellebeqs »Unterwerfung« von 2015 ein, in dem ein muslimischer Präsident gewählt wird und nicht zuletzt mit arabischem Geld eine »freundliche Übernahme« des institutionellen Frankreich erreicht. Constantin Schreibers »Die Kandidatin« nimmt durchaus Anleihen an dieses Arrangement, aber es ist doch ein ganz anderer Roman.
Der Verlag nennt das Jahr 2041, in dem das Geschehen angesiedelt sein soll. Einige Angaben im Buch legen nahe, dass das nicht sein kann. Wie auch immer: Marine Le Pen ist Präsidentin in Frankreich und der greise Xi Jinping steuert immer noch die Geschicke Chinas. Er ist soeben mit seiner Armee in Taiwan einmarschiert und hat die Insel annektiert. Auch Wladimir Putin ist noch Präsident und bedroht (wie schon immer) die Ukraine. Der Nahe Osten (außer Israel) droht zu »implodieren«. Aber Saudi Arabien hat die Atombombe. Die USA kommt nur als Ort von Rassenunruhen vor. Die EU ist praktisch am Ende. Der Euro existiert noch, aber »stetig fallende Negativzinsen führten dazu, dass sowohl Guthaben als auch Schulden immer weniger wert wurden« und »Gold und Aktien…zur Parallelwährung« wurden. China erpresst die Europäer mit seinen Euroanleihen. Hier ist die neue Supermacht.
Deutschland wird von einer Bundeskanzlerin regiert. Sie wird nur als Funktionsträgerin erwähnt; die Person bleibt diffus, wie die Regierung zusammengesetzt ist, erfährt man nicht. Der Innenminister ist ein Förderer von Sabah Hussein, für die er »den Posten der Sonderbeauftragten für öffentliche Dialoge« schuf – weniger aus Überzeugung als aus Karrieregründen, um nicht von Menschen und Organisationen mit »Vielfaltsmerkmalen« angegriffen zu werden. Hussein ist 44, sieht aber jünger aus. Den Hijab hatte sie nach Konsultation mit »ihrem« Imam mit Eintritt in die Politik abgelegt, aber in einer bundesweiten Aktion das Tragen des Hijab als feministisch-emanzipatorische Geste für junge Muslima geframt. Sie selber kleidet sich modisch, auffallend, während »von zahlreichen progressiven Frauen und Männern und Diversen« ganz selbstverständlich der »einfarbige Genderkaftan« getragen wird, »der jegliche Körperformen neutral verhüllt« (ergänzend dazu die »Unisexboots ‘Birkendocs‘«).