Ro­land Schim­mel­p­fen­nig: An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts

Roland Schimmelpfennig: An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
Ro­land Schim­mel­p­fen­nig:
An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts

Ein Wolf über­schrei­tet ei­nen ge­fro­re­nen Fluss. Drei Wo­chen spä­ter: To­masz fährt nach Ber­lin zu sei­ner Freun­din Agnieszka. Bei­de kom­men aus Po­len; er ar­bei­tet auf dem Bau, sie hat meh­re­re Jobs, als Putz­frau und Kin­der­mäd­chen, sechs Ta­ge in der Wo­che. Es schneit und es ist kalt und To­masz steht in ei­nem Stau, der meh­re­re Stun­den dau­ern soll. Er steigt aus und da sieht er den Wolf, macht ein Fo­to und das wird bald ganz Ber­lin elek­trisieren. Fast gleich­zei­tig ver­schwin­det ein Mäd­chen, das von sei­ner Mut­ter zu­wei­len ge­schla­gen wird. Sie ist abge­hauen mit dem Nach­bars­jun­gen. Der Bus­fah­rer be­merkt das Feh­len. Wäh­rend­des­sen ge­hen Mäd­chen und Jun­ge durch den Wald, fin­den ei­nen to­ten Jä­ger mit Ge­wehr. Der Va­ter des Jun­gen ist Al­ko­ho­li­ker, hat kürz­lich ei­nen Sui­zid ver­sucht und ist in der Psych­ia­trie. Die El­tern des Mäd­chens sind ge­schie­den; bei­de wa­ren oder sind Künst­ler (ge­we­sen). In wei­te­ren Rol­len: Char­ly und Jacky, ein Ehe­paar, das in Prenz­lau­er Berg ei­nen Ki­osk be­treibt und Dia­lo­ge führt wie in ei­ner RT­LII-Soap, ein Ex-Leh­rer, ei­ne Prak­ti­kan­tin, die über den Wolf für ei­ne Zei­tung et­was schrei­ben soll, ein Chi­le­ne, der Ru­mä­ne ist, ei­ne Frau, die ih­re so­eben ver­stor­be­ne Mut­ter noch ein­mal has­sen darf und da­her de­ren Ta­ge­bü­cher ver­brennt und ein al­tes Ehe­paar.

Es geht um all die­se Fi­gu­ren (und noch ein paar mehr) in Ro­land Schim­mel­p­fen­nigs »An ei­nem kla­ren, eis­kal­ten Ja­nu­ar­mor­gen zu Be­ginn des 21. Jahr­hun­derts«. Sie wer­den in ins­ge­samt 103, meist kur­zen sze­ni­schen Ein­spie­lern, ein paar Ta­ge im Fe­bru­ar 2003 in und um Ber­lin aus wech­seln­der Per­spek­ti­ve be­glei­tet. Kern des Bu­ches ist die Aus­reißergeschichte zwei­er Ju­gend­li­cher – des »Mäd­chens« und des »Jun­gen«. So wie die­se bei­den blei­ben vie­le an­de­re Fi­gu­ren in die­sem Buch na­men­los und wenn die Na­men dann doch – mehr oder we­ni­ger zu­fäl­lig – fal­len, wer­den sie nicht ver­wen­det. Da muss der Le­ser zwi­schen dem »Va­ter des Jun­gen«, »Va­ter des Mäd­chens«, »Mut­ter des Jun­gen« und »Mut­ter des Mäd­chens« un­ter­schei­den. Spä­ter kom­men un­ter an­de­ren noch ein Bru­der des Va­ters des Jun­gen und ei­ne Freun­din der Mut­ter des Mäd­chens hin­zu. Das klingt ver­wir­ren­der als es ist. Im Lau­fe des Bu­ches ent­steht dann ei­ne Rei­gen-Struk­tur. Es kommt zu kur­zen oder, sel­te­ner, län­ge­ren Be­geg­nun­gen der Fi­gu­ren mit­ein­an­der. Fast je­der be­kommt es ein­mal mit je­dem zu tun (so­gar das Ge­wehr macht die Run­de) und man könn­te si­cher­lich schö­ne Gra­phi­ken er­stel­len, wer wem wann be­geg­net – wenn es nicht so egal wä­re.

Wei­ter­le­sen ...