Vor zwei Jahren habe ich in diesem Blog unter dem Titel Der Wille zum Nichtwissen Anmerkungen zu einer Reihe von mehr oder weniger berühmten Sätzen zum Thema »Wahrheit«, oder zumindest in Zusammenhang mit diesem Begriff, veröffentlicht. Es liegt auf der Hand, daß sich diese Reihe fortsetzen ließe, sie ist wohl unabschließbar, die Willkür setzt einen Schlußpunkt. Trotzdem, sicher auch bedingt durch einige Einwände gegen das von mir Vorgebrachte, die ich dort und da las oder hörte, habe ich mich weiter damit auseinandergesetzt. Besonders die oft vergnügliche, vom »epistemischen« Standpunkt natürlich nicht immer befriedigende Lektüre von Büchern Richard Rortys hat mich dazu bewogen, der Serie noch ein Stück hinzuzufügen.
Truth is what one’s peers, ceteris paribus, let one get away with saying.
Ich zitiere Richard Rorty hier auf englisch, weil ich mit der deutschen Übersetzung dieses Satzes in seinem Buch Der Spiegel der Natur meine Schwierigkeiten habe. Wie so oft ist eine wichtige Äußerung Rortys in Diskussion und Kritik, d. h. in ein verwickeltes Hin und Her verpackt. Indirekt versteht man im dort gegebenen Kontext, daß Rorty die Auffassung vertritt, Wahrheit sei nicht mehr als »gerechtfertigte Behauptbarkeit« (ein Ausdruck, den er von John Dewey übernimmt). Der Satz in Der Spiegel der Natur lautet so: »Wahrheit ist nicht mehr als der Umstand, daß unsere Mitmenschen eine Aussage – ceteris paribus – gelten lassen werden.« Ich würde ihn lieber so übersetzen, auch auf die Gefahr hin, daß ich den sprachlichen Ausdruck dabei verbessere: »Wahr sind solche Aussagen, die deine Gesprächspartner als wahr gelten lassen.« Peers sind natürlich die Fachkollegen, aber da Rorty in diesem Buch und auch sonst großen Wert auf das nicht abreißende Gespräch unter vernünftigen, gleichberechtigten Gesprächspartner legt und seine Aussagen gewöhnlich nicht nur auf den akademischen Kontext beschränkt wissen will, scheint mir dieses Wort für die Übersetzung besser zu passen. Verstünde man unter »peers« alle Mitmenschen oder die Mitbürger eines Landes, so wäre Wahrheit in jedem einzelnen Fall das Ergebnis eines Plebiszits, oder heutzutage: einer digitalen Ermittlung, sie würde durch ein Ranking gekürt. Wahr ist, was populär ist.