Der deut­sche Mi­cha­el Moo­re

Ei­ni­ge be­zeich­nen Chri­stoph Lüt­gert in­zwi­schen als den deut­schen Mi­cha­el Moo­re. Es ist an­zu­neh­men, dass dies als Kom­pli­ment ge­meint ist; die Vor­wür­fe der Ma­ni­pu­la­ti­on von Fak­ten ge­gen­über Moo­re sind ja im links­li­be­ra­len Main­stream nie mit der not­wen­di­gen Ernst­haf­tig­keit ver­folgt wor­den. Lüt­gert hat ver­mut­lich kei­ne Fak­ten ver­bo­gen. Aber wie Moo­re geht er äu­ßerst sug­ge­stiv vor und per­so­na­li­siert gna­den­los sei­ne Do­ku­men­ta­tio­nen. Im Maschmey­er-Film vom 12. Ja­nu­ar er­scheint Lüt­gert ge­fühl­te 20 von 30 Mi­nu­ten auf dem Bild­schirm. Ge­sten er­schei­nen in Groß­auf­nah­me. Zum fe­sten Be­stand­teil sei­ner län­ge­ren Fil­me ge­hört das Selbst­ge­spräch, in dem er den Zu­stand der Welt im all­ge­mei­nen und im be­son­de­ren be­klagt. Mal im lee­ren Fuß­ball­sta­di­on von Han­no­ver, mal auf der Stra­ße. Es ist un­mög­lich, der Mei­nung Lüt­gerts in die­sen Fil­men zu ent­kom­men. Sie ist im­mer schon da, wird breit­ge­tre­ten und in je­der Sze­ne un­ter­stri­chen – sei es op­tisch oder über den Kom­men­tar; zu­meist si­mul­tan. So­gar im Ti­tel ist schon klar: Da sind die Bö­sen und Ga­la­had Lüt­gert er­klärt uns die Welt. Der Film über den Tex­til­dis­coun­ter »KiK« im Au­gust 2010 heißt nicht nur »Die KiK-Sto­ry« son­dern be­kommt so­fort ein At­tri­but da­zu: »die mie­sen Me­tho­den des Tex­til­dis­coun­ters«. Beim Maschmey­er-Film ging man es et­was sanf­ter an und ti­tel­te nur »Der Drücker­kö­nig und die Po­li­tik«. Da­für heißt es dann be­deu­tungs­voll zu Be­ginn des Films: »Schur­ke oder Edel­mann«.

Zu Be­ginn sei­nes Fil­mes über »KiK« und geht Lüt­gert ein­kau­fen. Für noch nicht ein­mal 26 Eu­ro ist er kom­plett ein­ge­klei­det – und wun­dert sich, wie so­was funk­tio­niert. Er fliegt nach Ban­gla­desch und be­sucht ei­nen Be­trieb, in dem Tex­ti­li­en für »KiK« ge­näht wer­den. Er be­schäf­tigt sich mit den Ar­beits­be­din­gun­gen, den Löh­nen und be­sucht ei­ne Ar­bei­te­rin. De­ren Nef­fe liegt im Ster­ben; die Fa­mi­lie hat kein Geld für ei­ne Be­hand­lung. Lüt­gert klagt »Das Kind stirbt«, un­ter­drückt müh­sam sei­ne Trä­nen und sug­ge­riert, »KiK« hät­te die Schuld, weil die Nä­he­rin zu schlecht be­zahlt wer­de. (Das Kind stirbt dann nicht, son­dern fin­det Be­hand­lung.)

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Der Sturz des Hel­den

Jetzt geht’s an die De­kon­struk­ti­on ei­nes Hel­den: Mi­cha­el Moo­re. Die ka­na­di­schen Fil­me­ma­cher Debbie Mel­nyk und Rick Cai­ne ha­ben her­aus­ge­fun­den, dass Moo­re, die Ver­kör­pe­rung des »gu­ten Ame­ri­ka« in sei­nen Fil­men Tat­sa­chen un­ter­schla­gen, ver­dreht und/oder ma­ni­pu­liert ha­ben soll.

Das Ge­schütz, dass die bei­den in ih­rem Film »Ma­nu­fac­tu­ring Dis­sent« (»Die Her­stel­lung von Dis­senz« – of­fi­zi­el­le Erst­aus­strah­lung in Deutsch­land am 5. Mai auf dem Do­ku­men­tar­film­fe­sti­val in Mün­chen) auf­fah­ren, ist wohl enorm. Zwar hat das deut­sche Feuil­le­ton bis­her eher mil­de re­agiert (man mag ja so schnell nicht das auf­ge­ben, was man – man­gels ei­ge­ner Re­cher­chen und Be­triebs­blind­heit – jah­re­lang kri­tik­los ge­fei­ert hat). Aber es ist si­cher kei­ne Klei­nig­keit, wenn Moo­re in Per­ma­nenz in sei­nem Film »Ro­ger and Me« be­haup­tet, der GM-Chef Ro­ger Smith ha­be selbst nach mehr­fa­chem An­fra­gen nicht auf Moo­res Wunsch zu ei­nem Ge­spräch über die dro­hen­de Schlie­ssung ei­nes gro­ssen Wer­kes ge­ant­wor­tet. Im Film der Ka­na­di­er tritt Moo­res ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter Ja­mes Mus­sel­mann auf, der ex­akt das Ge­gen­teil be­haup­tet. Dem­nach ha­be es ein 10–15 mi­nü­ti­ges Ge­spräch zwi­schen Smith und Moo­re im Waldorf=Astoria ge­ge­ben, in dem der In­du­strie­boss durch­aus poin­tiert Moo­res Fra­gen be­ant­wor­tet ha­ben soll.

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