Bemerkungen zu sechs Büchern

Der Brite John Sweeney, jahrelanger BBC-Reporter und ein erfahrener Kriegsberichterstatter, ist 64 Jahre alt. Er hat mehr als 240.000 Follower auf Twitter und trägt zumeist eine orange Mütze. Er war im Februar 2022 in der Ukraine, in Kiew (ich bleibe bei dieser Schreibweise) und erlebte den Kriegsbeginn hautnah mit. Seine jahrelange Beschäftigung mit Wladimir Putin und die Erfahrungen auch in diesem neuen Krieg (er fuhr unter anderem nach Butcha) hat er nun zu einem mehr als 300seitigen Buch mit dem reißerischen Titel »Der Killer im Kreml« zusammengefasst. Es wird, so der Untertitel, »Wladimir Putins skrupelloser Aufstieg und seine Vision vom großrussischen Reich«, behandelt.
Sweeney kennt Putins Kriegsführung, war in den 2000er Jahren mehrmals in Tschetschenien, berichtete von Zivilisten, die unter Artilleriefeuer fliehen mussten, obwohl ihre Evakuierung angemeldet war und sich mit weißen Fahnen bewegten. Er war bei der Abschussstelle der MH17 und sah Grausiges. Für ihn ist Putin niemand, der sich verändert hat – seine Brutalität war schon immer da. Die Bombenanschläge auf Wohnhäuser in Moskau 1999, die Geiselnahmen im Dubrowka-Theater 2002 und Beslan 2004 – alles Terroranschläge, die nach offizieller Lesart von tschetschenischen Terroristen verübt worden waren, aber, so einige Indizien Sweeneys, in Wirklichkeit »schwarze Operationen« des russischen Inlandsgeheimdienstes waren, um die Brutalität im Krieg in Tschetschenien zu rechtfertigen und Putin als »starken Mann« zu zeigen.
Die These, dass die Moskauer Anschläge auf Wohnhäuser vom FSB inszeniert worden sind, wird von der Geschichte um den »gescheiterten« Anschlag von Rajsan, als Zeugen eindeutig russisch-aussehende Bombenleger identifizierten, genährt. Auch zur Geiselnahme von 2002 gibt es zahlreiche Ungereimtheiten und ungeklärte Fragen (die vermutlich der Journalistin Anna Politkowskaya das Leben gekostet haben könnten). Sweeneys Einlassungen zu Beslan sind hingegen eher spekulativ.
Damit wird – leider – das Wesen dieses Buches deutlich. Diese Boulevardisierung ist umso bedauerlicher, als Sweeney wirklich umfangreiche und faktenbasierte Informationen über die (Un-)Taten Putins und seiner Regierung chronologisch, allerdings in populärem Duktus vorlegt. Die Liste ist lang: Anschläge, merkwürdige »Selbstmorde« von Oppositionellen, Verhaftungen, Morde, Vergiftungen und Verletzung völkerrechtlich verbindlicher Grenzen, völkermordähnliches Vorgehen in Kriegen und die Einlullung westlicher Staats- und Regierungschefs bis hin zur Unterstützung rechtsnationalistischer und linker Parteien in der EU und der Trump-Parteinahme im US-Wahlkampf. Das ist alles nicht neu, aber in der Aufzählung beeindruckend, weil man deutlich gemacht bekommt, wie diese Vorgehensweisen praktisch schon zur Nachrichtenroutine geworden waren, wobei die einzelnen Taten kurzfristig für Entsetzen sorgten, am Ende jedoch wieder rasch zum Alltag zurückgekehrt wurde. Manchmal verblüfft Sweeney den Leser, in dem er scheinbar Unwichtiges berichtet, wie etwa die Liste der Verspätungen, die ausländische Staats- und Regierungschefs auf Putin warten mussten (man ist überrascht, wer am längsten warten musste).