
Krieg hat in der Zunft der zeitgenössischen Geschichtsschreiber, um es salopp auszudrücken, keine gute Presse. Auch die kanadische Historikerin Margaret MacMillan ist keine Bellizistin, aber sie möchte mit ihrem Buch »Krieg« (Übersetzung von Klaus-Dieter Schmidt) dieses Phänomen sachlich erklären und erläutern »wie Konflikte die Menschheit prägten«. Krieg sei, so MacMillan im Vorwort, »keine Verirrung […], die man am besten so schnell wie möglich vergisst. Auch ist er nicht einfach die Abwesenheit von Frieden, dem vermeintlichen Normalzustand. Wenn wir nicht begreifen, wie tief Krieg und Gesellschaft ineinander verwoben sind – so sehr, dass man nicht sagen kann, wer von beiden dominiert oder ursächlich ist –, übersehen wir eine wichtige Dimension der Menschheitsgeschichte.« Ihr Ziel ist es, die »organisierte Gewalt« als Bestandteil der Geschichte anzuerkennen, ohne sofort in moralische Kategorien zu verfallen. Gleichzeitig möchte sie die Forschung über den Krieg nicht mehr nur den Militärhistorikern überlassen, die »vor sich hinforschen, ihre unappetitlichen Funde zutage fördern und ihre wenig erbaulichen Geschichten verfertigen, ohne jemanden zu stören.«
Der Grat scheint schmal, den MacMillan (Jahrgang 1943) betritt. Zu Beginn wirft sie die Frage auf, was aus Europa geworden wäre, wenn beispielsweise »die muslimischen Führer den ganzen Kontinent erobert hätten, was ihnen mehrmals beinahe gelungen wäre« oder wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Diese kontrafaktischen Überlegungen sollen nicht als Rechtfertigung für Kriege per se dienen, aber wohl aufzeigen, wie kriegerische Handlungen die aktuelle Gegenwart auch noch nach Jahrhunderten prägen. So sind die »starken Nationalstaaten von heute mit ihren Zentralregierungen und gut organisierten Bürokratien […] das Produkt von Jahrhunderten des Krieges.« Zum einen sind im 19. Jahrhundert Nationalstaaten als Folge von Kriegen entstanden und hatten dann – zum anderen – bisweilen durchaus friedensstiftende Wirkungen.
»Der Krieg«, so MacMillan, »ist vermutlich die am besten organisierte aller menschlichen Aktivitäten, und er hat seinerseits die Organisation der Gesellschaft vorangetrieben.« Einige Beispiele, die man zunächst nicht militärisch deuten würde wie das Kettenhemd oder den Steigbügel bringt sie an. Die Entwicklung von Waffen hatte immer auch Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft. Der Nationalismus schließlich lieferte, so MacMillan, »die Motivation und die industrielle Revolution die Mittel« für Kriege.
In neun Kapiteln untersucht MacMillan Facetten des Krieges und deren Auswirkungen. Einen großen Teil der Quellen für ihre Beobachtungen und Hypothesen bilden fiktionale Texte, wie jene von Homer, Thukydides, Vergil, Horaz, Sallust, William Shakespeare, Frederic Manning, Erich-Maria Remarque oder Ernst Jünger. Thomas Hobbes und Jean Jacques Rousseau kommen mit ihren unterschiedlichen Gesellschaftsmodellen zu Wort. Sunzi (oder auch Sun Tsu), Machiavelli und Clausewitz werden als Militärstrategen herangezogen. Es finden sich Zitate aus den Tagebüchern von Samuel Pepys und Marta Hillers. Gegenwärtige Kronzeugen für ihre Thesen sind vor allem Swetlana Alexijewitsch und Steven Pinker.