Ulf Po­s­ch­ardt: Shit­bür­ger­tum

Ulf Poschardt: Shitbürgertum
Ulf Po­s­ch­ardt:
Shit­bür­ger­tum

Die Ab­sa­ge des Ver­lags zu Klam­pen mach­te erst recht neu­gie­rig. Was hat­te Ulf Po­s­ch­ardt, der (da­ma­li­ge) Chef­re­dak­teur der Welt, oh­ne­hin nicht be­kannt für aus­ge­wo­ge­ne For­mu­lie­run­gen, bloß ge­schrie­ben? Schon der de­si­gnier­te Ti­tel: Shit­bür­ger­tum. Po­s­ch­ardt mach­te nun et­was Au­ßer­ge­wöhn­li­ches: Er such­te sich kei­nen neu­en Ver­lag, was ihm si­cher­lich ein Leich­tes ge­we­sen wä­re, son­dern gab sein Buch als Selbst­pu­bli­ka­ti­on her­aus. Es lie­ge »sehr bil­lig in den Hän­den« schrieb mir ein Freund, wo­mit Pa­pier und Um­schlag ge­meint wa­ren. In­nen fun­ke­le es al­ler­dings. Ich war­te­te auf das E‑Book bei Ama­zon. Ein paar Mo­na­te spä­ter nahm sich der West­end-Ver­lag der Sa­che an und Po­s­ch­ardt schrieb noch ein Ka­pi­tel zur in­zwi­schen statt­ge­fun­de­nen Bun­des­tags­wahl 2025 da­zu.

Mit dem Ver­lag im Rücken schaff­te es das Buch bis auf Platz 3 der der Spie­gel Best­sel­ler­li­ste. Es gilt längst als Kult; man bie­tet so­gar Kaf­fee­be­cher und Base­caps im Co­ver-Aus­se­hen an. »Re­spekt muss man sich ver­die­nen, Re­spekt­lo­sig­keit auch«, so Po­s­ch­ardt im »Vor­vor­wort« zum Ti­tel. Wei­ter hin­ten er­fährt man, dass ihn der ar­gen­ti­ni­sche Prä­si­dent Ja­vier Mi­lei da­zu in­spi­riert ha­be. Der ha­be die Lin­ke »Schei­ße« ge­nannt. Und da­nach ei­ne Wahl ge­won­nen.

2016 ent­deck­te Po­s­ch­ardt schon ein­mal ei­ne neue Ge­sell­schafts­schicht und ver­öf­fent­lich­te ein Buch über das Ge­schmacks­bür­ger­tum. Die Zeit des Bil­dungs­bür­gers ge­he zu En­de, so stand im Wer­be­text. »Bil­dung wird durch Ge­schmack er­setzt«. Was das ge­nau be­deu­tet, ist schwer zu sa­gen; das Buch ist ver­grif­fen und wur­de nur we­nig kom­men­tiert. »Der Bür­ger strebt nach Schön­heit, auch weil er sich selbst da­mit re­prä­sen­tie­ren will«, schreibt Po­s­ch­ardt 2014 und de­kla­miert: »Der Kul­tur­kampf ist vor­bei.« Min­de­stens galt es für die Ar­chi­tek­tur.

Zehn Jah­re spä­ter ist die­se Epi­so­de, so­fern es sie je gab, vor­bei. Weg auch mit den halb­wegs vor­neh­men Um­schrei­bun­gen à la »links-li­be­ral« oder »ju­ste mi­lieu«, vor­bei der im­mer et­was dum­me Spruch vom »Gut­men­schen­tum« (wo sind denn die »Bös­men­schen«?), mit dem man die sich mo­ra­lisch und sitt­lich über­le­gen füh­len­den cha­rak­te­ri­sier­te. Die­ses Mi­lieu wird jetzt »Shit­bür­ger­tum« ge­nannt. Über­all fin­den de­ren Re­prä­sen­tan­ten, mo­ra­lin­saure Bes­ser­wis­ser, die un­ge­fragt an­de­ren Essens‑, Reise‑, Lektüre‑, Sprach‑, Mo­bi­li­täts- und Ver­hal­tensim­pe­ra­ti­ve er­tei­len. Sie er­klä­ren Ve­ge­ta­ris­mus, au­to­frei­es Le­ben, an­ti­dis­kri­mi­nie­ren­de Lek­tü­re, gen­der­sprach­li­che For­mu­lie­run­gen und CO2-neu­tra­le Le­bens­wei­se nicht zu Emp­feh­lun­gen, son­dern ma­chen sie zu Dog­men. Die Sa­che ist kei­nes­wegs so put­zig, wie es den An­schein hat. »Als Dis­zi­pli­nar­macht im fou­cault­schen Sin­ne rich­tet das Shit­bür­ger­tum in sei­nen Be­ru­fen im Kul­tur- und Me­di­en­be­reich, in Kir­chen und NGOs, im vor­po­li­ti­schen Raum und in den Par­tei­en über All­tag und Le­ben der an­de­ren«, so Po­s­ch­ardt. Vor­bei die Zei­ten, in de­nen man sich über Schlab­ber­pul­li-tra­gen­de Ökos in San­da­len noch amü­sie­ren konn­te. Das Shit­bür­ger­tum ist schlei­chend, aber deut­lich an den Schalt­he­beln der po­li­ti­schen (und me­dia­len) Macht an­ge­kom­men. Der neue­ste Trick: Al­les, was ge­gen die neu­en Im­pe­ra­ti­ve in Stel­lung ge­bracht wird, als »Kul­tur­kampf« zu de­kla­rie­ren. Kul­tur­kämp­fer sind im­mer die an­de­ren.

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Sahra Wa­gen­knecht: Die Selbst­ge­rech­ten

Sahra Wagenknecht: Die Selbstgerechten
Sahra Wa­gen­knecht:
Die Selbst­ge­rech­ten

Sahra Wa­gen­knecht ge­hört in Deutsch­land zwar zu den be­kann­te­sten Po­li­ti­kern der Par­tei Die Lin­ke (hier im wei­te­ren »Links­par­tei« ge­nannt, um die­se von der all­ge­mein­po­li­ti­schen Rich­tung »Lin­ke« ab­zu­gren­zen), aber ist auch ein Bei­spiel da­für, dass Be­kannt­heit, über­par­tei­li­che Be­liebt­heit und Re­spekt nicht au­to­ma­tisch mit Ein­fluss in der je­wei­li­gen Par­tei ver­bun­den ist. Man spricht dann schnell von je­man­den, der »in der fal­schen Par­tei« sei.

Man kann Wa­gen­knecht vie­les vor­wer­fen, aber Angst vor Kon­flik­ten ge­hört nicht da­zu. Trotz ih­rer Ent­mach­tung nebst Ab­lö­sung als Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de der Links­par­tei im Bun­des­tag 2019 und dem mehr oder we­ni­ger sicht­ba­ren Schei­tern ei­ner au­ßer­par­la­men­ta­ri­schen, lin­ken Samm­lungs­be­we­gung »auf­ste­hen« wagt sie sich im­mer wie­der ins Ge­tüm­mel. So wur­de sie un­längst zur Spit­zen­kan­di­da­tin der Links­par­tei in NRW ge­wählt, was da­hin­ge­hend in­ter­es­sant ist, weil Wa­gen­knecht ei­gent­lich nichts mit die­sem Bun­des­land zu tun hat. Was sie nicht da­von ab­hält, im Wahl­kreis Düs­sel­dorf II an­zu­tre­ten.

Zum in­ner­par­tei­li­chen Streit­fall wur­de die Kan­di­da­tur un­ter an­de­rem durch die Pu­bli­ka­ti­on ih­res neue­sten Bu­ches »Die Selbst­ge­rech­ten«, in dem Wa­gen­knecht fu­ri­os mit dem so­ge­nann­ten »Links­li­be­ra­lis­mus« ins Ge­richt geht, für den sie bis­wei­len den leicht de­spek­tier­li­chen, aber grif­fi­gen Be­griff »Life­style-Lin­ke« ver­wen­det.

Al­len Be­kennt­nis­sen zum Trotz ist »Die Selbst­ge­rech­ten« bis­wei­len durch­aus auch ei­ne Ab­rech­nung. Da­bei ist es kein Zu­fall, dass es star­ke Über­ein­stim­mun­gen mit Bernd Ste­ge­manns »Die Öf­fent­lich­keit und ih­re Fein­de« gibt – war doch Ste­ge­mann Mit­grün­der und im Vor­stand von »auf­ste­hen«. Wa­gen­knechts Vor­ha­ben geht aber wei­ter. Zwar kri­ti­siert sie zu­nächst auf rund 200 Sei­ten die so­ge­nann­te »lin­ke« Iden­ti­täts­po­li­tik, aber an­schlie­ßend fol­gen auf rund 140 Sei­ten Po­si­tio­nie­run­gen für ei­ne neue, zeit­ge­mä­sse »lin­ke« Po­li­tik, die die­sen Na­men ver­die­nen soll.

Ent­frem­de­te Life­style-Lin­ke

Im Fo­kus von Wa­gen­knechts Kri­tik steht der »Links­li­be­ra­lis­mus«. Da­mit meint sie aus­drück­lich nicht die so­zi­al­li­be­ra­le Po­li­tik­rich­tung der Re­gie­run­gen zwi­schen 1969 und 1982: »Wenn in die­sem Buch von Links­li­be­ra­lis­mus die Re­de ist, ist der Be­griff im­mer im mo­der­nen Ver­ständ­nis als Be­zeich­nung für die Welt­sicht der Life­style-Lin­ken ge­meint und nie in dem frü­he­ren Wort­sinn.« Die­se Un­ter­schei­dung sei wich­tig weil bei­de Denk­rich­tun­gen nichts mit­ein­an­der zu tun hät­ten. Den Be­griff ver­wen­de sie trotz­dem, weil er sich eta­bliert ha­be. Da­mit ver­fährt sie ähn­lich wie in ih­rem Buch »Frei­heit statt Ka­pi­ta­lis­mus« von 2011, in dem »Neo­li­be­ra­lis­mus« eben­falls in der zeit­ge­nös­si­schen Kon­no­ta­ti­on (vul­go: de­re­gu­lier­tes Wirt­schafts­sy­stem) ver­wen­det wird und nicht im Sin­ne der ordo-li­be­ra­len Ent­wür­fe von Eucken und Mül­ler-Arm­ack (ob­wohl sie die­se er­wähnt).

Die vor­ge­brach­te Dia­gno­se ist bei­lei­be nicht neu: Sich links wäh­nen­de Ak­ti­vi­sten, mehr­heit­lich aka­de­misch aus­ge­bil­det, so­li­de Mit­tel- bis Ober­schicht, groß­städ­tisch, »welt­of­fen und selbst­ver­ständ­lich für Eu­ro­pa, auch wenn je­der un­ter die­sen Schlag­wor­ten et­was an­de­res ver­ste­hen mag«, be­sorgt ums Kli­ma, setzt sich für »Eman­zi­pa­ti­on, Zu­wan­de­rung und se­xu­el­le Min­der­hei­ten ein«. Sie usur­pie­ren den Dis­kurs in­ner­halb der po­li­ti­schen Lin­ken. Der Na­tio­nal­staat ist die­sen »Life­style-Lin­ken« ein Aus­lauf­mo­dell: Man schätzt »Au­to­no­mie und Selbst­ver­wirk­li­chung mehr als Tra­di­ti­on und Ge­mein­schaft. Über­kom­me­ne Wer­te wie Lei­stung, Fleiß und An­stren­gung fin­det [man] un­cool.«

Wa­gen­knecht kon­sta­tiert ei­ne Ent­frem­dung der Lin­ken mit ih­ren po­ten­ti­el­len Wäh­lern: »Frü­her ge­hör­te es zum lin­ken Selbst­ver­ständ­nis, sich in er­ster Li­nie für die we­ni­ger Be­gün­stig­ten ein­zu­set­zen, für Men­schen oh­ne ho­he Bil­dungs­ab­schlüs­se und oh­ne res­sour­cen­star­kes fa­mi­liä­res Hin­ter­land. Heu­te steht das La­bel links meist für ei­ne Po­li­tik, die sich für die Be­lan­ge der aka­de­mi­schen Mit­tel­schicht en­ga­giert und die von die­ser Schicht ge­stal­tet und ge­tra­gen wird.«

Ge­meint ist der bis­wei­len ver­bit­ter­te, in Uni­ver­si­tä­ten aber auch so­zia­len Netz­wer­ken bis hin­ein in die Pu­bli­zi­stik ge­führ­te Kampf für Sprach- und Sprech­ge- bzw. ver­bo­te, vor al­lem je­doch ge­gen ver­meint­li­chen Ras­sis­mus und Dis­kri­mi­nie­run­gen von Min­der­hei­ten. Er will al­ler­dings, so Wa­gen­knecht, kei­ne recht­li­che Gleich­heit, son­dern ufert aus in »Quo­ten und Di­ver­si­ty, al­so für die un­glei­che Be­hand­lung un­ter­schied­li­cher Grup­pen.« Die Fol­ge: »Der iden­ti­täts­po­li­ti­sche Links­li­be­ra­lis­mus, der die Men­schen da­zu an­hält, ih­re Iden­ti­tät an­hand von Ab­stam­mung, Haut­far­be, Ge­schlecht oder se­xu­el­len Nei­gun­gen zu de­fi­nie­ren, […] spal­tet […] da, wo Zu­sam­men­halt drin­gend not­wen­dig wä­re. Er tut das, in­dem er an­geb­li­che Min­der­hei­ten­in­ter­es­sen fort­lau­fend in Ge­gen­satz zu de­nen der Mehr­heit bringt und An­ge­hö­ri­ge von Min­der­hei­ten da­zu an­hält, sich von der Mehr­heit zu se­pa­rie­ren und un­ter sich zu blei­ben. Nach­voll­zieh­ba­rer­wei­se führt das bei der Mehr­heit ir­gend­wann zu dem Ge­fühl, die ei­ge­nen In­ter­es­sen ih­rer­seits ge­gen die der Min­der­hei­ten be­haup­ten zu müs­sen.« (Her­vor­he­bun­gen S. W.)

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