Ein hei­te­rer Kul­tur­pes­si­mist

Por­trät des mu­si­schen In­for­ma­ti­kers Pe­ter Reichl

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Peter Reichl: Homo cyber
Pe­ter Reichl: Ho­mo cy­ber

Ho­mo cy­ber, der ky­ber­ne­ti­sche Mensch. Nicht zu ver­wech­seln mit dem Cy­borg, der ma­schi­nel­le Pro­the­sen in sei­nen Kör­per in­te­griert hat. Frei­lich ten­diert auch der ky­ber­ne­ti­sche Mensch da­zu, sich di­gi­ta­le Ge­rä­te ein­zu­ver­lei­ben. Be­ob­ach­tet man Pas­sa­gie­re in der U‑Bahn, ge­winnt man den Ein­druck, dass sie ihr in­tel­li­gen­tes »Te­le­fon« gar nicht mehr los­las­sen, als könn­ten sie oh­ne es nicht exi­stie­ren.

Ho­mo via­tor, ho­mo lu­dens… Es gab in der Ver­gan­gen­heit noch an­de­re fe­ste Wort­ver­bin­dun­gen mit »ho­mo«. Ho­mo fa­ber – der Ma­cher, Hand­wer­ker, Tech­ni­ker – tritt im gleich­na­mi­gen Ro­man von Max Frisch als In­be­griff des In­ge­nieurs auf. Pe­ter Reichl, der die neue Wort­ver­bin­dung ge­prägt hat und als Buch­ti­tel ver­wen­det, kommt in den bei­den bis­her er­schie­nen Bän­den1 mehr­fach auf Max Frisch und sei­nen In­ge­nieur zu spre­chen. An­schei­nend ha­ben der Ky­ber­ne­ti­ker, der In­for­ma­ti­ker, der Pro­gram­mie­rer, aber auch der ge­mei­ne »User« von Per­so­nal­com­pu­ter und Smart­phone, den In­ge­nieur als Leit­fi­gur der Mo­der­ne ab­ge­löst. Der Ho­mo sa­pi­ens hat sich zum Ho­mo cy­ber ge­wan­delt.

In der bio­gra­phi­schen No­tiz am En­de von Reichls Buch er­fah­ren wir zu un­se­rer Über­ra­schung, dass der Au­tor In­for­ma­tik­pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Wien ist. Gut, der Mann hat vie­ler­lei mit­zu­tei­len, und man­ches da­von geht nicht so leicht in ei­nen ma­the­ma­tisch un­ge­bil­de­ten Kopf, ob­wohl da von sehr al­ten, ver­hält­nis­mä­ßig ein­fa­chen Pro­blem­stel­lun­gen die Re­de war. Gleich­zei­tig aber wa­ren in dem Buch Hal­tun­gen aus­ge­drückt, Schluss­fol­ge­run­gen for­mu­liert und Vor­schlä­ge ge­macht, zu de­nen ich selbst auf an­de­ren We­gen ge­langt war, et­wa in dem Buch Pa­ra­si­ten des 21. Jahr­hun­derts. Als di­gi­ta­ler Skep­ti­ker – wie der In­for­ma­tik­pro­fes­sor selbst? – be­schloss ich, mehr dar­über her­aus­zu­fin­den, woll­te aber al­les Goo­geln ver­mei­den.

2

Reichls Bü­ro be­fin­det sich in ei­nem zwei­stöcki­gen con­tai­ner­ar­ti­gen An­nex der Wie­ner Fa­kul­tät für In­for­ma­tik. Das Ge­bäu­de muss dem­nächst wie­der ab­ge­ris­sen wer­den, an sei­ner Stel­le wird dann, wer weiß für wie lan­ge, wie­der ei­ne Bau­lücke sein. Was an Reichls kör­per­li­chen Er­schei­nung zu­nächst auf­fällt, ist der graue, fast wei­ße Rau­sche­bart, da­zu klei­ne, spring­le­ben­di­ge Au­gen hin­ter der ecki­gen Bril­le. Ei­ne ge­wis­se Fül­lig­keit ist nicht zu ver­leug­nen – man könn­te den Mann mit der kräf­ti­gen Stim­me für ei­nen Opern­sän­ger hal­ten, und tat­säch­lich wä­re er in jun­gen Jah­ren fast ein sol­cher ge­wor­den. Auf den Ar­beits­ti­schen ste­hen klei­ne, al­ter­tüm­li­che Re­chen­ma­schi­nen, wie ich sie von Ab­lich­tun­gen in den bei­den Bü­chern ken­ne. Reichl liebt es, auf die Früh­ge­schich­te der In­for­ma­tik hin­zu­wei­sen, de­ren Be­ginn man et­wa 1623 an­set­zen kann. In die­sem Jahr er­fand der deut­sche Ge­lehr­te Wil­helm Schickard ei­ne Re­chen­ma­schi­ne, mit der man viel­stel­li­ge Zah­len ad­die­ren, sub­tra­hie­ren und mul­ti­pli­zie­ren konn­te.

Wei­ter­le­sen ...


  1. Homo cyber, bisher 2 Bände, erschienen im Salzburger Verlag Müry Salzmann 2023 bzw. 2024