Dalai Lama: Meine spirituelle BiographieDas freundliche Gesicht mit dem Lächeln, die etwas zu große Brille, das scheinbar immergleiche Mönchsgewand. Eine Mischung zwischen Kindchenschema, welches den Beschützergeist mobilisiert und einer uns in diesem Ausmaß nicht mehr bekannten Bescheidenheit, vielleicht sogar Askese: Der Wiedererkennungswert des Dalai Lama (Tenzin Gyatso) geht einher mit einem erstaunlichen Zuspruch, auch und insbesondere in der westlichen Kultur. Es gibt Umfragen, die ihm eine höhere Autorität zuweisen als beispielsweise dem Papst (von lokalen Politikern oder Intellektuellen erst gar nicht zu reden). Und auch die hartnäckigsten Zölibatskritiker sprechen dem Dalai Lama nicht die Kompetenz ab, über Liebe und Zuneigung zu sprechen, obwohl das Keuschheitsgelübde essentiell für einen Mönch ist, gehört es doch zu den vier grundlegenden Gelübden – neben dem Verbot zu töten, zu stehen und zu lügen. So stellt er fest, dass die Befriedigung sexueller Wünsche nur vorübergehende Erfüllung bringe (was man für die Nahrungsaufnahme auch sagen könnte) und plädiert dafür dieses Begehren ganz und gar als solches wahrzunehmen und es durch einen Bewusstseinsprozess zu transzendieren. Trotzig und durchaus humorvoll zitiert er einen indischen Gelehrten mit den Worten »Wenn es einen juckt, dann kratzt man sich. Besser, als sich zu kratzen, ist aber, wenn es einen gar nicht juckt.«
Es wäre natürlich ein Fehler, den Zuspruch nur an Äußerlichkeiten festzumachen. So erscheint dieser Mann mit seiner natürlich wirkenden Fröhlichkeit und der im Kern (so scheinbar) einfachen Botschaft gepaart mit einer Nuance Exotismus, die eine vielleicht ernsthafte Beschäftigung mit seinen Thesen womöglich eher behindert, wie ein ferner Onkel, dem man ab und zu gerne zuhört und dessen (mediale) Anwesenheit ein wohliges Gefühl des Verständnisses erzeugt. Zumal er sich auf die Erstellung von Diagnosen beschränkt und keine Imperative aufstellt (was die Rezeption ziemlich bequem macht).