„Fragment/e über ei­ni­ge po­pu­lä­re Songs“ (1)

Das mensch­li­che Ge­sicht

Was mir heu­te, vie­le Jah­re spä­ter, in ei­nem Vor­über auf­ge­schnappt und fort­ent­wickelt aus ei­nem Ton­fet­zen, plötz­lich wie­der im Ohr ist, ist die Mu­sik ei­ner eng­li­schen Band na­mens Doll by Doll. Im Stück The hu­man face die be­rühm­te Ar­taud-Zei­le the hu­man face is an emp­ty power, it is a field of de­ath.

(Nach et­li­chen Ar­taud-Lek­tü­ren kommt es mir vor, als wä­re das – wohl durch sein durch Thea­ter-Den­ken – ei­ne der spe­zi­fi­schen Kräf­te Ar­tauds ge­we­sen: So­zia­le Ab­strakt­hei­ten kurz­zu­schlie­ßen in der drän­gen­de­ren Phy­sio­lo­gie. Und das um da­mit wo­mög­lich auch zur Ge­stalt sei­ner ei­ge­nen Er­kran­kun­gen vor­zu­drin­gen, der er vie­le Jah­re un­ter ner­vö­sen Kör­per­qua­len litt und des­halb in psych­ia­tri­schen Kli­ni­ken über­dau­er­te. Aber viel­leicht ist ja jeg­li­che Idee im­mer auch ein biss­chen Wahn.)

Die­se eng­li­sche Band je­den­falls hat­te ich ir­gend­wann ein­fach ver­ges­sen. Sie schien da­mals schon, An­fang der 80er, ein biss­chen ne­ben der Zeit (die für mich ei­ne vor al­lem von Joy Di­vi­si­on do­mi­nier­te war). Aber die­ses Stück war ei­ne ek­lek­tisch-klu­ge, für die er­schöpf­ten Rock Mu­sik-Ver­hält­nis­se sei­ner­zeit so­gar kunst­vol­le Num­mer, ei­ne merk­wür­di­ge Bri­co­la­ge auch (statt dem heu­te oft be­wusst un­or­ga­ni­schen, statt­des­sen an die Ideen sei­ner je­wei­li­gen Quel­len ap­pel­lie­ren­den Sam­plings): So­gar ein Je­sus Sa­ves-Chor kommt dar­in vor – und es ist nicht pein­lich!

Und noch zu die­sem Satz von Ar­taud: Ich weiß nicht mehr, was ge­nau ich mir da­bei ge­dach­te hat­te, als ich, frü­her Ar­taud-Le­ser, schon vor­her im­mer wie­der die Zei­len bei mir ge­habt hat­te und in dem Song dann wie­der­erkannt hat­te. An­to­nin Ar­tauds Die Nerven­waage stand im Bü­cher­re­gal mei­nes Va­ters, und im­mer wie­der, seit ich mit dem ernst­haften Le­sen an­ge­fan­gen hat­te, war ich zu die­sem Buch zu­rück­ge­kehrt, weil eben das Unzugäng­liche der Tex­te, de­ren ver­meint­li­che Ver­rückt­heit, längst et­was in mir ge­öff­net hat­te.

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Tho­mas Bern­hard: Mei­ne Prei­se

Thomas Bernhard: Meine Preise
Tho­mas Bern­hard: Mei­ne Prei­se

Ei­ne Zeit­rei­se. Ein dé­jà-vu. Er ist wie­der da. Man hält ein neu­es Buch in der Hand, »Mei­ne Prei­se«. Na­tür­lich weiss man – es ist ein nach­ge­las­se­nes Werk. Rai­mund Fellin­ger ord­net es am En­de phi­lo­lo­gisch ein. Um 1980 (viel­leicht 1981) her­um hat­te es Tho­mas Bern­hard fer­tig­ge­stellt; ei­ni­ge Sei­ten des Ty­po­skripts sind fak­si­mi­liert. Für ei­nen kur­zen Nach­mit­tag nur be­ginnt die Wü­ste wie­der zu le­ben. Aber klar, Tho­mas Bern­hard bleibt tot und bis auf wei­te­res sind kei­ne Wun­der zu er­war­ten.

Na­tur­ge­mäss (!) möch­te der Ver­lag ei­ne Art Re­vi­val be­grün­den. Ein neu­es Buch! Zwan­zig­ster To­des­tag! Jo­sef Wink­ler mein­te neu­lich, dass kaum ein Schrift­stel­ler die öster­rei­chi­sche Li­te­ra­tur der 1960er bis 90er Jah­re so be­ein­flusst ha­be wie Tho­mas Bern­hard (zu den Epi­go­nen seufz­te er). Tat­säch­lich war Bern­hard kur­ze Zeit auch der meist­ge­spiel­te Dra­ma­ti­ker auf deutsch­spra­chi­gen Büh­nen. Und heu­te? Bern­hard wer­de von den jun­gen Schrift­stel­lern, so Wink­ler, kaum noch ge­le­sen (ähn­lich wie Hand­ke, aber das ist ein an­de­res The­ma).

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