Vor einigen Jahren entdeckte ich in mir eine Sympathie, die Tagebücher von Thomas Mann zu lesen. Freilich war ich gewarnt ob der ausgiebigen Beschreibungen zum Teil intimster Details, aber die so vielfach gelobte Editierung ließ mich hoffen, nicht nur in Idiosynkrasien und Hypochondrien des Autors zu versinken. So besuchte ich regelmässig die Büchermärkte in Düsseldorf und tatsächlich fand ich eines Tages die Tagebücher in einer Taschenbuchausgabe. Der Preis war sehr günstig (irgend etwas mit 60 Euro), der Zustand der diversen Bände zufriedenstellend bis gut. Das Volumen allerdings – abschreckend (vom Gewicht nicht zu reden, aber das war lösbar). Was also tun? Der Neigung nachgeben und praktisch ein Jahr nur mit Thomas Mann verbringen – von dem ich noch nicht einmal alles gelesen hatte? Oder der manchmal rettende »Mut zur Lücke«?
Ich beschloss eine Art Aufnahmeprüfung vorzunehmen. Ich schlug wahllos in den Bänden Stellen auf und wollte lesen, was Mann dort geschrieben hatte und wie dies auf mich wirkte. Um mich nicht allzu lange dem skeptischen Blick des Antiquars auszusetzen reglementierte ich meine willkürliche Auswahl auf sechs Stellen. Also begann ich. Die erste Stelle behandelte ausgiebig Manns schlechten Schlaf nebst Frühstück und der Konsistenz des Eis. Okay. Ein anderer Band: Mann berichtete von seinem Stuhlgang bzw. einem (geglückten) Einlauf. Weiter zu einer anderen Stelle: Abermals die Beschreibung einer Krankheit (welche es war, habe ich vergessen). Das reichte. Das (Vor-)Urteil hatte sich bestätigt: Entgegen der Beteuerungen von Mann-Adepten wie Fritz J. Raddatz: Für mich war das nichts. Derartige Intimitäten eines Dichters interessieren mich nicht. Schande über mich. Aber die Bücher blieben dort, wo sie waren.