Vom Macht­kampf

Pres­se­frei­heit und – viel­falt sind ein we­sent­li­cher Kern un­se­rer frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­scher Grund­ord­nung. Um­so schö­ner ist es, das Funk­tio­nie­ren die­ser Viel­falt in der Pra­xis zu be­ob­ach­ten. Da kan­di­diert der am­tie­ren­de Um­welt­mi­ni­ster Nor­bert Rött­gen für den Vor­sitz der CDU in Nord­rhein-West­fa­len. Da­mit gibt es plötz­lich zwei Kan­di­da­ten für die­se Po­si­ti­on, denn der ehe­ma­li­ge NRW-In­te­gra­ti­ons­mi­ni­ster Ar­min La­schet kan­di­diert eben­falls für die­ses Amt. Aus dem voll­kom­men nor­ma­len, de­mo­kra­ti­schen Vor­gang, dass sich für ein Amt meh­re­re Kan­di­da­ten zur Wahl stel­len, wird nun ein Skan­da­lon pro­du­ziert. Es herrscht, so wird sug­ge­riert, »Streit« in der Par­tei. Die am mei­sten ver­wand­te Vo­ka­bel ist nicht die der Kan­di­da­tur, son­dern des »Macht­kamp­fes«. Meh­re­re Kan­di­da­ten für ein Amt, die im de­mo­kra­ti­schen Ver­fah­ren ge­fun­den wer­den, sind dem­nach kei­ne Be­rei­che­rung, son­dern wer­den mit leicht bel­li­zi­sti­schen Vo­ka­beln per se ne­ga­tiv kon­no­tiert.

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Paul Gins­borg: Wie De­mo­kra­tie le­ben

Paul Ginsborg: Wie Demokratie leben
Paul Gins­borg: Wie De­mo­kra­tie le­ben
Aus­ge­hend von ei­nem fik­ti­ven Tref­fen zwi­schen John Stuart Mill und Karl Marx, den bei­den ver­mut­lich wich­tig­sten po­li­ti­schen Den­kern der vik­to­ria­ni­schen Ära, ent­wirft Paul Gins­borg zu Be­ginn sei­nes Bu­ches »Wie De­mo­kra­tie le­ben« ei­ne kur­ze Kul­tur­ge­schich­te di­ver­ser Strö­mun­gen und Mo­del­le der li­be­ra­len De­mo­kra­tie bis hin­ein ins 21. Jahr­hun­dert. Al­ler­dings sind – und blei­ben in al­len Ka­pi­teln des Bu­ches – Mill und Marx die An­ti­po­den, an de­nen sich der Au­tor teil­wei­se zwang­haft »ab­ar­bei­tet«. Am En­de gibt es dann noch­mals ei­nen fik­ti­ven Dia­log der bei­den, Epo­che: Heu­te auf ei­ner Wol­ke über Eu­ro­pa.

Hier Mill, Ent­wick­ler und Ver­fech­ter des po­li­ti­schen Li­be­ra­lis­mus, der sanf­te, eher »so­zi­al­de­mo­kra­tisch« ar­gu­men­tie­ren­de Re­for­mer – dort Marx, der scho­nungs­lo­se Be­schrei­ber der Ent­frem­dung des Men­schen im Ka­pi­ta­lis­mus, der wil­de Re­vo­lu­tio­när, der es lei­der ver­säumt ha­be, sei­ne »Dik­ta­tur des Pro­le­ta­ri­ats« aus­rei­chend zu de­fi­nie­ren: Ka­pi­tel für Ka­pi­tel re­kur­riert Gins­borg im­mer wie­der auf die The­sen die­ser bei­den Ge­lehr­ten und das an­fäng­li­che In­ter­es­se der Aus­ar­bei­tung der Dif­fe­ren­zen weicht ir­gend­wann ei­nem Un­mut, da stän­dig auf­ge­zeigt wird, wel­che zwar für da­ma­li­ge Zei­ten bahn­bre­chen­de Ideen bei­de ent­wickel­ten, die­se je­doch aus heu­ti­ger Sicht gro­sse Schwä­chen auf­wei­sen. Aber dass aus pro­gram­ma­ti­schen Schrif­ten von vor mehr als 150 Jah­ren vie­les nicht mehr in un­se­re Ge­sell­schaft »passt« und dem da­ma­li­gen Zeit­geist ge­schul­det sein muss – ist das nicht ei­ne all­zu tri­via­le Er­kennt­nis, um sie in die­ser Aus­führ­lich­keit aus­zu­brei­ten?

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