
Vor neun Jahren musste ich vor der Lektüre von So kalt, so schön des Thomas-Bernhard-Monographisten, Schriftstellers, Herausgebers und Künstlers Jens Dittmar kapitulieren. Der »Schelmenroman« (Verlagswerbung) über die Figur Aleph Kraus-Góngora, dieses opulent-überbordende Gemisch aus Rätselspielen, Scharaden und Mockumentary mit vielen deutlichen und vermutlich noch mehr versteckten literarischen Referenzen und Anspielungen hatte mich überfordert. Daher hatte ich auch lange Zeit die drei Jahre später erschienene »Mordgeschichte« Falknis ins Regal der ungelesenen Bücher gestellt, freilich mit der Ambition, dies irgendwann zu ändern. Der im letzten Jahr erschienene Roman Neulich in Bärwalde war jetzt der Anlass, sich Jens Dittmar erneut anzunehmen.
Falknis ist eine Art Tagebuchroman. Dr. Linus Frick, seines Zeichens arbeitsloser (und sich unverstanden fühlender) Künstler, bilanziert zwischen Dezember 2014 und Oktober 2015 vor allem die Ereignisse um seinen Halbbruder Hauke, der urplötzlich verschwunden ist. Hauke war ein Genie auf dem Gebiet des Kunststoff- und Plastik-Recycling, hatte mehrere Patente zur Wiedergewinnung von Plastikabfällen und eröffnete eine Fabrik für Flüsterasphaltherstellung in Kroatien. In seinem Firmenkonstrukt arbeiteten irgendwann 800 Menschen; es lief sehr gut, aber er wollte auch aus seinem Heimatort Balzers in Liechtenstein, genauer: dem Gebiet um das Dreiländereck Liechtenstein, Schweiz und Österreich um den Berg Falknis, eine Art Alpen-Disneyland mit saudi-arabischem Investment errichten. Schnell gewann er die lokale Politik, denn es ging natürlich auch um Arbeitsplätze. Aber plötzlich war Hauke verschwunden. Man ermittelte wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung, aber ein vielsagender Abschiedsbrief lässt die Polizei an Selbstmord glauben. Die Restzweifel (es gab keine Leiche) genügten, um bisweilen Linus auf den Zahn zu fühlen. Der weiß natürlich nichts, weil er – wie fast immer – nie in Haukes Geschäfte eingeweiht war.