Übersetzung: Sabine Hedinger und Christiane Bergfeld

»Menschenrauch« von Nicholson Baker ist ein kühnes, ein waghalsiges, ein fürchterliches, ein aufrüttelndes, ein geschichtsklitterisches – und ein erhellendes Buch. Es ist der Versuch, die Zeit zwischen 1919 und Ende 1941 aus einer anderen Sicht zu sehen. Wo inzwischen die Vokabel des Paradigmenwechsels ein wenig verbraucht erscheint – hier ist sie angebracht.
Tagebuchähnlich collagiert, zitiert und montiert Baker aus Briefen, Artikeln, Aufzeichnungen, Büchern und Verlautbarungen von Politikern, Schriftstellern, Journalisten oder auch nur »einfachen« Bürgern (vorwiegend aus dem angelsächsischen Bereich; aus Deutschland gibt es vor allem Auszüge aus den Tagebüchern von Goebbels, Victor Klemperer und Ulrich von Hassel). Der Erste Weltkrieg wird nur auf ganz wenigen Seiten am Anfang gestreift, die Jahre 1920–1933 auf rund 30 Seiten. Der Zweite Weltkrieg beginnt auf Seite 152, das Jahr 1940 auf Seite 182 und 1941 auf Seite 306. Das Buch endet am 31.12.1941 (Seite 518; danach gibt es ein sehr kurzes Nachwort und umfangreiche Quellennachweise), also als die meisten Menschen, die im Zweiten Weltkrieg starben…noch am Leben [waren] wie Baker schreibt.
Der Gedanke, es handele sich um etwas analog zu Kempowskis »Echolot«-Projekt erweist sich sehr bald als falsch. Bakers Zitate sind fast immer bearbeitet – und er wertet, wenn auch manchmal nur unterschwellig. Nur selten wird das »reine« Dokument zitiert. Manchmal werden auch nur die jeweiligen Zitate gegen- oder aufeinander bezogen. Dieser Stil ist suggestiv bis ins kleinste Detail. So erfolgt beispielsweise keine Datumszeile, sondern es wird narrativ mit einem bedeutungsvollen »Es war der …« im Text agiert. Peinlich genau achtet Baker darauf, dass alles belegt ist; er benutzte ausschließlich öffentliche Quellen bzw. Archive.