Mit Ernst Jün­ger aus der Kom­fort­zo­ne

Die vor­nehm­li­che Hal­tung des ak­tu­el­len Le­sers der Bü­cher von Ernst Jün­ger in der mo­ral­ge­tränk­ten (li­te­ra­ri­schen) Öf­fent­lich­keit ist ge­beugt, die Lek­tü­re er­folgt vor­zugs­wei­se ver­steckt, das Re­den dar­über flü­sternd, in ste­ti­ger Ab­gren­zung so­wohl ge­gen Be­schimp­fun­gen wie auch un­will­kom­me­nen Um­ar­mun­gen be­grif­fen. In der Ni­sche zwi­schen ei­ner im Brust­ton der Un­kennt­nis vor­ge­brach­ten Ab­leh­nungs­ka­ma­ril­la und leid­li­chen, po­li­tisch mo­ti­vier­ten Ver­ein­nah­mun­gen be­fin­det sich der Jün­ger-Re­zi­pi­ent in stän­di­ger Acht­sam­keit. Wer si­cher ge­hen will, liest lie­ber Re­mar­que, Im We­sten nichts Neu­es. Da­bei er­scheint es wie ein Witz, dass Re­mar­que einst die Stahl­ge­wit­ter, je­ne li­te­r­a­ri­sier­te Form der Kriegs­ta­ge­bü­cher des Leut­nants Jün­ger aus dem Er­sten Welt­krieg, als »prä­zi­se, ernst, stark und ge­wal­tig« lob­te und ei­ne »wohl­tu­en­de Sach­lich­keit« her­aus­stell­te. Aber wer weiß das schon? Be­zie­hungs­wei­se: Wer will das wis­sen?

Und dann liest man plötz­lich so et­was:

  • »Ernst Jün­gers Kriegs­ta­ge­bü­cher lie­fern viel­leicht den be­sten und ehr­lich­sten Be­weis für die Schwie­rig­kei­ten, de­nen das In­di­vi­du­um aus­ge­setzt ist, wenn es sei­ne mo­ra­li­schen Wert­vor­stel­lun­gen und sei­nen Wahr­heits­be­griff un­ge­bro­chen in ei­ner Welt er­hal­ten möch­te, in der Wahr­heit und Mo­ral jeg­li­chen er­kenn­ba­ren Aus­druck ver­lo­ren ha­ben. Trotz des un­leug­ba­ren Ein­flus­ses, den Jün­gers frü­he Ar­bei­ten auf be­stimm­te Mit­glie­der der na­zi­sti­schen In­tel­li­genz aus­üb­ten, war er vom er­sten bis zum letz­ten Tag des Re­gimes ein ak­ti­ver Na­zi-Geg­ner und be­wies da­mit, daß der et­was alt­mo­di­sche Ehr­be­griff, der einst im preu­ßi­schen Of­fi­ziers­korps ge­läu­fig war, für in­di­vi­du­el­len Wi­der­stand völ­lig aus­reich­te.«

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Süd­see­mär­chen in Wurst­pa­pier

Am 9.8.[1991], Frei­tag, be­su­che ich am Nach­mit­tag Gün­ther An­ders, der im »Evan­ge­li­schen Spi­tal«, ei­nem sehr vor­neh­men, teu­er aus­ge­stat­te­ten Kran­ken­haus liegt, na­he dem AKH1, in der Hans-Sachs-Stra­ße. Er liegt schon seit meh­re­ren Wo­chen da, seit er in sei­ner Woh­nung of­fen­bar um­ge­kippt war und nicht wie­der auf­ste­hen konn­te: Ober­schen­kel­hals­bruch. Er­war­te ei­nen vom Un­fall und dem Viellie­gen ge­mar­ter­ten Greis, er wird näch­stes Jahr im­mer­hin 90, und fin­de aber ei­nen äu­ßerst wa­chen, gleich­sam quick­le­ben­di­gen und fröh­li­chen Mann vor, der zwar im Bett liegt, na­he­zu be­we­gungs­un­fä­hig, des­sen Kopf aber so un­ge­mein LEBENDIG ist, daß man das Lei­den und die Be­we­gungs­un­fä­hig­keit voll­kom­men ver­gißt. Er sprüht vor lau­ter Le­bens- und Denk­lust, hört zwar ein biß­chen schlecht, aber so­bald er weiß, wo­von ge­spro­chen wird, ist er ab­so­lut prä­sent, und das, was er spricht, ist we­der wirr, noch je oh­ne In­ter­es­se.

Ich hat­te beim Stö­bern im Kel­ler ei­nen Text von ihm ge­fun­den, in Ma­nu­skript­form, den er Va­ter2 ge­schenkt hat­te, brin­ge ihm das mit, er will un­be­dingt wis­sen, was das sei, wirkt über­aus er­staunt, daß ich’s nicht längst ge­le­sen ha­be. Ich weiß nur: Es geht um Hi­ro­shi­ma. »Ja, da hab ich wohl mehr als ei­nen Text ge­schrie­ben, über die­ses The­ma, mein Lie­ber, al­so was ist das für ein Hi­ro­shi­ma-Text?« Sei­ne und mei­ne Hoff­nung, der Text sei even­tu­ell un­ver­öf­fent­licht, er­füllt sich nicht, wir kom­men im Ver­lauf der ein­ein­halb Stun­den, die ich bei ihm blei­be, dar­auf, um wel­chen Text es sich han­delt. (Die To­ten von Hi­ro­shi­ma flie­gen über den Oze­an, als Ra­ben oder Gei­ster, su­chen Tru­man3 heim, in Wa­shing­ton, äng­sti­gen ihn, rau­ben ihm den Schlaf.) Den Text hat­te G.A. vor ca. 33 Jah­ren Bob ge­schenkt und ge­wid­met – er hat­te ihn wohl apro­pos »Hel­ler als 1000 Son­nen»4 ver­faßt. Va­ter scheint für ihn so et­was wie ein Feind­freund zu sein, an dem er sich kon­stant mißt; sei­ne Haupt­sor­ge, so er­schien es mir, ist die: Wer wird, im Rück­blick, als der Be­rühm­te­re da­ste­hen, er oder Bob. Er lobt im­mer­zu Bobs Ver­dien­ste, be­tont aber gleich­zei­tig, daß Bob eben Jour­na­list sei – »ein zwei­ter Kisch5, ein Kisch des Atom­zeit­al­ters« – er, G.A. aber, sei ein Phi­lo­soph, der dem The­ma An­ti-Atom den phi­lo­so­phi­schen Un­ter­bau ge­schaf­fen ha­be, wie kei­ner sonst. »Wir wa­ren die Er­sten, dein Va­ter und ich, die dar­über ge­schrie­ben ha­ben – die vor den Ge­fah­ren warnten...man wird uns wohl, in Zu­kunft, zu­sam­men nen­nen.« Als ich be­mer­ke, man wer­de viel­leicht G.A. als den »Be­deu­ten­de­ren« an­se­hen, leuch­ten sei­ne Au­gen und er ruft: »Ja! Weil ich der Phi­lo­soph, dein Va­ter aber der Jour­na­list ist!« Er be­tont auch, daß Bob ja »nie von der Mu­se ge­küßt« wor­den sei, über­dies we­der zur Mu­sik, noch zur Ma­le­rei den ge­ring­sten Be­zug ha­be, Tat­sa­chen, un­ter de­nen »auch dei­ne lie­be Mut­ter im­mer sehr litt.« Un­er­hört, die­ser sprü­hen­de KOPF in­mit­ten der Lein­tü­cher! Und sein (und mein!) Glück, daß nie­mand hier liegt, im Zim­mer, au­ßer ihm, so­daß wir schrei­en und la­chen kön­nen, nach Her­zens­lust. (Er hat die bei­den Mit­lie­ger of­fen­bar ver­grault, oder ver­jagt, falls ich ihn nicht falsch ver­stan­den ha­be.)

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  1. Gemeint ist das Wiener Allgemeine Krankenhaus 

  2. Der Schriftsteller und Zukunftsforscher Robert Jungk, 1913 – 1994, der Vater des Autors. 

  3. 33. Präsident der Vereinigten Staaten, Harry S. Truman, 1884 – 1972. 

  4. Robert Jungks wohl bekanntestes Buch erschien 1956. 

  5. Der als “rasender Reporter” berühmt gewordene Journalist Egon Erwin Kisch, 1885 – 1948, den Robert Jungk persönlich kannte.