In der aktuellen Ausgabe der ZEIT wird die seit einigen Wochen dort angestossene Debatte über den Stellenwert der Regie / des Regisseurs im modernen Musiktheater durch einen Beitrag des Dirigenten Christian Thielemann mit dem Titel »Schoenes-Bett-der-Partitur« fortgeschrieben: Werktreue, nicht Werknibelungentreue
Auch wenn die Diskussion (übrigens vor der Absetzung der Neuenfels-Inszenierung der Oper »Idomeneo« begonnen) schwerpunktmässig auf das Musiktheater fokussiert ist, so kann doch auch für das Sprechtheater etliches übernommen werden.
Günter Grass hat die Diskussion um seine SS-Zugehörigkeit vermutlich mehr getroffen, als anfangs angenommen. Er hat jedenfalls eine Unterlassungsklage gegen die FAZ erwirkt, die Briefe von ihm an Karl Schiller in Gänze veröffentlicht hatte. Grass sah das Urheberrecht bei sich. Ich bin kein Jurist, aber es gibt hier Zweifel. Die einstweilige Verfügung, die er erwirkt hat, sagt ja nichts über ein eventuelles Urteil aus.
Erik Möller: Die heimliche Medienrevolution
Der Untertitel macht neugierig: Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. Wenn man die Entwicklung der letzten zehn Jahre Revue passieren lässt und gleichzeitig die Zukunftsprognosen diverser Meinungsmacher in den Massenmedien verfolgt, so scheinen wir ja tatsächlich erst am Anfang einer brave new world zu stehen. Der Rückschlag 1999/2000, der die ökonomische Seifenblase der New Economy recht unsanft zum Platzen brachte, spielt bei den Prognosen und Heilsversprechen merkwürdigerweise keine Rolle mehr.
Erik Möllers Konzept einer demokratischeren Gesellschaft basiert auf den Gedanken der »freien Software«. Proprietäre Softwaresysteme, also von Privatfirmen zu kommerziellen Zwecken entwickelte und geheimgehaltene Systeme werden als autoritär, innovationsfeindlich und schlecht bezeichnet. »Hauptfeind« ist dabei natürlich Microsoft.
Arno Geiger: Es geht uns gutPhilipp ist ein Taugenichts; ein Tagträumer. Einem Beruf geht er offensichtlich nicht nach. Er hat ein Verhältnis mit der verheirateten Johanna, die ihn besucht, wenn es mal Streit zu Hause gegeben hat. Gelegentlich schläft er auch noch mit der Postbotin. Philipp bewohnt im April 2001 das leere Haus seiner Grosseltern. Wie es nicht anders kommen kann, übermannen ihn die Erinnerungen bzw. das, was er dafür hält. Zum Aufräumen und Ausmisten (Tauben haben sich in grosser Zahl im Dachstuhl seit Jahren eingerichtet) hat er weder Kraft noch Ideen. Stattdessen schreibt er seine Phantasien in ein Heft; der Leser wird im Unklaren gelassen, ob wir Philipps Heft zu lesen bekommen (dagegen spricht, dass der [auktoriale] Erzählduktus niemals verlassen wird).
Arno Geigers hymnisch gepriesenes Familienepos (?) »Es geht uns gut« wurde 2005 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Könnte man aufgrund der Qualität dieses Buches auf die Qualität der im Wettbewerb um den Buchpreis gescheiterten Kandidaten rückschliessen – so bliebe einem eine Menge potentieller Lektüre erspart. Wenn ein solches Buch tatsächlich das beste gewesen sein soll, kann es um die anderen nicht gut stehen. Aber gemach – die Vehemenz der Kritik mutet böser an, als gedacht.
Geiger zeichnet das Portrait einer österreichischen Familie, beginnend in den 30er Jahren bis 2001.
Der Artikel »Vom König zum Knecht« spricht mir aus der Seele. Das, was seit Jahrzehnten schleichend eine ehemalig existierende Einkaufskultur pervertiert, wird vom willigen Konsumenten (häufig genug mangels Alternative) exekutiert.
Inzwischen ist der Dienstleistungsort Deutschland derartig verkommen, dass ich freiwillig Fahrkarten der Bundesbahn im Internet kaufe – nur um nicht den grantigen und überforderten Verkäufern ausgeliefert zu sein. Es gibt inzwischen Frisörläden, die den Kunden den Föhn selber in die Hand drücken. Selbst wenn ich die paar Euro nicht sparen möchte, habe ich keine Alternative. Demnächst muss man vermutlich in der Bäckerei die Brötchen noch selber backen und bekommt nur den (chemisch angereicherten) Teigklotz übergeben – nein: man sucht ihn im Regal aus. Spätestens wenn man das Tier, dessen Fleisch man kaufen möchte, selber ausnehmen muss, werde ich Vegetarier werden.
Wenn man historische Begebenheiten literarisch bearbeitet, so gibt es mehrere Fallstricke, in die sich der Autor verfangen kann: Er kann mit seiner These der Ereignisse in einen Furor der Unbelehrbarkeit verfallen – die Geburt der Verschwörungstheorie. Er kann in Einseitigkeit versinken und den notwendigen Abstand vergessen – blinde Parteinahme. Der schlimmste Fall ist aber das Verschwimmen von Fiktion und Dokumentarischem. Indem reale Ereignisse, die mindestens ausschnittweise in einer bestimmten Zeit öffentlich gemacht wurden, als Grundlage literarischer Bearbeitung dienen, ist dem Leser ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr klar, wann die Freiheit des Dichterdenkens beginnt und die Fakten zu diesen Gunsten aufgegeben werden.
Christoph Hein: In seiner frühen Kindheit
Bereits auf den ersten Seiten wird klar: Christoph Hein be-(oder ver-?)arbeitet den Tod des mutmasslichen Terroristen Wolfgang Grams vom Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen. Der Ort wird namentlich nicht verfremdet – die Protagonisten sehr wohl. Wolfgang Grams heisst Oliver Zurek; die Hauptprotagonisten dieses Kammerspiels, die Eltern, Richard und Friederike.
kriegen wir Dich doch!« Diesen leicht abgewandelten Werbeslogan könnte man als Fazit unter Harald Stauns Offenen Brief »Unsere Neugier ist grenzenlos« setzen, der am Wochenende in der FASZ zu lesen war. Staun schreibt diesen Brief an Natascha Kampusch und prognostiziert ihr kein Entrinnen aus der medialen Infotainmentkultur und rät zur sofortigen Kapitulation. In der Diskussion ...