Ko­re­as sanf­te Ra­che (1/2)

Star­bucks ist kein Ca­fé, es ist ei­ne Mar­ke, man er­kennt sie leicht wie­der und je­der kennt sie. Star­bucks gibt es über­all auf der Welt und in je­dem Stadt­teil von Seo­ul, ist da­her als Treff­punkt bes­ser ge­eig­net als ir­gend­ein hüb­sches ein­hei­mi­sches Ca­fé, auch wenn der Kaf­fee dort bes­ser schmeckt, nicht so ein Gesch­la­der wie im Mar­ken­ca­fé. Al­so tref­fen wir uns in drei Stun­den im Star­bucks bei der U‑Bahnstation Mye­ong­dong. Das war die Ab­ma­chung. Ich weiß, mei­ne Toch­ter kommt im­mer zu spät, wäh­rend ich selbst gern et­was frü­her kom­me, um das zu tun, was ich jetzt tue: die Ge­gend mit Blicken son­die­ren, mich auf De­tails kon­zen­trie­ren, nach­den­ken, No­ti­zen ma­chen.

Es ist das er­ste Mal in ih­rem Le­ben, daß Yo­ko in ei­ner frem­den Stadt, wo sie die Lan­des­spra­che nicht ver­steht, al­lein un­ter­wegs ist. Sie freu­te sich dar­auf, hat­te wohl auch ein klein­we­nig Angst, ih­re Er­re­gung kann ich gut nach­voll­zie­hen, sie er­in­nert mich an mei­ne ei­ge­ne, als ich so alt war wie sie. Auch daß sie Sehn­sucht hat nach ei­nem an­de­ren Land, kann ich ver­ste­hen, und ih­re Lust, sich in frem­de Um­ge­bun­gen zu be­ge­ben. Als ich sech­zehn war, trug ich Ita­li­en im Kopf her­um, ge­nau­er: ei­ne Vor­stel­lung von Ita­li­en, da woll­te ich un­be­dingt hin, und zwar al­lein, je­den­falls oh­ne Fa­mi­lie (was dann erst mit acht­zehn mög­lich war). Mei­ne Vor­stel­lung war ei­ne kul­tu­rell ge­präg­te, Ita­li­en noch ein Sehn­suchts­land wie sei­ner­zeit für Goe­the, aber das Land lag auch na­he, man konn­te es per An­hal­ter leicht er­rei­chen, oder mit dem Zug, was ich als Stu­dent öf­ters tat, ei­ne un­be­que­me Nacht­rei­se im Lie­ge­wa­gen der Ei­sen­bahn nach Ve­ne­dig, um sie­ben Uhr früh stehst du auf dem Bahn­hofs­vor­platz, das Meer­was­ser plät­schert ge­gen die stei­ner­nen Fun­da­men­te.

Land der Zi­tro­nen (die erst viel wei­ter im Sü­den blü­hen), aber bald auch der ita­lie­ni­schen Pop­mu­sik, Lu­cio Dal­la, Fran­ces­co de Gre­go­ri, Fa­bri­zio de An­drè… Bes­ser als der heu­ti­ge K‑Pop? Kei­ne Ur­tei­le, jetzt nicht! So­gar die viel fei­ne­re ita­lie­ni­sche Mo­de konn­te mich in­ter­es­sie­ren, ob­wohl ich lang­haa­rig in aus­ge­wa­sche­nen Jeans her­um­lief. Nicht in der­sel­ben Wei­se, wie Yo­ko sich für Mo­de in­ter­es­siert. Ohr­rin­ge, Schmin­ke im Jun­gen­ge­sicht, aber nicht als Pro­test­zei­chen, son­dern ein­fach, weil es schick ist. Und die viel flot­ter ge­styl­ten Mu­sik­vi­de­os der K‑­Pop-Bands, die selbst­be­wuß­ten oder selbst­be­wußt wir­ken­den Girls der Girl-Bands, die an­spruchs­vol­len Cho­reo­gra­phien der Tän­ze, das har­te Trai­ning, das da­hin­ter­steckt. Stadt­vier­tel wie Mye­ong­dong oder Hong­dae oder Itae­won sind ei­ne ein­zi­ge mo­di­sche Kom­merz­zo­ne, der al­les ein­ver­leibt wird, die Ca­fés und Re­stau­rants, die kauf­wil­li­gen Fla­neu­re, die blü­hen­den Ma­gno­li­en, die aus dem 19. Jahr­hun­dert stam­men­den Kir­chen, die Re­si­den­zen – in Itae­won – von Bot­schafts­an­ge­hö­ri­gen und ein­hei­mi­schen Rei­chen. Ein Pa­ra­dies für Yo­ko... Wie ein Fisch im fun­keln­den Was­ser be­wegt man sich durch die Men­ge, die ein­mal zu dicht ge­wor­den ist, beim letz­ten Hal­lo­ween, aber dar­an denkt hier nie­mand mehr. Ein Pa­ra­dies auch für mich, wenn­gleich ein an­stren­gen­des. Al­so fol­ge ich, wenn sie nicht ge­ra­de al­lein un­ter­wegs ist, mei­ner Toch­ter und ge­he ihr so­gar vor­aus, denn ge­le­gent­lich ent­deckt man auch im Shop­ping-Be­reich mehr, in­dem man sich um­schaut und mit Leu­ten re­det als in­dem man aufs Smart­phone starrt und sich dem GPS-Füh­rer über­läßt. Klei­der­ge­schäf­te und hüb­sche Ca­fés mit hüb­schen Ku­chen, Stra­ßen­tän­zer, die al­ler­letz­te Eta­ge in ei­nem Kauf­hoch­haus, wo die Gä­ste – jun­ge Lie­bes­paa­re – statt im Ca­fé zu sit­zen sich bei schumm­ri­gem Licht auf Tu­chenten oder auf Schlaf­säcken in Zel­ten la­gern und Ge­trän­ke am Stroh­halm aus gro­ßen Pla­stik­be­chern schlür­fen, oder das ganz in Ba­by-Far­ben ge­hal­te­ne Sweet-Ca­fé, Sym­bol der In­fan­ti­li­sie­rung, die die Welt­ge­sell­schaft er­faßt hat (ein Kom­men­tar, den ich Yo­ko er­spa­re).

Ei­gent­lich müß­te Yo­ko, die üb­li­che Ver­spä­tungs­zeit­span­ne mit­ein­ge­rech­net, bald zu­rück­sein von den Star­ship-Stu­di­os, wo die Vi­de­os von Ive und Mon­sta X und an­de­ren K‑­Pop-Pro­jek­ten pro­du­ziert wer­den. Sie wird sich nicht ver­ir­ren, si­cher hat sie sich mehr­mals die Weg­schil­de­run­gen an­ge­se­hen, die man auf You­tube fin­det. Ich ha­be auch ei­ne an­ge­klickt: nichts­sa­gen­de Ge­gend, Glas-Be­ton­hoch­haus mit Zacken­mu­ster an der Fas­sa­de, hin­ter der man Tanz­stu­di­os ah­nen kann. Ein paar Fans sit­zen im­mer im Ca­fé ge­gen­über und war­ten, so wie ich jetzt auf Yo­ko war­te, dar­auf, ein paar Blicke auf ihr Idol zu er­ha­schen, das dann zwei­fel­los durch ei­nen Hin­ter­ein­gang rein­schlüpft. Yo­ko wird im­mer wie­der mal für ei­ne Ko­rea­ne­rin ge­hal­ten, und dann freut sie sich, denn das ist ihr Ziel, mit Hil­fe von Kos­me­ti­ka so aus­zu­se­hen wie die schö­nen Ko­rea­ne­rin­nen, am be­sten wie Won­young von Ive. Könn­te ich sie ver­wech­seln oder über­se­hen, ein Mäd­chen im bei­gen Mi­ni­rock, hell­blau­en Hemd und schwar­zen Stie­fel­chen, mit den Haar­wel­len, am Mor­gen mit dem Brenn­ei­sen ge­formt, die sich über die Schul­tern schlän­geln? Na­tür­lich nicht, sie wird hof­fent­lich bald in ei­ner der Men­schen­trau­ben er­schei­nen, die das grü­ne Licht über den Ze­bra­strei­fen schwap­pen läßt wie flau­mi­ge, aus­fran­sen­de Bäl­le. Wie­der nicht, wie­der nicht… Und dann steht sie plötz­lich da, hell wie das Licht, ganz al­lein ne­ben der Am­pel, und gibt mir auch schon ein Zei­chen, be­vor ihr Blick zu­rück auf das Smart­phone fällt.

Vor un­se­rem Tref­fen im Star­bucks war ich plan­los in Mye­ong­dong her­um­ge­schlen­dert, an der so­ge­nann­ten Ka­the­dra­le vor­bei, die schmäch­tig wirkt im Ver­gleich zu dem, was man in Eu­ro­pa an Ka­the­dra­len kennt, und dann den Nam­san hin­auf, vor­bei an ei­nem der auch in Ko­rea all­ge­gen­wär­ti­gen Se­ven Ele­ven-Kon­bi­nis, ne­ben dem ein rie­si­ges El­vis Pres­ley-Por­trät hing als Hin­weis auf ei­nen Club, der mich von au­ßen an ei­nen Beat-Kel­ler aus den sech­zi­ger Jah­ren er­in­ner­te. Dort in der Nä­he fiel mir ein Turm mit ge­schwun­ge­nem Dach auf, das zu ei­nem bud­dhi­sti­schen Tem­pel ge­paßt hät­te, aber von ei­nem gro­ßen Kreuz über­höht wur­de wur­de. Tat­säch­lich be­fand sich dar­un­ter das Schiff ei­ner pres­by­te­ria­ni­schen Kir­che, ei­ne äl­te­re Da­me im ele­gan­ten Ko­stüm stand vor dem Kirch­hof und drück­te den An­kömm­lin­gen Zet­tel in die Hand. An­schei­nend war es spät, die letz­ten Hoch­zeits­gä­ste be­eil­ten sich, um sich zu den am kit­schig de­ko­rier­ten Ein­gang Ver­sam­mel­ten zu ge­sel­len: ei­ni­ge jün­ge­re Frau­en in Mi­ni­röcken oder Hot Pants, die Äl­te­ren wür­de­voll, die Män­ner hier mo­de­re­si­stent. All die »christ­li­chen« Hoch­zei­ten in Ost­asi­en sind Aus­ge­bur­ten des Kit­sches. Aber viel­leicht gilt das über­all auf der Welt und seit je­her.

Am Abend zu­vor hat­te mir Yo­ko mit ih­rem Smart­phone den neue­sten Song von Ive vor­ge­spielt. Er heißt »Kitsch«, das Wort wird ‑zig Mal wie­der­holt. Die Über­set­zungs­ma­schi­nen im In­ter­net hel­fen nicht viel, DeepL und Goog­le Trans­la­te lie­fern ganz un­ter­schied­li­che Er­geb­nis­se, aber die er­sten Zei­len des Songs lau­ten in al­len Text­ver­sio­nen un­ge­fähr so: »Es ist un­se­re Zeit / Oh, was für ei­ne gu­te Zeit…« Das deckt sich mit der Grund­bot­schaft des K‑Pop, sei­nem Mes­sa­ge-Beat so­zu­sa­gen, der gren­zen­lo­ses Selbst­ver­trau­en und gu­te Lau­ne ver­mit­teln will. Im neu­en Song von Ive wie­der­holt sich die For­mel »nineteen‘s kitsch«, aber den Über­set­zungs­al­go­rith­men zu­fol­ge ist im ko­rea­ni­schen Teil auch vom Kitsch der Neun­zi­ger die Re­de. Ive spie­len ja gern mit Re­tro-Ele­men­ten (sagt mei­ne Toch­ter). Kitsch der Neun­zehn­jäh­ri­gen? Für ein K- oder J‑­Pop-Idol fast schon zu alt, über zwan­zig ge­hö­ren sie zum al­ten Ei­sen: ewig jun­ge Pop-Rent­ner, die gna­den­hal­ber in Plau­der­sen­dun­gen im TV auf­tre­ten dür­fen. Oder ist der Kitsch von 2019 ge­meint, das heißt vor Co­ro­na, als die Welt – nun ja, nicht in Ord­nung war, das ist sie so­wie­so im­mer, wir le­ben ja im Vir­tu­el­len, aber un­mas­kiert und viel­leicht doch ein klein­we­nig frei­er. So wie jetzt wie­der, 2023. Kitsch ist su­per. It’s my style, und wenn er dir nicht ge­fällt, geh weg. Go away.

Der Kom­merz ni­stet sich über­all ein, mit sei­nen grell-bun­ten Schil­dern und Leucht­zei­chen, die mir hier in­ten­si­ver und zahl­rei­cher als in an­de­ren ost­asia­ti­schen Städ­ten vor­kom­men, trans­for­miert er so­wohl die un­schein­ba­ren mehr­stöcki­gen Häu­ser und en­gen Gäß­chen von Mye­ong­dong, un­be­küm­mert um den Ge­stank, der hier aus der Ka­na­li­sa­ti­on auf­steigt, als auch die Wohn­ge­gen­den der Rei­chen, wo al­les ei­ne Spur de­zen­ter wirkt. Der Kom­merz ver­söhnt die Wel­ten, die im Film Pa­ra­si­te auf­ein­an­der­pral­len: slum­ar­ti­ge Vier­tel, die es nach wie vor gibt, und die von ge­pfleg­ten Gär­ten und Be­ton­mau­ern um­ge­be­nen Vil­len der Rei­chen. Das be­tuch­te Seo­ul kennt man auch aus der Fern­seh­se­rie Itae­won Class; nicht we­ni­ge Shop­ping­tou­ri­sten kom­men an­ge­regt durch die­ses TV-Dra­ma hier­her. Ich eher durch Pa­ra­si­te des­sen At­mo­sphä­re ich wei­ter oben auf dem Hü­gel von Yong­san zu at­men glau­be. Dort ist auch das Lee­um, ein von drei eu­ro­päi­schen Ar­chi­tek­ten ent­wor­fe­nes Kunst­mu­se­um (Bot­ta, Nou­vel, Kool­haas), aber hier­her ver­lie­ren sich kei­ne Kauf­lu­sti­gen. Vie­le Bou­ti­quen in Yong­san er­in­nern an klei­ne Mu­se­en, oder an Shows, aber Mo­de­schau­en, die ja ge­le­gent­lich als Thea­ter­auf­füh­run­gen in­sze­niert wer­den, fin­den hier nicht statt. Vor den be­lieb­te­ren Shops bil­den sich Schlan­gen, ei­ne Ver­käu­fe­rin re­gelt an der Tür den Ein­laß, die Be­su­cher war­ten ge­dul­dig, bis sie an die Rei­he kom­men. Shop­ping und Sel­ling, wie es in Seo­ul be­trie­ben wird, ist ei­ne Kunst­form, le on­ziè­me art (Num­mer 9: Manga/Comix/BD, Num­mer 10: Vi­deo­kunst). Aus­ge­brü­tet im Schoß der von Theo­dor W. Ador­no so sehr ver­ach­te­ten Kul­tur­in­du­strie, aber nichts­de­sto­trotz ei­ne Kunst.

Shop­ping funk­tio­niert nicht oh­ne Selbst­dar­stel­lung. Der Shop­per kon­su­miert und pro­du­ziert selbst­zweck­haft, er treibt l’art pour l’art, aber der Selbst­zweck ist die Selbst­dar­stel­lung, die von den so­zia­len Me­di­en des In­ter­nets po­ten­ziert, wo­bei die Pho­to­gra­phie, je­nes ge­gen En­de des 20. Jahr­hun­derts fast schon un­ter­ge­gan­ge­ne Me­di­um, au­ßer­dem Kunst­form, ei­ne we­sent­li­che Rol­le spielt. Der Bür­ger als Kon­su­ment klei­det sich nicht nur, er ver­klei­det sich. Klei­der ma­chen Leu­te, die al­te Re­de­wen­dung, kommt erst jetzt, und be­son­ders in den ein­schlä­gi­gen Stadt­tei­len Seo­uls, zu ih­rer vol­len Gel­tung. Man kann je­der­zeit ein an­de­rer wer­den. Für man­che ist das Le­ben ein Cos­play, ein Ver­klei­dungs­spiel, wo man im­mer wie­der als ein an­de­rer, ei­ne an­de­re geht. Ich ver­wen­de die­ses Verb, »ge­hen«, weil mich die Shop­ping-Sze­ne­rie von Seo­ul an den Fa­sching mei­ner Kind­heit er­in­nert. Die Fra­ge war all­jähr­lich im Fe­bru­ar: Als was gehst du heu­er? Ich bin na­tür­lich als Cow­boy ge­gan­gen, aber auch als Zau­be­rer. Beim al­ten Kö­nigs­pa­last, auf dem – ne­ben­bei ge­sagt – wun­der­ba­ren, bei al­ler Mo­nu­men­ta­li­tät aus­ge­spro­chen freund­lich wir­ken­den Are­al von Gye­ong­bok­gung, ha­be ich Kin­der und Män­ner mit spit­zem Hut und lan­gem Man­tel ge­se­hen, ähn­lich wie mein Ko­stüm vor gut sech­zig Jah­ren beim Dorf­fa­sching. Und na­tür­lich ge­hen die Mäd­chen gern als Prin­zes­sin­nen, die Frau­en als Kö­ni­gin­nen. Im Ver­leih ko­sten die­se Ko­stü­me ein paar Tau­send Won mehr als die Klei­der der üb­ri­gen Mit­glie­der des Hof­staats oder der Krie­ger. Yo­ko wähl­te ein wun­der­schö­nes lan­ges, hell­blau­es, leicht ins Tür­ki­se spie­len­des Kleid, das auf den weit­läu­fi­gen Flä­chen des Are­als zu­sam­men mit ih­rem Haar im Wind weh­te. In mei­ner Rol­le als Pho­to­graph – als Ab­lich­tungs­skla­ve, sag­ten wir scherz­haft – hat­te ich viel zu tun.

An der Ram­pe des Kö­nigs­pa­lasts stie­ßen wir auf ei­ne Grup­pe von fünf Mäd­chen, die eben­falls von ei­nem Ab­lich­ter be­glei­tet wur­den. Ich weiß nicht, wie der Kon­takt zu­stan­de kam, je­den­falls be­weg­te sich Yo­ko plötz­lich um­ringt von ko­rea­ni­schen Mäd­chen, al­le ein Jahr jün­ger als sie, ih­re Ko­stü­me viel bun­ter, we­ni­ger fein, der Miet­preis da­für gün­stig, wie der Ab­lich­ter be­ton­te. Die­ser Mann sprach ganz gut Ja­pa­nisch; es ist mir nicht klar ge­wor­den, ob er ein Pro­fi war und ge­ra­de sei­ner Ar­beit nach­ging – die ob­jek­tiv­be­stück­te Ka­me­ra ließ dar­auf schlie­ßen –, oder ein Freund der Fa­mi­li­en. Er war es auch, der die Mäd­chen so­gleich da­zu dräng­te, die eben ge­mach­ten Fo­tos auf In­sta­gram aus­zu­tau­schen; im Nu war ewi­ge Freund­schaft ge­schlos­sen, die von mir lai­en­haft ge­tä­tig­ten Ab­lich­tun­gen tru­gen da­zu bei. Tat­säch­lich tauscht sich Yo­ko seit­dem mit ei­nem der Mäd­chen über Fra­gen der ko­rea­ni­schen Mo­de aus.

Wenn Mäd­chen – in Ko­rea zu­neh­mend auch Jun­gen und äl­te­re Per­so­nen – sich an hi­sto­ri­schen Stät­ten in tra­di­tio­nel­le Klei­der hül­len und ent­spre­chen­den Kopf­schmuck auf­set­zen, um dann ei­ni­ge Run­den zu dre­hen und sich se­hen zu las­sen, ist das im Prin­zip nichts an­de­res als das all­täg­li­che, all­wo­chen­end­li­che Ver­klei­den fürs Shop­ping, das au­ßer dem äs­the­ti­schen Selbst­zweck des Er­schei­nens in der Men­ge der Käu­fer nur den Zweck hat, sich mit neu­en Klei­dern und Kos­me­ti­ka zu ver­sor­gen, um bei näch­ster Ge­le­gen­heit ei­ne wei­te­re Iden­ti­tät kre­ieren. Und es ist nichts an­de­res als die Ko­stü­mie­rung in der Lot­te World, dem größ­ten The­men­park des Lan­des, wo die »The­men« als x‑beliebiger Hin­ter­grund für Fo­tos die­nen. Auch dort ist man nicht ein­fach man selbst – wenn es noch ein Selbst gibt –, viel­mehr »geht« man in Schul­uni­form oder Bü­ro­ko­stüm, die Mäd­chen na­tür­lich im Mi­ni­rock. The­men- und Ver­gnü­gungs­parks, der Un­ter­schied ist längst ver­schwun­den, sind das Non-plus-Ul­tra der In­fan­ti­li­sie­rung (nicht nur in Ost­asi­en), ganz oben im Ran­king der Rei­se­zie­le, sie sind da­bei, den rea­len Or­ten den Rang ab­zu­lau­fen. Ich bin ein Di­no­sau­ri­er der prä­di­gi­ta­len Welt, ich könn­te so ei­nen Park, hät­te ich nicht mei­ne Auf­ga­be als Ab­lich­tungs­skla­ve, nur als sti­li­sier­te Öd­nis wahr­neh­men. Zu­mal mir die Über­rei­zun­gen des Flie­gens und Fal­lens nicht das ge­ring­ste Ver­gnü­gen ab­rin­gen kön­nen. Man durch­wan­delt die­se Area­le wie die des Shop­pings als ein an­de­rer, den man spielt. Ich hier bin nur Zeu­ge, sonst nichts.

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© Text und Bil­der: Leo­pold Fe­der­mair