Kai­ser­quar­tett

Als Hel­mut Kohl ans Ru­der ge­wählt wur­de, wir wa­ren da­mals so et­wa 17 Jah­re alt, stieg der Trom­pe­ter un­se­rer Schü­ler­band auf das Dach sei­nes Hau­ses und spiel­te das Kai­ser­quar­tett in Moll. Un­se­re Schü­ler­band war die cool­ste Schü­ler­band al­ler Zei­ten, und das Kai­ser­quar­tett in Moll wur­de ein recht­schaf­fe­ner Kat­zen­jam­mer.

Die El­tern des Trom­pe­ters wa­ren bei der ört­li­chen SPD-Ver­an­stal­tung, und wir al­le hat­ten uns des­halb bei ihm ge­trof­fen. Nach der Be­kannt­ga­be des Wahl­er­geb­nis­ses im Fern­se­hen war er ein­fach oh­ne was zu sa­gen in sein Zim­mer rü­ber ge­gan­gen, hat­te die Trom­pe­te ge­nom­men und war aufs Dach ge­stie­gen. Na­tür­lich dach­ten wir zu­erst, dass er aufs Klo oder noch Chips aus der Kü­che ho­len wol­le, aber dann hör­ten wir ihn auf der Trep­pe. Sei­ne klei­ne Schwe­ster schrie so­fort: »Wo gehstn du hin?!!!«. Sie war da­mals sechs Jah­re alt, him­mel­te ihn furcht­bar an und ging ihm echt auf die Ner­ven, auch wenn er das an­ge­him­melt Wer­den heim­lich ge­noss. »Der geht jetzt aufs Dach und spielt das Kai­ser­quar­tett in Moll«, sag­te dar­auf­hin der be­ste Freund des Trom­pe­ters zu der klei­nen Schwe­ster. Der be­ste Freund ging näm­lich ganz rich­tig da­von aus, dass die klei­ne Schwe­ster nicht wuss­te, was das Kai­ser­quar­tett ist und was Moll ist, und er konn­te si­cher sein, dass sie zu viel Schiss hat­te, um aufs Dach zu ge­hen. Er woll­te sie bloß är­gern, und dann rief prompt der Trom­pe­ter von der Trep­pe run­ter: »Ge­nau!«, und wir stan­den al­le auf und gin­gen in den Gar­ten, um das Kai­ser­quar­tett in Moll zu hö­ren.

Der Trom­pe­ter auf dem Dach be­gann in den kla­ren Abend hin­ein zu spie­len, und es war fürch­ter­lich. Kei­ne Spur von Tem­po oder Takt. Er schl­ur­te die­ses Ei­nig­keitun­d­recht­und­frei­heit her, wie es ihm ge­ra­de ein­fiel oder eben nicht ein­fiel, wenn er näm­lich nicht wuss­te, wie es wei­ter­ging. Gleich auf den drit­ten Ton, auf »keit« von »Ei­nig­keit«, fiel er im Tem­po zu­rück wie ei­ne Schall­plat­te, die plötz­lich lang­sa­mer dreht. Die In­to­na­ti­on war ein Fi­as­ko. Sie schwank­te, wie Schilf im Wind sich beugt, auf »Recht« lag er gut ei­nen vier­tel Ton zu tief, ei­gent­lich gab es kaum ein sau­be­res In­ter­vall. Von Phra­sie­rung war über­haupt ganz und gar nichts zu hö­ren, denn er hol­te im­mer an den fal­schen Stel­len Luft. Zu­erst stieß er noch ein paar Tö­ne an, aber dann war ihm die­se Ar­ti­ku­la­ti­on wohl zu müh­sam, und er blies bloß noch mit we­nig An­trieb die Luft durch das Rohr und drück­te die Ven­ti­le, so dass al­les ge­bun­den war und ein et­was brei­iger Ein­druck ent­stand. Wir al­le wuss­ten, dass er in in­stru­men­tal­tech­ni­scher Hin­sicht nicht der be­ste Trom­pe­ter war, den man sich den­ken konn­te, und die cool­ste Schü­ler­band al­ler Zei­ten war ja auch ex­pe­ri­men­tell und lärm­ori­en­tiert, und in die­ser Rich­tung war er voll drauf und brach­te die toll­sten Bei­trä­ge. Aber wir al­le wuss­ten auch, dass er de­fi­ni­tiv sehr viel mehr konn­te, als das, was er da auf dem Dach mach­te. Wir hör­ten deut­lich, dass er sich so rich­tig mit Ab­sicht über­haupt kei­ne Mü­he gab. Er spiel­te das Kai­ser­quar­tett in Moll mit die­ser Leck-mich-am-Arsch-Hal­tung, über die sich un­se­re Leh­rer im­mer so auf­reg­ten. Ich dach­te dann doch, »der ar­me Haydn«, aber ich frag­te mich auch, ob nicht Haydn, wenn er jetzt da­bei wä­re, dar­in viel­leicht et­was an­de­res hö­ren wür­de, denn ganz ehr­lich ge­sagt mach­te das Moll, das ei­gent­lich trie­fen­de Tri­stesse brin­gen soll­te, das Kai­ser­quar­tett viel in­ter­es­san­ter, und ich stell­te mir vor, wie es wä­re, wenn man es in Moll aber eben rich­tig an­stän­dig spie­len wür­de, und dann sah ich die Leu­te am Gar­ten­tor.

Ich stieß den be­sten Freund des Trom­pe­ters, der ne­ben mir stand, mit dem El­len­bo­gen in die Sei­te und deu­te­te mit dem Kopf zum Gar­ten­tor rü­ber. Man konn­te ja da­mals un­mög­lich die Hän­de aus den Ta­schen neh­men. Der be­ste Freund grin­ste, bohr­te die Fäu­ste noch tie­fer in die Ho­sen­ta­schen und spuck­te aus: »Biss­chen Kul­tur kann dem nich scha­den.« Am Gar­ten­tor stand näm­lich die­ser Nach­bar, von dem der Trom­pe­ter öf­ter mal was er­zähl­te. Der Typ war ge­gen al­les, was Spaß macht. Er tat im­mer so, als ob er spa­zie­ren ge­hen wür­de, aber in Wirk­lich­keit ging er nur raus, um TÜV-Pla­ket­ten an ge­park­ten Au­tos zu prü­fen, um die Sau­ber­keit der Geh­we­ge zu über­wa­chen, um die Vor­gär­ten zu in­spi­zie­ren und mit ei­nem locke­ren »Sie müs­sen mal hier vor­ne das Un­kraut zie­hen« die Be­woh­ner zu grü­ßen. Un­ser Kon­zert war na­tür­lich ein ganz gro­ßer Fisch, den er da auf sei­nem Kon­troll­gang ge­fan­gen hat­te. Ein an­de­rer Typ stand auch noch da, aber den kann­ten wir nicht, und wir küm­mer­ten uns nicht wei­ter um sie.

Beim Zwi­schen­teil, bei »Ei­nig­keit und Recht und Frei­heit sind des Glückes Un­ter­pfand« spiel­te er die Ach­tel­no­ten von »Frei« in »Frei­heit« als Vier­tel­no­ten, so dass die­ser Takt ei­nen Schlag zu viel hat­te, der die Frei­heit rhyth­misch raus­hau­te, und dann muss­te er vor dem »Glück« wie­der auf­hö­ren zu spie­len, um zu über­le­gen wie es wei­ter­ging, und dann spiel­te er das »pfand« von »Un­ter­pfand« erst ei­nen hal­ben Ton zu tief und dann ei­nen Gan­zen zu hoch, be­vor er den Rich­ti­gen traf, für den er aber dann nicht mehr ge­nug Luft hat­te, und der ganz kläg­lich en­de­te. Ich frag­te mich, ob er das nicht doch re­gel­recht ein­stu­diert hat­te, wor­auf er hin­ter­her sag­te: »Die Hym­ne üben? Hast se nich mehr al­le?«

Kei­ner von uns kann­te da­mals Ot­to Wer­ner Mül­ler. Erst Jah­re spä­ter, als ich in ei­nem Aus­tausch­se­me­ster in den USA in New Ha­ven war, wo Ot­to Wer­ner Mül­ler an der Yale School of Mu­sic Di­ri­gie­ren lehr­te, er­zähl­te mir auf ei­ner Par­ty ei­ner sei­ner Stu­den­ten die­se Ge­schich­te. Es muss 1943 und Ot­to Wer­ner Mül­ler 17 Jah­re alt ge­we­sen sein. Er ha­be in ei­ner Nacht, als die Bom­ben fie­len, sei­ne Trom­pe­te ge­nom­men, sei aufs Dach des Hau­ses ge­stie­gen, und ha­be das Kai­ser­quar­tett ge­spielt. »Tough man, ye­ah, you know, the way he’s tal­kin’ about it, he re­al­ly got off on it«, sag­te der Stu­dent, das Pro­blem sei nur ge­we­sen, dass er sich kaum ha­be hö­ren kön­nen, weil die Bom­ben so laut wa­ren. Ich frag­te den Stu­dent, ob Ot­to Wer­ner Mül­ler mit der Na­tio­nal­hym­ne ge­gen die Bom­ben ha­be an­spie­len wol­len, oder ob er sie ge­wis­ser­ma­ßen be­grüßt ha­be, aber da­zu zuck­te der Stu­dent nur die Schul­tern und trank ei­nen gie­ri­gen lan­gen Schluck von die­sem pis­si­gen Bier, das sie drü­ben ma­chen, und ich er­zähl­te ihm nichts von un­se­rem Katz­jam­mer­kon­zert von 1982, weil ich mir si­cher war, dass er es nicht ka­pie­ren wür­de.

Wir konn­ten den Trom­pe­ter auf dem Dach nicht se­hen. Trotz­dem wa­ren wir sehr mit ihm ver­bun­den, und er wuss­te, dass er uns al­len aus der See­le spiel­te. Selbst­ver­ständ­lich wa­ren wir auch schon vor die­ser Bir­ne-Wahl da­ge­gen ge­we­sen, aber wir sa­hen glas­klar, dass es ab jetzt noch schlim­mer wer­den wür­de, und da wir das Schlimm­ste be­fürch­te­ten, konn­ten wir uns nicht vor­stel­len, was dann wirk­lich ge­schah, näm­lich dass es noch schlim­mer kam, als wir es be­fürch­tet hat­ten.

Der Trom­pe­ter je­den­falls ließ jetzt das deut­sche Va­ter­land im Glan­ze sei­nes Glückes er­blü­hen, und es war ein elen­des Wel­ken. Als der letz­te Ton des er­bärm­li­chen Mi­se­re­re vor­bei war, sa­hen wir uns an und nick­ten. Wir woll­ten wie­der nach drin­nen ins Wohn­zim­mer ge­hen. Wir woll­ten uns be­trin­ken. Aber in­zwi­schen stand ein Strei­fen­wa­gen vor dem Haus, und der TÜV-Pla­ket­ten­prü­fer stritt sich mit den Ord­nungs­hü­tern. Er hat­te den Strei­fen­wa­gen an­ge­hal­ten, um uns an­zu­zei­gen, und zwar we­gen Ru­he­stö­rung und Ver­un­glimp­fung des Staa­tes, was frü­her Ma­je­stäts­be­lei­di­gung ge­we­sen war, wir hat­ten das grad in Ge­schich­te. Die Po­li­zi­sten hat­ten sich ver­nünf­ti­ger­wei­se erst mal un­ser Kon­zert an­ge­hört, und frag­ten uns jetzt, ob wir fer­tig sei­en. Dann be­schie­den sie dem TÜV-Pla­ket­ten­prü­fer, dass es bei Ru­he­stö­rung nicht ih­re Auf­ga­be sei, die Art der Ru­he­stö­rung in­halt­lich zu be­wer­ten, sie hiel­ten sich da nur an ih­re Vor­schrif­ten, und jetzt sei die Ru­he­stö­rung ja auch be­en­det, und im Üb­ri­gen sol­le er froh sein, wenn die Ju­gend von heu­te die Na­tio­nal­hym­ne noch aus frei­en Stücken spie­le. Das fan­den wir nicht so toll. Das war ja echt das Al­ler­letz­te, dass wir uns aus­ge­rech­net mit dem Ver­weis auf das be­rühmt be­rüch­tig­te Ein­hal­ten von Vor­schrif­ten in Schutz neh­men las­sen muss­ten. Wir hör­ten auch nicht gern von uns sa­gen, dass wir die Na­tio­nal­hym­ne aus frei­en Stücken spiel­ten, ob­wohl uns nie­mand da­zu ge­zwun­gen hat­te. Des­halb wa­ren wir dem TÜV-Pla­ket­ten­prü­fer für sei­nen Starr­sinn so dank­bar. An­statt sich, wie po­li­zei­lich an­ge­ord­net, dar­über zu freu­en, dass wir die Na­tio­nal­hym­ne spiel­ten, leg­te er die Stirn in bös­ar­ti­ge Fal­ten und ent­geg­ne­te den Po­li­zi­sten: »Sie wol­len doch nicht al­len Ern­stes die­sen Kat­zen­jam­mer als deut­sche Na­tio­nal­hym­ne be­zeich­nen?« Weil dann näm­lich der Po­li­zist zu­rück fra­gen konn­te, was es denn, wenn es nicht die Na­tio­nal­hym­ne ge­we­sen sei, mit der Ver­un­glimp­fung des Staa­tes zu tun ha­be? Der be­ste Freund des Trom­pe­ters ging jetzt ganz rich­tig da­von aus, dass es mit dem TÜV-Pla­ket­ten­prü­fer bes­ser klap­pen wür­de als mit den Po­li­zi­sten, hier noch ir­gend­wie das Ge­sicht zu wah­ren. Er mach­te al­so ganz auf bei­läu­fig und von oben her­ab, im Grun­de äff­te er den Deutsch­leh­rer nach, wie der war, wenn er je­mand fer­tig ma­chen woll­te: »Sa­gen Sie, ha­ben Sie ei­gent­lich schon mal was von der grund­ge­setz­lich ga­ran­tier­ten Frei­heit der Kunst ge­hört?« Man konn­te sich ja da­mals noch aufs Grund­ge­setz be­zie­hen. Ge­nau wie be­rech­net keif­te der TÜV-Pla­ket­ten­prü­fer so­fort zu­rück, dass wir ja gar nicht wüss­ten, was Kunst sei, und mach­te ei­ne ver­ächt­lich weg­wer­fen­de Ge­ste mit der Hand, die er aber in ei­nem Rutsch mit stramm er­ho­be­nem Zei­ge­fin­ger wie­der hoch­schnel­len ließ. Er droh­te mit Nach­spiel und Kon­se­quen­zen, und dann stemm­te die klei­ne Schwe­ster des Trom­pe­ters die Fäu­ste in die Hüf­ten und zog beim Luft­ho­len die Schul­tern hoch: »Wenn du jetzt nicht so­fort auf­hörst, dann hol ich mei­nen gro­ßen Bru­der, und der wirft dich übern Zaun!«, und da­bei stampf­te sie wü­tend mit dem Fuß auf.

Aus dem Be­trin­ken wur­de dann nichts mehr. Un­se­re zwei­te Ki­ste Bier war näm­lich im Kel­ler, und die El­tern des Trom­pe­ters, die sich ge­ra­de auf der SPD-Ver­an­stal­tung be­tran­ken, hat­ten den Kel­ler ab­ge­schlos­sen. Der Schlüs­sel war nicht zu fin­den.

© S. U. Bart

7 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Sehr schön.
    Was ich tat­säch­lich nicht ge­wusst, zu­min­dest aber ver­ges­sen hat­te und wor­über ich gra­de beim Nach­le­sen über je­nes kon­struk­ti­ve Miss­trau­ens­vo­tum ge­stol­pert bin: dass Gün­ter Ver­heu­gen da­mals FDP-Ge­ne­ral­se­kre­tär war. Hm. Da­mals zu jung und da­nach wohl doch nicht so gründ­lich in­for­miert wie ge­dacht.

  2. Ver­heu­gen hat m. E. als ein­zi­ger der »Ab­trün­ni­gen« der FDP dau­er­haft Kar­rie­re ge­macht (bis zum EU-Kom­mis­sar). Frau Mat­thä­us-Mai­er (SIe er­in­nern sich?) zähl’ ich mal nicht da­zu, denn stell­ver­tre­ten­de SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­de konn­te in den 80er Jah­ren prak­tisch jede/r wer­den. Die so­zi­al-li­be­ra­le Frak­ti­on in der FDP (Baum, Hirsch) war auf ei­nen Schlag kalt­ge­stellt. Ich ha­be mir da­mals ge­schwo­ren: Nie mehr FDP! Die war zwei Jah­re vor­her ein­deu­tig mit der Ko­ali­ti­ons­aus­sa­ge pro Schmidt und ge­gen Strauß in den Wahl­kampf ge­zo­gen.

  3. @ Heinz Kam­ke: Vie­len Dank
    @ H. K. und G. K.: Die Schü­ler­band von da­mals wür­de heu­te wahr­schein­lich »Hoch auf dem gel­ben Wa­gen« an­statt des Kai­ser­quar­tetts spie­len.

  4. Wer wür­de sich nicht...
    an Frau Mat­thä­us-Mai­er er­in­nern, die ja ih­rer po­li­ti­schen Kar­rie­re noch ei­ne wei­te­re als Ban­ke­rin fol­gen ließ...?

    Und na­tür­lich auch an Hirsch und Baum, aber eben aus ir­gend­wel­chen Grün­den nicht an Ver­heu­gen als FDP-Mann.

    Zur kalt­ge­stell­ten so­zi­al-li­be­ra­len Frak­ti­on hat sich Baum in die­sem In­ter­view (pdf) aus dem Jahr 2000 da­hin­ge­hend ge­äu­ßert, dass er in die­ser Form wohl nicht da­mit ge­rech­net hät­te:

    War Ih­nen per­sön­lich ei­gent­lich klar, dass nach dem Ko­ali­ti­ons­wech­sel das En­de Ih­rer po­li­ti­schen Kar­rie­re ge­kom­men war?
    Baum: Nein, ich ha­be schon noch ir­gend­wo ge­glaubt, dass Tei­le mei­ner Par­tei so klug sein wür­den, die­sen Flü­gel, den ich re­prä­sen­tier­te, auch wie­der in die Ver­ant­wor­tung zu neh­men: nicht un­be­dingt in Form mei­ner Per­son, denn es gab ja auch noch an­de­re. Mei­ne gro­ße Ent­täu­schung be­stand dar­in, dass das über­haupt nicht mehr ge­sche­hen ist. Im Grun­de war es so, dass sie auf Leu­te wie mich kei­nen Wert mehr ge­legt ha­ben: Wir stör­ten nur noch.
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    Et­was off to­pic auch noch ei­ne Be­mer­kung zu Herrn We­ster­wel­le aus die­sem In­ter­view:

    Kom­men wir noch ein­mal ganz kurz zur In­nen­po­li­tik. Der der­zeit am­tie­ren­de FDP-Ge­ne­ral­se­kre­tär Gui­do We­ster­wel­le hat die Po­li­tik der So­zi­al-Li­be­ra­len auch in Ih­rer Par­tei hef­tig kri­ti­siert. Er tat das u. a. mit dem Be­griff der »Ge­fäl­lig­keits­de­mo­kra­tie«. Er mein­te, die Kon­sens­ge­sell­schaft sei zur Kon­kurs­ge­sell­schaft ge­wor­den. Brau­chen wir al­so heu­te we­ni­ger Kor­po­ra­tis­mus oder eher wie­der mehr?
    Baum: Ich fin­de, dass das doch ei­ne ge­wis­se Über­heb­lich­keit ist, die Herr We­ster­wel­le hier an den Tag legt. Er ist ja nicht un­be­dingt ein er­folg­rei­cher Ge­ne­ral­se­kre­tär nach die­sen un­ge­fähr 25 ver­lo­re­nen Wah­len. Ich bin der Mei­nung, dass wir in der Tat über un­se­re Ver­hält­nis­se ge­lebt ha­ben. Das be­trifft al­le zu­sam­men, und nun geht es dar­um, dass man un­ser Land re­for­miert und den Men­schen sagt, dass be­stimm­te Ge­wohn­hei­ten – die Ge­wohn­heit z. B., ein sol­ches so­zia­les Netz zu ha­ben – nicht mehr auf­recht­erhal­ten wer­den kön­nen. In dem Punkt bin ich voll­kom­men an sei­ner Sei­te, nur bin ich der Mei­nung, dass man das an Wer­ten ori­en­tiert ma­chen muss. Man darf da­bei eben nicht den Ein­druck er­wecken, man be­trei­be so­zu­sa­gen le­dig­lich die Öf­fent­lich­keits­ar­beit des Ar­beit­ge­ber­ver­ban­des. Mei­ne Par­tei muss deut­lich ma­chen, dass in die­sen gan­zen Um­brü­chen, in de­nen wir na­tio­nal wie in­ter­na­tio­nal we­gen der Glo­ba­li­sie­rung le­ben, die Wer­te, die un­se­re Ge­sell­schaft zu­sam­men­hal­ten, neu hin­ter­fragt wer­den müs­sen: Aber sie dür­fen da­bei nicht auf­ge­ge­ben wer­den. Lei­der macht die FDP je­doch den Ein­druck, als tä­te sie das.
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    Aber was soll ei­ne Dis­kus­si­on über Herrn We­ster­wel­le un­ter die­sem tol­len Text brin­gen? Ent­schul­di­gung, S.U. Bart.

    »Hoch auf dem gel­ben Wa­gen« üb­ri­gens hat mein vier­jäh­ri­ger Sohn als ei­nes sei­ner lieb­sten Stücke aus ei­nem Lie­der­büch­lein er­ko­ren; den Na­men Scheel in­des hat er noch nie ge­hört.

  5. Ja, die Dis­kus­si­on über We­ster­wel­le, der Slo­ter­di­jks Ein­wür­fe so­zu­sa­gen po­li­ti­sie­ren möch­te oh­ne sie ver­stan­den zu ha­ben, müss­te an­der­wei­tig ge­führt wer­den.

    Zum so­zi­al-li­be­ra­len Flü­gel nur so­viel: Baum hat­te sich vor der Wahl 2009 (und auch da­nach) da­hin­ge­hend ge­äu­ßert, dass We­ster­wel­le »ge­lernt« ha­be. Da­mit müss­te man ihn jetzt noch ein­mal kon­fron­tie­ren. Ich hal­te We­ster­wel­le in­zwi­schen für ei­nen Mi­nia­tur-La­fon­taine (frei­lich auf dia­me­tral ent­ge­gen­ge­setz­ten Po­si­tio­nen). Aber – wie ge­sagt – das wä­re ei­ne an­de­re Dis­kus­si­on.

  6. Wie ernst ich Baums po­si­ti­ve­re Wor­te zu We­ster­wel­le im Um­feld der Bun­des­tags­wahl neh­men kann, weiß ich ehr­lich ge­sagt nicht so recht – und heu­te, da sind wir wohl ei­ner Mei­nung, wä­re er da ver­mut­lich noch ein we­nig zu­rück­hal­ten­der.