
Das ist das Setting des Dreiakters Franz des österreichischen Schriftstellers Janko Ferk, unlängst erschienen in der AT Edition: 3. Juni 1925, gegen 16 Uhr, Oppelthaus, Prag, Wohnzimmer der Familie Kafka. Franz ist vor einem Jahr gestorben. Ottla hat eingeladen. Gekommen sind Felice Bauer, Dora Diamant, Milena Jesenská und Julie Wohryzek. Auf der Innenseite wird das Alter der Protagonistinnen zum Zeitpunkt des fiktiven Treffens vermerkt.
Man könnte nun das Witzeln anfangen, etwa nach dem Motto »Fünf Frauen und ein Todesfall«. Und man könnte sich amüsieren über den Gedanken an diese imaginäre Zusammenkunft der Lieblingsschwester des Verstorbenen mit vier seiner Mehrfach‑, Ganz- oder So-gut-wie-Verlobten, die sich ein Jahr nach dem Tod ihres Franz treffen, ihn bewundern und betrauern und sich im Laufe des Abends immer mehr beschimpfen und beleidigen. Aber dann gibt es nicht nur die beiden Motti zu Beginn, sondern auch einen Hinweis des Autors. Vier dieser fünf Frauen haben die Nazi-Barbarei nicht überlebt. Und dann folgt der großartige Satz: »Der Meister aus Deutschland hat ihnen ein Grab in den Lüften gehoben.« Das bleibt haften und erzeugt bei der Lektüre dieses Stückes eine gewisse Beklemmung, die einem nicht mehr loslässt. (Aber vielleicht ist das gar nicht schlecht.)
Janko Ferk ist Jurist, Literaturkritiker, Übersetzer, Autor und, nicht ganz unwichtig in diesem Zusammenhang, »Kafkaloge«. Er hat mehrere Bücher über Werk und Leben von Franz Kafka verfasst. Am Ende listet Ferk sowohl seine als auch diejenigen Bücher auf, die Verwendung in seinem Stück fanden (seiner Abneigung zu Reiner Stach gemäß fehlen dessen Werke). Zitate aus Briefen oder dem Werk von Franz Kafka, die im Stück von den Personen wiedergegeben werden, sind im Buch kursiv gesetzt (man müsste in einer Aufführung einen entsprechenden Modus finden).
Jedes kleine Theater kann dieses Stück spielen; das Interieur ist leicht einzurichten, am Ende auch entbehrlich; es reicht ein Tisch und ein paar Stühle. Es kommt auf die Gespräche der Frauen an, untereinander, miteinander, gegeneinander. Sie behandeln Kafkas Judentum, seine Arbeit in der Versicherung, seine philanthropischen Aktionen, sein manisches Schreiben und seinen Hass auf alles, was er nicht publizieren konnte. Man liest wenig schmeichelhaftes über Max Brod.
Im Kern geht es um Kafkas »Beziehungen« und den Verletzungen, Idiosynkrasien und Eitelkeiten der Frauen, um ihr Schwärmen ihrem Franz gegenüber bei gleichzeitiger Diagnose dessen, was man heute Beziehungsunfähigkeit nennen könnte. Mehrere Male scheitere bei Franz Kafka eine Eheschließung; bisweilen um wenige Tage. Mal ging um die materielle Ausstattung, eine Wohnung, mal um eine Erkrankung Kafkas. Oder war das nur vorgeschoben? Welche Rolle(n) spielte der herrische Vater von Kafka dabei? Er wird im Stück streckenweise zu einer Art Untier und muss von Ottla verteidigt werden.
Grüppchen bilden sich, lösen sich ebenso rasch wieder auf. Die Dialoge – in heutiger Sprache gehalten – hätten theoretisch so oder ähnlich stattfinden können. Felice ist ein Jahr nach dem Tod immer noch gekränkt über die Ver- und vor allem Entlobungen. Dora fühlte sich als gegenüber Kafka als »Bettlerfrau« und auf der Beerdigung von der Familie schlecht behandelt. Julie übernimmt die Rolle einer Art Spielverderberin und weiß nicht recht, was der Aufwand dieses Jahrgedächtnisses soll. Es scheint, sie schüttelt noch am ehesten die vermeintlich zugefügten Kränkungen ab. Milena hingegen verlässt vorzeitig unter Türenschlagen den »Gerichtshof im Haus Kafka«. Schließlich platzt Ottla der Kragen: »Tut nicht wie trauernde Witwen. Das seid ihr nicht. Trauert.«
Sicherlich, man sollte ein bisschen über Kafka wissen, um die Nuancen und Anspielungen, die Referenzen anderer Autoren über Kafka und nicht zuletzt die Tollkühnheit des Verfassers am Ende seines Stückes verstehen und einordnen zu können. Dabei ist Franz eigentlich derart geschrieben, dass sowohl der interessierte Kafka-Leser sich neu animiert fühlen kann als auch jener in neue Gefilde geführt wird, der sich bereits durch einige Biographien und Monographien gekämpft hat.
Alles wäre also ganz hübsch, aber es gibt einen Einwand. Er betrifft die von Ottla (bzw. Janko Ferk) bewusst nicht eingeladene, fünfte »Geliebte« Kafkas, Grete Bloch, die einst aus seinen Briefen, die intime Details über das Verhältnis zu Felice enthielten, geplaudert hatte. Verknüpft ist dies mit der Fama eines Franz-Kafka-Kindes mit jener Grete, welches früh gestorben sein soll. So weit, so fragwürdig. Aber Ferk kann nicht widerstehen und zündet ein Bömbchen, eher eine Bombe und lässt die dauerbeleidigte Julie Wohryzek etwas behaupten, was heftige Empörung und Ablehnung bei den anderen erzeugt. Hier verlässt Ferk den Salon der Zitaten- und Fußnoten und wechselt in die Gerüchteküche. Die einen werden es für kühn halten, die anderen für plump. Künstlerische Freiheit? Ja, sicher. Unbedingt. Aber muss das sein?
Übrigens überlebte auch Grete Bloch die »Meister aus Deutschland« nicht. Zeit, abermals zu trauern.