Igno­ranz als Prin­zip

Am Don­ners­tag be­gin­nen die Bach­mann­preis­le­sun­gen – zwi­schen Fuß­ball-EM und Olym­pi­schen Spie­len. Nicht, dass die Ver­an­stal­tun­gen ir­gend­wie zu ver­glei­chen wä­ren, aber ich möch­te dann doch für je­de me­dia­le Ver­wen­dung der Flos­kel »Wett­le­sen« – des blöd­sin­nig­sten Be­grif­fes, den es für die­se Ver­an­stal­tung gibt – nur 10 Cent be­kom­men. Da­nach könn­te ich wohl ein oppu­len­tes Abend­essen mit Freun­den ab­hal­ten.

Man ist ja ge­neigt, je­de Prä­senz in den Me­di­en zu ei­ner sol­chen Ver­an­stal­tung (be­son­ders im Vor­feld) zu be­grü­ßen. Aber da man sich lei­der ein biss­chen aus­kennt, ist die Freu­de eher ge­ring. Da wird am 1. Ju­li in ei­ner Li­te­ra­tur­grup­pe auf Face­book lau­nig ge­fragt, wer denn den Preis ge­win­nen »soll«. Die Ant­wor­ten sind na­tur­ge­mäß eher fra­gend. Auf den Hin­weis, man ken­ne die Tex­te nicht, wer­den die Links zu den Vi­deo­por­traits der Le­sen­den ge­setzt. Als wür­de dies al­lei­ne schon et­was über die Qua­li­tät der Tex­te aus­sa­gen. Ei­nen Hin­weis dar­auf kon­tert man pat­zig, die Re­gu­la­ri­en wür­den nun nicht un­se­ret­we­gen ge­ändert – und nun be­ginnt man, die­se Re­gu­la­ri­en zu zi­tie­ren. Da­bei hät­te man bei vor­heriger Lek­tü­re ge­merkt, wie dumm die­se Fra­ge nach dem »ver­dien­ten« Preis ist, es sei denn, man fällt ein Ur­teil auf­grund der (zu­meist nichts­sa­gen­den) Por­trait­film­chen. (Nur als Hin­weis: Die Bei­trags­tex­te sind für die Öf­fent­lich­keit bis zum Zeit­punkt der Le­sung nicht zu­gäng­lich.) Wo­bei die Ver­wun­de­rung über die­se Form des Um­gangs mit Li­te­ra­tur auch nicht mehr so ganz neu­ar­tig ist. Igno­ranz als Prin­zip. Oder: Wer ist denn heu­te noch so klein­lich und ur­teilt auf­grund ei­nes vor­lie­gen­den Tex­tes?

Am Diens­tag er­fah­re ich auf der Start­sei­te des »3sat«-Videotextes, dass es nun Ernst wer­de. Völ­lig über­rascht ver­ge­wis­se­re ich mich, dass es dann doch kei­ne Än­de­rung ge­ge­ben hat: Die Le­sun­gen be­gin­nen erst am Don­ners­tag. Be­ru­hi­gend ist auch, wenn ei­ne Au­torin, die heu­er in Kla­gen­furt le­sen wird, ih­re Auf­bruchs­vor­be­rei­tun­gen twit­tert (in­klu­si­ve Kof­fer­packen). Wie man wohl frü­her oh­ne sol­che In­for­ma­tio­nen ei­nen sol­chen Wett­be­werb er­tra­gen hat?

Jetzt geht es aber doch bald los. Be­leg da­für ist die FAZ, in der Jan Wie­le in ei­nem Bei­trag da­nach fragt, was der Wett­be­werb noch mit In­ge­borg Bach­mann zu tun hat. Bei Büch­ner kon­ze­diert er noch ei­ne Be­schäf­ti­gung der Preis­trä­ger mit dem Na­mens­pa­tron; beim Bach­mann­preis nicht mehr. Wo­mög­lich ver­wech­selt er die je­wei­li­ge Re­de der Büch­ner-Preis­trä­ger mit den li­te­ra­ri­schen Ex­zerp­ten der Kla­gen­furt-Teil­neh­mer? Nein, denn als Be­leg dient ihm die Ge­win­nern von 2006 Kath­rin Pa­s­sig, die nach ih­rem Ge­win­ner-Text nie mehr li­te­ra­ri­sche Pro­sa ge­schrie­ben hat und be­kennt, sich nicht mit In­ge­borg Bach­mann aus­ein­an­der­ge­setzt zu ha­ben. Wie­le zi­tiert (und mo­niert) die­se »of­fen zur Schau ge­stellte Un­kennt­nis«. Da­bei tappt er sel­ber in die Un­kennt­nis-Fal­le. Er sug­ge­riert, die Ver­anstaltung ha­be sich al­lei­ne durch die »allgemein[e]« Be­zeich­nung »Ta­ge der deutsch­sprachigen Li­te­ra­tur« von der »Hausheilige[n] von Kla­gen­furt« di­stan­ziert, unter­schlägt er den Grund da­für. Tat­säch­lich wur­de die Ver­an­stal­tung auf In­itia­ti­ve der Bach­mann-Er­ben im Jahr 2000 ent­spre­chend um­be­nannt. Die Grün­de wa­ren po­li­ti­scher Na­tur (Hai­der in Kärn­ten). Da weiss man jetzt nicht, ob die An­kün­di­gung, Herr Wie­le wer­de »vom Abend des 5. Ju­li an die Ver­ga­be des Bach­mann-Prei­ses mit ei­ner täg­li­chen FAZ.NET-Kolumne aus Kla­gen­furt be­glei­ten« nicht als ver­steck­te Dro­hung auf­fas­sen soll.

Auch in die­sem Jahr wird es wie­der ei­nen Pu­bli­kums­preis ge­ben, der im In­ter­net er­mit­telt wird. Fra­gen nach Be­tei­li­gungs­zah­len wer­den von of­fi­zi­el­ler Sei­te nicht be­ant­wor­tet. Im Jahr 2007 gab man be­kannt, dass es ins­ge­samt 1.155 »Be­ur­tei­lun­gen« gab; das Er­geb­nis zu Gun­sten von Pe­ter­Licht war »knapp«. 2009 reich­ten 268 Stim­men zum Ge­winn; 2010 schon 170. In­tel­li­genz­agen­tu­ren und ähn­li­che Spaß-Netz­wer­ke wer­den al­so wie­der über Twit­ter ih­re Le­gio­nen zu­sam­men­trom­meln wol­len. Ent­spre­chen­de Be­grün­dungs­tex­te kur­sier­ten ja im­mer schon im Netz.

Manch­mal soll­te man sich die Vor­freu­de an ei­nem Er­eig­nis nicht durch Se­kun­där- und/oder Ter­ti­är­tex­ten ka­putt ma­chen las­sen.

(Bei Ge­le­gen­heit und ent­spre­chen­dem Be­dürf­nis wer­de ich Be­mer­kun­gen zu dem Ge­hör­ten ggf. twit­tern.)


PS 19.20 Uhr: Auch fünf Stun­den nach dem Ab­schicken mei­nes Kom­men­tars beim Wie­le-Ar­ti­kel ist die­ser nicht ver­öf­fent­licht. Kom­men­ta­re im FAZ-Fo­rum ma­chen im­mer we­ni­ger Sinn. Man soll­te die Zeit bes­ser ver­wen­den.


PPS 19.30 Uhr: Auch De­nis Scheck fragt Leu­te, die die Bei­trä­ge nicht ken­nen da­nach, wer ge­win­nen wird. Oje.


5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Ja, Ih­ren Seuf­zer kann ich tei­len ... Es muss wohl ei­ne Show sein, da­mit es uns in­ter­es­siert. Dann kommt das Fern­se­hen. Die Live-Sen­dung. Die Ver­lags-PR. Pro­mi­nen­ten­tum für 15 Mi­nu­ten. Das kin­di­sche Drum­her­um. Und ei­ne Au­torin oder ein Au­tor kann ein paar Mo­na­te kom­for­ta­bler le­ben. Be­dau­er­li­cher­wei­se muss man da­für fast noch dank­bar sein. Denn die Li­te­ra­tur schafft aus sich her­aus kaum noch Er­eig­nis­se mit öf­fent­li­chem Wi­der­hall, erst wenn Event-Mar­ke­ting im Spiel ist, dreht der Me­di­en­tur­bo auf. Er­satz­wei­se ein Skan­däl­chen ei­ner De­bü­tan­tin. Da­nach ist wie­der Ru­he wie zu­vor und nur wer liest, der liest.

  2. Un­längst hab ich ir­gend­wo ge­le­sen, dass die Tex­te bei die­sem »Wett­le­sen« auf kei­nen Fall lu­stig sein soll­ten. Das fin­de ich auch ein et­was selt­sa­mes Kri­te­ri­um.

  3. Man hört das im­mer als so­ge­nann­tes »un­ge­schrie­be­nes Ge­setz«. Tat­säch­lich ha­ben ko­mi­sche und hu­mo­ri­ge Tex­te ir­gend­wie ei­nen Nach­teil. Ich er­in­ne­re mich noch Tho­mas Ka­piel­ski 1999. Ju­ro­ren und Pu­bli­kum hat­ten sich ge­bo­gen vor La­chen; der Text war in­tel­li­gent und schel­misch. In der Dis­kus­si­on at­te­stier­te man ihm al­les nur er­denk­lich Gu­te. Ei­nen Preis be­kom­men hat­te er nicht.

  4. ... und lei­der muß ich noch nach­tra­gen, daß ich 2008, als zum er­sten Mal via In­ter­net über den Pu­bli­kums­preis ab­ge­stimmt wor­den ist, im Vor­feld ei­ne An­fra­ge er­hal­ten ha­be, ob man das für mich »ar­ran­gie­ren sol­le«. Dan­kend ab­ge­lehnt, nicht ge­won­nen. Ich bin ein ech­ter Held!
    Auch wenn man wohl dach­te, mit ei­ner »Be­grün­dung« Spamming und Hi­jack­ing ver­hin­dern zu kön­nen – nö, wer liest denn schon die Be­grün­dun­gen ein­zeln durch und prüft, wel­che da­von wirk­lich als sol­che zu ak­zep­tie­ren ist. Um hier Ma­ni­pu­la­tio­nen vor­zu­beu­gen, müß­te man mög­lichst vie­le Men­schen für die­ses Spek­ta­kel ge­win­nen kön­nen, dann wür­den sich klei­ne­re Ma­ni­pu­la­tio­nen tot­lau­fen. Aber wie will man für Li­te­ra­tur im TV schon mas­sen­wei­se Men­schen ge­win­nen ...?!