Flo­ri­an L. Ar­nold: Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz

Florian L. Arnold: Ein ungeheuerlicher Satz
Flo­ri­an L. Ar­nold:
Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz

»No­vel­le« nennt Flo­ri­an L. Ar­nold sein Buch »Ein un­ge­heu­er­li­cher Satz«. Seit ei­ni­gen Jah­ren be­die­nen sich Ver­la­ge die­ser Gat­tungs­be­zeich­nung ver­mehrt, um kur­ze Er­zäh­lun­gen, die nicht als Ro­man ver­mark­tet wer­den kön­nen, auf­zu­wer­ten. »No­vel­le« dient da­bei Fall als Di­stink­ti­ons­merk­mal ge­gen­über »Er­zäh­lung«. Hier trifft die­se Spie­le­rei je­doch nicht zu. Es han­delt sich tat­säch­lich um ei­ne »un­er­hör­te Be­ge­ben­heit«, wie Goe­thes De­fi­ni­ti­on der No­vel­le lau­te­te. Der na­men­lo­se Ich-Er­zäh­ler, ein 13jähriger Jun­ge (?), wird ei­nes Ta­ges mit ei­nem »un­ge­heu­er­li­chen Satz« sei­nes Va­ters kon­fron­tiert: »Wir ge­hen weg«. Die Fol­gen wer­den ein­schnei­dend sein.

Man lebt in ei­ner Art Wild­nis; für sich, al­lei­ne. Die Zeit, in der die No­vel­le spielt, ist nicht eru­ier­bar. Zwei‑, drei­mal im Jahr fährt die Fa­mi­lie mit ei­nem al­ten, »selbst­mord­ge­fähr­de­ten« Au­to in die Stadt. Dort kauft man un­ter an­de­rem schwar­ze, un­li­nier­te Hef­te, die vom Va­ter ir­gend­wann zwang­haft voll­ge­schrie­ben und von der Mut­ter dann per Post nach »Igna­tu« ver­schickt wer­den. An­son­sten lebt man vom Ge­mü­se­gar­ten. Es scheint we­der Te­le­fon noch In­ter­net zu ge­ben. So­zia­le Kon­tak­te hal­ten sich in Gren­zen, blei­ben schließ­lich bis auf ei­nen ge­wis­sen Rö­sen­mar­rer gänz­lich aus (und so­fort denkt man bei die­sem Na­men an Roit­ha­mer aus Tho­mas Bern­hards »Kor­rek­tur«).

Der Va­ter, ei­ne Her­mann-Bur­ger-Fi­gur, ist ein rau­chen­der Me­lan­cho­li­ker, ge­heim­nis­voll in sei­nem schein­bar kin­di­schen Hass auf das Licht, die Son­ne, die Hit­ze, den Som­mer. Ein Mann, der mit sei­nem Sohn über ei­nen längst ver­wil­der­ten Fried­hof spa­ziert und Grab­steine buch­sta­biert, ent­zif­fert und sich von sei­nem Kind die Le­bens­da­ten aus­rech­nen lässt.

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Li­te­ra­tur­kri­tik ver­sus Li­te­ra­tur­jour­na­lis­mus

Jörg Sun­dermei­er, Chef des Ver­­­b­re­cher-Ver­­lags, sorg­te mit sei­nem In­ter­view im »Buch­Markt« vom 25.01. für ei­ni­ges Auf­se­hen. In ei­ner Art hei­li­gem Zorn be­klag­te er den Nie­der­gang der Li­te­ra­tur­kri­tik. Im Teaser zum In­ter­view wird auf ein Kol­lo­qui­um über Li­te­ra­tur­kri­tik am 30.01. in Mainz hin­ge­wie­sen. Da­bei lohnt ein Blick auf die Vor­tra­gen­den; un­ter an­de­ren wir­ken mit: San­dra Ke­gel, ...

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Neu­es vom ORF

Am 19.10. frag­te ich, ob die jour­na­li­sti­sche Pra­xis des ORF dar­in be­steht, Quel­len zu ver­wen­den, oh­ne die­se an­ge­mes­sen zu nen­nen. Mein dies­be­züg­li­ches Schrei­ben an den Pro­gramm­di­rek­tor des ORF, Karl Amon, wur­de mit Da­tum vom 30.10.von ei­nem ge­wis­sen Dr. Pe­ter Klein (Funk­ti­on: »Öster­reich 1 / KULTUR»1 ) be­ant­wor­tet. Kurz und ein we­nig ver­ein­fa­chend ge­sagt lau­tet die ...

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Wolf­gang Herrn­dorf: Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe
Wolf­gang Herrn­dorf:
Bil­der dei­ner gro­ßen Lie­be

Nicht un­be­dingt das Buch, son­dern die Re­ak­tio­nen hier­auf sind er­staun­lich: Da wird post­hum ein ei­gent­lich »un­voll­ende­ter Ro­man« (Un­ter­ti­tel) von Wolf­gang Herrn­dorf ver­öf­fent­licht und das gan­ze Feuil­le­ton ju­belt hym­nisch und türmt Ver­glei­che auf von Käst­ners »Fa­bi­an« über Noote­booms Phil­ip (»Das Pa­ra­dies ist ne­ben­an« – so lau­te­te der ur­sprüng­li­che Ti­tel die­ses wun­der­ba­ren Bu­ches), Mo­ritz’ »An­ton Rei­ser« (der kommt so­gar ein­mal vor) bis zu Goe­thes Mi­gnon-Fi­gur.

Es ist ein lei­der häu­fig zu be­ob­ach­ten­des Phä­no­men: die tra­gisch oder früh ums Le­ben ge­kom­me­nen Schrift­stel­ler wer­den die Lieb­sten und die Be­sten. Vor­her kaum zur Kennt­nis ge­nom­men, be­kom­men sie ei­ne Wiedergut­machung ge­ra­de­zu auf­ge­drängt. Wolf­gang Herrn­dorf hat die­sen Ge­sin­nungs­wech­sel sel­ber noch mit­er­lebt: Als er sei­ne schwe­re Krank­heit öf­fent­lich mach­te und dar­über im In­ter­net Ta­ge­buch führ­te nah­men plötz­lich die Sym­pa­thie­kund­ge­bun­gen der­art zu, dass dem Au­tor die­se Zu­wen­dung reich­lich su­spekt vor­kam (in »Ar­beit und Struk­tur« nach­zulesen) und mehr ver­stör­te als freu­te. Und nun er­scheint al­so ein nach­ge­las­se­ner Text Herrn­dorfs, 33 epi­so­den­ar­ti­ge, zum Teil nur lo­se mit­ein­an­der ver­bun­de­ne Ka­pi­tel über ei­ne Aus­rei­ße­rin na­mens Isa, die, das »wis­sen« die Re­zen­sen­ten merk­wür­di­ger­wei­se, 14 oder – wie es ein­mal heißt – 18 Jah­re alt ist (ei­ne der­art ex­pli­zi­te Al­ters­an­ga­be gibt es al­ler­dings nir­gends, nur ein­mal ein ab­schät­zen­der Count­down ei­nes Prot­ago­ni­sten). Isa ist ei­ner Ner­ven­heil­an­stalt oder ein­fach nur ei­nem Heim ent­lau­fen, irrt nun durch Städ­te, Dör­fer, Wäl­der, Fel­der. Au­ßer ih­rer Klei­dung be­sitzt sie nur ein Ta­ge­buch und zwei Ta­blet­ten. Mit der Ein­nah­me der letz­ten Ta­blet­te be­schließt sie, ge­heilt zu sein.

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Jour­na­li­sti­sche Pra­xis beim ORF?

Es war wohl ei­lig. Ben­ja­min Feich­ter er­bat bei mei­ner Ver­le­ge­rin, Bar­ba­ra Mi­k­law, ein pdf-Ex­e­m­­plar mei­nes Bu­ches »Der Ge­ruch der Fil­me«. Es soll­te um ei­nen Be­richt des ORF zur Film­schau »Pe­ter Hand­ke geht ins Ki­no« im METRO Kul­tur­haus in Wien ge­hen. Mit sich rin­gend und mit den üb­li­chen Hin­wei­sen zur Nicht­wei­ter­ga­be ver­se­hen, ent­sprach sie schließ­lich Herrn ...

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»Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en«

Der Jour­na­list, Bio­graph und Re­por­ter Mal­te Her­wig hat­te Ra­do­van Ka­ra­džić, der als ei­ner der Draht­zie­her des Mas­sa­kers von Sre­bre­ni­ca gilt, des größ­ten Kriegs­ver­bre­chens in Eu­ro­pa nach dem Zwei­ten Welt­krieg, im Ge­fäng­nis in Sche­ven­in­gen be­sucht und in ei­ner ein­drucks­vol­len Re­por­ta­ge da­von im letz­ten »SZ-Ma­ga­zin« zu­sam­men mit Ro­nen Stein­ke be­rich­tet.1 Mal­te Her­wig war so freund­lich, ei­ni­ge Fra­gen hier­zu be­ant­wor­ten.2

Be­gleit­schrei­ben: Sie ha­ben Ra­do­van Ka­ra­džić be­sucht und ge­spro­chen. Konn­ten Sie im­mer wäh­rend des Ge­sprächs von den ihm zur Last ge­leg­ten Ta­ten ab­stra­hie­ren?

Mal­te Her­wig: Ja, ein sach­li­cher Zu­gang ist die ein­zi­ge Ge­sprächs­ba­sis für ein gu­tes In­ter­view. Ich wür­de auch Adolf Hit­ler in­ter­view­en – vor­aus­ge­setzt er ist ge­stän­dig. Es ist doch fei­ge und un­ehr­lich ge­gen­über dem Pu­bli­kum, wenn man sich em­pört und Fra­gen stellt im Duk­tus von: »Sie sind ein bö­ser Mensch, was sa­gen Sie da­zu?«. Ich ha­be Mör­der, Gei­stes­kran­ke und Ras­si­sten in­ter­viewt. Aber der In­ter­view­er ist kein Rich­ter. Mich in­ter­es­siert nicht, ob mei­ne Ge­sprächs­part­ner gu­te oder schlech­te Men­schen sind, son­dern was sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben hat.

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  1. "Gesichter des Todes" - "Süddeutsche Zeitung Magazin" Nr. 19, 9. Mai 2014, S. 12-18 

  2. Die Fragen und Antworten wurden per E-Mail ausgetauscht. 

Rein­hard Kai­ser-Mühlecker: Schwar­zer Flie­der

[...] Rein­hard Kai­­ser-Mühlecker er­zählt die Ge­schich­te von Fer­di­nand Gold­ber­ger mit gro­ßer sprach­li­cher Ge­nauigkeit. Da­bei spielt es für den Le­ser kei­ne Rol­le, dass »Schwar­zer Flie­der« ei­ne Wei­ter­füh­rung der »Gol­d­­ber­­ger-Sa­­ga« des Au­tors ist, die 2009 mit »Mag­da­len­aberg« be­gann, dann 2012 mit dem um­fang­rei­chen Ro­man »Ro­ter Flie­der« fort­ge­setzt wur­de und hier – schein­bar – sein En­de fin­det (der ...

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Der gro­sse Rad­datz

»Ge­strei­chelt wor­den bin ich in mei­nem Le­ben nicht« Die Au­to­bio­gra­phie und die Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz zei­gen nicht nur ei­ne längst ver­sun­ke­ne Welt der bun­des­deut­schen Nach­­kriegs-Li­te­ra­tur­­bo­­hè­­­me. Wer ge­nau liest, ent­deckt ei­nen auf­rech­ten und emp­find­sa­men In­tel­lek­tu­el­len – und ei­nen groß­ar­ti­gen Schrift­stel­ler Da sind sie al­so end­lich: Die letz­ten Ta­ge­bü­cher von Fritz J. Rad­datz, 2002–2012 (TB ...

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