Mar­tin Mit­tel­mei­er: Heim­weh im Pa­ra­dies

Martin Mittelmeier: Heimweh im Paradies

Mar­tin Mit­tel­mei­er:
Heim­weh im Pa­ra­dies

»Goe­the in Hol­ly­wood« über­schreibt der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Mar­tin Mit­tel­mei­er das er­ste Ka­pi­tel sei­nes Bu­ches Heim­weh im Pa­ra­dies über Tho­mas Manns Jah­re in Ka­li­for­ni­en. Nach fünf Jah­ren im Exil in der Schweiz über­sie­del­te die Fa­mi­lie 1938 in die USA. Und na­tür­lich darf er nicht feh­len, der Satz, mit dem er sich sel­ber zur zen­tra­len Fi­gur des Deut­schen im Exil ge­gen das Na­zi-Re­gime mach­te: »Wo ich bin, ist Deutsch­land«. Ei­ne Mi­schung aus An­ma­ßung, Trotz und Selbst­be­haup­tung.

Da­bei war es ein »an­de­res« Land, dass sich dem Dich­ter zeig­te; nicht nur die an­de­re Spra­che, die der 63jährige müh­sam lern­te. Ein Land mit Film­stu­di­os, Ein­la­dun­gen, Re­den, Le­se­rei­sen, Zu­sam­men­künf­ten mit den an­de­ren Exi­lan­ten, die schon län­ger in den USA leb­ten. Die Welt­an­schau­un­gen la­gen zum Teil weit aus­ein­an­der und ei­ni­ge ver­stan­den et­wa den Bru­der Hit­ler nicht. Tho­mas Mann zog rasch Auf­merk­sam­keit auf sich; es kam zu Be­geg­nun­gen mit dem ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten Roo­se­velt. Viel Neu­es für je­man­den, den ei­ni­ge be­reits da­mals für ei­nen Mann des 19. Jahr­hun­derts hiel­ten. Nach ei­ner Gast­pro­fes­sur in Prin­ce­ton prä­fe­rier­te er den Osten, ging ins Um­land von Los An­ge­les, dort, wo das »Mo­vie-Ge­sin­del« leb­te, schließ­lich Pa­ci­fic Pa­li­sa­des, ab Fe­bru­ar 1942 in ei­nem ei­gens er­rich­te­ten Haus.

Mit­tel­mei­ers chro­no­lo­gisch an­ge­leg­tes Buch liest sich pha­sen­wei­se wie ein Ro­man. Per­son, Werk und Zeit­läuf­te grei­fen in­ein­an­der. Im­mer­hin ent­ste­hen drei be­deu­ten­de Wer­ke wäh­rend die­ser Zeit: Lot­te in Wei­mar, der vier­te Jo­seph-Ro­man und vor al­lem Dok­tor Faustus, mit er am 23.3.1943 be­gann. Manch­mal hat man bei der Lek­tü­re das Ge­fühl, noch ein­mal Hein­rich Bre­loers Die Manns bei­zu­woh­nen und sieht im Gei­ste Ar­min Mül­ler-Stahl die Püpp­chen auf dem aus der Schweiz ein­ge­trof­fe­nen Schreib­tisch an ih­ren Platz stel­len. Mit­tel­mei­er kriecht förm­lich in das We­sen von Tho­mas Mann ein, weiß von ei­nem zeit­wei­se auf­tre­ten­den Blues sei­nem Werk ge­gen­über zu be­rich­ten und skiz­ziert die Über­win­dun­gen zu Tref­fen mit den an­de­ren Exil-Au­toren und de­ren Egos. Ge­nau ge­schil­dert wird Manns An­die­nen und Aus­hor­chen an Theo­dor Ador­no, um sich die Mu­sik Ar­nold Schön­bergs für sei­ne Fi­gur des Adri­an Le­ver­kühn im Faustus-Ro­man zu er­schlie­ßen.

Na­tür­lich gibt es auch fa­mi­li­är-in­ti­mes, et­wa Tho­mas Manns Prä­fe­ren­zen, was sei­ne Kin­der an­geht oder das Ver­hält­nis zum Bru­der. Die Be­trach­tun­gen ei­nes Un­po­li­ti­schen sind in­zwi­schen zwan­zig Jah­re alt und er muss sich ein­ge­ste­hen, dass Hein­rich da­mals Recht hat­te. Aber Tho­mas ist jetzt, wie es ein­mal heißt, »de­mo­kra­ti­siert«, wenn er auch der Mas­sen­de­mo­kra­tie skep­tisch ge­son­nen bleibt, aber mit den Jah­ren das So­zia­le zu ent­decken scheint, was im Nach­kriegs­ame­ri­ka ir­gend­wann ge­nügt, um kom­mu­ni­sti­scher Um­trie­be ver­däch­tig zu sein.

Tho­mas und Hein­rich: Hier der »Ku­li­na­ri­ker der Sehn­sucht«, der im »Kor­sett des Bür­ger­li­chen« in der li­te­ra­ri­schen Form das Wil­de bän­digt und mit dem Zau­ber der Iro­nie die Welt bannt und dort der dio­ny­si­sche »Ku­li­na­ri­ker der Lust«, we­ni­ger be­kannt und im Ge­gen­satz zu Tho­mas per­ma­nent in no­to­ri­scher Geld­not. Hein­richs Bü­cher ver­kau­fen sich schlecht, wäh­rend die Wer­ke sei­nes Bru­ders rasch re­üs­sie­ren und über­setzt wer­den. Nicht zu­letzt dank Agnes E. May­er, die er 1937 ken­nen­lern­te, Mä­ze­nin und ge­le­gent­lich »ty­ran­ni­scher För­de­rin«. So gab es zwei Frau­en, die ihm den Rücken für sein Schrei­ben frei­hiel­ten – Ka­tia und May­er. Wenn da nicht die­se Re­prä­sen­ta­ti­ons­pflich­ten ge­we­sen wä­ren. Im Lau­fe der Jah­re, so er­scheint es nach­träg­lich, war Tho­mas Mann zu ei­nem Sym­bol ge­wor­den, »das er nicht mehr kon­trol­lie­ren« konn­te.

Mit­tel­mei­ers Buch ist ei­ne Col­la­ge aus hi­sto­ri­schen Quel­len, Brie­fen, Ta­ge­buch­ein­tra­gun­gen, Er­in­ne­rungs­bü­chern und li­te­ra­tur­wis­sen­schaft­li­chen Stu­di­en. Letz­te­re wer­den ge­rafft, um die Grund­zü­ge von Tho­mas Manns Iro­nie zu ent­wer­fen. Man­che An­ek­döt­chen sind be­kannt, viel­leicht über die Jah­re ein biss­chen zu oft stra­pa­ziert wor­den, wie et­wa die Rei­be­rei­en in­ner­halb der Exi­lan­ten­sze­ne, die ewi­ge Fra­ge, war­um er ex­pli­zit für die Bud­den­brooks und nicht für den Zau­ber­berg den No­bel­preis be­kom­men ha­be oder der Be­such der 16jährigen Su­san Son­tag. Aber man kann so et­was nicht weg­las­sen. We­ni­ger be­kannt et­wa der Hin­weis auf zwei Goe­the-Zi­ta­te im Schluss­plä­doy­er des bri­ti­schen Haupt­an­klä­gers im Nürn­ber­ger Pro­zess, wel­che in Wahr­heit vom Goe­the aus Lot­te in Wei­mar, al­so von Tho­mas Mann, stam­men. Schön er­zählt wird auch die Schiffs­rei­se von Tho­mas und Ka­tia 1947 von Eu­ro­pa zu­rück in die Staa­ten und die Be­geg­nun­gen an Bord mit Max Beck­mann und Frau »Quap­pi«. Zwi­schen­zeit­lich glaubt man, Mit­tel­mei­er wol­le dem Le­ser un­be­dingt die Lek­tü­re des Dok­tor Faustus na­he­brin­gen. Das wä­re nicht das Schlech­te­ste.

Ge­win­nend ist der locke­re, aber nie seich­te Er­zähl­ton, den man zu­nächst mit Flo­ri­an Il­lies ver­glei­chen könn­te. Das wür­de Mit­tel­mei­er al­ler­dings un­recht tun, denn er ent­hält sich glück­li­cher­wei­se der wohl­feil-sen­sa­tio­na­li­sti­schen Kon­struk­tio­nen des »könn­te-viel­leicht« oder an­de­rer Mut­ma­ßun­gen. Im Ge­gen­satz zu Il­lies bie­tet Mit­tel­mei­er mit­tels QR-Code auf der Web­sei­te des Ver­la­ges sei­ne Quel­len de­tail­liert an (bleibt zu wün­schen, dass die Sei­te lan­ge er­hal­ten bleibt). Der Au­tor dankt am En­de für die »Läs­sig­keits­er­mu­ti­gung« und es ist ge­nau die­se ernst­haft grun­dier­te Non­cha­lance, die den Ton die­ses un­ter­halt­sa­men wie lehr­rei­chen Bu­ches aus­macht.

Scha­de ist ein­zig der Ti­tel, der min­de­stens miss­ver­ständ­lich ist. Nein, ein Pa­ra­dies wa­ren die­se Jah­re in den USA trotz des groß­bür­ger­li­chen Am­bi­en­te und der ge­si­cher­ten Ein­künf­te nicht oder nur sel­ten. Dass Tho­mas Mann das Exil nie ge­nie­ßen konn­te, kon­sta­tiert Mit­tel­mei­er am En­de sel­ber. Da wa­ren die Mc­Car­thy-Um­trie­be, die auch vor ihm nicht Halt mach­ten, nur der letz­te Aus­lö­ser, der die Ent­schei­dung, das Land zu ver­las­sen, be­sie­gel­te. Im Ju­ni 1952 kehr­te Tho­mas Mann ein­fach nicht mehr in die USA zu­rück. Er blieb in der Schweiz. »Nach Deutsch­land zu ge­hen, war kei­ne Op­ti­on«, schreibt Mit­tel­mei­er und es gab gu­te Grün­de, um »sich Deutsch­land nur aus der si­che­ren Ferne…zu Ge­mü­te zu füh­ren«. Schließ­lich, so er tref­fen­de Be­fund, ha­be Tho­mas Mann Deutsch­land »ja in sich, das äu­ße­re er­trägt er nicht.« Kein Pa­ra­dies. Aber auch kein Heim­weh. Es sei denn an ei­ne Zeit, die längst ver­gan­gen war.

Ver­blüf­fend, wie na­he ei­nem für den Au­gen­blick der Lek­tü­re die­ser Tho­mas Mann kommt.

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