Von Ner­ven­sä­gen und Que­ru­lan­ten

Vor ei­ni­gen Wo­chen lief in der ARD ein Film mit dem Ti­tel „Ner­ven­sä­gen – Que­ru­lan­ten in Deutsch­land“. Un­ter an­de­rem wur­de dort Ha­rald Fied­ler ge­zeigt, ein schlan­ker, äl­te­rer, höf­li­cher Herr, wie er in Su­per­märk­ten, Kauf­häu­sern oder Fri­seur­sa­lons mit den Ab­tei­lungs­lei­tern, In­ha­bern oder Fi­li­al­lei­tern spricht und dar­um bit­tet, die be­schal­len­de Hin­ter­grund­mu­sik für die Dau­er sei­nes Auf­ent­hal­tes ein­fach ab­zu­stel­len.

Die­ses An­sin­nen ge­nügt of­fen­sicht­lich den Fil­me­ma­chern Thi­lo Kn­ops und Kir­sten Wasch­kau, Herrn Fied­ler die Rol­le ei­ner Ner­ven­sä­ge zu­zu­wei­sen. Zu­ge­ge­ben, das Vor­ge­hen er­scheint auf den er­sten Blick skur­ril oder als Lau­ne ei­nes pen­sio­nier­ten Her­ren, der sei­ne Zeit nicht an­der­wei­tig ver­bin­gen kann, aber ist es des­we­gen per se durch Schnitt, Zoom und ent­spre­chen­dem Kom­men­tar er­laubt, ihn der Lä­cher­lich­keit aus­zu­lie­fern?


Vor ei­ni­gen Jah­ren wa­ren wir in ei­ner klei­nen Ho­tel­an­la­ge an der Al­gar­ve. An ei­nem Nach­mit­tag war an dem win­zi­gen Pool­ge­län­de kein an­de­rer Gast. Die Be­die­nung, die uns na­tür­lich ein Ge­tränk ver­kau­fen woll­te, war voll­kom­men er­staunt, als wir ba­ten, doch bit­te die Mu­sik ab­zu­stel­len (krei­schen­der MTV-Müll – da­zu noch sehr schlech­te An­la­ge). Zu­nächst gab es klei­ne Sprach­schwie­rig­kei­ten, dann ver­sprach er, sei­nen Chef zu fra­gen. Als ich mein­te, so lan­ge nie­mand an­de­res kä­me und aus­drück­lich Mu­sik wün­sche, kön­ne er sehr wohl die Mu­sik auch oh­ne die Zu­stim­mung sei­nes Chefs ab­schal­ten, ent­sprach er un­se­rem Wunsch.

Herr Fied­ler und sein Ver­ein „pi­pe­down“ hat hier in Deutsch­land na­tur­ge­mäss we­ni­ger Er­folg. Ent­lar­vend war die Aus­sa­ge der Ge­schäfts­leu­te, man kön­ne die Mu­sik nicht ab­stel­len – die Ent­geg­nung, was man an­stel­len kann, muss man auch ab­stel­len kön­nen, ver­blüff­te nur kurz. Am ein­fach­sten mach­ten es sich die Herr­schaf­ten, die auf die „Mehr­heit“ hin­wie­sen, die sol­che Mu­sik wün­sche – wann man dies er­ho­ben hat, wur­de na­tür­lich nicht ge­sagt. (Ne­ben­bei be­kam ich Mit­leid mit den Men­schen, die un­ter die­ser Dau­er­be­rie­se­lung tag­aus, tag­ein zu ar­bei­ten ha­ben.)

Die sanf­te Re­bel­li­on wi­der das sinn- und geist­lo­se Ge­lär­me ist nur ein Bei­spiel wie man in­zwi­schen Leu­ten be­geg­net, die sich be­wusst par­ti­ell dem „Main­stream“ ent­zie­hen und da­durch au­to­ma­tisch als ver­hal­tens­auf­fäl­lig ent­we­der lä­cher­lich dar­ge­stellt oder so­gar als krank de­nun­ziert wer­den. Das be­ginnt bei Kin­dern, die bei Hy­per­ak­ti­vi­tät bzw. das, was man da­für hält, mit Rital­in (ei­nem sucht­ma­chen­den Am­phet­amin) „still­ge­legt“ wer­den und en­det dann ir­gend­wann bei der lieb­lo­sen Be­hand­lung der ver­meint­li­chen Schrul­len äl­te­rer Men­schen, die mit Psy­cho­phar­ma­ka voll­ge­stopft wer­den.

Die­se Ent­wick­lung stimmt be­denk­lich, da krea­ti­ves Po­ten­ti­al sel­ten aus gleich­för­mi­gem Ver­hal­ten in ei­ner Mas­se ent­steht. Das Kon­for­mi­tät zur Tu­gend er­klärt wird, wi­der­spricht nicht nur ei­ner plu­ra­li­sti­schen Ge­sell­schaft, son­dern er­zeugt ei­nen Uni­for­mis­mus, der ei­gent­lich von nie­man­dem ge­wünscht wer­den kann.